Liverpools löchriges 3-4-2-1 kontrolliert sich zum Sieg
Das Spitzenspiel am Dienstagabend war Liverpool gegen Tottenham. Nach schwierigem Saisonstart haben sich beide Mannschaften gefangen und befinden sich auf der Jagd nach den CL-Plätzen.
Liverpool im 3-4-2-1
Bei Liverpool kam der Wendepunkt in dieser Saison mit einer systemischen Veränderung. Vom 4-3-3 und 4-2-3-1 wichen sie ab und spielen seit einiger Zeit ein 3-4-2-1 ohne Flügelstürmer. Somit haben sie grundsätzlich nur einen nominellen Flügelspieler und können in Mitte und Halbräumen enorm flexibel agieren. Dieser Zentrumsfokus kompensiert einzelne Kompaktheitsprobleme, die nach wie vor vorhanden sind und die auch eine der Hauptursachen für die Probleme zu Saisonbeginn waren.
Die Reds waren durch eine vergleichsweise geringe Intensität im ballorientierten Verschieben, eine mäßige Kompaktheit in der Horizontalen sowie die Raumöffnung durch die Mannorientierungen immer wieder anfällig bei gegnerischen Angriffen. Besonders in der Champions League wirkten sie komplett überfordert, weil die Gegner die geweiteten Schnittstellen bespielen konnten und zu viel Zeit am Ball hatten.
Diese Probleme sind wie erwähnt weiterhin sichtbar, werden aber durch die Formation kompensiert. Da vier Spieler im Mittelfeld eigentlich nur das Zentrum und die Halbräume zu besetzen haben, können sie die Schnittstellen in diesen Zonen sowie Pässe von der Seite in die Mitte hinein besser versperren. Das mannorientierte Herausrücken der Flügelverteidiger wiederum besetzt die Seite, auch wenn sie in diesen Räumen einfach und effektiv überladen werden können.
Tottenham tat dies allerdings nicht oft genug und hatte auch einige Fehlpässe, wenn sie versuchten von der einen Seite auf die andere zu verlagern. Liverpools ballnaher Halbstürmer besetzte meistens den ballnahen Sechser der Spurs, Mittelstürmer Sturridge orientierte sich an der Rückpassoption in der Innenverteidigung und der Flügelverteidiger der Rodgers-Elf presste auf den Außenverteidiger.
Die einrückenden Flügelspieler Tottenhams – Eriksen und Lamela – wurden wiederum von den Sechsern und den herausrückenden Halbverteidigern übernommen. Der ballferne Halbstürmer ließ sich wiederum etwas zurückfallen und fiel situativ zurück, damit der ballferne Sechser offene Räume in Ballnähe schließen und für den ballnahen, herausrückende Sechser absichern konnte. Mit dieser Spielweise konnte Liverpool bei seitlichen Angriffen Tottenhams meistens die Anspielstationen gut isolieren, auch wenn sie bei schnellen Ablagen und Kombinationen instabil waren.
Bei zentraler Position des Balles stellte Liverpool eine Mischung aus 3-4-2-1 und 5-4-1 her, in welchem sich die Halbstürmer situativ zurückfallen ließen und eine enge Viererreihe im Mittelfeld herstellten. Ähnliches taten die Flügelverteidiger auf den Seiten. Gelegentlich entstanden dadurch bei leicht seitlicher Ballposition auch 4-3-2-1artige Staffelungen. Liverpool gewann damit das formative Duell, auch wenn Tottenham das taktisch-strategische für sich entscheiden konnte.
Tottenham im 4-4-1-1
In ihrem 4-4-1-1 waren die Spurs eigentlich unterlegen. Blieben die Flügelstürmer tief, waren die Halbverteidiger offen. Gingen sie auf die Halbverteidiger, konnten diese über Ablagen der Sechser oder auch Direktpässe die Flügelverteidiger anspielen, woraufhin sich potenziell Probleme beim Übergeben für Tottenham ergaben. Insgesamt löste Tottenham das allerdings gar nicht so schlecht.
Dembele als hängender Stürmer bewegte sich häufig nach hinten und unterstützte die beiden Sechser, obgleich er sonst meistens einen der beiden Liverpooler Sechser deckte und situativ auch auf einen der Halbverteidiger schieben könnte. Diese Aufgabe übernahmen aber ansonsten die Flügelstürmer. Mit Bogenläufen versuchten sie den Flügelverteidiger Liverpools in ihren Deckungsschatten zu nehmen und die Halbverteidiger Liverpools so zu pressen, dass keine Anspiele auf die Flügelverteidiger möglich waren. Die mannorientierten Bewegungen Dembeles sowie der beiden Sechser besetzten dann Gerrard und Henderson.
