Brasiliens Achtelfinaleinzug gegen scheindominante Spanierinnen
Als erste Mannschaft im Turnierverlauf zog Brasilien am Samstag mit einem 1:0-Sieg gegen Spanien in die KO-Runde der Frauenweltmeisterschaft ein. Nach gutem Beginn der Spanierinnen kippte die Partie im zweiten Durchgang zugunsten der Selecao, bei der Trainer Vadao in der Pause entscheidende Anpassungen vornahm, auf die die Südeuropäerinnen keine Antwort fanden.
- Spanien überzeugte in der ersten Halbzeit: Gute Ansätze im Ballbesitz und im Pressing führten zu einer optisch überlegenen Leistung – wobei allerdings Mängel in puncto Durchschlagskraft vorhanden waren.
- Nach einem glücklichen Treffer vor der Pause fruchteten Brasiliens Anpassungen im Pressing im zweiten Durchgang. Die höhere Rolle der Flügelspielerinnen führte zu einer besseren Bespielbarkeit des letzten Drittels.
- Nach der Verletzung Thaisas stellte Brasilien nach einer Stunde von der vorher genutzten 4-2-3-1-/4-1-4-1-Formation auf eine passiv und kompaktheitsorientiert interpretierte 4-4-2-Grundordnung um.
Spaniens Ballbesitzansatz…
Einer der Gründe, warum die Spanierinnen den Brasilianerinnen in der ersten Halbzeit rein optisch und auch strategisch überlegen waren, waren die soliden Grundmuster im Spielaufbau, gegen die Brasiliens raumorientierte Defensivordnung nicht gut passte. Im ersten Drittel fokussierten sich die Spanierinnen auf eine druckvolle Ballzirkulation, um so den Übergang ins zweite Drittel vorzubereiten. Bälle über zwei oder mehr Linien gab es selten – sogar Abstöße wurden in der Regel flach ausgespielt.
In der 4-1-4-1-/4-3-3-Grundordnung gab es mit der tief agierenden Torrecilla auf der Sechserposition und den Akteurinnen der Viererkette fünf tiefe Anspielstationen im Spielaufbau. Auf den beiden Außenverteidigerpositionen agierten Landa und Jimenez zunächst tief und breit, sodass sie von den beiden horizontal weit auseinander spielenden Torrejon und Paredes in der Innenverteidigung mit in die Ballzirkulation einbezogen werden konnten. Die Positionierung der Außenverteidigerinnen führte darüber hinaus dazu, dass die Breite im ersten Drittel konsequent besetzt wurde. Dies ermöglichte den beiden Innenverteidigerinnen mit Ball am Fuß in die Räume neben Christiane und vor der Mittelfeldkette aufzurücken, um von dort mit Vertikalbällen Boquete und Losada auf den beiden Achterpositionen im Zwischenlinienraum anzuspielen. Vor allem Torrejon zeigte sich stark: Sie wählte stets passende Momente zum Aufrücken und überzeugte auch bezüglich der reinen Passqualität.
Um das Spiel im zweiten Drittel zu entzerren und den Raum vor der brasilianischen Viererkette möglichst weit geöffnet zu halten, agierten die beiden Flügelspielerinnen Corredera und Putellas im Aufbau- und Übergangsspiel zunächst breit und hoch. Auch Stürmerin Pablos, die sich in späteren Angriffsphasen immer wieder auch an der Ballzirkulation beteiligte, verblieb zunächst in höheren Zonen, um die beiden gegnerischen Innenverteidigerinnen zu belegen. Über Dribblings der Achter oder tiefe Anspiele auf die Flügelspielerinnen versuchte man ins letzte Drittel einzudringen, um dort die Ballzirkulation fortzusetzen. Von den hohen Flügelräumen wollte man nach einfachen Kombinationen über die Flügelspieler durchbrechen, um vorzugsweise mit flachen Diagonalbällen hinter die Abwehr zum Abschluss kommen. Alternativ dienten die Außenverteidigerinnen als Anbindungsspieler für die Ballzirkulation, über die sich festgefahrene Angriffe auf den Flügeln wieder an die Mitte anbinden ließen.
