FC Barcelona – Real Betis 4:2

Am Wochenende ging die verblüffende Serie des FC Barcelona zu Ende, der es geschafft hatte, die gesamte Hinrunde lang in der Liga ohne Gegentor im eigenen Stadion zu bleiben. Die Gäste vom Real aus Sevilla erreichten dies mit viel Aufwand und taktischer Finesse und kamen somit sogar nach einem 2:0-Rückstand noch ins Spiel zurück. Letztlich wurden sie aber dennoch nicht mit Punkten belohnt, da Pep Guardiola klug umstellte und sich Barcas überlegene Qualität durchsetzen konnte.

Die Startformationen der Teams.

Betis isoliert Puyol

Barcelona startete wieder im 3-3-4 und Guardiola ließ drei Tage vor dem Pokal-Classico die gesamte Feuerkraft im Mittelfeld auflaufen. Das klassische Dreieck Busquets-Xavi-Iniesta wurde durch Fabregas ergänzt, der etwas tiefer als Messi spielte. Der kürzlich erneut zum Weltfußballer gekürte Argentinier ließ sich in Hälfte eins etwas seltener fallen als gewohnt, sondern tendierte eher nach rechts außen zum jungen Cuenca, der diesen Flügel 45 Minuten lang beackerte. Sanchez kam vom linken Flügel oft in die Mitte und schuf damit Raum für Iniesta, der wie gewohnt eine Tendenz zum linken Flügel hatte.

Betis hielt zunächt mit einem enorm beweglichen 4-4-2 mit zwei Zerstörern auf den Sechserpositionen dagegen.  Die vier Offensivspieler waren in einer sehr wirkungsvollen Asymmetrie formiert. Die beiden Stürmer Molina und Castro spielten nicht klassisch halbrechts und -links, sondern waren zu Abidals Seite hin verschoben. Castro spielte eine seitlich hängende Spitze und bewegte sich sehr viel. Hinter ihm rückte der klassische Flügelstürmer Montero immer wieder nach, während auf dem anderen Flügel mit Salvador Sevilla ein passstarker zentraler Mittelfeldspieler aufgestellt war.

Auf diese Weise erreichte Betis, dass sie auf rechts numerische Vorteile hatten, und Puyol gleichzeitig umspielt wurde. Der Kapitän der Blaugrana musste den rechten Flügel für Sevillas Vorstöße abdecken, die aber nicht kamen, und war deshalb aus dem Abwehrverbund isoliert. Sevilla und Canas hatten dadurch auf halblinks im Mittelfeld Überzahl gegen Xavi, die Barcelona nicht immer kompensieren konnte.

Somit hatte Real Betis halblinks in der Zentrale und rechts im Sturm Vorteile. Folgerichtig fiel das erste Tor, als Sevilla aus dem linken Raum in die Mitte zog und den von rechts startenden Molina bediente, der Castro in der Mitte fand.

Im Allgemeinen kann man sagen, dass Betis am Ball eine gute Figur machte. Sie befreiten sich aus einigen schwierigen Gegenpressing-Situationen und umspielten Barcas Angriffspressing oft gekonnt. Das erste Tor war kein Zufall und kein plötzlicher Konter, sondern lag lange in der Luft. Am Ende der ersten Hälfte hatte Sevilla mehr Chancen auf dem Konto als Barcelona und das obwohl die Katalanen früh 2:0 führten, was wohl gegen die meisten Gegner das Spiel beruhigt hätte.

Variables Pressing auf Messers Schneide

Ein wenig kurios ist Barcas Bilanz der ersten Hälfte. Man traf mit der ersten Chance in Minute 10 und erhöhte direkt zwei Minuten später. Aber anschließend konnte man keinen gefährlichen Abschluss mehr verbuchen, lediglich einen ungefährlichen 30-Meter-Versuch von Iniesta. Das lag daran, dass Betis ein sehr riskantes Pressing spielte und im weiteren Verlauf der ersten Hälfte eine Reihe von höchst gefährlichen Situationen in letzter Sekunde entschärfen konnte.

