Belgien – Algerien 2:1
Algerien überzeugt durch Kompaktheit, wird aber von Wilmots´ Umstellung bezwungen.
Belgiens Startformation überraschte: Marc Wilmots begann mit Daniel van Buyten statt Thomas Vermaelen in der Innenverteidigung, neben Witsel erhielt Dembélé den Vorzug gegenüber Fellaini. Die größte Überraschung gab es jedoch im offensiven Mittelfeld. Kevin Mirallas, der sich so gut mit den ausweichenden Läufen Lukakus ergänzt und der wohl direkteste Spieler der „Roten Teufel“ ist, saß nur auf der Bank.
Für ihn startete Nacer Chadli, seineszeichen Außenstürmer. Chadli agierte in Belgiens 4-4-2/4-2-3-1 jedoch zentral in unmittelbarer Nähe Lukakus, während de Bruyne und Hazard die Positionen auf den Flügeln übernahmen.
Von Kompaktheit, Mannorientierungen – und Lava
Algerien beeindruckte von Beginn an mit einer auffälligen Kompaktheit. Die Nordafrikaner formierten sich im 4-4-2-0 und zogen ein tiefes Mittelfeldpressing auf, dass die Belgier vorerst aus den gefährlichen Zonen heraushielt.
Besonders auffällig dabei: Die beiden Stürmer standen deutlich breiter als die Doppelsechs. Sordani und Taider kappten die belgischen Außenverteidiger so vom Aufbau ab, sodass van Buyten und Kompany stets den Weg durchs Zentrum suchen mussten.
Das in unserer WM-Vorschau beschriebene typische Aufrücken der Innenverteidiger war jedoch nicht zu sehen – im Gegenteil: Die beiden zentralen Akteure der Viererkette bauten aus – im Verhältnis zur algerischen Staffelung – sehr tiefen Positionen auf.
Warum spielen Belgiens Innenverteidiger eigentlich „die gegnerische Hälfte ist Lava“?
Kollege MR im berüchtigten Halbzeitchat
Van Buyten und Kompany scheuten die gegnerische Hälfte zu Beginn klar, sodass sich die Sechser die Bälle recht tief abholen mussten. Algerien konterte dies durch situatives Herausrücken von Bentaleb, der phasenweise auf einer Höhe mit Taider agierte – aus dem 4-4-2 wurde 4-1-4-1.
Auf den Flügeln agierte Algerien sehr mannorentiert, Hazard und de Bruyne wurden bis in die Halbräume verfolgt, dort dann teilweise von den Sechsern übernommen. Dadurch entstand ein äußerst dichtes Mitelfeldzentrum, in dem selbst die pressingresistenten Hazard und de Bruyne Probleme hatten.
Abkehr von den zentralen Abläufen
Der nominelle Zehner Nacer Chadli hielt sich aus der Ballzirkulation heraus und suchte eher die vertikalen Wege. Wenn Lukaku auf den Flügel auswich, um sich im Rücken der Außenverteidiger anspielen zu lassen, startete der schnelle Chadli in die Spitze und wartete dort auf Hereingaben.
Dies trug nicht gerade zur Kohärenz im belgischen Spiel bei. Das sonst so effektive Zurückfallen de Bruynes von der Zehnerposition in Kombination mit dem Vorrücken Dembélés fiel mit der taktischen Umstellung also weg.
Dembélé versuchte trotzdem, die vertikalen Wege zu machen, ohne das Wechselspiel mit einem raumöffnenden Akteur war der Achter jedoch völlig isoliert und lief einige Male in die Pressingfalle Algeriens.
Algerien belohnt sich
Nach 24 Minuten belohnten sich die cleveren Algerier: Aus dem geregelten Aufbau heraus zeigten sie einen offenbar einstudierten Spielzug, der letztlich zum Elfmeter führte.
Linksaußen Mahrez ließ sich in den Halbraum fallen, wohin er von Alderweireld mannorientiert verfolgt wurde. In die hinter dem Rechtsverteidiger frei werdende Lücke stoß Algeriens Linksverteidiger Ghoulam, der damit de Bruyne überraschte. Vertonghen verhinderte in der Mitte zwar, dass die Flanke ihr Ziel fand, verursachte dabei aber äußerst ungeschickt einen Elfmeter. Feghouli verwandelte souverän zur durchaus verdienten Führung.
Der linke Flügel sollte weiterhin der bevorzugte Raum der Algerier werden, mehr als die Hälfte ihrer Angriffe spielten sie über diese Seite. Dabei machten sie sich vor allem das schlecht eingebundene Einrücken von Alderweireld zunutze.
Nach der Führung zog sich der Außenseiter etwas weiter zurück und agierte nicht mehr ganz so mannorientiert. Taider und Bentaleb sorgten mit ihren Bewegungen dafür, dass immer wieder zwischen 4-4-2 und 4-1-4-1 gewechselt wurde, Belgien kam überhaupt nicht in den Rhythmus.
Neben den Wechseln in der Grundordnung zeigten die Nordafrikaner auch einen Wechsel der Intensität bei den Mannorientierungen. Dieses improvisiert wirkende Defensivgebilde entnervte Belgien zunehmends.
Die hochgehandelten Belgier flüchteten sich in risikolosen Ballbesitz, der sich jedoch nur selten in der gegnerischen Hälfte abspielte. Algerien war´s egal: Die Afrikaner verschoben munter weiter, verfolgten die Flügelspieler und wechselten zwischen ihren Grundausrichtungen.
