Rundschau: Boxing Day Teil 2 – MX
Wir blicken im zweiten Teil des Boxing Days in einer kleinen Rundschau kompakt auf die Spiele zwischen Liverpool und Leicester sowie Chelsea gegen Fulham.
Im Folgenden finden sich bewusst kompakt gehaltene Fokusanalysen, die sich auf die entscheidenden Spielphasen konzentrieren. Nachdem die Partie Manchester City gegen Everton bereits ausführlich beleuchtet wurde, blicken wir in der Rundschau noch auf zwei weitere Partien im Rennen um die Fußballkrone in England.
FC Liverpool v Leicester City: 3-1
Arne Slot ist vor allem für das dynamische Kombinationsspiel bekannt, das Feyenoord über Jahre unter seiner Leitung praktizierte. In Liverpool wollte man nach Klopp-Pool eine ähnliche Spielweise und nahm das vermeintliche Risiko in Kauf, einen Trainer zu verpflichten, der bislang ausschließlich in den Niederlanden tätig war.
Diese Handschrift ließ sich bereits im ersten Halbjahr in Merseyside deutlich erkennen. Liverpool hatte gegen Leicester einige lange Ballbesitzphasen und baute dabei aus einem 4-1-5 bzw. 4-2-4 heraus auf. Die Außenverteidiger Robertson und Alexander-Arnold positionierten sich dabei in der ersten Aufbaulinie häufig halbräumig, während Gravenberch im Zentrum agierte. Die Position neben Gravenberch wurde dynamisch aufgefüllt: Je nach Ballseite kippte entweder Jones oder Mac Allister aus der letzten Linie halbräumig ab.
Das 4-4-2-Mittelfeldpressing von Leicester City war in der technischen Ausführung sehr konservativ. Insbesondere die erste Pressinglinie aus Daka wie El Khannouss konzentrierte sich fast ausschließlich darauf, Gravenberch zu isolieren. Die Innenverteidiger wurden nur bei weitreichendem Andribbeln angelaufen. Aufgrund des engen Fokus auf Gravenberch war der Weg zu den Innenverteidigern jedoch oft zu weit, um effektiv Druck auszuüben.
Tendenzieller Knackpunkt im Pressing von Leicester war, dass die Außenspieler Ayew und Mavididi aus dem 4-4-2 einen sehr weiten Weg zu den flach positionierten Außenverteidigern von Liverpool hatten. Entsprechend schwer fiel es ihnen, wirklichen Druck auszuüben; teilweise rückten sie gar nicht erst heraus. Dadurch konnten die Außenverteidiger von Liverpool immer wieder weit im Halbraum andribbeln.
Ein weiterer Schwachpunkt war die Ausgangsposition der Außenspieler im 4-4-2: Diese orientierten sich halbräumig ähnlich wie die Außenverteidiger von Liverpool. Dadurch entstand ein sehr vertikaler Pressingweg, was den Pass in die Breite zu den Flügelspielern deutlich erleichterte. Immer wieder brachte Liverpool so Gakpo und Salah in direkte 1v1-Szenen, wo sie natürlich brillierten.
Allgemein wirkte das 4-1-5 von Liverpool gut auf das flache 4-4-2 von Leicester abgestimmt. Sie konnten sowohl ballnah als auch ballfern immer wieder Überzahlsituationen herstellen. Ballseitig verschob Nunez häufig, wodurch er zusammen mit dem Halbraumspieler und dem Flügelspieler eine 3v2-Überzahl gegen den gegnerischen Außen- und Innenverteidiger bildete. Ballfern ergab sich ebenfalls eine Überzahl (2v1), da der Halbraumspieler und der Flügelspieler gegen den ballfernen Außenverteidiger von Leicester agierten. Das spielte gerade beim Eindringen in die Box eine Rolle, denn dort konnte man mit der überladenen letzten Linie extrem viel Druck verüben, ansonsten suchte man diese Überzahl im ballfernen Bereich gerade in der 2. Halbzeit öfter über Diagonalbälle.
Tendenziell fehlte es insbesondere in der ersten Halbzeit jedoch am Tempo, um diese Überzahlen konsequent auszuspielen und Leicester keine Zeit zu lassen, diese zu kompensieren.
