Japan gewinnt im Spiel zweier unterschiedlicher Halbzeiten gegen England und zieht ins Finale ein
Dank eines Eigentors von Englands Innenverteidigerin Bassett in der Nachspielzeit der zweiten Hälfte zog Japan am Mittwoch ins Finale der Fußballfrauenweltmeisterschaft ein. Prägend für das Spiel waren die unterschiedlichen Spieldynamiken in den beiden Halbzeiten – außerdem zeigte sich wieder einmal: England hat Probleme im Pressing.
- In der ersten Halbzeit war Japan England strategisch überlegen. Dies zeigte sich vor allem im Aufbau- und Übergansspiel. Kleinere Probleme in der Positionsbesetzung und die insgesamt simplen Abläufe in der Offensive führten allerdings dazu, dass sich das Team von Trainer Sakai kaum Chancen herausspielen konnte. Sowohl der Treffer der Japanerinnen als auch jener Englands fielen nach Elfmetern.
- Bei den Engländerinnen wechselten Moore und Chapman auf den Achterpositionen zur Halbzeit die Seite. Die Folge: andere Abläufe im zentralen Mittelfeld, eine andere formative Ausrichtung im Pressing – und ein Wandel in der Spieldynamik zu Gunsten der Europäerinnen.
England mit 4-1-2-3-/4-3-2-1-Mischformation und einem Fokus zweite Bälle im linken Halbraum
Anders als im letzten Spiel gegen Kanada, als die Engländerinnen noch in einer mehr oder weniger klaren 4-1-4-1-/4-3-3-Formation antraten, agierten sie dieses Mal schematisch in einer 4-1-2-3/4-3-2-1-Grundordnung. Englands Trainer Sampson passte die Abläufe der Standardformation etwas an und nutzte gegen die physisch unterlegenen Japanerinnen einen deutlichen Fokus auf lange Bälle, die man vor allem in den linken offensiven Halbraum spielte. Dort hatte man mit der linken Flügelspielerin Duggan, der linken Achterin Moore und mit Stürmerin Taylor drei körperlich sehr präsente Spielerinnen, die darüber enorme Vorteile im Kampf um zweite Bälle generieren konnten.
Entsprechend dieser strategischen Ausrichtung spielte Taylor im Sturmzentrum generell wenig ausweichend, sondern schob meist nur leicht auf die linke Seite. Duggan und Taylor auf den Flügelpositionen waren selten wirklich am Flügel zu finden, sondern hatten ihre Grundposition weit eingerückt in den Halbräumen, von wo aus sie bezüglich des Bewegungsspiels sehr linear auf die letzte Linie ausgerichtet agierten.
Schon aus dem Aufbau versuchte England schnell nach vorne zu kommen und bemühte sich in der Regel kaum um einen konstruktiven Aufbau. Ein konsequentes Auffächern im Aufbau gab es nicht. Rafferty und Bronze auf den beiden Außenverteidigerpositionen hatten daher in dieser Phase der englischen Angriffe wenig bis kaum Aktionen. Sie waren erst später involviert, wenn nach Ballgewinnen im Anschluss an die langen Bälle Breite oder lineare Durchschlagskraft den Flügel herunter benötigt wurde.
Dass Japan die eigene 4-4-2-Grundordnung in der Defensive als passives Mittelfeldpressing interpretierte und die Innenverteidigerinnen Houghton und Basset nicht aktiv anlief, begünstigte den englischen Spielplan insofern, als dass diese nicht am Spielen der langen Bälle gehindert wurden und im Aufbau keine gefährlichen Situationen in Kauf nehmen mussten. Weil Japan dadurch horizontal aber sehr kompakt agierten konnte, gelang es den Asiatinnen diese Nachteile geschickt auszugleichen und eine insgesamt sehr solide Grundstabilität in der Defensive herzustellen.
Japan offensiv simpel, aber stabil
Ohne große Änderungen und Anpassungen an die Gegnerinnen starteten die Japanerinnen wie gewohnt mit einer 4-4-2-Grundordnung in die Partie. Dabei verfolgten sie den standardmäßigen Ballbesitzansatz und versuchten im Anschluss an eine ruhige Ballzirkulation im ersten Drittel über die Flügel und die Halbräume nach vorne zu kommen.