Untermauert wird dies auch von den Zahlen: Zwischenzeitlich hatten die Belgier mehr als 70% Ballbesitz, Algerien war bis zur 60. Minute deutlich mehr gelaufen.
Wilmots wechselt den Sieg ein
In der zweiten Hälfte besserte sich das Spiel der Belgier etwas. Kompany und van Buyten wagten sich nun also doch in die gegnerische Hälfte und schoben die Sechser weiter nach vorne. Insgesamt wurden die Passwege dadurch kürzer, auch die Außenverteidiger konnten nun ein wenig besser eingebunden werden.
Hauptverantwortlich für die Besserung war der Trainer: Mit seinen Einwechslungen lag Marc Wilmots goldrichtig. Gegen die müde werdenden Algerier beorderte er de Bruyne ins Zentrum, wo er als offensiverer Part einer Doppelsechs mit Witsel agierte. Mertens und Hazard timten ihre einrückenden Bewegungen von den Flügeln nun besser und auch ganz vorne gab es eine komplett neue Besetzung.
Origi spielte für Lukaku und zeigte sich deutlich präsenter, da er nicht so viel und vor allem so früh die Wege in die Tiefe suchte. Der ebenfalls eingewechselte Fellaini fungierte als Zielspieler im Zehnerraum, teilweise auch in der Spitze. Origi und de Bruyne hielten stets den Kontakt zu Fellaini, um Ablagen, Verlängerungen oder zweite Bälle zu gewinnen.
Vertonghen und Alderweireld rückten nun weiter auf und standen für Verlagerungen bereit. Diese waren gegen müde werdenden Algerier ein besonders effizientes Mittel, zudem konnte man sich so stärker auf Flanken fokussieren.
Fellaini dominierte in der Luft, der Ausgleich fiel nach einer Flanke durch den eingerückten Mertens aus dem Halbfeld.
Ironischerweise fiel der Siegtreffer nicht nach einer der zahlreichen Flanken, sondern nach einem Konter, bei dem Origi mit einem schönen Laufweg Raum für Mertens öffnete.
Fazit
Algerien überraschte mit phasenweise nahezu perfekter Organisation und Kompaktheit. Die Pressingfalle im Zentrum schnappte das ein oder andere Mal zu, auch wenn sie arg improvisiert wirkte.
Durch die vielen Mannorientierungen zerstörten sie den belgischen Rhythmus, der enge Zwischenlinienraum in Verbindung mit kleinen Fouls war entscheidend gegen Hazard.
Belgien konnte lange Zeit nicht überzeugen, vor allem das zögerliche Aufrücken der Innenverteidiger in der ersten Halbzeit sorgte für große Probleme. Wilmots reagierte jedoch passend. Plan B, der Fellaini als Zielspieler vorsieht, mag nicht sonderlich attraktiv sein, kann gegen einige Gegner jedoch zum Erfolg führen.
Ein Sonderlob gibt es für Taider, der zusammen mit Bentaleb gut zwischen den Ausrichtungen balancierte, und für Marc Wilmots, der seinen Fehler korrigierte.
5 Kommentare Alle anzeigen
Gatling 20. Juni 2014 um 23:22
@Spielverlagerung:
hmm, Belgien-Algerin ist zwar interessant aber was ist denn mit
Australien – Holland??? Könnt Ihr dazu noch die Analyse bringen?
Nicht wenige hatten die Holländer nach dem 5:1 ja schon wieder als Top-Favorit ausgerufen. In diesem Spiel hat man dann gesehen wieso sie es nicht sind. Sie schwimmen wie immer von einem Extrem ins andere – supergut bis megaschlecht, und das in einem Spiel.
TE 21. Juni 2014 um 00:23
Wir planen zu jedem WM-Spiel eine Analyse. Manche Autoren sind schneller, andere etwas langsamer und dafür qualitativ hochwertiger. Für dieses Spiel ist TW eingetragen. Du darfst dich also auf einen exzessiven Text über das Pressing beider Teams freuen 😉
TW 21. Juni 2014 um 03:17
Ist online 😀
mk 20. Juni 2014 um 21:07
Schon gut beschrieben, Belgien wirkte tatsächlich relativ überrascht. Ich hab aber nicht verstanden, warum vor allem Hazard in der ersten Halbzeit die Mannorientierung nicht öfter genutzt hat um Platz im Zehnerraum zu schaffen. Er hat das glaube ich nur zwei Mal geschafft, als er seinen Gegenspieler aus der Mitte gezogen hat, das war zumindest im Ansatz dann gefährlich. Aber andererseits war Dembélé/Witsel in meinen Augen nicht wirklich überzeugend, da kam also in der Tat auch nicht viel nach. Hätte aber eigentlich ein bisschen mehr Spielintelligenz in der Hinsicht erwartet, wenngleich Algerien natürlich sehr konzentriert verteidigt hat.
mh 21. Juni 2014 um 14:03
Passt so – wobei man Wilmots natürlich genauso für eine offensichtlich falsche Formation vor der Pause tadeln könnte (siehe Feedback zu Argentinien) 😉
Insgesamt erscheint mir Belgien sehr berechenbar. Für kommende Gegner hat das Spiel m.E. eine Blaupause geliefert, wie ihnen beizukommen ist.
Umgekehrt ist es unverständlich, wieso sich die lange Zeit so kompakten Algerier am Ende herauslocken liessen, so dass Belgien auf seine bevorzugte Weise treffen konnte…