Gute Szenen ergaben sich vor allem aus dem Muster, dass der Halbraumspieler diagonal in die Breite abkippte, um den gegnerischen Außenverteidiger mitzuziehen, und anschließend der Flügelspieler per langem Ball in die Tiefe gesucht wurde. Besonders Jones und Salah setzten dieses Prinzip mehrfach erfolgreich um. Beide Außenverteidiger von Leicester hatten damit erhebliche Probleme, da die Abkippbewegungen der Halbraumspieler oft sehr dynamisch waren und ihre erste Reaktion meist die Gefahrenabwehr bzw. das Herausverteidigen gegen den Halbraumspieler war. Dadurch konnte Liverpool häufiger Spieler wie Gakpo oder Salah in aussichtsreiche Dribbling-Situationen bringen.
Mit der Zeit passte Leicester ihre Herangehensweise an, indem sie die Abkippbewegungen von Jones und Mac Allister weitgehend ignorierten. Stattdessen rückten die Außenspieler im 4-4-2 nur dann heraus, wenn ein direkter Pass auf diese erfolgte. Dadurch waren jedoch die Außenverteidiger von Liverpool oft ohne unmittelbaren Gegenspieler, was gerade nach Rückpässen oft ein Problem war. Der Doppelsturm wurde dann oft verleitet, dass er die Außenverteidiger presst, was natürlich den Gravenberch-Fokus lockerte.
Gerade über die linke Seite und das diagonale Abkippen von Mac Allister generierte Liverpool viel Progression im Spiel. Ein Schlüssel dafür war die höhere Positionierung von Robertson in diesen Phasen, durch die Leicesters Außenspieler Ayew gebunden wurde. Dadurch konnte Mac Allister häufig sehr weit andribbeln, teilweise bis tief ins letzte Drittel, ohne unter nennenswerten Gegnerdruck zu geraten. Ayew löste seine Mannorientierung zu Robertson entweder gar nicht oder erst sehr spät, wobei er dessen Bewegungen meist konsequent folgte. Dementsprechend gewann Liverpool durch diese Dribblings enorm an Raumhöhe und brachte häufig Gakpo in 1v1-Situationen am Strafraumrand. Aus einer ähnlichen Szene fiel übrigens das 1:1.
Im Angriffspressing bildete ein 4-2-3-1 den Ausgangspunkt. Nunez versuchte, gegen die oft konstruktiv aufbauenden Gäste, das Spiel leicht ins Zentrum zu lenken, wo die Sechser eng mannorientiert agierten und auch weit mit durchschieben konnten. Allgemein hielt Liverpool sehr lange an Mannorientierungen fest und überging nur selten. Der ballferne Flügelspieler markierte dabei den ballfernen Innenverteidiger. Diese Vorgehensweise war sehr intensiv, sodass ein Durchspielen für die meist nur schwer möglich war.
Ansonsten kam man immer wieder über die oben beschriebenen Muster über den Flügel in die Tiefe. Die Rollen der Offensivspieler waren flexibel angelegt, sodass sie häufig die Positionen tauschten. Gravenberch rückte auch immer wieder von der Sechserposition nach vorne, um den Doppelsturm von City nach hinten zu drücken und zusätzlich Präsenz, insbesondere in Zone 14, zu erzeugen. Dadurch erdrückte man Leicester zunehmend, die nur wenig im 4-4-2 anpassten und mit dem Ball nur wenige neue Ansätze zeigten. Auch die Umschaltsituationen, die sich gegen den risikoreichen Aufbau von Liverpool hätten ergeben können, blieben meist ungenutzt. Wie es mit Van Nistelrooy und Leicester City weitergeht, bleibt ein spannendes Thema.
FC Chelsea v FC Fulham: 1-2
Es ist das West-London-Derby! Man merkte der Mannschaft von Marco Silva an, dass sie nun seit fünf Spielen ohne Niederlage waren und mehrmals gegen Topteams bestanden haben. Interessanterweise hatten die Schwarz-Weißen auch im 3-4-3 von Beginn an mehr Spielanteile, besonders aus dem tiefen Aufbau heraus. Castagne agierte dabei in der 4-5-1-Grundformation als Rechtsverteidiger, spielte aber in diesem System als rechter Außenspieler.
Chelsea ging im Angriffspressing aus einem 4-3-3 mit einem mannorientierten Fokus vor. Fulham hingegen baute Bernd Leno sehr aktiv in den Spielaufbau ein. Nicolas Jackson versuchte, Leno mit einem Bogenlauf nach außen zu lenken, sodass der Ball auf die Halbraumverteidiger zugespielt wurde. Dort nahmen die Außenstürmer die mannorientierte Markierung auf. Jackson selbst markierte beim Spiel der Halbraumverteidiger den mittleren Innenverteidiger Andersen, der häufig aus der Dreierlinie ausbrach und als tief stehender Sechser agierte. Fulham wollte das Spiel sehr breit gestalten, indem die Breitengeber ballnah tiefer agierten, wodurch zeitweise ein 2-4-Aufbau entstand.
