Swanseas Pokalsieg: Favoritenkiller Bradford City
Wie sich ein Viertligist drei Mal gegen die Premier League durchsetzte.
Die letztliche Dominanz, welche die Swans im Finale erspielten, erscheint beim Blick auf den Gegner wenig beeindruckend, da Bradford City ein englischer Viertligist ist, bei dem man eine Überlegenheit des Erstligavereins sicherlich erwarten kann. Allerdings warf Bradford im Halbfinale den individuell noch stärker besetzten Erstligisten Aston Villa aus dem Wettbewerb und konnte sich dabei sogar über 180 Minuten behaupten (3:1-Heimsieg, 1:2-Auswärtsniederlage). Zudem konnten sie Wigan Athletic und den Arsenal FC im Elfmeterschießen besiegen, nachdem sie über 120 Minuten durchaus verdiente Gleichstände erreicht hatten. Gerade, weil Arsenal und Wigan (unter Ex-Swansea-Coach Roberto Martínez) einen ähnlich Ballbesitz-orientierten Stil wie Swansea spielen, waren diese Erfolge massive Warnschüsse für den walisischen Favoriten.
Im klassischen Stile des Underdogs setzte Bradford dabei auf eine leidenschaftliche Defensive und schnelle Gegenstöße. Die Umsetzung dieses Ansatzes war allerdings sehr konsequent und wurde mit einigen geschickten Ideen garniert. Beim Sieg gegen Arsenal spielten sie dabei mit beinahe identischer Besetzung und Ausrichtung wie später im Finale.
- Aktives Mittelfeld, passive Abwehr
Basis des Defensivsystems war dabei ein 4-4-1-1, aus dem Bradford um die Mittellinie herum ins Pressing ging. Dabei arbeiteten die Stürmer und vor allem die hängende Spitze Hanson hervorragend mit, positionierten sich kompakt und gingen dann ins Pressing, wenn der Gegner eine unsaubere, vielversprechende Gelegenheit anbot.
Die Vierreihe im Mittelfeld beteiligte sich ebenfalls sehr aktiv und die einzelnen Akteure schoben immer wieder intelligent heraus, wenn es sinnvoll und notwendig war. Sehr gut funktionierte dabei die Rollenaufteilung und die Zusammenarbeit mit Hanson. Doyle spielte die aggressivere, herausrückende Rolle halbrechts, während Jones absicherte und Hanson sich in halblinker Position situativ zurückfallen ließ. So konnten optionsorientiert 4-1-4-1-Ordnungen generiert werden oder passende Stellungen zwischen 4-4-1-1 und 4-1-4-1.
Auf diese Weise war Bradford sehr anpassungsfähig gegen das fluide Ballbesitzspiel von Arsenal und die Gunners fanden kaum Ruhe in zentralen Zwischenräumen, obwohl mit Wilshere, Ramsey und Cazorla drei herausragende Zwischenraumspieler aufgestellt waren. Das Spiel von Wengers Elf wurde dadurch oft etwas hektisch und sie spielten zu früh in die Spitze oder versuchten überkomplizierte Einzelaktionen.
Das zu frühe Vertikalspiel scheiterte dann auch deshalb meistens, weil die Abwehr sich im Gegensatz zum Mittelfeld äußerst passiv verhielt und deshalb eng und lückenlos vor dem Strafraum stand, sodass ein grundlegender Zugriff garantiert war. Diese Mischung aus Passivität und Aktivität ist sehr unangenehm zu bespielen, wie beispielsweise Fortuna Düsseldorf in ähnlicher Form in der Bundesliga demonstriert.
- Kontrolle der Breite durch situative Fünferkette
Mit einem weiteren Kniff wurde die Enge der Abwehr noch erhöht. Bei der Flügelverteidigung wurden die Außenverteidiger nämlich situativ von den Flügelstürmern abgesichert, sodass sie stärker einrücken konnten. Dabei ließ sich normalerweise nur einer der Flügelstürmer mit nach hinten fallen, während auf dem anderen Flügel der Verteidiger die Breite schuf und der Flügelstürmer einrückte. So schuf Bradford stabile 5-3-1-1-Stellungen.
Arsenals klassisches Mittel, mit den Außenverteidigern die Breite vorzuschieben und dadurch im Zentrum Überzahl zu erzeugen, wurde somit ordentlich geblockt. Effektiv standen dann etwa Podolski, Gervinho und die aufgerückten Außenverteidiger gegen Bradfords Fünferkette in Unterzahl. Der wie üblich einrückende Ramsey und die drei zentralen Mittelfeldspielern konnten nur eine Gleichzahl gegen Bradfords Dreifachsechs und den situativ helfenden Hanson erzeugen.