Zu Beginn hatten die Spanierinnen noch leichte Probleme, was die Anbindung einzelner Spielerinnen an den Rest der Mannschaft anging. Den weiten Abständen untereinander geschuldet, entwickelten sich oftmals teildynamische Situationen, an deren Ende z.B. eine der beiden Flügelspielerinnen diese Dynamik nicht aufgreifen konnte und stattdessen in Unterzahlsituationen auf ein Nachrücken der restlichen Mannschaftsteile warten musste. Erst als Corredera einrückender spielte und so nach Anspielen in die Tiefe besser Tempo zur Mitte aufnehmen konnte, wo sie wieder leichter Anbindung an den Rest der Mannschaft fand, verbesserte sich dieser Aspekt. Ebenfalls positiv war diesbezüglich, dass auch die beiden Achterinnen etwas nach rechts hängend agierten, wodurch Putellas auf dieser Seite schneller Unterstützung erhalten sollte.
Trotz der vielen positiven Punkte im Spiel mit dem Ball gelang es den Spanierinnen nie konsequent in gefährliche Zonen vorzustoßen. Meist ließen sie sich zu leicht auf den Flügel abdrängen und versuchten dann über Flanken und zu tororientiert vorgetragenen Angriffen zu Torchancen zu kommen, anstatt zu versuchen, über zentralere Räume im Anschluss an eine kurze Ballzirkulation Torabschlüsse zu kreieren.
…und die Nachteile der raumorientierten brasilianischen Defensivordnung
Dass Spanien im ersten Durchgang überlegen war, lag neben der guten Spielanlage der Südeuropäerinnen auch an der Defensivtaktik der Brasilianerinnen. Diese wollten über ein raumtreues und passives 4-1-4-1-/4-2-3-1- Mittelfeldpressing erst um die Mittellinie herum Zugriff herstellen, ohne dabei an Kompaktheit zu verlieren, was allerdings gerade deshalb nicht gelang.
Christiane agierte zu tief, sodass sie die spanischen Innenverteidigerinnen kaum einmal leitend anlaufen konnte. Weil es im Zentrum von den beiden Achter- bzw. der Zehnerposition kein Herausrücken auf die spanischen Aufbauspielerinnen gab, hatten die beiden Flügelspielerinnen Marta und Alves durch ihre enge Grundposition weite Wege zu Landa und Jimenez, wenn sie diese unter Druck setzen wollten. Gleichzeitig gelang es den Brasilianerinnen über die zu flache Mittelfeldkette auch nicht Zuspiele in die Tiefe zu verteidigen.
Brasiliens Probleme im Spielaufbau und die Auswirkungen auf das letzte Drittel
Genauso wie die Spanierinnen versuchten auch die Brasilianerinnen über den eigenen Aufbau passende Möglichkeiten für ein Aufrücken in höhere Spielfeldzonen zu kreieren. Mit Hilfe einer breiten Viererkette, tiefen Außenverteidigerinnen und mit Andressa und Thaisa im Sechserraum nutzten die Brasilianerinnen anfangs vermehrt die rechte Seite für den Angriffsvortrag.
Hier agierte Flügelspielerin Alves entweder breit oder in den Zwischenlinienraum einrückend, um dort Anspiele von der antreibenden Thaisa zu erhalten. Marta auf der gegenüberliegenden Seite spielte zunächst klar auf dem Flügel, um dort die Breite im Spiel herzustellen und direkte Dribblings zu suchen, wurde aber oft von der aufrückenden Tamires abgelöst, sodass sie sich frei in die Mitte orientierten konnte.