Die Markierung von Jackson auf Andersen nach dem Bogenlauf war ein wichtiger Aspekt, da Andersen regelmäßig Bewegungen zum Ball machte und somit isolierte man die Gegenspieler weitgehend. Zusätzlich wurde die Aufgabe, die Halbraumspieler aus dem Spiel zu nehmen, gut umgesetzt – einerseits durch den Deckungsschatten der Außenstürmer und andererseits durch eine enge Markierung von Palmer auf Lukic auf der linken sowie Caicedo auf Pereira auf der rechten Aufbauseite.
Neto, als Außenspieler im 4-3-3, ging zudem die Bewegungen von Schienenspieler Robinson mit, während auf der gegenüberliegenden Seite Außenverteidiger Cucurella die Wege von Schienenspieler Castagne begleitete. Diese asymmetrische Ausrichtung im Pressing führte jedoch zu gewissen Problemen, vor allem aufgrund des langen Weges, den Cucurella auf Castagne zurücklegen musste. Schob aber Robinson weit nach vorne, so ging auch Neto diese Wege mit, dann agierte Chelsea im symetrischen 5-2-3-Pressing.
Iwobi, eigentlich als linker Flügelspieler aufgestellt, agierte äußerst dynamisch. Häufig suchte er die volle Breite, ließ sich aber ebenso oft weit fallen. Damit zog er Malo Gusto, seinen direkten Gegenspieler in der Mannorientierung, aus der Position und öffnete potenziell Räume in dessen Rücken. Zudem bewegte sich Iwobi regelmäßig in den Raum vor der Abwehr, um direkt von den Innenverteidigern angespielt zu werden.
Diese Bewegungen nutzten die Schwächen in Chelseas 4-3-3 aus, insbesondere das oft weit klaffende Zentrum in der zweiten Linie. Der ballnahe Spieler rückte gelegentlich weit auf den Flügel für die Schienenspieler von Fulham heraus, während der ballferne Halbraumspieler – in der Grafik Moisés Caicedo – die entstandenen Löcher im Zentrum auffüllte. Caicedo war auch dafür verantwortlich, Iwobi in zentralen Räumen zu markieren und dessen Bewegungen abzufangen. Generell war die einrückende Position der Halbraumspieler entscheidend für das Gewinnen von zweiten Bällen. Mehrfach gelang es Chelsea, sich den Ball über diese Position nach langen Pässen von Fulham zu sichern.
Im Laufe des Spiels erwies sich die höhere Positionierung der Halbraumachter Lukic und Pereira als zunehmend problematisch für Chelsea. Da die Außenstürmer vorrangig darauf fokussiert waren, die Halbraumachter in den Deckungsschatten zu nehmen, wurden Fernandez und Sancho in ihrer Ausgangsposition im Pressing automatisch nach hinten gezogen. Dies verschaffte den Halbverteidigern Diop und Bassey deutlich mehr Raum und Zeit für Andribbelaktionen, wodurch Fulham seine Aufbauhöhe signifikant erhöhen konnte.
Aus den höheren Räumen heraus fiel es Fulham zunehmend leichter, durch eine kompaktere Staffelung den Zwischenlinienraum für Spieler wie Iwobi oder Stürmer Jiménez anzuspielen. Die Folgebewegungen aus diesem direkten Spiel in die letzte Linie waren jedoch oft suboptimal. Entweder waren die Diagonalbälle schwer zu kontrollieren, oder die Ablagen unsauber. Gelang eine präzise Ablage, reagierte Chelsea häufig mit taktischen Fouls, um Spieler wie Iwobi oder Traoré nicht ins Dribbling kommen zu lassen. Für Fulham war es im Verlauf des Spiels entscheidend, Caicedo und Palmer aus ihrer Zugriffszone für zweite Bälle zu ziehen. Dies geschah durch ballnahe Bewegungen von Pereira und Lukic, die sie banden. Sobald dies gelang, wurden auch die Ablagenspiele deutlich effektiver.
