River Plate – Boca Juniors 2:2

Ein intensiver El Superclásico endete dramatisch. Im El Monumental gab es die 189. Auflage des größten Derbys Argentiniens, in welchem River Plate und Boca Juniors aufeinander trafen. River hatte vergangene Saison den Abstieg hinnehmen müssen, ist aber wieder zurückgekehrt und eine aufgepeitschte Menge auf den Tribünen erwartete einen Sieg gegen den formschwachen Erzrivalen. Beinahe hätte es gereicht.

Wechselwirkungen der jeweiligen Formationen

Die Gastgeber starteten in einem 4-4-2. Defensiv zogen sie sich kompakt zusammen und verschlossen die meisten Räume, was der Hauptgrund für die leichte Überlegenheit River Plates in der ersten Spielhälfte war. Auf den Flügeln hatten sie Sanchez und Aguirre, welche für Gefahr sorgen sollten, doch offensiv ging eher wenig über diese Positionen. Hauptsächlich waren es Standards von Ponzio, welche für Gefahr sorgten – unter anderem beim 1:0.

Ponzio erkannte einen Stellungsfehler des Torwarts und schoss aus weiter Entfernung ins kurze Eck; allerdings war es letztlich ein Torwartfehler, der mehr Anteil an diesem Tor hatte, als Ponzios präziser Schuss. Orion hätte den Ball wohl sogar mit der Brust stoppen können, doch stattdessen segelte er astrein am Ball vorbei und seine Mannschaft lag hinten. Auch in den folgenden neunzig Minuten zeigte er keine gute Leistung und hatte einige Unsicherheiten in der Strafraumkontrolle vor sich.

Grundformationen zu Spielbeginn

Nach diesem Rückstand entwickelte sich ein hastiges Spiel, mit enorm hoher Intensität in den Zweikämpfen und vielen langen Bällen. Auf beiden Seiten wurden nur selten Abstöße ruhig aufgebaut, es gab im Aufbau- und Umschaltspiel viele lange Bälle, ob flach oder hoch. Durch dieses überhastete Spiel und die harte Zweikampfführung (es gab drei Verletzte im Spiel, wenn auch nicht immer als direkte Folge eines Zweikampfes) entstanden zahlreiche Fehlpässe und die meisten Angriffe wurden schon im Keim erstickt.

Boca Juniors‘ Spielweise und River Plates Antwort

Boca spielte in einem interessanten 4-3-1-2/4-1-3-2-System. Die Halbspieler der Raute machten das Spiel breit und agierten betont offensiv, gleichzeitig sicherte Somoza für sie ab. Er organisierte außerdem die Angriffsbemühungen, spielte viele lange Bälle und ließ sich im Aufbauspiel zurückfallen. Es bildete sich dann aber keine Dreierlinie im Aufbau, sondern einer der Innenverteidiger ging tiefer und öffnete Räume sowie eine sichere Anspielstation nach hinten für Somoza.

Die besten Phasen hatte Boca, wenn der Gegner nicht schnell genug spielte und sie mit einem 4-3-3 pressen kennte, welches aus dem 4-3-1-2 entstand. Doch River suchte betont die langen Bälle auf Trezeguet und Mora. Trezeguet gab im Abwehrpressing die Tiefe für Befreiungsschläge, während sich Mora sehr viel bewegte. Letzterer suchte immer wieder die Lücken hinter den gegnerischen aufgerückten Außenverteidigern und war die wichtigste Position im Umschaltspiel.

Außerdem ließ sich Trezeguet fallen, wenn die Befreiungsschläge aus dem ersten Spielfelddrittel nicht kamen, sondern River Kombinationen im zweiten Drittel wagte. Trezeguet half dann als Prellbock für kurze Anspiele und stellte Überzahl in der Mitte her. Wirklichen Effekt hatte dies nicht, weil die Außenstürmer von River von Boca in Manndeckung genommen wurden.

Gleiches gab es auf der anderen Seite. Boca kam mit dem engen 4-4-2 von River Plate im Mittelfeld- und Abwehrpressing kaum klar, sie versuchten es mit langen Bällen in die Spitze sowie aufrückenden Außenverteidigern, aber River konterte mit einem aggressiven Mannfokus.

In Luftduellen schoben die Innenverteidiger heraus und bedrängten sowohl Silva als auch Vietri bei den hohen Bällen auf diese beiden. Dadurch konnten sie die Bälle nicht einfach prallen lassen und Boca tat sich beim kollektiven Aufrücken sehr schwer. Auch auf die Flügelstürmer gab es eine Manndeckung und auf die Außenverteidiger ebenfalls, wodurch eine hohe Fluidität bei River entstand – mit ebenso vielen Löchern, welche aber nicht genutzt werden können.

Somozas lange Bälle kamen zwar präzise, jedoch funktionierten sie nicht und Boca fand keine Antwort. Elviti auf der nominellen Zehn konnte mit den bulligen, aber sich teilweise falsch bewegenden kaum kombinieren, während die Flügelstürmer auf beiden Seiten großteils abgemeldet waren.

Schließlich fiel das zweite Tor für River Plate, was ein weiteren großen negativen Aspekt auf beiden Seiten zeigte: ein schwaches Verschieben und Rückwärtspressing.

Löcher, überall nur Löcher!

