Athletic Bilbao – Rayo Vallecano 1:2
Dieses Mal blicken wir wieder nach Spanien zu den zwei Giganten des Weltfußballs: Athletic Bilbao und Rayo Vallecano.
Das Spiel der modernen Manndeckungen
Beide Mannschaften wurden von uns bereits angeschnitten und wir haben ihre ungemein interessante Spielweise erörtert. Athletic Bilbao hat sich unter Marcelo Bielsa von einer Mannschaft mit sehr vertikalem Spiel und vielen hohen Bällen zu einem ballbesitzorientierten und enorm riskant pressenden Team gemausert. Rayo Vallecano besitzt eine ähnliche Spielweise und versucht sich trotz geringem Budget nicht nur in der oberen Tabellenhälfte, sondern auch in der gegnerischen Spielhälfte festzusetzen. Die beiden Mannschaften kommen deswegen auch knapp hinter Real Madrid auf den geteilten dritten Platz in puncto Ballbesitz, noch vor Giganten wie Atlético, Valencia oder Malaga.
Dabei fällt auf, dass sie ihr Pressing oftmals mit einer mannorientierten Spielweise verbinden. Auch in dieser Partie war dies der Fall. Marcelo Bielsa steht dabei für einen freien Mann in der Mitte der Abwehrkette, wo aber der zweite Innenverteidiger sich herauslösen und den gegnerischen Mittelstürmer verfolgen kann. In dieser Partie wurde dies auch gegen den gegnerischen Mittelstürmer, Leo, praktiziert, zumeist von Amorebieta. Bielsas Mannschaft stellte die gegnerischen Innenverteidiger zu, presste stark und scheuchte den Gegner mit vielen losen Mannorientierungen über den Platz.
Rayo praktiziert dabei eine etwas andere Spielweise. Ideologisch sind sie sich ähnlich, aber Rayo hat eher situative Manndeckungen und versucht schlicht und einfach, überall auf dem Platz zu pressen. Ihre einzige „Sicherheitsbastion“ stellt dabei die Viererkette dar, welche nach Ballverlust zumeist nach hinten eilt und sich eng formiert, aber aus dieser Formation herausweicht. In Verbund mit der Spielweise des Gegners und den individuellen spielerischen Schwächen beider Teams entstand dabei eine sehr intensive, wechselhafte und auch zerfahrene Partie.
Zerfahrenheit wegen mangelnder Offensivstruktur
Durchgehendes Pressing, viele Zweikämpfe, ein starker Offensivfokus und hohe Fluidität versprechen eigentlich ein interessantes Spiel. Dieses Mal war es aber über längere Phasen ganz anders, denn beide Mannschaften kamen nicht in die Partie. Rayo kam mit den Mannorientierungen nicht klar: die individuellen Schwächen ihrer zahlreichen unbekannten Spieler wurden unter Bedrängnis offensichtlich und resultierten in vielen Fehlpässen im Aufbauspiel und einem immerwährenden Kampf um zweite Bälle.
Allerdings erging es Bielsas Mannen auch nicht anders. Defensiv standen sie überaus ordentlich, aber offensiv konnten sie sich dem konstanten Dauerdruck Rayos kaum entgegensetzen. Von einem geduldigen ballbesitzorientierten Spiel war keine Rede, denn sie versuchten die freien Spieler im Umschaltspiel und wegen der genial-chaotischen Spielweise des Gegners schnell einzusetzen. Eigentlich gelang dies, doch Rayos extremer Fokus auf Ball und Spielraum war dabei problematisch, weil es kaum gelungene Dribblings im zweiten und letzten Spielfelddrittel gab. Die vielen Zweikämpfe taten insbesondere Ander Herrera und Iker Muniain sichtlich nicht gut, denn Ersterer konnte seine Passfähigkeiten und sein strategisches Geschick kaum ausspielen, während Letzterer mit seinen Dribblings zumeist in Sackgassen landete.
Somit bestand das Offensivspiel der beiden Mannschaften aus viel Gestochere im Kampf um zweite Bälle, Weitschüssen und unpräzisen Pässen. Dabei fiel auch ein anderer Aspekt ins Auge, der insbesondere das Umschaltspiel Vallecanos beschnitt.
Kompaktheit um der Kompaktheit willen
Im Defensivspiel schob sich Vallecano eng zusammen, wenn Bilbao bis ins letzte Spielfelddrittel aufrücken konnte. Leo gab zwar gelegentlich die Tiefe, doch Rayo verschob sich im Spiel gegen den Ball in die eigene Hälfte und wurde dort überaus kompakt. Die Formation bei Rayo war nominell ein 4-2-3-1, aber nur selten sah man dieses Gebilde.
Trashorras schob nach vorne, Dominguez variierte zwischen zweitem Mittelstürmer und hängender Spitze, Leo bewegte sich fluid, Lass wechselte vom linken Flügel nach rechts ab der ~20. Minute und Javi Fuego sicherte den Raum zwischen den Linien, während die Außenverteidiger sehr hoch und Amat sehr proaktiv spielte. Amat rückte dabei einige Male aus der Kette heraus und unterstützte Javi Fuego bei Kontern Bilbaos.