Insgesamt war Tottenham eigentlich gut. Sie verschoben intensiver und kompakter als Liverpool, waren besser im Gegenpressing und sauberer in den Abläufen im Gegenpressing. Auch Kanes Zurückfallen und Herstellen eines 4-4-2-Pressings sowie sein flexibles Besetzen Skrtels waren passabel, dazu stellten sie eben durch Dembeles Rolle auch 4-5-1 und 4-1-4-1-Staffelungen situativ her.
Mithilfe dieser Spielweise konnten sie die potenziell extrem gefährliche 3-4-2-1-Formation der Reds und die darin enthaltene adäquate Rollenverteilung abschwächen. Hendersons aufrückende Läufe von der Sechs aus gingen meistens ins Leere, obgleich er dadurch Räume für Coutinho und Markovic öffnen konnte. Vorrangig scheiterte die Spielweise aber an den Überladungsmöglichkeiten Liverpools sowie der katastrophalen Einzelleistung von Danny Rose.
Normalerweise greifen wir selten auf Einzelleistungen als Erklärungen für schwache Leistungen zurück, da sie fast immer keine wirklich adäquate Erklärung darstellen oder einfach nicht zum guten Ton gehören. Doch Tottenhams Linksverteidiger hatte ein gruppentaktisch wie individualtaktisch fürchterliches Stellungsspiel und dadurch konnten Markovic und Ibe immer wieder für gefährliche Hereingaben, Flanken, Kombinationen oder Dribblings auf seiner Seite sorgen.
Rose rückte oftmals falsch aus seiner Position, bot dann Ibe den Flügel im Zweikampf an, aber stand dafür schlichtweg zu weit entfernt. Ibe konnte mehrfach an Rose vorbei nach innen ziehen, der durch seine auf den Flügel zeigende Körperstellung sich drehen und den Gegner von hinten erst einmal einholen musste. Markovics guten Sprints in die Schnittstelle oder ausweichenden Läufe zur Seite verschärften das Problem. Der 19jährige Ibe kam auf sieben Dribblingversuche und nur einer davon war nicht erfolgreich.
Die einzelnen sehr starken Offensivangriffe konnten dies nicht kompensieren.
Die Spurs bespielen die Eigenheiten Liverpools interessant
Meist positionierten sich die Spurs in einem 2-4-3-1 bei eigenem Ballbesitz, in welchem Mason den linken Halbraum besetzte und Rose absicherte. Bentaleb tat ähnliches auf rechts mit Walker, doch hielt sich etwas häufiger in der Mitte auf und baute das Spiel aus dem Sechserraum vor den Innenverteidigern auf. Dies ermöglichte eine sehr hohe Position der Außenverteidiger, während die Flügelstürmer dadurch weit einrücken und die Mitte sowie die Halbräume überluden.
Dadurch nutzten die Spurs nur selten potenziell interessante Flügelüberladungen gegen Liverpools System, aber probierten verstärkt die Probleme im mannorientierten Herausrücken, die etwas unsauberen gruppentaktischen Abläufe und die schon erwähnten Kompaktheits- und Ballorientierungsprobleme zu bespielen.
Das war beim 1:1 auch der Fall. Normalerweise darf man bei einer solchen formativen Zentrumspräsenz dem Gegner keine Möglichkeit geben mit Ball am Fuß durch die Mitte zu gehen, man müsste sauberer herausrücken und sich im Strafraum nicht so stark locken lassen. In dieser Situation aber brach Tottenham durch die Mitte durch und konnte die sich öffnenden Schnittstellen in der Abwehr Liverpools bespielen. Obgleich natürlich auch zu sagen ist, dass die Situation etwas unangenehm war und von Lamela sowie Kane hervorragend bespielt wurde.
Ohnehin zeigte Kane einmal mehr eine sehr starke Leistung. Er mag auf den ersten Blick nicht so spektakulär und überzeugend wirken wie seine Statistiken es suggerieren, doch sein Bewegungsspiel ist hervorragend, individualtaktisch ist er interessant und technisch trotz seiner staksigen Spielweise sehr gut. Immer wieder riss er Löcher oder lief sich effektiv frei, was auch beim 1:1 entscheidend war.