Die Aggressivität mit der starken Mannorientierung sorgte wie erwähnt für Löcher durch die entstehende Fluidität. Diese Probleme waren besonders wegen des schwachen Rückwärtspressings und der vielfachen falschen Antizipation einzelner Akteure verschlimmert. Die Offensivspieler zockten sehr oft, während die Abwehrspieler enorm spekulativ auf lose Bälle und auch die Gegenspieler im 1-gegen-1 los, was sie außerhalb der Position wiederfand.

Paradebeispiel war das 2:0. Boca verschiebt im Kollektiv sehr weit nach rechts, wodurch naturgemäß Räume auf der ballfernen Seite offen werden. So weit, so gut, immerhin sind wir in der Ära nach Sacchi. Doch als der Ball nach links geht, reagiert Mino, der neue Linksverteidiger nach dem Halbzeitwechsel von Acosta für Clemente, falsch. Er schiebt zu weit heraus, wird ausgespielt.

Das Verschieben der vorher noch ballnahen Spieler geht zu langsam und der bewegliche Mora bewegt sich auf der offenen Seite, während der ballführende Sanchez ihm problemlos einen schönen Lochpass spielen kann.

Kurz darauf fällt dann aber das 2:1. Nach einem weiten Ball in die Spitze wird der Boca-Stürmer unnötig umgerissen, Silva verwandelt den fälligen Elfmeter zum Anschlusstreffer. In der letzten Minute ist es abermals die Mannorientierung von River, welche Löcher öffnet – und der aufgerückte Erviti reagiert am schnellsten, läuft in den Ball und verwandelt. Hier zeigt sich das Problem von Manndeckungen: durchgehende Mannorientierungen öffnen Löcher und ein einziges Mal langsamer zu reagieren bedeutet im Normallfall schon einen fatalen Fehler.

Bocas Spielweise in der zweiten Hälfte

Grundformationen in der zweiten Spielhälfte

Nach dem Seitenwechsel wurde Boca etwas zwingender und war ebenbürtig, offensiv sogar etwas stärker, auch wenn beide Mannschaften zu Spielende nur jeweils vier Schüsse auf das Tor hatten. Dies entstand durch einen höheren Offensivfokus und eine interessante Asymmetrie. Acosta kam für Clemente und Mino rückte auf die Position des Linksverteidigers. Die Spielweise des Mittelfelds veränderte sich jedoch kaum.

Erviti spielte weiterhin seine Rolle als zentraloffensiver Akteur, auf rechts lief Acosta auf und Chavez erhielt eine Freirolle, wodurch es oft Überladungen auf rechts gab, auch durch den aufgerückten Albin. Mino musste also oftmals die gesamte Seite beackern, was für Löcher sorgte und später kam Außenstürmer Colazo als Linksverteidiger in das Spiel, was für mehr Offensive sorgte – doch Colazo spielte überraschend oft unnötige lange Bälle. Hinten veränderte sich die Spielweise, Burdisso agierte durchgehend absichernd und positionierte sich wie ein Libero.

Dies hatte er schon situativ wegen der gefährlichen Läufe von Mora und der Mannorientierungen der Mannschaft getan, doch in diesem Fall tat er es sehr oft und positionierte sich schon im Aufbauspiel etwas tiefer.

Fazit

In einem mittelmäßigen Spiel mit vielen Mannorientierungen sah es 89 Minuten nach einem Sieg für River Plate aus, doch in letzter Minute glich Boca Juniors aus. Es war zwar nicht verdient, doch nach dem Seitenwechsel steigerte sich Boca stetig und hat sich dieses Unentschieden erzwungen, wofür der Siegtreffer Symbol stand. Zu den Ausschreitungen, den Fans und auch einem Highlightsvideo sollte man diesen Link besuchen.

C. Seedorf 30. Oktober 2012 um 19:04

Schön, dass ihr mal den argentischen Superclásico analysiert habt. Teile des Artikels sind zwar etwas unorthodox („Somozas lange Bälle kamen zwar präzise, jedoch funktionierten sie nicht und Boca fand keine Antwort.“ Das hat fast schon philosophische Qualität), doch dass passt ja ganz gut zum südamerikanischen Fussball.

Ich lebe hier in Brasilien und habe lange Zeit insbesondere über die taktischen Mängel der hiesigen Série A gelästert (in Bezug auf Ausgeglichenheit und Tradition der Mannschaften ist sie dafür weltweit wohl unübertroffen), doch so langsam scheint auch hier eine Entwicklung zu europäischem Niveau in Gange zu kommen. Insbesondere Corinthians São Paulo hat beim Gewinn der Copa Libertadores im letzten Jahr mit nicht immer atraktivem doch taktisch sehr diszipliniertem Spiel (Kompaktheit, Verschieben und Pressing) ein kleines Ausrufezeichen gesetzt. Im Halbfinale kam es damals zu einem interessantem Duell gegen Santos (mit Superstar Neymar), bei dem letzlich die reifere taktische Leistung den Ausschlag gab. Vielleicht reizt Euch ja in Zukunft mal ein
Blick nach Brasilien (wenn der Superclásico erstmal verdaut ist)…

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RM 30. Oktober 2012 um 20:19

Ach, das ist nur ungenau ausgedrückt, sinngemäß müsste es passen – bei deinem Beispiel heißt das nur, dass Somozas Bälle gut gespielt waren, aber sie nicht hätten gespielt werden sollen, weil der Gegner die Anspielstationen nach der Ballannahme neutralisierte.

Brasilien tue ich mir an, wenn ich mal wach genug bleiben kann und ein interessantes Spiel finde!

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