Rinus Michels – Der General
„Es ist eine Kunst für sich eine Startformation zu entwerfen, die Balance zwischen kreativen Spielern und denen mit zerstörerischen Kräften zu finden, und zwischen Verteidigung, Aufbau und Angriff – ohne dabei die Qualität des Gegners und die spezifischen Zwänge eines jeden Spiels zu vergessen.“ – Rinus Michels
In der Fußballgeschichte gibt es zahlreiche erfolgreiche Mannschaften, die lange in Erinnerung geblieben sind. Oft wurden diese Mannschaften von großen Trainern geformt. Jeder Trainer schreibt dabei seine eigene Geschichte. Der Erfolg von Rinus Michels sticht besonders hervor, denn der Niederländer wurde zu einer der zentralen Personen im europäischen Fußball.
Michels formte nicht nur irgendeine erfolgreiche Mannschaft, er baute das berühmte Ajax-Team der 60er und 70er Jahre auf, er „erfand“ 1974 mit der holländischen Nationalelf den Totaalvoetbal, den totalen Fußball, und wurde 1988 Europameister. Dazu legte Rinus Michels zusammen mit seinem Schützling Johan Cruyff die Basis des heutigen Fußballs beim FC Barcelona.
Der junge Rinus und das englische Ajax
Marinus Jacobus Hendricus Michels wurde am 9. Februar 1928 in Amsterdam einige hundert Meter vom Olympiastadion entfernt geboren. Der kleine Rinus war ständig am kicken und durfte, auch zur Freude seines Vaters, im Alter von 12 Jahren der Jugendabteilung von Ajax Amsterdam beitreten. Joop Köhler, ein Funktionär von Ajax, hatte das Talent auf den Straßen von Amsterdam spielen sehen und, ohne es zu wissen, eine der wichtigsten Persönlichkeiten im zukünftigen europäischen Fußball entdeckt. 1946 war es für den Amsterdamer Jungen so weit, Rinus Michels lief erstmals für die A-Mannschaft von Ajax auf. Er war zwar nicht der Spieler mit der besten Technik, aber ein gefährlicher Angreifer und bekannt für seinen Arbeitseifer und auch als Spaßmacher.
Auf der Weltkarte des Fußballs waren die Holländer bisher nicht aufgefallen, taktisch hatte man sogar das WM-System lange Zeit verschlafen. Die teilweise Professionalisierung des Fußballs in den 50ern war ein erster Schritt um den holländischen Fußball aus der Bedeutungslosigkeit zu holen. Dazu wirkten die Rivalitäten zwischen Clubs aus den verschiedenen Städten wie ein Katalysator für die Entwicklung in den 60er Jahren.
Ajax Amsterdam hatte seine erste Hochphase in den 1930er Jahren, als unter Jack Reynolds fünf Meisterschaften gefeiert werden konnten. In den 50er und Anfang der 60er Jahre hatten vor allem Vereine aus Eindhoven, Tilburg und Rotterdam die Nase vorne, auch wenn unter dem Österreicher Karl Humenberger 1957 und dem Engländer Vic Buckingham 1960 Meisterschaften gewonnen werden konnten.
Englische Trainer hatten einen großen Einfluss auf den Verein und damit auch auf Rinus Michels. Acht Trainer hatten diese Nationalität, und einige brachten es auf mehr als eine Amtszeit. Besonders Jack Reynolds war prägend für den Verein, insgesamt dreimal war Reynolds zwischen 1915 und 1947 Trainer bei Ajax. Dazu gesellten sich, bis Michels den Posten übernahm, ein Ire, ein Schotte, ein Ungar, zwei Österreicher und tatsächlich auch zwei Niederländer (die aber nur im Krieg von ´41 bis ´42 etwas zusagen hatten).
Durch Jack Reynolds und Vic Bukingham wurde Rinus Michels schon als Spieler das Flügelspiel und Angriffsfußball eingeimpft. Reynolds legte Wert auf die technischen Fähigkeiten der Spieler und dazu auch den Grundstein für eine Jugendausbildung bei Ajax.
122 Liga-Tore schoss Michels in seiner aktiven Karriere bis 1958 für Ajax, mit denen er 1947 und 1957 niederländischer Meister wurde; ´57 in der gerade erst gegründeten Eredivisie. In der Nationalmannschaft durfte Michels nur fünfmal Auflaufen, ohne dabei ein Tor zu erzielen.
Nach dem Ende der Spielerkarriere aufgrund einer Rückenverletzung, studierte Michels Sportwissenschaften und ließ sich zum Masseur und Krankengymnasten ausbilden. Neben seiner Arbeit an einer Schule für taubstumme Kinder, durchlief er die gerade erst eingeführte Trainerausbildung beim niederländischen Fußballverband und trainierte bis 1964 die Amateure von JOS Amsterdam. Nach einem Jahr beim AFC Amsterdam trat Rinus Michels bei Ajax Amsterdam seinen ersten Trainerjob bei einer Profimannschaft an.
Mit Ajax an die Spitze
Der Trainer Rinus Michels übernahm seinen Heimatclub Anfang 1965 und verhinderte zunächst den drohenden Abstieg. So wie einst Jack Reynolds mehr als nur die Aufstellung festlegte, hatte auch Michels einige Baustellen erkannt. Besonders im taktischen Bereich und bei der Disziplin sah der Trainer Handlungsbedarf: „Die Situation ist die: Wir müssen bei null anfangen. Gewiss ist ein gutes Spielerkontingent vorhanden, aber was Disziplin und Taktik angeht, liegt manches im Argen.“
Michels kümmerte sich darum, dass seine Spieler Vollprofis werden konnten, um sich ganz auf das Training und die Spiele konzentrieren zu können. Dazu konnte er taktisch und strukturell auf die von Reynolds und Buckingham gelegten Grundlagen aufbauen: vom erstgenannten die Jugendabteilung und das Flügelspiel, vom direkten Vorgänger die Idee vom ballbesitzorientierten Fußball. Die beiden Engländer hatten im Angriff bzw. im Ballbesitz die beste Art der Verteidigung gesehen.
Der damalige Ajax-Präsident Jaap van Prag, und die Investoren Wim und Freek van der Meijden und Maup Caransa, waren ein weiterer Glücksfall für den Verein, denn sie trieben Geld für den Kader auf. So wurde Johan Cruyff der zweite Vollprofi in Holland, nach Piet Keizer.
Der Europapokal war in den ersten Jahren unter Rinus Michels ein auf und ab. Liverpool wurde 1966 mit 5:1 und 2:2 geschlagen. Dem folgte aber das Ausscheiden gegen Dukla Prag, welches der damalige Kapitän Frits Soetekouw, der zum 1:2 ins eigene Tor getroffen hatte, damit bezahlte, dass er seinen Namen prompt auf der Transferliste lesen durfte und nie wieder für Ajax spielte.
Michels sortierte in den ersten Jahren immer wieder Spieler aus (auch Nationalspieler), die den Ansprüchen im Europapokal nicht gewachsen waren und baute um Cruyff, die schon etwas älteren Angreifer Piet Keizer, Sjaak Swart und die Verteidiger Wim Suurbier und Barry Hulshoff eine neue Mannschaft auf.
Ein weiterer wichtiger Spieler war Velibor Vasovic, der schon mit Partisan Belgrad 1966 das Landesmeisterfinale gegen Real Madrid verloren hatte. Er war erfahren und selbstbewusst, und sollte neben Verteidiger Barry Hulshoff als offensiver Libero spielen. Verpflichtet wurde der Jugoslawe aber auch wegen seiner Siegermentalität: „Ich war der beste Fußballer des ehemaligen Jugoslawiens und brachte viel Erfahrung mit. […] Wenn man das Trikot überstreift und die Schuhe schnürt, muss man gewinnen, sonst sollte man lieber zu Hause bleiben und Fernsehen gucken. Mit dieser Einstellung konnte ich den holländischen Fußballern sehr helfen, weil sie nicht von Natur aus so waren.“
Zunächst wurde das System auf ein 4-2-4 umgestellt, diese Formation war durch die Brasilianer schon 1958 populär gemacht worden und Ajax hatte mit Piet Keizer, Johan Cruyff, Sjaak Swart und Henk Groot eine formidable Angriffsreihe.
Disziplin und Motivation
War er als Spieler zwar ein harter Arbeiter aber auch ein Scherzkeks gewesen, so verdiente sich Michels als Trainer den Ruf eines Disziplinfanatikers und das natürlich mit Absicht. Er hatte nämlich das Problem, noch so manchen Spieler des Teams aus seiner aktiven Zeit zu kennen. Also entschied er sich die Zügel besonders stramm anzuziehen. Dabei schreckte der General, wie er auch genannt wurde, nicht vor radikalen Entscheidungen zurück.