Insgesamt agierten Marta, Alves und auch Formiga auf der Zehnerposition allerdings zu tief, sodass sie potentiell nutzbare Räume im Zwischenlinienraum selbst schlossen und darüber einen Übergang ins Übergangsspiel erschwerten. Weil auch Tamires und Fabiana auf den beiden Außenverteidigerpositionen erst im Laufe der Angriffe mit aufrückten, fehlte im zweiten Drittel zudem oft die Breite.
Die Spanierinnen konnten ihre 4-1-4-1-Defensivformation deshalb sehr eng und in der Horizontalen kompakt interpretieren. Während Pablos die Aufgabe hatte Wechselpässe über den tiefen Sechserraum zuzustellen, hielten sich die Achter zunächst zurück und orientierten sich am eigenen Defensivverbund. Nach Pässen von außen zur Mitte – allen voran von Fabiana auf Thaisa – rückten sie dann mit dem Anspiel heraus. So stellten sie die Brasilianerinnen immer wieder vor Probleme, die diese über die hohe Qualität der zentralen Spielerinnen und gute Bewegungsmuster im Zentrum zu lösen versuchten.
Alles in allem blieb aber die Tiefe im Spiel und die Anbindung an das dritte Drittel das größte Problem der Brasilianerinnen, was sich auch nicht mit dem Seitenwechsel von Marta und Alves und der damit einhergehenden stärkeren Überladung der Mitte änderte. Kleinere Änderungen in den gruppentaktischen Mustern, wie das vermehrte Zurückfallen Christianes bei gleichzeitigem Aufrücken von Alves in die Spitze, zeigten sich diesbezüglich auch nicht als besonders erfolgreich.
Aggressivere Ausrichtung im Pressing der Brasilianerinnen im zweiten Durchgang
Nachdem Brasilien kurz vor der Pause überraschend in Führung gegangen war, versuchten die Südamerikanerinnen das entstandene Momentum direkt zu Beginn der zweiten Halbzeit für sich zu nutzen, indem sie unter anderem im Pressing viel aggressiver zu Werke gingen. Christiane lief die beiden gegnerischen Innenverteidigerinnen früher an und sowohl Marta als auch Alves nahmen nun weite Wege aus der Formation heraus in Kauf, wobei sie zunächst in einer tieferen Grundposition lauerten, um dann in passenden Momenten aufzurücken und die ballnahe Außenverteidigerin dabei in den eignen Deckungsschatten nahmen.
Ganz im Gegenteil zu den Brasilianerinnen – und vermutlich dem hohen läuferischen Einsatz des ersten Durchgangs geschuldet – zogen sich die Spanierinnen im Pressing zurück und verteidigten insgesamt etwas passiver. Das führte dazu, dass Brasilien in der Folge bedachter aufbauen konnte und nicht mehr jede Möglichkeit zum Aufrücken nutzen musste.
Die höhere Position Martas im Vergleich zur ersten Halbzeit wirkte sich hier auch positiv aus. Zum einen erzeugte sie darüber die notwendige Tiefe im Spiel auf ihrer Seite und blockierte zum anderen die starke Thaissa nicht mehr, die jetzt deutlich vertikaler agieren und selbst aufrücken konnte.
Verletzungsbedingter Wechsel und Formationsänderung bei Brasilien
Nach gut einer Stunde verletzte sich Thaisa. Für die Mittelfeldspielerin kam Stürmerin Darlene ins Spiel, was zu einer größeren Umstellung führte. Während Formiga Thaisa positionsgetreu ersetzte, wechselten Alves und Marta erneut die Seiten, sodass Alves wieder auf der rechten und Marta auf der linken Seite spielte. Christiane und Darlene agierten im Sturm. Dabei wichen beide Stürmerinnen oft horizontal zur Seite aus, fielen aber wenig zurück. Auf der linken Seite waren diese Ausweichbewegungen meist dynamische Gegenbewegungen zum Einrücken Martas, auf rechts stellte man darüber die Breite in letzter Linie wieder her, weil Alves oft in den Zehnerraum einrückte.