Fazit
Liverpool gewinnt eine ansehnliche und relativ ausgeglichene Partie mit Chancen auf beiden Seiten. Das 3-4-2-1/5-4-1 war variabel und interessant, obgleich es nicht perfekt umgesetzt wurde. Tottenham überzeugte mit den typischen Pochettino-Eigenheiten, welche aber durch Liverpools Stärken, Rollenverteilung und Zentrumspräsenz aufgewogen wurden.
Die großen taktischen Umstellungen zu Spielende gab es übrigens nicht. Liverpool brachte mit Balotelli, Lallana und Lovren für Gerrard, Markovic und Sturridge positionsgetreue Wechsel. Lovren ging nämlich in die Verteidigung und Legionär Emre Can, der einmal mehr eine sehr starke Partie als Halbverteidiger zeigte (sein Abgang ist ein großer Fehler Bayerns), ging ins Mittelfeld.
Bei Tottenham waren es mit Paulinho für Mason und Chadli für Eriksen ebenfalls positionsgetreue Wechsel, die etwas mehr Linearität und Vertikalität ins Spiel bringen sollten. Der Treffer zum 3:2 für Liverpool durch Balotelli sorgte für eine Umstellung auf ein 4-1-1-4 bei Tottenham in den Schlussminuten, doch es blieb beim Sieg für Liverpool.
7 Kommentare Alle anzeigen
Cali 11. Februar 2015 um 20:17
Eine so spielstarker AV wie Moreno ist als Breitengeber völlig verloren. Würde ihn sehr gerne halblinks in einer 343 Raute-Aufstellung sehen. Über das Duo Gerrard/Henderson auf der 6 brauche ich eigentlich keine Worte mehr verlieren… schrecklich.
brolylucia 11. Februar 2015 um 01:43
Harry Kane wird ja gerne mal mit Thomas Müller verglichen. Gar nicht so unpassend, oder?
rb 19. Februar 2015 um 09:19
He is schlacksig, he deuts Raum, he’s a German Stürmertraum.
brolylucia 11. Februar 2015 um 01:41
Ich, als Liverpool-Fan, erwische mich hin und wieder beim Auslachen meiner eigenen Mannschaft, und zwar oft dann, wenn Liverpool ins Gegenpressing geht. Ich finde die Gegenpressingstaffelungen und -strukturen oftmals katastrophal.
Tottenham hätte, imo, den Ball im zweiten bis dritten Spielfelddrittel länger zirkulieren lassen müssen, wie es über weite Strecken in der 1. HZ auch gemacht haben. Wenn man den Ball von Halbraum zu Halbraum spielt und wieder zurück, hat man eig nur noch die letzte Linie Liverpools vor sich, da das Verschieben der beiden 6er sehr langsam ist und, ich denke, nicht ausreichend oder nicht gut genug von den Flügelläufern unterstützt wird.
Schade, dass Coutinho nicht so gut drauf war… Gut, dass es Jordon Ibe gibt! Hätte gerne 10 Emre Cans auf’m Feld… obwohl… doch eher 11.
droit au but 13. Februar 2015 um 14:29
Allerdings wird Can derzeit nicht optimal eingebunden, oder? Die Szenen, in denen er halb-rechts aufbauen kann oder wie Alaba vorstößt, gefallen mir gut, es kommt aber noch zu selten vor, finde ich. Can steht oft ziemlich breit, wahrscheinlich um den sehr offensiven Ibe abzusichern. Sakho hingegen muss gefühlt häufiger aufbauen, was ich nicht optimal finde. Ibe finde ich aber super, weshalb ich mir vorstellen könnte, dass Can im derzeitigen Team als linker Halbverteidiger noch besser zum Zuge kommen könnte.
blub 13. Februar 2015 um 17:20
Kann man schon machen, aber die Passwinkel werden bei den Staffelungen die Normal gespielt werden recht unkompfortabel wenn der aufrückende Halbverteidiger falschfüßig ist. Guck dir die Staffelungen aus dem Alaba Artikel nochmal an und stells dir mit nem verkehrtfüßigen passpieler vor, und Liverpool ist auch eher inkonstant was die qualität der Staffelungen angeht.
brolylucia 13. Februar 2015 um 22:26
stimm ich dir in allen Punkten zu, aber Can als LHV würde ich glaub ich nicht so mögen, auch wenn Can ziemlich beidfüßig ist (https://twitter.com/MostarLFC/status/563097004965134336) ,bin mit der momentanen Dreierkette sowieso relativ zufrieden. Ich finde schade, dass Suso abgegeben wurde; hätte den gerne mal zusammen mit Can auf der rechten Seite gesehen. Can hätte bestimmt davon profitieren können.