Dabei attackierte man sehr früh und verschob in der asymmetrischen Formation ziemlich wild und improvisiert. Dadurch, dass das Feld ungleichmäßig abgedeckt war und Barca sich wie üblich sehr fluid im Aufbau präsentierte, ergaben sich immer wieder Räume für sie, die dann meist irgendein Betisspieler aggressiv anlief, ohne sich um eine zuverlässige Absicherung zu bemühen. Daher kamen die Gastgeber einige Male gut zum Strafraum durch und verloren auch kaum den Ball in gefährlichen Situationen.

Dennoch funktionierte das Pressing recht gut. Enorm wichtig dabei war, dass alle Sevilla-Spieler ein laufintensives Spiel betrieben. Insbesondere das Schließen der Passwege wurde sehr aufmerksam praktiziert, weshalb Barcelona in vielen Situationen die sich ergebenden Räume nicht gleich nutzen konnte. Wenn es ihnen doch gelang und der Ball kontrolliert im Mittelfeld ankam, dann rückten die 4 bis 6 aufgerückten Sevillaspieler sofort mit nach hinten und spielten ein intensives Rückwärtspressing. Auf diese Weise wurde Barcelona oft gezwungen Richtung Strafraum zu marschiern und konnte nicht die übliche Ballzirkulation zwischen Abwehr und Mittelfeld aufziehen, um sich dann die Situationen in die Spitze hinein aussuchen zu können. Sie mussten sofort durchspielen und man merkte ihnen an, dass das mittlerweile in relativ wenigen Spielen der Fall ist.

Beim Spiel in den Strafraum verschenkten die Katalanen nämlich einiges durch schlechte Abstimmung oder schlechte Staffelung. Teilweise liefen sie in einer Linie auf die Abwehrlinie zu, was die Passoptionen stark einschränkte und unnötig leicht zu verteidigen war. Dadurch fing Sevillas Viererkette einige Bälle trotz großer numerischer Schwierigkeiten ab und verhinderte eine halbe Stunde lang trotz Risikopressing jeden Torschuss.

Hier offenbarte sich für Barcelona zudem ein ungewöhnliches taktisches Problem: Das Fehlen eines klassischen Mittelstürmers, Rolle und Spieler betreffend. Dieses Fehlen ist eine von Barcas Stärken gegen tiefstehende Mannschaften, da die Position im Sturmzentrum von verschiedenen Richtungen aus im Sprint besetzt wird, anstatt sie dauerhaft zu halten, wodurch die Angriffsbemühungen viel schwerer vorherzusehen und zu verteidigen sind. Das funktioniert aber nur dann richtig gut, wenn die Xavis und Iniestas darauf warten können, dass sich eine Option in die Spitze bietet. Durch Betis‘ Rückwärtspressing wurde diese Möglichkeit aber genommen.

Zudem wurde das Duett Messi-Fabregas entschärft. In der Enge des Abwehrpressings sind die beiden in ihren versetzten Positionen nah beieinander und können gut miteinander wirken, aber in den großen Räumen des Betis-Angriffspressings waren die zwei weit voneinander entfernt, zumal Fabregas sich zur Unterstützung des schwierigen Aufbaus oft weit nach hinten orientierte. Resultat war, dass es kaum ein Zusammenspiel der beiden gab. Generell war Messi auf halbrechts meist weit entfernt vom Spielgeschehen und war vor der Halbzeitpause kaum zu sehen.

Interessant war, dass Betis diese riskante Linie nicht völlig konsequent spielte, sondern sich in einzelnen Angriffen auch zurückzog um etwas organisierter und geduldiger zu verteidigen. Diese Variabilität könnte zusammen mit der stark wechselnden Struktur des Angriffspressings wichtiger Faktor dabei gewesen sein, dass es Barcelona im Laufe der ersten Halbzeit nicht gelang, sich auf den Gegner einzustellen und die großen Räume besser zu nutzen.