Den Spitznamen verdankte Michels, nach eigener Aussage, auch der Tatsache, dass er anfangs wenig mit den Spielern diskutierte, weil sie im Taktischen nicht reif genug waren. Später habe er dann mehr mit seinen Führungsspielern geredet.
Die Härte war für Michels ein notwendiger Schritt die Distanz zur Mannschaft zu halten. Es funktionierte für ihn einfach am besten. Neben dem Platz war er umgänglich und freundlich zu seinen Spielern, beim Training oder im Stadion waren Spieler nur Nummern, die kommandiert und beleidigt wurden.
Sogar sein Co-Trainer bei Ajax Bobby Haarms fühlte sich wie von einem Tierdompteur behandelt. Und Toni Schumacher sagte über ihn: „Michels war ein knochenharter Kerl, abgrundtief gehasst und geachtet zugleich. … Das Training war eine einzige Quälerei: Gymnastik, Laufen bis zur Erschöpfung, ‚angefeuert’ durch beleidigende Bemerkungen wie ‚Kriecher’, ‚Flaschen’, ‚Idioten’, ‚Dilettanten’. Meine Freunde Pierre Littbarski und Klaus Allofs waren zutiefst gekränkt, glühend vor Wut, fühlten sich wie Sklaven behandelt. Es drohte ein regelrechter Aufstand. … Rinus Michels konnte nie nett sein; wie kein anderer konnte er seinen Spielern auch noch den letzten Rest an Humor austreiben, sie erniedrigen.“
Es war nicht ungewöhnlich, dass Spieler demontiert wurden, die in einem Spiel enttäuscht hatten. Gleichzeitig brachte er anderen ein enormes Vertrauen entgegen und stärkte sie auf mentaler Ebene. Ruud Krol erinnerte sich, wie Michels ihm sagte, „Vergiss van Duivenbode: Du bist besser“, und fügte selber an: „Wenn ein Trainer den Linksverteidiger der Nationalmannschaft verkauft und dich auf seine Position stellt, erlebst du eine Explosion des Selbstbewusstseins.“
Im ersten Versuch im Finale des Europapokals der Landesmeister scheiterte Ajax am AC Mailand. Zu beginn spielte Cruyff noch neben Groot und Pronk im Mittelfeld, schob sich aber immer weiter nach vorne. Nach dem frühen Rückstand durch Prati (7.) verlor Ajax die Linie und musste sich am Ende mit 4:1 geschlagen geben.
Die Idee des 4-2-4 war, dass ein Verteidiger ins Mittelfeld stoßen konnte, um dort als dritter Spieler Unterzahlsituationen zu verhindern. Der Offensivdrang der Verteidiger, für den Ajax berühmt werden sollte, war schon klar zu erkennen und auch Positionswechsel in der Offensivreihe gab es schon. Nur war Ajax nicht kompakt und presste nicht im Kollektiv, so entstand ein Bruch zwischen Abwehr und Angriff im 4-2-4 und Milan konnte das Mittelfeld leicht überbrücken.
Die schmerzhafte und verdiente Niederlage gegen den AC Mailand sollte Ajax stärken. Die Spieler hatten nun ein großes Finale bestritten und erkannt, dass sie noch nicht gut genug waren. Sie mussten noch lernen in einem Spiel die Taktik anpassen zu können. „Es heißt, dass man manchmal ein Finale verlieren muss, um ein Finale zu gewinnen, und das ist wahr“, bemerkte Hulshoff später. Für Michels gab es aber noch zwei weitere Spiele, die ihm zeigten was noch verändert werden musste.
Das größte Ärgernis der Finalniederlage von ´69 war, dass der holländische Doublegewinner Feyenoord Rotterdam unter Ernst Happel im nächsten Jahr im Landesmeisterpokal antreten durfte und ihn auch noch gewann. Ajax musste im Messe-Pokal spielen. Dort verloren sie mit 3:0 gegen Arsenal in Highbury und wenig später spielten sie 3:3 gegen Feyenoord.
Happel hatte ein Team mit geringerer kreativer Qualität als Ajax aber dafür mit einer geschlossenen Taktik zur Verfügung. Sie spielten 4-3-3 (1970 übrigens mit Theo van Duivenbode den Michels abgeschoben hatte), waren zweikampfstark, diszipliniert und hatten eine enorme Moral. Ajax wurde wieder im Mittelfeld geschlagen und Michels stellte auf 4-3-3 um, in dem er zunächst Johan Cruyff ins Mittelfeld zurückzog.
Den Unterschied zwischen den beiden Taktikern von Ajax und Feyenoord erklärte Theo van Duivenbode, der nacheinander unter beiden trainiert hatte: „Michels war ein Experte darin, die Taktik vor dem Spiel zu planen und die Spieler physisch und mental vorzubereiten, aber Happel sezierte das Spiel. … Er [Happel] las das Spiel so schnell, dass er nach wenigen Minuten von der Bank eingreifen konnte.“
Das Mittelfeld war nicht Michels’ einziges Problem. Nach den Serienmeisterschaften von 1966 bis 1968 wurde es mit dem Titel 1970 schwerer die zunehmend defensiv agierenden Gegner zu bezwingen. Als Lösung bekamen die Verteidiger bei Ajax die Anweisung sich am Spielaufbau und an Angriffen zu beteiligen. Um nicht die Abwehr zu entblößen, mussten nun im Gegenzug die offensiveren Spieler mehr für die Defensive tun; ging ein Verteidiger nach vorne musste ein anderer Spieler absichern. Daraus entwickelten sich die Positionswechsel, die heute immer mit dem totalen Fußball in Verbindung gebracht werden und die zunächst strikt auf die vertikalen Linien bezogen wurden. Die Außenverteidiger gingen nach vorne und wurden von ihren Vorderleuten abgesichert. Vasovic war weiterhin der Libero, der den Gegner Abseits stellte, sich ins Mittelfeld schob und damit ein 3-4-3 System erzeugte. Michels hatte mit seiner Mannschaft einen Stil entwickelt bei dem anscheinend jeder Spieler auf jeder Position spielen konnte.
Triumph in Europa
1971 bekam Ajax gegen Panathinaikos Athen die nächste Chance auf Europas Krone. Bei Amsterdam spielte Neeskens, 19 Jahre alt, rechts in der Verteidigung und beteiligte sich, wie auch Suurbier am Offensivspiel. Keizer und Cruyff waren die wenigen Spieler, die sich auch horizontal auf dem Feld verschoben. Cruyff, weil ihm eigentlich alles erlaubt war, er ließ sich links wie rechts blicken und spielte auch im Mittelfeld. Keizer verschob gerne nach links wenn Cruyff seine Position verließ. Die vakante Mittelstürmerposition konnte van Dijk dann besetzen.
Was sich in den zwei Jahren seit dem verlorenen Finale gegen Milan geändert hatte, war aber vor allem das Pressing und Überzahl im Mittelfeld. Die ganze Mannschaft spielte wesentlich kompakter, ging die Gegenspieler früh an um den Ball zu erobern, und auch die Stürmer arbeiteten in der eigenen Hälfte in der Verteidigung mit.
Neeskens war später im Mittelfeld bei Ajax und Oranje der Schlüssel für das Pressing. Er verfolgte den gegnerischen Spielmacher oft tief in dessen Hälfte und die Abwehr rückte einfach nach. Es war ein natürlicher Prozess, wie bei den Positionswechseln in der Offensive.
Es gibt aber auch eine andere Begründung für die hohe Abwehrlinie, die der Brasilianer Marinho Peres von Johan Cruyff später bei Barcelona erklärt bekam: „Die holländischen Spieler wollten den Raum reduzieren und alle in ein enges Band bringen. Die ganze Logik der Abseitsfalle besteht darin, das Spiel einzuengen. Das war völlig neu für mich. In Brasilien dachten die Leute man könne den Ball einfach über die Abwehr spielen, irgendwer stößt durch und hebelt die Abseitsfalle aus, aber so funktioniert das nicht, weil du keine Zeit [am Ball] hast.“
Blankenburg und Haan kamen im Finale 1971 nach der Pause für Rijnders und Swart. Haan sorgte kurz von Schluss für den 2:0 Endstand, nachdem van Dijk schon in der fünften Minute die Führung erzielt hatte. Michels hatte eine Gruppe mit Talenten und Künstlern zu hart arbeitenden Gewinnern gemacht und mit Ajax Amsterdam den ersten Europapokal gewonnen, nach sechs Jahren Entwicklung seiner Mannschaft. Sjaak Swart sagte Jahrzehnte später: „Wir waren alle Sieger. Wir haben nicht versucht, Künstler zu sein.“
Neuanfang in Barcelona
Nach diesem Triumph suchte Rinus Michels die Veränderung und wechselte zum FC Barcelona. Der spanische Traditionsverein hat wie Ajax eine englische Vergangenheit. Zwei Gründungsmitglieder waren Engländer und im Vereinswappen findet sich das Kreuz von St. Georg, der in England und Katalonien als Schutzpatron verehrt wird.