In der zweiten Halbzeit nahm Maresca eine Anpassung vor, indem er Cucurella nicht mehr durchgehend mannorientiert auf Castagne ansetzte. Stattdessen übernahm Cucurella nun vorrangig Traore, um dessen ballnahe Bewegungen und Ablagenspiele besser zu neutralisieren. Diese Umstellung hatte jedoch den Nachteil, dass Castagne auf dieser Seite weitgehend zum „freien Spieler“ wurde, ohne klare Zuordnung. Dementsprechend konnte er häufiger angespielt werden und in der Breite durchschieben. Der Plan, dass Cucurella seine Mannorientierung auf Traore situativ auflösen und Castagne wieder übernehmen sollte, scheiterte vor allem in dynamischen Situationen und wenn Castagne ebenfalls auf letzer Höhe agierte (dann: 2v1 gegen Cucurella), was Chelsea extrem unter Druck setzte.
Auf der anderen Seite nahm die Gefahr zu, da Neto zunehmend Schwierigkeiten hatte, Robinson direkt im Duell zu kontrollieren. Mit laufender Spielzeit nutzte Robinson sein dynamisches Abkippverhalten immer effektiver, wodurch Neto zunehmend gefordert war. Dieses Verhalten führte dazu, dass Neto nicht nur situativ, sondern immer häufiger seine Position verlassen musste. Während situative Anpassungen oft intuitiv erfolgen, wird bei dauerhaftem Verlassen der Position aus einer taktischen Anpassung ein Balanceakt, der bewusstes Nachdenken erfordert und dadurch die Entscheidungsfindung verlangsamen kann.
Aus diesen Szenen heraus gelang es Robinson mehrfach, Lukic ins Spiel einzubinden. Lukic positionierte sich geschickt an der Innenseite von Palmers Mannorientierung, wodurch er anspielbar wurde und häufig ins Dribbling gehen konnte. Diese Dynamik ermöglichte es Lukic, präzise Pässe auf Iwobi und Jimenez zu spielen, die diagonal in die Tiefe starteten und so gefährliche – wenn nicht entscheidende – Szenen für Fulham initiierten.
Gegen Ende der Partie erhöhte Fulham die Dynamik spürbar, insbesondere durch die dauerhafte Pärchenbildung von Robinson und Iwobi auf der linken Seite. Auf der vollen Breite strapazierten sie die Mannorientierungen von Gusto und Neto durch fließende Rotationen, Überlaufen, Spielen&Gehen und kleinräumiges Zusammenspiel. Diese Aktionen führten immer wieder zu Unordnung in Chelseas Defensivstruktur und ermöglichten es Fulham, gefährliche Situationen zu kreieren. Letztlich resultierte der Ausgleichstreffer aus genau einer solchen Szene, in der die Mannorientierungen durch das dynamische Zusammenspiel effektiv aufgelöst wurden.
Fulham verteidigte weiträumig in einem 5-4-1/4-1-4-1-System, das auf den ersten Blick wenig kompakt wirkte, jedoch durch eine individuell aggressivere Umsetzung als üblich auffiel. Chelsea formierte sich im Ballbesitz in einer 3-1-6-Anordnung, die Maresca in dieser Saison üblich anwendet. In dieser Struktur rückte Marc Cucurella in den Halbraum auf die vorderste Linie, während Malo Gusto tiefer blieb und die Dreierkette ergänzte. Chelsea profitierte von einer numerischen Überzahl (+2) in der ersten Aufbaulinie und nutzte diese, um Fulham zu fordern. Allerdings waren die Deckungsschatten im Zentrum eher mittelmäßig positioniert, und Fulham konnte sich mehrmals in der Anfangsphase durch diese Schwächen hindurchspielen.
Die Fulham-Abwehr reagierte jedoch in der Regel gut auf diese Überzahlsituationen, indem sie die Fehler in den ersten Ballaktionen schnell bereinigte und aus der Fünferkette heraus verteidigte. Doch in der zweiten Hälfte wendete sich bekanntlich das Blatt. In der Schlussphase des Spiels konnte Fulham den Druck aufrechterhalten und erzielte in einer Last-Minute-Situation durch Munoz den Siegtreffer zum 2:1.
Schon mal für den Terminkalender: Morgen Abend folgt eine weitere Rundschau zur Partie Nottingham gegen Tottenham (1:0) sowie zur Begegnung Arsenal gegen Ipswich. Ich hoffe, dass euch der Text gefallen hat!
MX machte sich in Regensburg mit seiner Vorliebe für die Verübsachlichung des Spiels einen Namen. Dabei flirtete er mit der RB-Schule, blieb aber heimlich immer ein Romantiker für Guardiolas Fußballkunst. Aktuell ist er als Analyst in einem NLZ tätig.
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