Dass sie trotzdem führten, lag wohl auch an dieser Wechselhaftigkeit der Betis-Pressinglinie, denn beide Tore fielen in Situationen, in denen Betis etwas tiefer stand. Dabei zeigten sich dann Unaufmerksamkeiten und sie gingen aus der abwartenden Position zu kopflos in Zweikämpfe. Isidoro und Canas ließen sich dadurch vor den Toren aus ihren Positionen ziehen, was Barca die entscheidenden Räume brachte. Zudem wirkte die Innenverteidigung in beiden Situationen etwas unkonzentriert – beim Führungstor reklamierten sie fälschlicherweise Abseits und hinterließen dadurch Xavi den vom Pfosten geprallten Ball für den Treffer im Nachschuss. Beide Tore demonstrierten, wie wenig man falsch machen muss, damit man von der Blaugrana ein Tor eingeschenkt bekommt.

Die Formationen nach der Halbzeitpause.

Guardiola stellt klug um

Der amtierende FIFA Trainer des Jahres zog theoretisch die richtigen Schlüsse aus der zwar erfolgreichen, aber kaum überlegen geführten ersten Hälfte. Er brachte Dani Alves für den völlig unsichtbaren Cuenca und stellte auf ein eigenwilliges System um, das wie eine Mischung aus dem bekannten 4-3-3 und dem 3-1-4-2 aus dem letzten Classico wirkte. Sanchez spielte anfangs die Classico-Rolle und bewegte sich unablässig horizontal in der Spitze, während Iniesta viel mit Fabregas rochierte und kombinierte wie gegen Real Madrid. Im Laufe der Halbzeit wurden beide aber immer stärker zu Flügelspielern im 4-3-3. Busquets ließ sich manchmal zurückfallen und bildete die Viererkette mit Puyol rechts, aber auch das nahm im Laufe der Halbzeit mit zunehmender Spieldominanz ab. Messi agierte meistens etwas hängend, als Zehner statt als falsche Neun.

Pepe Mel hatte wohl erwartet, dass sein Gegenüber auf den Kniff der Asymmetrie reagieren würde, und brachte einen weiteren Stürmer für den gelbverwarnten Sechser Iriney, um Castro nach links und Sevilla ins Mitte zu ziehen und so ein deutlich orthodoxeres 4-4-2 aufzureihen. Diese Entscheidung ging zunächst voll auf, als der eingewechselte Ex-Bayer Roque Santa Cruz sich großartig nach einem Einwurf gegen Xavi und Puyol durchsetzte, auf Castro verlagerte und, nachdem er den Ball im Rückraum der zurückgeeilten Barca-Defensive wiedererhalten hatte, wunderbar aus 16 Metern einnetzte.

Der Ausgleich tat Betis aber nicht gut. Das offensive Pressing wurde eingestellt, womöglich auch aus Kraftgründen. Dadurch konnte Barcelona die Kontrolle übernehmen. Alves zog Castro ständig nach hinten und zwang Sevilla in eine Fünferkette gegen zwei bis drei Gegenspieler, wodurch Barcelona auf dem restlichen Feld bequem die Überzahl ausspielen konnte und das übliche Spiel aufzog. Betis konnte sich fortan kaum noch aus dem katalanischen Gegenpressing befreien. Durch die tiefstehende Defensive zeigt Barcelona das gewohnt starke Direktspiel auf engstem Raum und kam nun regelmäßig zu Gelegenheiten.

Das Hauptmuster des Spiels war nun, dass Barca über links-halblinks kombinierte und dann auf die rechts außen lauernden Sanchez und Alves verlagerte. Auch Messi kam in zentralerer Position nun langsam ins Spiel. Und bei Lionel Messi reicht es eben, wenn er „langsam ins Spiel kommt“, um ein Spiel zu entscheiden. Ein Dribbling von ihm konnte Mario nur per Foul stoppen und sah dafür Gelb-Rot.