Gegen den Ball führte die Nutzung der neuen 4-4-2-Grundordnung zu klareren Zuordnungen in der Mitte und einer soliden Grundkompaktheit der Brasilianerinnen rund um den Sechser- und Achterraum der Spanierinnen.
Fazit
Trotz einiger Wechsel auf beiden Seiten änderte sich die formative Ausrichtung oder die Spieldynamik bis zum Ende nicht mehr. Brasilien fokussierte sich auf die Sicherung der eigenen Führung und zeigte sich diesbezüglich recht erfolgreich. Die Entstehung des brasilianischen Führungstreffers und zwei Großchancen der Spanierinnen zum Ende der Partie führten dazu, dass der Sieg Brasiliens insgesamt etwas glücklich zustande kam, alles in allem aber nicht unverdient war.
5 Kommentare Alle anzeigen
MR 20. Juni 2015 um 01:36
schweindominant B-)
blub 20. Juni 2015 um 12:14
Ne, sowas kann nur Bastain Scheinsteiger.
LM1895 17. Juni 2015 um 19:24
Ist mir auch im ersten Spiel aufgefallen, dass Spanien sehr klare und sichere Strukturen im Aufbauspiel zur Verfügung hat, aber im weiteren Verlauf wenig daraus machen kann. Da hatten sie schon große Probleme gegen für mich überraschend mannschafts- und gruppentaktisch starke Costa Ricanerinnen. Ihre guten Szenen in der Offensive kamen da meist nur aufgrund von individueller Klasse bzw. dem Mangel solcher auf Seiten von CR zustande. Das war übrigens ein taktisch sehr ansehnliches Spiel…ud Costa Rica hatte einige sehr starke Ballschlepperinnen, die Spaniens Gegenpressingingmit seinem teilweise etwas unsauberen Timing einige Male klasse umspielt haben. Defensiv konnte CR immer wieder gut Zugriff herstellen, auch wenn es dann immer wieder zu leichten individuellen Patzern kam…
Achso und Bra-SPA hab ich erst ab dem Tor gesehen und würde die Analyse hier so unterschreiben 😉
Eduard Schmidt 18. Juni 2015 um 10:03
Deine Meinung zu Costa Rica und zum Spiel gegen Spanien kann ich absolut teilen. Auch gegen Korea waren die phasenweise sehr interessant, wenn auch von noch größerer Unsauberkeit in vielerlei Hinsicht geprägt, die aber eben einen gewissen Touch von Unberechenbarkeit und Kreativität hatte, der zum enormem Charme der Partie beitrug.
Zu Spanien gegen Brasilien: Defensiv empfand ich die Ausrichtung im 4-1-4-1 mit der Sechserbesetzung als supoptimal, zumal Torrecilla ein paar Mal durch sehr plumpe Frauorientierungen den Zwischnlinienraum unnötig öffnete und generell alleine überfordert war, situativ etwas größeren Raum zu covern. Da fehlt die weibliche Form von Busquets (wo nicht?)
Offensiv außerdem unglaublich, dass Jenni Hermoso nicht gespielt hat. Schaut euch die gegen CRC an: Wahnsinn. Durch ihre Herausnahme lag die gesamte Struktur- und Dynamiklast auf Vero Boquetes Schultern. Einerseits somit berechenbarer. Andererseits kam sie dann oft in großräumige, vielfach isolierte Dribblingaktionen, die ihr beileibe nicht so liegen wie jene auf engerem Raum.
LM1895 18. Juni 2015 um 13:51
Da du ja anscheinend CRC – ESP gesehen hast…hast du diese Umstellung auf ein plumpes 4-4-2 bei CRC verstanden? Ab da (Halbzeit) gingen meiner Meinung ihre Probleme richtig los.
Schade, dass sie es nicht gepackt haben, auch wenn ich ihre weiteren Spiele nicht gesehen habe. Ich hab ne Schwäche für unberechenbare Dribblinggeschichten 🙂