Der FC Barcelona stand sportlich bisher im Schatten von Real Madrid. Ironischerweise übernahm Michels den Posten als Cheftrainer vom selben Mann wie sechs Jahre zuvor bei Ajax: Vic Buckingham, der ´71 noch die Copa del Rey gewonnen hatte. Barças Titelsammlung war noch recht dünn und besonders in den 60er Jahren lief es nicht. Dazu hatte die Mannschaft bis zu Buckinghams Einstellung 1969 elf Trainer gesehen seit der letzte Meistertrainer Helenio Herrera 1960 den Verein verlassen hatte.
Dreimal wurde in Europa bis 1966 der Messe Pokal gewonnen. Trotzdem musste sich Barça nach den erfolgreichen 50er Jahren regelmäßig hinter Real Madrid einordnen. Auch ganz große Spieler, wie Kubala, Kocsis und Czibor, konnten den größten europäischen Pokal nicht gewinnen. Der Verein sah sich zu Sparmaßnahmen genötigt, darum enthielt der Kader 1971 einige selbstgezogene Talente (was Michels sicher zusagte).
Vom neuen Trainer wurde nun nicht weniger erwartet, als eine Spielweise zu etablieren wie sie von Ajax Amsterdam bekannt war: offensiv und dominant. Das 4-3-3 einzuführen war kein Problem, weil Barcelona schon vorher mit Flügelstürmern spielte. Schwieriger war es gerade in der Offensive das richtige Personal zu finden. Michels konzentrierte sich zunächst auf die Verteidigung und schaffte es mit seiner Mannschaft in den ersten drei Spielzeiten jeweils die wenigsten Gegentore in der Liga zu kassieren.
Probleme hatte Michels eher mit der taktischen Disziplin einiger Spieler, die gerne mehr machten als ihre Basisaufgaben zu erfüllen und damit die Balance in der Mannschaft gefährdeten. Die spanische Mentalität unterscheidet sich in diesem Punkt einfach von der holländischen und das ungleich höhere Medieninteresse in Spanien wirkte verstärkend, in dem es einen größeren Druck auf die individuelle, für die Öffentlichkeit sichtbare Leistung aufbaut und mannschaftsdienliches Spiel oft unterschätzt.
In den ersten beiden Jahren unter Michels erreichte Barcelona den dritten und den zweiten Platz in der Liga und hatte dabei vor allem Probleme Tore zu schießen. Der Trainer hatte zwar früh auch den schnellen Spielaufbau mit schnellem Nachrücken und Pressing ins Training aufgenommen und immer wieder üben lassen um die Fehleranfälligkeit einer hoch stehenden Abwehr auszumerzen. Es fehlte im Angriff aber die individuelle Klasse, die bei Ajax noch im Überfluss vorhanden gewesen war.
Dies änderte sich im Sommer 1973 als Johan Cruyff sich zum FC Barcelona transferieren ließ. Dem Wechsel ging in Amsterdam angeblich ein Streit ums Kapitänsamt voraus, dessen genaue Umstände hier nicht von großer Bedeutung sind. Cruyffs Schwiegervater hatte den Millionendeal mit Barça eingefädelt, nur der niederländische Verband verweigerte zunächst seine Zustimmung und Barcelona musste in den ersten sechs Ligaspielen auf den Erlöser warten.
Cruyff war das fehlende Puzzlestück im Angriff der Katalanen, er schlug sofort ein und führte Barcelona zum nationalen Titel. Dabei erhöhte die Mannschaft die Torausbeute von 41 Toren in der Vorsaison auf 75 Treffer, ohne wesentlich mehr Gegentore hinnehmen zu müssen. Ein weiterer Höhepunkt der Saison 73/74 war ein 5:0 Sieg im Auswärtsspiel bei Real Madrid.
Nach der Weltmeisterschaft in Deutschland folge auch Johan Neeskens Michels nach Barcelona, wo er bis 1979 spielte (Cruyff erklärte ´78 seinen ersten Rücktritt) und im letzten Jahr auch den Europapokal der Pokalsieger gewann. Michels dagegen ging nach der verpassten Titelverteidigung 1975 in Richtung Amsterdam, kehrte aber nur ein Jahr später zurück. In den letzten beiden Spielzeiten in Barcelona erreichte er jeweils den Vizetitel und gewann 1978 noch die Copa del Rey. Danach machte Michels bis 1980, wie er es selber bezeichnete, „bezahlten Urlaub“ in Amerika bei den Los Angeles Aztecs.
Der Bondscoach
Vier Mal war Rinus Michels Nationaltrainer seines Heimatlandes. Der am wenigsten erfolgreiche Abschnitt umfasste drei Spiele im Jahr 1984. Danach blieb Michels bis 1986 technischer Direktor beim Verband, während Leo Beenhakker der Trainerposten übernahm.
Aber der Reihe nach: Die Niederländer, bzw. der königliche niederländische Fußballbund KNVB ging mit dem Posten des Bondscoach zuweilen etwas, sagen wir mal, unorthodox um. Es war durchaus nicht ungewöhnlich einen Trainer zu haben, der dann pünktlich zu einem Turnier von einem großen Namen ersetzt wurde. Ernst Happel und Jan Zwartkruis lieferten sich ein seltsames Wechselspiel vor der WM 1978, ehe Happel für das Turnier übernahm. Und auch Michels Vorgänger Frantisek Fadrhonc wurde nach überstandener Qualifikation pünktlich zum Turnier zum Co-Trainer degradiert. Die Erklärung für diese kurzen Anstellungen liegt darin, dass Michels, wie auch Happel, an Vereine gebunden waren und in der Regel auch kein großes Interesse an einem langfristigen Job als Nationaltrainer hatten. Es kam aber auch vor, dass Trainer von Spielern gestürzt wurden.
Holland erlangt weltweite Anerkennung…
Als Michels das Amt des Bondscoach erstmals übernahm hatten die Niederlande international bisher keine Bäume ausgerissen. Für eine EM hatte man sich noch nie qualifiziert und an einer WM hatte Holland letztmals vor dem zweiten Weltkrieg teilgenommen. Dagegen stand, dass Feyenoord und Ajax von 1970 bis ´73 alle Titel im Landesmeisterwettbewerb gewonnen hatten. Michels hatte zur WM ´74 also sein altes Team wieder am Start, das unter Stefan Kovacs zweimal den Europapokal verteidigt hatte und dabei von Kovacs’ weniger harten Mannschaftsführung profitierte.
Ein paar Veränderungen waren aber notwendig. Die Ajax Mannschaft hatte sich weiterentwickelt und nicht alle Spieler standen zur Verfügung. Die nicht verfügbaren Ausländer und die Holländer, die aus persönlichen Gründen die WM absagten, ersetzte Michels vor allem durch Spieler von Feyenoord. Wim van Hanegem und Wim Jansen gingen ins Mittelfeld und Arie Haan musste den Posten des Liberos neben Innenverteidiger Wim Rijsbergen übernehmen. Dazu kam Rob Rensenbrink aus Anderlecht, der Piet Keizer auf die Ersatzbank verdrängte, und im Tor wurde tollkühn auf Jan Jongbloed gesetzt. Der hatte sein bisher einziges Länderspiel 1962 bestritten und verloren. Er war aber dafür bekannt mit dem Ball am Fuß etwas anfangen zu können und Michels brauchte einen Torwart der hinter einer hoch stehenden Defensive den Libero geben konnte.
Für Michels war es vor allem wichtig, dass seine Spieler hinter dem taktisch riskanten Kurs standen, denn er wollte nicht nur den dominanten Fußball von Ajax spielen lassen, sondern auch aggressives Angriffspressing (jagen in der gegnerischen Hälfte). Zunächst testet die Nationalelf gegen Amateurteams, die natürlich tief in der eigenen Hälfte standen und somit zum Pressing einluden. Es war wichtig immer wieder über dieses System zu reden, um es zu verbessern und die richtige Abstimmung zu finden.
Michels sagte zu seinen Spielern vor der WM, dass die Entscheidung für diesen dominanten und aggressiven Stil die schwierigste Entscheidung sei. Die Spieler müssten es auf dem Feld umsetzten und auf einzelne Spieler könne keine Rücksicht genommen werden. Dafür sei diese Art Fußball zu spielen aber auch etwas für echte Liebhaber.