Spätestens diese rote Karte entschied das Spiel. Kurz darauf erzielte Sanchez mit einer tollen Aktion gegen Außenverteidiger Nacho das 3:2. Die beschriebene links-rechts-Spielverlagerung auf Alves brachte dann noch einen Handelfmeter, der den Heimsieg für Barcelona endgültig besiegelte.

Fazit

Riskantes Spiel kann sich gegen Barcelona lohnen: Als erstes spanisches Team traf Real Betis diese Saison im Camp Nou und das gleich zwei Mal. Mourinho wird dies interessiert verfolgt haben.

Spannend war Guardiolas Umstellung zur zweiten Hälfte, die Kontrolle und defensive Stabilität bringen sollte und letztlich auch brachte. Das Gegentor kann nur bedingt als taktisches Resultat betrachtet werden. Interessant wäre gewesen, wie Barcelona gegen einen weiterhin aggressiv pressenden Gegner ausgesehen hätte. Es scheint jedenfalls so, dass dies Guardiolas neues Standard-Ausweichsystem werden könnte, um defensive Stabilität und Konterstärke gegen hochstehende Gegner zu erzeugen – eine Art 4-4-1-1, das situativ auch 4-3-3 oder 3-1-4-2 werden kann.

Letztlich wird es Real Betis am meisten ärgern, dass man so leicht und so früh in Rückstand geriet. Mit etwas mehr Strafraumglück und Konzentriertheit in diesen beiden Situationen auf Seiten der Gäste hätte das Spiel noch um einiges heikler werden können für den FC Barcelona.

Tank 19. Januar 2012 um 23:25

„Der Ausgleich tat Betis aber nicht gut.“ Jo, das kann man so sagen. Ich bin mir allerdings unsicher, ob der deutliche Bruch im Spiel von Betis nach dem Ausgleichstreffer wirklich auf die ausgehende Puste und damit auf das Zusammenbrechen des Pressings reduzierbar ist. So schlecht der laola1.tv Moderator auch war, so hat er Barcas Spiel nach dem 2:2 doch sehr treffend als eine Aufeinanderfolge von „wütenden Angriffen“ beschrieben. Mein Eindruck war, dass diese wütenden Angriffe mehr ein Ergebnis von Barcas erwachtem Ehrgeiz als von Betis‘ nachlassender Kraft war. Durch den Ausgleich haben Xavi und Co. schlicht von 85 auf 110% geschaltet und das konnte Betis dann nicht mehr abwehren. Ein Punkt, der vielleicht für diese Interpretation spricht, ist dass sich das Spiel sofort nach dem 2:2 und ohne vorangehende Anzeichen dafür verändert hat. Wenn Betis schlicht und einfach die Puste ausgegangen wäre, dann wäre die Veränderung im Spiel wohl eher langsamer erfolgt.

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MR 20. Januar 2012 um 15:27

Ich zitier einfach mal, was ich beim Madridspiel gerade dazu geschrieben hab:

Der griffigste Faktor gegen Betis, war, dass deren Offensivpressing eindeutig eingestellt wurde. Das hab ich mir genau angesehen und Betis ist nach dem Ausgleich schlichtweg nicht mehr vorne draufgegangen. Daher hab ich das im Artikel benutzt und Barcas Aufdrehen da nur angedeutet.

Ich fand da allerdings durchaus, dass Barca auch zugelegt hatte. Das zeichnete sich meines Erachtens tatsächlich schon vor Betis’ Ausgleich ab – die Ausweichformation war griffiger, dadurch, dass Fabregas und Iniesta flexibler agieren konnten, dass Alves eine Anspielstation hinten bot und die Abwehr sich daher beweglicher gestaltete und auch durch Messis etwas zentralere Rolle.

Gebe dir also teilweise Recht.

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sera1 19. Januar 2012 um 22:37

Wieder mal sehr gute Analyse. Sanchez befindet sich momentan in Top-Verfassung und kompensiert Villas Ausfall somit 100%ig

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