Diese sehr aktive Spielweise war einer der Hauptaspekte im Spiel beider Mannschaften. Aber neben diesen Bewegungen gab es auch in der Formation einige interessante Aspekte, besonders eben bei Rayo. Fuego sicherte alleine Räume, aber auf den Außen wurde er von den schnell nach hinten umschaltenden Außenverteidigern sowie den Außenstürmern unterstützt, welche auf die situativ sehr offensiven Außenverteidiger Bilbaos achten mussten. Somit entstanden vereinzelt 4-3-2-1-artige Anordnungen, wobei die Dreierkette in der Mitte enorm breit aufgefächert war und aus Fuego mit den beiden Flügeln bestand.
Bei Bilbao gab es ebenfalls einige interessante Aspekte: wie bei Rayo waren die Außenverteidiger schnell wieder da, aber im Offensivspiel nicht ganz so extrem. Gleichzeitig konzentrierten sich bei Bilbao die Akteure um eine strukturiertere Offensivbewegung, wo Muniain nach Räumen suchte und sich oftmals mit Herrera vor San Jose um das Aufbauspiel kümmerte. Im Pressing hatten sie wie üblich die Mannorientierung, wo Aduriz und einer der Außenstürmer sich um die breiten Innenverteidiger kümmerten und Muniain den zurückfallenden Sechser des Gegners übernahm.
Das 1:0 fiel letztlich aus einem langen Ball, der fast schon paradox dieses Spiel umschrieb. Lass auf rechts schob diagonal nach vorne, ihn erreichte ein Ball in den Raum und die Abseitsfalle der hohen Abwehr Bilbaos wurde schlicht und einfach ausgehebelt, wodurch ein eins-gegen-eins entstand. Im Endeffekt war es eine von sehr wenigen Chancen, die wirklich aus dem eigenen Spiel entstand und nicht ein Zufallsprodukt oder ein Ergebnis von provozierten und nicht provozierten Fehlern waren.
Die Auswirkung des Tores auf das taktische Spielgeschehen
Nach der Führung für Rayo wurde Bilbao dann besser; ein Trend, der sich ab der 30. Minute angedeutet hatte. Rayo konnte das Tempo nicht mehr halten und nach der Führung wollten sie es auch nicht mehr, wodurch Bilbao etwas mehr Zeit zur Struktur hatte. Doch in jene Drangphase kam der Elfmeterpfiff für Rayo, welche damit 2:0 in Führung gingen. Rayo erhöhte das Tempo wieder vereinzelt und baute immer wieder taktische Fouls sowie intelligentes Zeitspiel ein, um die Führung über die Zeit zu bringen.
Dabei klappte dies keineswegs so gut, wie man meinen sollte. Zwar war Bilbao aus dem Spiel genommen, doch nach einer von vielen Flugeinlagen des Torhüters von Rayo sowie mangelnder Struktur kam ein Ball nach einem Standard postwendend zurück und wurde José absolut sehenswert verwandelt. In den letzten Minuten war es dann wohl die unterhaltsamste und spielerisch Phase des Spiels – insbesondere Llorentes Einwechslung, der seine Stärken in der Ballbehauptung gut einbrachte, waren dabei entscheidend.
Fazit
Ein taktisch hochinteressantes Spiel, in dem zwei sich ähnliche Mannschaften durch eine hohe Zweikampfintensität gegenseitig aus dem Spiel brachten. Erst wegen der Tore kam Struktur in die Partie, welche nicht ganz hielt, was man sich hätte erwarten können. Beide Mannschaften lagen klar unter 75% erfolgreichen Pässen, viele lange Bälle und spielerische Fehler in puncto Technik und Entscheidungsfindung zerstörten den Spaß an diesem Spiel etwas.
Mit mehr Struktur im Spiel mit Ball hätte das teilweise hervorragende Pressing beider Mannschaften noch mehr (für den Zuschauer zumindest) belohnt werden können. Bilbao kreierte bspw. die Hälfte seiner Torschüsse durch Standards, während bei Rayo jeder fünfte Pass ein „langer Ball“ war – zumindest laut whoscored.com.
Ach ja, abermals und wie immer ein Danke an laola1.tv für die Erlaubnis der Nutzung der Bilder!
3 Kommentare Alle anzeigen
Nifan 12. Januar 2013 um 11:24
@Blub Llorente ist meine ich wegen Wechselgerüchten in Ungnade gefallen, viellt ist das der Grund dafür, dass er nicht von Anfang gespielt hat. Ansonsten stimmt es natürlich, dass physisch starke und große Spieler wie Llorente bei langen Bällen für Kopfballablagen bzw Ballbehauptungen gut zu gebrauchen sind.
blub 12. Januar 2013 um 10:34
Ich meine ja das Llorente bereits zu beginn eine gute Option darstellt, denn gegen Hochpressende Teams schaltet man dann auf den guten langen Ball um.
Das muss man eh, warum aus dem Bug nicht ein feature machen?
Nifan 12. Januar 2013 um 01:45
Der sc Freiburg spielt unter Streich ja auch mit einem mannorientierten Pressing. In wieweit ist das hiermit vergleichbar?