Das erste Testspiel vor der WM gegen Österreich ging schief und das 1:1, einschließlich nachfolgender Kritik in den Medien, war die Bewährungsprobe für die Mannschaft. Ein 4:1 Sieg gegen Argentinien bestärkte Michels aber darin an seiner Strategie festzuhalten.
Das Turnierformat bestand aus zwei Gruppenphasen, denen sich das Finale direkt anschloss. In der Vorrunde gab es zwei Siege und ein unterhaltsames 0:0 gegen Schweden. Und in der zweiten Gruppenphase wurde Argentinien mit 4:0 aus dem Parkstadion in Gelsenkirchen geschossen. Dann folgte ein 2:0 gegen die DDR und das, nach Aussage Ruud Krols, vielleicht beste Spiel der Holländer bei diesem Turnier gegen Brasilien.
Auch wenn dieses Spiel Bestandteil der Gruppenphase war, hatte es dennoch den Charakter eines Halbfinals, in dem beide Teams um den ersten Platz und die Finalteilnahme spielten (wie beim anderen „Halbfinale“ zwischen der Bundesrepublik und Polen). Im ersten Durchgang hatte Holland in der einen oder anderen Szene noch Glück, ließ die Brasilianer aber immer wieder ins Abseits laufen. Das frustrierte den Titelverteidiger, der zu ein paar harten Fouls griff. Holland verschob sich komplett über das ganze Feld, alle Spieler machten den Raum eng in der Verteidigung und wenn nicht auf Abseits gespielt wurde, fand man alle Holländer in ihrer Spielhälfte. Bei Ballbesitz schob das ganze Team nach vorne. Neeskens und Cruyff sorgten für die Tore in der zweiten Halbzeit.
… und scheitert auf der Ziellinie
Auch im Finale gegen den Gastgeber lief zunächst alles nach Plan. Schon in der zweiten Minute traf Neeskens per Elfmeter zur Führung, die Deutschen hatten zu diesem Zeitpunkt noch nicht eine Ballberührung.
Doch was ein optimaler Start in ein Finale sein sollte, wird heute von einigen ehemaligen Spielern als Ausgangspunkt der Niederlage betrachtet. Johnny Rep sagt in David Winners Oranje brilliant: „Für uns war es nicht gut, in der ersten Minute ein Tor zu machen. Wir haben angefangen, die Deutschen lächerlich zu machen. Wir haben es nicht bewusst getan, aber wir haben es trotzdem gemacht. Den Ball hin und her gepasst. Und dabei haben wir vergessen, das zweite Tor zu schießen.“
Dafür wurden die Holländer bestraft. In der 25. Minute glich Paul Breitner aus, ebenfalls per Foulelfmeter, und Gerd Müller erzielte noch vor der Pause die Führung für den Europameister. Danach bissen sich Cruyff, Rep und Co. die Zähne an Sepp Maier aus.
Der Spielverlauf warf einige Diskussionen auf, denn auf beiden Seiten kam es zu fragwürdigen oder knappen Entscheidungen des Schiedsrichters. Die pikantesten Schlagzeilen machten aber eine angebliche Nacktparty im Hotelpool der Holländer (noch vor dem Brasilien-Spiel). Die Veröffentlichung dieser Affäre durch die Bild Zeitung wurde lange Zeit als eine Erklärung für die Niederlage im Finale herangezogen. Von einem stundenlangen nächtlichen Telefonat Cruyffs mit seiner Ehefrau war die Rede. Was davon der Wahrheit entspricht ist bei unzähligen und teilweise unterschiedlichen Aussagen nicht nachzuvollziehen. Michels war aber zumindest so verärgert, dass er sich weigerte auf Pressekonferenzen Deutsch zu sprechen.
Das Verhalten der holländischen Spieler im Trainingslager bei der WM entspricht überhaupt nicht dem Ruf des Bondscoach ein harter Hund zu sein. Aber Michels war schon in der Vorbereitung zum Turnier für ein paar Tage nach Spanien gereist um den FC Barcelona zu betreuen. Die Leitung des Teams hatte er auch in die Hände seiner Führungsspieler gelegt, besonders von Johan Cruyff der schon als junger Spieler ein Trainer auf dem Feld gewesen war. Michels hatte die alte Ajax Truppe als mündige Gruppe von Spielern in Erinnerung, die sich in vielen Belangen selber coachte. Ohne den öffentlichen Eklat in der Bild Zeitung wäre auch kein Zweifel an der Disziplin der Truppe aufgekommen. (Die deutschen Spieler wagten beim gleichen Turnier den Aufstand weil sie wie Schuljungen behandelt wurden.)
Der Schmerz dieser Niederlage beschäftigte die Holländer wahrscheinlich länger als sie es zugeben wollten. Auch Aussagen, wie die von Johan Cruyff, „Es gibt keine höhere Auszeichnung, als für seinen Stil gelobt zu werden“, können nicht über die ständig wiederaufkeimenden selbstzerstörerischen Kräfte der niederländischen Nationalmannschaft hinwegtäuschen. Andererseits brachte erst das WM Turnier, mit seiner internationalen Fernsehpräsenz, dem Totaalvoetbal die fast grenzenlose Bewunderung, die noch heute anhält.
Beim EM-Endrundenturnier 1976 scheiterte Holland im Halbfinale an der Tschechoslowakei, weil es sich wahrscheinlich schon im Finale gegen die Deutschen wähnte. 1978 erreichte die Niederlande unter Ernst Happel erneut das WM Finale und unterlag Argentinien. Von 1982 bis 86 nahmen sie an allen drei großen Turnieren nicht teil und auch in den 90ern bremsten interne Querelen Oranje immer wieder aus. Aber Michels zweites Turnier als sportlicher Leiter und eine neue Spielergeneration brachten den lange ersehnten Erfolg.
Der Erfolg mit van Basten, Gullit und van Breukelen
Nach dem schon erwähnten kurzen Intermezzo auf der holländischen Trainerbank 1984, kehrte Rinus Michels 1986 endgültig zur Nationalmannschaft zurück. Die Zeit des totalen Fußball war zwar vorbei, doch Mitte bis Ende der 80er stand eine neue Generation talentierter Fußballer bereit. Der PSV Eindhoven hatte 1988 den Landesmeisterpokal gewonnen und Ajax im selben Jahr das Finale des Pokalsiegerwettbewerbs erreicht, ´87 hatten sie den sogar gewonnen. Das Fußballjahr 1988 war also orange.
Michels konnte, im Vergleich zur WM ´74, nicht auf einen Stamm bauen, den er selber schon einmal im Verein trainiert hatte. Dafür hatte er einige der besten Fußballer der 80er Jahre zur Verfügung und viele dieser Spieler kannten sich von Ajax oder PSV.
Im Angriff Marco van Basten und Ruud Gullit, beide spielten seit 1987 beim AC Mailand. Das Mittelfeld bildeten, von rechts nach links, Gerald Vanenburg, Jan Wouters, Arnold Mühren und Erwin Koeman. Mühren hatte 1974, mit 23 Jahren, als Teil des Kaders kein Spiel bei der WM gemacht, wurde 14 Jahre später aber von Rinus Michels wieder für ein Turnier berufen. Vanenburg nahm gerne zentrale Positionen ein und verstärkte so das Mittelfeldzentrum mit Gullit.
Wenn Vanenburg den Flügel frei gab, versuchte Berry van Aerle von der Position des rechten Verteidigers nach vorne zu stoßen, um für Gefahr vom Flügel zu sorgen. Auf der anderen Seite spielte Adri van Tiggelen etwas zurückhaltender, weil Erwin Koeman mehr über die Außenbahn kam.
Erwins jüngerer Bruder Ronald Koeman und Frank Rijkaard bildeten das Duo in der Innenverteidigung: Ronald Koeman als Libero und Frank Rijkaard als Mischung aus Innenverteidiger und 6er vor der Abwehr. Im Tor stand Hans van Breukelen. Schaut man die Abwehrkette an, dann beinhaltete sie einen offensiven Außenverteidiger, einen gelernten Mittelfeldspieler und zwei Liberos, neben Koeman war auch van Tiggelen im Verein oft Innenverteidiger oder Libero.
Rijkaard interpretierte seine Rolle offensiv und auch Ronald Koeman war ein aktiver Part im Spielaufbau. Dieser Offensivdrang von drei der vier Verteidiger musste ab und an auch mal von Jan Wouters abgesichert werden.