Dabei gab es jedoch je nach Seite unterschiedliche Arten der Herangehensweise. Auf rechts spielte Kawasumi linear und versuchte über ihr Nachrücken in die Spitze Raum für die offensiv aktive Rechtsverteidigerin Ariyoshi zu öffnen. Miyama auf der anderen Seite hingegen rückte oftmals zur Mitte ein und ließ sich auch am Flügel immer wieder in tiefe Zonen zurückfallen, um dort als spielmachendes Element zu fungieren.
Gegen die englische 4-1-4-1-Defensivgrundordnung nutzten die japanischen Innenverteidigerinnen Kumagai und Iwashimizu die Räume neben Taylor, um oft mit Ball am Fuß aufzurücken. Utsugi und Sakaguchi auf der Doppelsechs nutzten in diesen Situationen die englischen Mannorientierungen und lockten die englischen Achterinnen über das eigene Aufrücken näher an das Tor der Europäerinnen. Obwohl diese Art zu verteidigen im eigenen Sechserraum gute Kompaktheiten erzeugte, wirkte sich das Verhalten von Chapman und Moore insgesamt doch recht negativ aus. Beide konnten kaum einmal aus der Formation herausrücken und England musste insgesamt sehr tief verteidigen, was wiederum für den offensiven Umschaltmoment problematisch war.
Dass Japan diese eigentlichen Schwächen der englischen Defensive nicht bespielen konnte, lag an der vor allem zu Spielbeginn inkonsequenten Positionsbesetzung im letzten Drittel. Zu den diesbezüglichen strategischen Nachteilen der 4-4-2-Grundordnung kam, dass Japan oftmals ballnah die Breite nicht besetzte. Die Folge waren festgefahrene Angriffe auf den Flügeln, die sich schlecht wieder an die Ballzirkulation anbinden ließen. Erst als Japan im Laufe der ersten Halbzeit konsequenter über rechts agierte, wo Kawasumi vermehrt einrückte und Rechtsverteidiger Ariyoshi deutlich höher agierte, stellten sich Verbesserungen ein. Von nun an gelang es auch Iwashimizus Läufe deutlich besser einzubinden, die zuvor nach dem Aufrücken vermehrt versucht hatte Anspielstationen zwischen den Linien zu finden, der hohen englischen Kompaktheit in diesem Bereich geschuldet allerdings kaum fündig geworden war.
Sampson Standardmove zur Halbzeit kippte die Partie
Wie schon bei mehreren Spielen dieser WM änderte Englands Trainer Sampson zur Halbzeit die Ausrichtung im Pressing, indem er Chapman und Moore von nun an seitenverkehrt agieren ließ und deren Rollen anpasste. Während Moore sich jetzt häufig absichernder und tiefer positionierte, rückte Chapman oft nach vorne, wodurch sich die schon gegen Kanada gesehenen 4-4-1-1-Staffelungen in der Defensive ergaben.
In Verbindung mit Chapmans geschickten Herausrückbewegungen bewirkte Taylors Anlaufen Kumagais und Iwashimizus einen deutlich spürbaren leitenden Effekt, was die Japanerinnen bereits früh auf die Flügel drängte. War der Ball dann erst einmal dorthin gelangt, schoben die Engländerinnen konsequent zum ballnahen Flügel und stellten in Ballnähe Gegnerorientierungen her, gegen die die Japanerinnen kein Mittel fanden. Die Folge waren viele hohe und teilweise sehr gefährliche Ballgewinne der Engländerinnen, die eigentlich die komplette zweite Halbzeit über das eigene Spiel gegen den Ball dominierten.
Rest des Spiels
Im Anschluss an einige Wechsel um die 80. Minute herum veränderten die Engländerinnen diese Spielweise etwas und agierten insgesamt vorsichtiger, was zum einen wohl taktisch-psychologische Gründe hatte, zum anderen vielleicht einfach der abnehmenden physischen Leistungsfähigkeit geschuldet war. Durch die neue 4-1-4-1-hafte Grundordnung änderte sich zwar nichts mehr an der Spieldynamik, wohl aber an den Absicherungsmechanismen im Gegenpressing, das ab der Halbzeit hervorragend funktioniert hatte. Bedauerlich für England: Der Treffer zum 2:1 für die Japanerinnen in der Nachspielzeit fiel nach einem Konter – und das, nachdem England zuvor zwei Mal die Latte getroffen hatte.
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