Zwar konnte sich Arsenal durch diese Gleichzahl gelegentlich durchspielen, aber nicht oft und kontrolliert genug. Zudem wurde ihnen die Möglichkeit genommen, außen durchzustoßen oder gegen Abwehrspieler in 1-gegen-1-Situationen ihre individuelle Überlegenheit auszuspielen. So rutschte gegen die enge letzte Reihe von Bradford nur wenig durch und die gelegentlichen Chancen waren meistens unter Bedrängnis und in schwierigen, halb-äußeren Positionen.
Daher konnten die Gunners die gegnerische Abwehr erst in der 87. Minute nach einer Ecke knacken. So retteten sie sich aber nur noch in die Verlängerung, da Bradford ebenfalls zu einem Treffer gekommen war. Gegen Aston Villa schafften sie daheim sogar drei Tore, also auch das Offensivspiel des Viertligisten hatte sich bewährt.
- Kreative und konsequente Nutzung langer Bälle
Dieses funktionierte bei der technisch weit unterlegenen Besetzung natürgemäß über lange Bälle. Um diese möglichst effizient zu verwerten, hatte sich Trainer Parkinson jedoch einen kleinen und sehr wirkungsvollen Kniff überlegt: Anstatt wie üblich auf einen robusten Mittelstürmer zu bolzen, der die Bälle für einen technischeren Schattenmann ablegt, drehte er dieses bewährte Konzept um. So konnten die Räume hinter den aufrückenden Außenverteidigern und die fehlende Robustheit des spielstarken Mittelfelds der Gunners bestraft werden.
Der beweglichere Part des Sturmduos hatte also die hohe Position inne und der 1,93m große James Hanson gab dahinter die hängende Spitze. So hatte Bradford zwei Varianten der Befreiung: „Richtig“ lange Bälle auf Techniker Wells (meist nach außen) oder „halblange“ Bälle auf Hanson im Zehnerraum. Dort hatte Hanson körperlich weniger starke Gegenspieler – Coquelin und Wilshere sind natürlich in einer anderen Etage stationiert als ein Mertesacker – und das Mittelfeld konnte kompakter und schneller auf die zweiten Bälle nachpressen. Diese konnten dann sofort zu Wells in der Spitze gespielt werden, der loswirbeln durfte, ohne von den agilen Sechsern des Gegners gestört zu werden.
Nahki Wells, den übrigens Ajax Amsterdam in der Jugend verpflichten wollte, machte gegen Arsenal ein überragendes Spiel. Oft löste er sich in den richtigen Momenten aus dem Defensivverbund, wich in die Lücken hinter den aufgerückten Außenverteidigern und empfing dort die langen Bälle. Der eher kleine, bewegliche Mittelstürmer bekam so den Raum, den er zur Ballannahme brauchte und konnte dann mit seiner Agilität die langen Innenverteidiger Vermaelen und Mertesacker beschäftigen. Dass er gerade den beweglicheren Defensivallrounder Vermaelen immer wieder zu unsauberen Aktionen drängte war beeindruckend. Auf diese Weise konnte er einige Ecken und Freistöße in Strafraumnähe herausholen. Ein solcher Freistoß führte dann auch zu Bradfords Führungstreffer.
All diese gut umgesetzten Punkte ergaben ein enorm unangenehmes Gemisch, an dem Arsenal, Aston Villa und Wigan Athletic erstickten. Dass zwei Mal das Unentschieden nach 120 Minuten für’s Weiterkommen reichte, kann man vermutlich nicht als reines Glück abtun, denn Bradford ist obendrein eins der unenglischsten Teams der Insel – sie sind nämlich Elfmeterspezialisten. Der 3:2-Sieg des „Shootouts“ gegen Arsenal war das neunte Elferschießen in Folge, welches Bradford für sich entscheiden konnte. Ihre Gegner sollten sich also unter keinen Umständen auf ein Elferschießen verlassen, gerade als theoretisch überlegene Mannschaft. Dieser Aspekt macht sie natürlich (auch psychologisch) zu einem noch unangenehmeren Konkurrenten.
3 Kommentare Alle anzeigen
GH 30. März 2013 um 20:29
Super wie üblich.
Kommt demnächst auch noch ein Artikel zum Finale oder fehlt euch die Zeit dazu?
MR 31. März 2013 um 03:43
Kommt selbstverständlich.
Rasengrün 29. März 2013 um 21:12
Danke für dieses Portrait. Als Fan eines Drittligisten war das für mich interessanter als jede Champions-League-Analyse.