Im Angriff war Marco van Basten ein Fixpunkt. Nur im ersten Gruppenspiel gegen die Sowjetunion spielten John van ’t Schip und John Bosman für Erwin Koeman und van Basten. Die Partie war auch die einzige Niederlage und der Grund warum man als Zweitplatzierter der Gruppe im Halbfinale auf Deutschland traf.
Michels ließ nicht mehr im 4-3-3 spielen, sondern verzichtete auf die hoch spielenden Flügelstürmer. Cruyff spielte in den 70ern das, was man heute als false 9 bezeichnet. In der Offensive blieb die Position des Mittelstürmers auch mal frei, um dann dynamisch besetzt zu werden. Defensiv standen meist mindestens zwei Stürmer vor dem Mittelfeld.
Die neue holländische Mannschaft spielte Kompakter im Mittelfeld. Van Basten aber blieb vorne. Gullit zog sich manchmal sogar bis zur Abwehr zurück, dann stand er wieder neben seinem Sturmpartner. Vanenburg rückte nach innen. So wurden im Mittelfeld die Anspielstationen für den Gegner zugestellt. Dazu agierte die Abwehr weiterhin hoch und verengte den Raum.
Zwei fragwürdige Elfmeter in der zweiten Halbzeit und ein Tor von van Basten besiegelten die deutsche Niederlage im Halbfinale. Für die Holländer war der Sieg in diesem hitzigen Spiel eine Erlösung nach der Schmach im WM Finale ´74.
Im Finale von München siegten die Holländer mit 2:0 gegen die Sowjetunion. Gullit stand bei seinem Kopfballtor völlig frei und van Basten schoss das Tor des Turniers, nach einer Flanke von Mühren, die er aus spitzem Winkel direkt im Tor versenkte.
Trotz des Erfolges, über den sich natürlich die ganze Nation freute, war das 88er Team wesentlich pragmatischer als die Vorbilder aus dem Jahrzehnt zuvor. Gegen England und Irland in der Vorrunde war man im Glück gewesen und wäre fast ausgeschieden. Taktisch wurde geradliniger gespielt, mit van Basten als Stoßstürmer. Natürlich hatte diese Mannschaft eine Reihe kreativer Spieler und eine Achse mit Koeman, Rijkaard und Gullit, die keinen Vergleich zu scheuen braucht. Außerdem belegten van Basten, Gullit und Rijkaard die ersten drei Plätze zur Wahl von Europas Fußballer des Jahres (Ballon d´Or). Aber ein Fußballfeuerwerk hatten die Holländer selten geboten. Michels hatte wieder ein Team von Gewinnern geformt.
Oranje 90 & 92
Wie wichtig der Zusammenhalt in einer Gruppe für den Erfolg sein kann zeigt die Weltmeisterschaft in Italien als das Team unter Leo Beenhakker intern nicht harmonierte und sich aus dem Turnier verabschieden musste. Michels hatte zur WM den Vorsitz in der Trainerfindungskommission inne und wählte Beenhakker und nicht Cruyff, der Wunschkandidat einiger Spieler war. Dem neuen Bondscoach wurde die Aufgabe mit dem Berater Michels im Nacken auch nicht leichter gemacht.
Rinus Michels beschrieb die Situation selbst etwas anders. Die Grüppchenbildung und mangelnder Respekt in der Mannschaft hatte auch er erkannt. Doch behauptet er, dass er bewusst als Feindbild für die Mannschaft herhalten musste. Den psychologischen Effekt den Beenhakker damit erreichen wollte, konnte Michels sogar nachvollziehen. Die Leistung stimmte nicht und Michels Anwesenheit beim Training schien den Mangel an Loyalität zum Trainer bei einigen Spieler zu verstärken, so dass sich Beenhakker dazu gezwungen sah die Mannschaft zusammen zufalten um die Bindung zu Michels und der EM ´88 zu lösen. Der holländische Kader wuchs nie zu einer Mannschaft zusammen und im Spiel gegen Deutschland schied Holland aus.
Zur EM ´92 ließ sich Michels noch einmal überreden die Mannschaft zu betreuen. Wieder trafen die Holländer auf Deutschland, diesmal in der Gruppenphase, und siegten mit 3:1. Neu im Team waren Spieler wie Dennis Bergkamp, Bryan Roy, Rob Witchge und Frank de Boer. Im Halbfinale war aber im Elfmeterschießen Schluss gegen die Überraschungsauswahl aus Dänemark, die im Finale auch Deutschland besiegen konnte.
Teambuilding Teil 1: Taktik
Auf dem totalen Fußball, den Ajax unter Michels entwickelte und mit dem die holländische Nationalelf bei der WM ´74 die ganze Welt verzauberte, begründet sich Michels Ruf als taktischer Visionär. Die Grundlagen seines Denkens sollen hier beschreiben werden, zunächst mit dem Blick auf die Taktik.
Alle Mannschaften von Rinus Michels haben eine starke zentrale Achse. Bei der WM in Deutschland wurde sie von Arie Haan, Johan Neeskens und Johan Cruyff gebildet, bei der EM 14 Jahre später von Ronald Koeman, Frank Rijkaard, Ruud Gullit und Marco van Basten. Der Rest des Teams wurde wie die Fassade eines Wolkenkratzers um diese Achse herum aufgebaut.
Dabei darf diese Achse, zu der man genau genommen auch den von Michels immer als spielstark geforderten Torwart zählen muss, nicht als statisches Konstrukt verstanden werden. Cruyff ließ sich nicht auf einer Position festnageln und Neeskens hatte zu viel Energie um nur aus dem zentralen Mittelfeld zu agieren. Auch Rijkaard und Koeman konnte man nicht in der Abwehr anbinden, aber das wollte Michels auch nie. Verließ ein Spieler in der Offensive seine Position, dann schuf dies Platz für einen anderen Spieler. Freigewordene Positionen mussten also neu besetzt werden und mit der daraus resultierenden Bewegung wurden die Gegner oft überfordert.
Michels benötigte für diesen Stil vor allem Mittelfeldspieler mit der Fähigkeit Räume in der Vertikale zu besetzen, sei es als Absicherung für einen stürmenden Verteidiger oder um in die Spitze nachzurücken. „Total Football bedeutet, dass ein Angreifer in der Verteidigung spielen kann – er kann es, mehr nicht.“, erklärt Hulshoff, „Die Mannschaft ist stärker, wenn die Spieler auf ihrer angestammten Position spielen, deshalb ist jeder Positionswechsel nur vorübergehend, und man kehrt möglichst schnell auf die alte Position zurück.“ Daraus ergaben sich ständige Positionswechsel der Spieler, die sich wieder in die Grundpositionen verschoben sobald sich eine Spielsituation wieder auflöste. Jeder Spieler hatte in seiner Mannschaft seine Basisaufgaben zu erfüllen, auch wenn er im totalen Fußball die Freiheit hatte mehr zu machen. Wurden die Basisaufgaben und die Absicherung vernachlässigt, entstand ein Ungleichgewicht und die Mannschaftsbalance wurde gestört.
Die Abwehr bestand bei Rinus Michels aus mindestens zwei offensiven Spielern, die auf den Außenbahnen Druck erzeugen konnten. Besonders gerne nutzte Michels auch den Libero dafür im Mittelfeld Überzahl zu erzeugen. Dazu wurde situativ die Abseitsfalle genutzt. Es ging aber nicht nur darum einen Spieler abseits zu stellen, sondern auch durch das Aufrücken der Verteidigung Überzahl in Ballnähe zu erzeugen und den Raum für den Gegner eng zu machen.
Am 4-3-3 hielt Rinus Michels nicht fanatisch fest. Mitte und Ende der 80er war er der Meinung die Entwicklung im internationalen Fußball würde auch in Holland den Formationswechsel zum 4-4-2 notwendig machen. Mit dieser Meinung positionierte er sich gegen Cruyff, der in Holland nur van Basten mit den Fähigkeiten für ein 2-Stürmer-System ausgestattet sah. Bei der EM ´88 war es dann ein 4-4-2 ohne Flügelstürmer, aber mit einer hängenden Spitze, die Holland zum Titel führte.
Teambuilding Teil 2: Psychologie
Fußballmannschaften werden nicht nur durch eine Taktik zusammengehalten, das wusste auch Rinus Michels. Für ihn stand die psychologische Bildung einer Mannschaft auf der gleichen Ebene wie die teamtaktischen Prozesse.
Ziele, Harmonie und Absprachen
Um eine Mannschaft aufbauen zu können, braucht es zunächst einmal ein gemeinsames Ziel. Das allgemeine Ziel „schön Fußballspielen“ ist für eine Mannschaft zu wenig. Ziele müssen konkret formuliert werden, erreichbar sein und von den Teammitgliedern gemeinsam angestrebt werden.
Die Weltmeisterschaft 1974 ist hier ein gutes Beispiel, weil Michels seine Mannschaft damals fragte ob sie den dominanten Pressingfußball spielen wolle. Daraus resultierte eine gemeinschaftliche Entscheidung, nicht nur erfolgreich sein zu wollen, sondern auch wie der Erfolg erreicht werden sollte.
Ein wichtiger Punkt für einen Trainer ist die Harmonie in seinem Team, aber auch im ganzen Verein. Michels musste unzählige kleine und große Konflikte mit Spielern, Funktionären und der Presse austragen. Innerhalb eines Teams darf es aber keine Störfeuer geben, auch wenn es immer zu kleinen Unzufriedenheiten kommt. Der Trainer hat die Aufgabe seine Mannschaft und das Umfeld genau zu beobachten und Eskalationen zu verhindern.
Gerade die niederländische Nationalelf war oft ein Bandherd. Neben den mündigen, manchmal auch aufmüpfigen Spielern gab es Funktionäre, die sich gerne im Licht der Elftal sonnen wollten und die damit Michels Autorität untergruben. Dazu kam die Presse mit der Michels umgehen musste. Er war hier auch Pragmatiker und versuchte ab und an den Zusammenhalt in der Mannschaft mit äußeren Feindbildern zu stärken.
Vor der EM in Deutschland wollte Michels zunächst nicht Nationaltrainer werden. Erst nachdem Leo Beenhakker den Posten mangels Rückendeckung vom Verband räumte um zu Real Madrid zu gehen, wechselte Michels vom Posten des Technischen Direktors auf die Trainerbank. Trotzdem gab es immer wieder Konflikte mit Funktionären, die zum Teil auch über die Presse ausgetragen wurden. Während des Turniers sollten dann laut Michels täglich Gespräche über die Mannschaft zwischen dem Bondscoach und dem Vorsitzenden Jaques Hogewoning stattfinden. Michels löste dieses Problem der versuchten Einmischung in dem er als einzigen freien Termin das Gespräch zum Frühstück um 8 Uhr anbot. Zu mehr als einem dieser Gespräche ist es dann nicht gekommen.
Für ein gutes Mannschaftsgefüge sind dazu Verhaltensregeln unerlässlich. Dabei geht es in erster Linie nicht darum wer bei Tisch als erster von der Suppe nehmen darf, sondern, dass Absprachen verlässlich eingehalten werden und wie mit Kritik umgegangen wird. Michels‘ Umgang mit den Spielern war auf dem Trainingsplatz zum Teil sehr hart, förderte bei Ajax aber die Kritikkultur. Es wurde normal völlig frei über taktische Ideen und Probleme zu sprechen, diese Freiheit Kritik zu äußern befruchtete das kreative Klima innerhalb der Mannschaft.
Geplante Konflikte
Das Konfliktmodel fand bei Michels Anwendung, wenn es innerhalb der Mannschaft zu harmonisch zuging. Bei Ajax Amsterdam wurde vor Spielen regelmäßig gemeinsam ein Film gesehen. Wenn in der Mannschaft die Spannung nachließ, dann wählte das Filmkomitee einen Kriegsfilm, waren die Spieler übermotiviert, eine Komödie. Ein Filmkomitee ist natürlich noch keine Umsetzung eines Konfliktmodels, zeigt aber die Bedeutung der richtigen mentalen Einstellung vor einem Spiel. Michels provozierte in der Kabine auch gerne Diskussionen mit Führungsspielern um die Spannung zu erhöhen. Im Training steuerte der Trainer die Stimmung in der Mannschaft in dem er zum Beispiel seine Co-Trainer absichtlich eine Fehlentscheidung im Trainingsspiel pfeifen ließ. Die Emotionen kochten hoch und die Spannung erhöhte sich.
Dieses Vorgehen ist nichts für jeden Trainer. Michels war mit seinem autoritären Stil dafür besser geeignet als ein Trainer, der nahe an seinen Spielern dran ist. Am wichtigsten ist es für einen Trainer nicht die Glaubwürdigkeit vor seinen Spielern zu verlieren. Michels war immer als Fußballfachmann geachtet, manchmal wegen seiner Methoden auch gehasst. Der entscheidende Punkt war, dass er sich nicht verstellte um seine Spieler zu erreichen.
Wie wichtig Rinus Michels das Teambuilding auf taktischer und psychologischer Ebene war zeigt sein Buch Teamcoaching – Der weg zum Erfolg durch Teambuilding, in dem er die Aufgaben eines Trainers und seine persönlichen Erfahrungen beschreibt.
Rinus Michels in Deutschland
Nach seinem Abstecher in die amerikanische Liga, kehrte Rinus Michels im November 1980 nach Europa zurück und heuerte beim 1. FC Köln an. Seine Bilanz war durchwachsen. In der Liga wurden die Kölner zunächst nur achter. Dafür schlugen sie im UEFA Pokal in der zweiten Runde den FC Barcelona, nach einer 0:1 Hinspielniederlage, im Camp Nou mit 4:0. Michels schrieb später, er habe seinen Spielern vorausgesagt, dass die Spieler von Barcelona ihre Basisaufgaben vernachlässigen würden, wenn Köln in Führung ginge. Endstation in Europa war erst im Halbfinale der spätere Titelträger Ipswich Town.
1982 wurden die Kölner Vizemeister (hinter dem Hamburger SV von Ernst Happel) auch weil der Verfechter des Offensivfußballs mal wieder die Abwehr mit den wenigsten Gegentoren formte. Dazu konnte er auf Tony Woodcock, Pierre Littbarski und die Neuzugänge Klaus Aloffs und Klaus Fischer im Sturm setzen. Ein Jahr später wurde der 1.FC Köln nur fünfter in der Bundesliga, der Höhepunkt der Saison war das Pokalfinale im Müngersdorfer Stadion gegen den Lokalrivalen Fortuna Köln. Die Kölner lieferten eine schwache Partie, gewannen aber dank Pierre Littbarski mit 1:0.
Seinen zweiten Abstecher in die Bundesliga wagte Rinus Michels 1988 mit einem Engagement beim amtierenden UEFA Cup Sieger Bayer 04 Leverkusen. Bayer belegte am Ende Platz 9 und Michels wurde bereits im April ´89 entlassen.
Wie gut sich Michels mit einigen Stars verstand, zeigt das Zitat von Harald Schumacher im Abschnitt über die Disziplin. Littbarski sagte über Michels, er sei für Individualisten tödlich. Und Michels fasste seine Probleme in Deutschland folgendermaßen zusammen: „In Köln bin ich an den Stars gescheitert. In Leverkusen daran, dass keine Stars da sind. Die Spieler hier sind viel zu brav für das Fußballgeschäft. Die Mannschaft ist einfach nur Mittelmaß.“
Als weiteren Grund für das Scheitern in Leverkusen gibt Michels zu taktische Fehler gemacht zu haben. Er habe dem Wunsch des Managements nachgegeben und versucht offensiven Fußball nach holländischem Vorbild spielen zu lassen, obwohl das Spielermaterial nicht zu dieser Strategie gepasst habe. Das Resultat war eine verunsicherte Mannschaft, die taktisch überfordert war und nicht ihren Stärken entsprechend eingesetzt wurde.
Der Jahrhunderttrainer
Die Bedeutung von Rinus Michels für den Fußball in seinem Heimatland und für den Fußball in Europa ist schwer mit anderen Trainern zu vergleichen. Fachlich zählt er zu den besten Trainern aller Zeiten. Was ihn von den großen Kollegen seiner Zeit abhebt, sind die Mannschaften um Johan Cruyff. Die Entwicklung von Ajax Amsterdam zur europäischen Großmacht und die Erfindung des totalen Fußballs, der dank des Mythos um die Elftal bei der WM ´74 die ganze Welt in seinen Bann zog. Über Jahrzehnte war diese Nationalelf der Maßstab für den schönen, fast perfekten Fußball. Viele waren ähnlich erfolgreich. Einige spielten genauso schön, um dann früh zu scheitern.
Die FIFA zeichnete Rinus Michels 1999 als Trainer des Jahrhunderts aus und der niederländische Fußballverband vergibt jährlich den Rinus Michels Award in mehreren Kategorien an Trainer und Nachwuchszentren. Dass Michels in seiner Karriere kein bequemer Trainer war wurde in diesem Artikel nicht unterschlagen, denn es war Voraussetzung für seinen Erfolg. Disziplin und harte Arbeit sind die Grundlage für jeden der etwas Großes erreichen will.
Zum fünfzigsten Jahrestag der Einführung des Profifußballs in den Niederlanden 2004, wurde Rinus Michels als bester Trainer in dieser Epoche ausgezeichnet. Bei diesem Anlass sagte er:
„Ich bin besonders froh über die Tatsache, dass ich dazu beitragen konnte die niederländische Art des Fußballspielens auf der ganzen Welt berühmt zu machen. Wenn ich ein Hund wäre, würde ich mit dem Schwanz wedeln.“
Am 3. März 2005 starb Rinus Michels weniger Wochen nach einer Herzoperation im belgischen Aalst. Michels’ größter Schüler Johan Cruyff hatte am Ende doch Recht: „Es gibt keine höhere Auszeichnung, als für seinen Stil gelobt zu werden.“
27 Kommentare Alle anzeigen
Kroosartig 8. Oktober 2013 um 11:32
Ich muss zugeben, dass ich mit Rinus Michels nicht so viel anfangen konnte, eine Schande wenn man bedenkt, wofür er steht und was er geleistet hat, aber Dank diesen wunderbaren Artikel habe ich den Menschen und seine Philosophie, den total fotbal besser kennen gelernt (Ist ja auch schon ein paar Jährchen her 🙂 )
PS.: Das Video zu Niederlande: Brasilien hat mich umgehauen, dieses chaotische, aggressive Angriffpressing war verrückt aber gleichzeitig genial.
Gibt es eine Mannschaft die das in dieser Form praktiziert, bzw ist es in der heutigen Zeit überhaupt noch denkbar mit mehreren so aggressiv auf den Ball zu gehen?
blub 8. Oktober 2013 um 11:52
Ja klar gibts Mannschaften die mit mehreren Spieler auf dem Ballführenden zustürmen. Rayo Vallecano war hier schon mehrfach Thema.
Kroosartig 8. Oktober 2013 um 14:27
In dieser Form?! Krass
Da muss ich mir unbedingt mal ein Spiel ansehen, denn das macht echt Spaß beim Zuschauen.
Paul 10. Januar 2013 um 21:24
Brillianter Artikel. Sehr detailliert und für mich als Barcelona Fan auch ungemein interessant
Tank 8. Januar 2013 um 11:56
Danke für den ausführlichen Artikel. Zumal du dich dafür scheinbar durch die fürchterliche deutsche Übersetzung von Michels „Teamcoaching“ durcharbeiten musstest. 😉
Mich würden noch weitere Informationen darüber interessieren, wie viel Ajax Michels ins damalige Barcelona injizieren konnte. Trotz des Ligatitels gelang es ja nicht, eine wirklich große Mannschaft zu formen. Und, wenn ich da richtig informiert bin, auch das Gedankengut des total footballs blieb nach Michels Abgang zunächst nicht haften. Auch La Masia wurde ja eher auf Cruyffs Betreiben gegründet und es ist mir nicht bekannt, ob die Ausbildung dort von Anfang an auf tiki taka ausgerichtet war. Meine mich eher ans Gegenteil zu erinnern.
Für mich bleibt daher die Frage, ob Michels größter Beitrag, den er zum heutigen Barcelona in Barcelona geleistet hat, einfach die Verpflichtung Johan Cruyffs war.
HW 9. Januar 2013 um 17:21
Hi,
hab das Buch gerade nicht zur Hand, vielleicht habe ich auch die englische Ausgabe gelesen.
Du hast recht, bei Barca ist zunächst nicht so viel hängen geblieben. Trainer nach Michels waren u. a. Weisweiler, Menotti, Venables, Herrera, Lattek und Aragones mit unterschiedlichen Spielausrichtungen. Dazu kamen ausländische Starspieler wie Mardona, Schuster, Lineker, Simonsen, …
Wobei die Zahl der Ausländer regulatorisch begrenzt war.
Einige Geschichten aus der Zeit lassen den FC Hollywood vor Neid erblassen.
Viele Titel wurden nicht gewonnen (auch Michels hat nicht in Serie viel gewonnen).
Konstante war seit Ende der 70er Präsident Nunez.
Erst mit Cruijff wurde sportlich Konstant dominiert (u. a. vier Meisterschaften am Stück, Europapokal der Landesmeister gewonnen). Er setzt auf Stars und Eigengewächse. Wahrscheinlich weil er von Ajax (als Spieler und Trainer) den Vorteil kannte mit Spielern aus der Jugend zu arbeiten, die die gleiche Ausbildung genosen hatten. Dazu hatte Cruijff vielleicht auch etwas mehr Kredit und Macht als andere Trainer.
Man darf das von Cruijff und später Guardiola bei Barca erreichte aber nicht als selbstverständlich ansehen. Sowas ist nicht so einfach bei jedem Verein zu wiederholen, das hat noch kein Trainer geschafft (vor allem die Konstanz).
Die Jugendarbeit bei Barca war nicht immer perfekt, sondern hat sich über Jahrzehnte entwickelt. Michels war ja auch technischer Direktor beim holländischen Verband in den 80ern und dort auch für die Ausrichtung der Jugendarbeit zuständig. Er hatte damit wohl in Holland einen größeren Einfluss als in Spanien. Die Spanier mussten sich nach ein paar Jahrzehnten wieder an die holländische Schule „erinnern“.
Das Barca Team von Michels war gut, keine Frage, aber es war natürlich nicht mit Ajax zu vergleichen und lebte daher mehr von Cruijff und Neeskens. Aber Michels wich nicht von seiner grundlegenden Spielphillosophie ab, nur weil es nicht mehr Ajax war. Andere Trainer nach ihm hatten diese Verbindung zu dem Stil natürlich nicht.
Cruijff hatte natürlich auch mehr Einfluss auf die Jugendarbeit, die die heutige Generationen betrifft, weil der zeitliche Abstand nicht so groß ist und Cruijff auch sehr um dieses Thema bemüht war. Rexach war z. B. eine der einflussreichen Personen die unter Michels spielte. Heute hat man dagegen viele Trainer die durch die Barca-Jugend gegangen sind und man verlässt sich auch auf diese Identität. Ähnliches hatte Liverpool in den 60ern, 70ern, 80ern gemacht.
HW 9. Januar 2013 um 21:00
Nein, hab nachgesehen. Hab das Buch auf Deutsch gelesen.
Tank 9. Januar 2013 um 22:45
Danke für die super ausführliche Antwort.
Die verschiedenen Trainer und erst mit Cruyff beginnenden großen Erfolge sind mir bekannt. Und ich meine mich auch daran zu erinnern, dass jemand mal gesagt hat, dass der Spielstil der ersten Mannschaft bis zu Cruyffs Wiederkehr ziemlich uneinheitlich und primär auf die jeweiligen Stars zugeschnitten war.
Was ich nicht weiß, ist ob La Masia von Anfang an eine Philosophie propagiert hat, die auf den beiden Grundpfeilern total football und tiki-taka aufbaute. Oder ob La Masia in ihrem ersten Jahrzehnt entweder a) ohne erkennbare Philosophie ausgebildet hat oder b) in Anbindung an die schwankenden Stile der ersten Mannschaft ausgebildet hat.
Die Frage ist deshalb für mich interessant, weil sie eine Antwort auf die Frage verspricht: Wann begann der Aufbau einer kontinuierlichen Spielphilosophie beim FC Barcelona? Seit Cruyff, wie oft kolportiert, oder auf Jugendebene schon früher?
Es scheint ja zumindest nicht generell abwegig zu sein, zu vermuten, dass La Masia schon vor Cruyff eine solche Symbiose gelehrt hat. Schließlich gab Cruyff den Anstoß zu La Masia und könnte da auch Inhalte angeregt haben. Außerdem war jemand wie Rexach ja schon seit den frühen 80ern in der Jugendarbeit bei Barca tätig und könnte dahingehend gewirkt haben.
Mein persönlicher Tipp lautet aber, dass es erst Cruyff war, der La Masia zu dem gemacht hat, was es heute ist.
Nebenbei: Ich erinnere mich daran, dass Udo Lattek mal gesagt hat, sein Barca hätte genauso gespielt, wie die heutige Variante. Mit Maradona als Messi und Schuster als Xavi. Aber das Publikum hätte gepfiffen. Ob dem wirklich so war… keine Ahnung^^
Billy 2. Januar 2013 um 09:20
Also zuerst einmal: Ein klasse Artikel!
Kleine Nachfrage: „Keizer und Cruyff waren die wenigen Spieler, die sich auch vertikal auf dem Feld verschoben.“ – Sollte es hier nicht horizontal heißen? Ist unter der Überschrift „Triumph in Europa“ zu finden.
HW 2. Januar 2013 um 09:26
Das hast du recht. Danke! Ist berichtigt.
mb 31. Dezember 2012 um 11:29
Vielen Dank für diesen Artikel und den enormen Aufwand bei der Erstellung. Mir gefällt der gut lesbare Schreibstil und die Beleuchtung vieler Persektiven. Gerade diese längeren Hintergrundberichte sind für mich das Salz in der Suppe neben den Spielanalysen.
Noch mal ein grundsätzliches Kompliment. Ihr seid zu Beginn schon auf einem sehr hohem Niveau eingestiegen und konntet das auch immer weiter steigern.
R.M.-J.C. 30. Dezember 2012 um 20:32
ich habe vollen respekt vor Rinus michels und johan cruyff
die beiden haben den total football bei ajax und den niederlanden erfunden und ihn nach barcelona gebracht. wo mann ihn ja heute tiki taka nennt und in auch in der nationalmanschaft spaniens spielt. tiki taka die neu auflage von totalen football, ist einfach die beste fußballphilosophie und der schönste fußball den es jeh geben wird.
Kein wunder das ajax und barcelona heute die besten fußballakademien haben rinus michels und johan cruyff haben ja auch beide neu aufgebaut und darum habe ich vollen respekt vor beiden 😉
laterookie58 29. Dezember 2012 um 18:09
(Antwort ließ sich gestern nicht reinstellen– CAPTCHA- Fehler…)
@ HW : Ein riesiges WHOW mit großem Ausrufezeichen…
Höchst informativ; dennoch leicht- verständlich zu lesen und zu verarbeiten!
Herzlichen Dank für Deine Zeit und Mühe, die Recherchen hierzu aufzubereiten und uns zu präsentieren. Derartig umfassend Aspekte des Trainers und Menschen R. Michels lesbar zu machen, die unendlich vielen Blickwinkel, die zu bedenken waren, koordiniert zu haben…– meisterliches Stück journalistischer Arbeit!
Vielen Dank dafür!!! laterookie58
HW 30. Dezember 2012 um 21:16
Vielen Dank für das Kompliment, auch wenn ich meine Arbeit selber nicht als journalistisch bezeichne.
Bei so einem Artikel muss ich mich natürlich auch immer entscheiden, was ich weg lasse und nicht verwende. Es gibt viele Geschichten und Anekdoten die interessant sind, die man aber nicht alle einbauen kann.
laterookie58 31. Dezember 2012 um 17:27
@ HW : Danke für die Antwort! Beim ersten Kommentar ist mir entfallen, daß ich wegen Jack Reynolds und Vic Buckingham nachfragen wollte.
Dies ist bereits das zweite Mal, daß beide erwähnt werden…
Hast Du in Deinen Planungen Raum dafür, uns die beiden — ähnlich wie R.Michels– näher zu bringen? Die beiden scheinen mir für die eigentlichen „Grundstein- Legungen“ von modernem Fußball zu stehen.
Danke. laterookie58
RM 31. Dezember 2012 um 18:39
Hallo, lr58!,
wir haben eine Doodle-Liste mit versprochenen Artikeln, dort sind etwa 136 aufgeführt. Ich plane bspw. neben Lobanovskiy, Heynckes, Weisweiler und Sir Alex auch eher „unbekannte“ Trainer wie Jack Reynolds, Jimmy Hogan, Jimmy Hagan und Vic Buckingham. Es sind auch Leute wie Revie, Clough, Dombi, Girulatis, Cajkovski, Batteux, Meisl u.v.m. aufgeführt. Wann wir es schaffen, ist halt immer die große Frage, wir versuchen unser Bestes, neben die Analysen auch Recherche und Porträts reinzubringen, doch man muss auch versuchen, das Videomaterial aufzutreiben, usw. usf.
Beispielsweise kommt in einem bald geplanten Heft ein Trainerporträt zu Rafa Benitez, wo seine Anfänge und auch sein Valencia-Team kurz (retro)analysiert werden. Wir tun unser Bestes,
lG
HW 31. Dezember 2012 um 18:20
Das sind sicher zwei gute Kandidaten für Trainerportraits. Ich habe da aber nichts in Planung. (Britische Trainer sind generell ein interessanter Bereich.)
Was ich im Kopf (aber noch nicht angefangen) habe ist eher eine Serie über Mittelfeldspieler/-duos und ‚kontinentale‘ Trainer, wie z. B. Hitzfeld, Sacchi, Lobanowski. (Und ein paar andere Themen.)
Ich werde das aber nicht alles schreiben können.
Burrinho 29. Dezember 2012 um 15:51
Danke für den unfassbar ausführlichen Artikel!
datschge 29. Dezember 2012 um 13:09
Ich bin verwirrt, wer ist dieser HW? „HW war bis zum Februar 2012 Mitglied des Projekts Spielverlagerung.de.“? Und ist es derselbe HW, der kürzlich zuvor in Kommentaren geäußert hat, Taktik sein wenig mehr als Mittel zum Zweck (also Ergebnisse)?
Super Artikel! 🙂
RM 29. Dezember 2012 um 13:18
Ja, wir wissen selbst nicht, wie der Artikel zur Veröffentlichung kam – der war bereits vor einem Jahr geplant. Eine Art genialer Abschiedsartikel also! Und ja, derselbe HW wie in den Kommentaren, soweit ich weiß.
HW 29. Dezember 2012 um 14:06
Hallo,
der Artikel hätte tatsächlich schon viel früher erscheinen können. Aus verschiedenen Gründen passierte das dann nicht, was mir jetzt nochmal die Gelegenheit zur Überarbeitung geboten hat (was auch nötig war).
Im normalen Bundesligaspielbetrieb mit englischen Wochen wollte ich den Artikel nicht einquetschen, daher ist er jetzt erschienen.
Viellecht sollte ich den Text der Autorenbeschreibung mal aktualisieren. Lust und Ideen für Artikel sind bei mir auch vorhanden, nur fehlt einfach die Zeit regelmäßig etwas zu schreiben. Daher wird es bei kleinen ‚Comebacks‘ bleiben.
PS Mir ist aufgefallen, dass die Videos nicht eingebettet waren. Das hab ich noch angepasst.
HW 29. Dezember 2012 um 14:07
PPS Habe ich wirklich gesagt, Taktik sei wenig mehr als Mittel zum Zweck? Ich zweifel das mal an.
datschge 29. Dezember 2012 um 14:39
Nicht wortwörtlich, aber Ihre (so Sie derselbe HW sind) starke Ablehnung des Bildes von Toren als „Randerscheinungen“ (im Artikel Malaga gegen Real) impliziert, dass Sie den Ergebnissen mehr Wert beimessen als den Weg dahin. Ganz zynisch überspitzt könnte man dadurch Taktik für Unsinn deklarieren und das pure Torschießen über alles stellen, und solange dann auch Tore erzielt werden, könnte man nichts dagegen sagen, oder?
HW 29. Dezember 2012 um 14:46
So, so, es impliziert…. Ich will das Thema hier nicht groß aufrollen. Ich bin ein großer Fan des Stils vom FC Barcelona, mir geht es nicht einzig um Tore. Aber darum ging es in dem anderen Artikel und meiner Kritik auch nicht.
RM 29. Dezember 2012 um 14:57
Datschge, ich denke, es ging darum, dass nicht klar gemacht wurde, ob und wie sich die Tore aus den taktischen Faktoren heraus manifestierten und wie sie das Spielgeschehen danach beeinflussten. Der Satz „Tore sind keine Randerscheinungen“(, etc.) bezog sich wohl eher auf die Auswirkungen und das Entstehen des Tores, nicht seine Wirkung auf die Zahlen rechts oben auf dem Bildschirm. Alles in allem also eine berechtigte Kritik an mir / meiner Analyse.
datschge 29. Dezember 2012 um 15:28
@HW: Dementsprechend ja auch meine Verwunderung über den Zusammenhang zwischen Artikel und Kommentaren. Vom Inhalt war da mehrmals Punkte dabei, denen ich zugestimmt habe, aber die gesamte Vehemenz und Umfang, mit der die Diskussion (auch von anderen) geführt wurde, hat auf mich wie Uneinigkeit in grundsätzlichere Punkten gewirkt.
@RM: Ja, das ist wohl das Problem, wenn man in Kommentaren im Allgemeinen bleibt bzw. bei Diskutanten den Eindruck erweckt, etwas weiter verallgemeinern zu können. Ich schätze, die Diskussionen in den Kommentaren auf SV drehen sich mir bisschen zu diffus im Kreis in letzter Zeit (vielleicht ein Problem der Kommentarstruktur, die jede Diskussion ab einer bestimmten Zahl von Antworten unübersichtlich wirken lässt).
RM 29. Dezember 2012 um 15:32
Jaja, da müsste schon ein Taktik-Forum her…