West Bromwich Albion – Manchester City 0:0
Der Tabellenführer der englischen Liga trat am Montag bei West Bromwich Albion an, die die traditionell enge zweite Tabellenhälfte momentan anführen. Mancinis Manchester City musste dabei einen der bisher seltenen Punktverluste hinnehmen. Dem Underdog reichte dabei lange Zeit eine mittelmäßige Leistung um Citys millionenschwere Offensive weitestgehend in Schach zu halten.
Die Formationen
Manchester trat im gewohnten 4-2-2-2 an, mit der variablen Doppelzehn Silva-Nasri, die immer wieder die Seiten tauschten. Dabei spielte der links agierende von beiden eher zentral, während sich der rechte meist nah der Seitenlinie aufhielt, wobei sich insbesondere Silva von links kommend extrem weit durch die gegnerische Hälfte bewegte und auch immer wieder Bälle in tieferer Position abholte. Dafür bewegte sich Agüero als linker Mittelstürmer oft nach links außen, während Nebenmann Balotelli in zentraler Position blieb. Die Doppelsechs bestand aus dem absichernd agierenden Yaya Touré und James Milner, der gewohnt laufstark mit vielen Vorstößen offensive Löcher anlief und so als eine Art Gegenpol zu Silvas Bewegungen die Balance wahrte. Daher tendierte Citys fluides 4-2-2-2 zu einer 4-3-3-artigen Grundordnung.
In diesem System ließen sie den Ball zirkulieren und suchten Lücken in Roy Hodgsons 4-4-2, in dem sich West Brom vorallem auf Abwehrpressing konzentrierte. Punktuell attackierte man etwas höher, aber die Hauptaufgabe der beiden eng beieinander formierten Viererketten war klar das Vernageln des eigenen Sechzehners. Die beiden Stürmer Long und Odemwingie hatten im Defensivspiel mehr Freiheiten, nahmen sich gelegentliche Auszeiten, attackierten situativ weiter vorne und rückten oft erst im Laufe der gegnerischen Angriffe enger vor den Defensivverbund zurück. Von daher investierte West Brom nicht das Maximale in die kollektive Verteidigung, zudem auch die Viererketten nicht besonders kompakt standen – vertikal zwar sehr eng, betrieb man recht wenig Aufwand beim Verschieben zum Ball. Man stand also ziemlich breit, was zwar gegnerischen Flankenwechseln die Gefahr nahm, aber dafür Raum zwischen den Spielern hinterließ.
Offensiv war bei West Brom vorallem in der Anfangsphase die Rechtslastigkeit auffällig. Die Konter liefen vornehmlich über den schnellen Thomas auf dem rechten Flügel, während Brunt von links aggressiv die Spitze suchte. Der technisch versierte Odemwingie ließ sich aus rechter Mittelstürmerposition fallen um zwischen den Linien die Verbindung herzustellen. So kamen die Gastgeber auch gleich in der dritten Minute zu ihrer besten Chance der ersten Hälfte, als Brunt und Odemwingie den auf links eroberten Ball durch die Mitte nach rechts kombinierten, Thomas ihn weitertrieb und auf den in die Spitze gestarteten Brunt zurückspielte, dessen freier Abschluss aus 16 Metern knapp vorbei ging. Fernab der Konter hatten die Gastgeber aber recht wenig Spielerisches zu bieten und versuchten es fast ausschließlich mit langen Bällen, die City gut unter Kontrolle hatte.
Verlauf der ersten Halbzeit
Wegen der gegnerischen Passivität hatte City in der ersten Halbzeit nun kaum Schwierigkeiten mit der Spielkontrolle. Anfangs noch mit ein paar schlecht abgesicherten Ballverlusten, spielten sie zunehmend souverän gegen die geringe Gegenwehr der Gastgeber bis zum Rand des letzten Drittels. West Brom konnte sich immer seltener spielerisch befreien und wurde immer weiter nach hinten gedrängt.
In den Strafraum hinein ging aber lange fast nichts. In den ersten 25 Minuten begnügten sich die Citizens mit ihrem Ballbesitz und zeigten keinen Zug zum Tor. Es fehlte an konsequenten Vorstößen und an riskanten Pässen. Die Individualkünstler versuchten auch kaum sich mit Dribblings Vorteile zu verschaffen, insbesondere Samir Nasri agierte auffällig unauffällig und entschied sich in vielen aussichtsreichen Situationen für ertragslose Sicherheitspässe. Auf diese Weise verpasste es City lange, die horizontalen Räume im gegnerischen Defensivverbund für sich zu nutzen.
Passenderweise entstand die erste gute Chance für City dann aus einer Ballrückeroberung im Gegenpressing und nicht aus dem offenen Aufbauspiel heraus. Thomas spielte in der 24. Minute einen gewonnen Ball mit der ersten Berührung in die Füße von Vincent Kompany. Wohl mehr aus Not denn aus Offensivdrang steckte der Verteidiger den Pass durch das aggressiv herausrückende Mittelfeld von West Brom, das nicht schnell genug zurückschaltete, wodurch Silva viel Platz bekam um Agüeros Ablage zu empfangen. Zwar verzog er den Abschluss, aber die Torchance schien eine Initialzündung für seine Mitspieler.
In den folgenden Minuten machten die Gäste viel mehr Druck und demonstrierten, dass sie eigentlich absolut in der Lage waren West Broms breite Viererketten zu durchbrechen. Sie bewegten sich dynamischer, gingen in die Spitze, kombinierten schneller, dribbelten. Nach nur wenigen Minuten erzielte Balotelli auch gleich einen Abseitstreffer, der zwar nur durch einen üblen Torwartpatzer möglich wurde, den aber wohl viele Schiedsrichter anerkannt hätte, da es sich um eine recht knifflige passive Abseitsstellung von Agüero handelte. Das 0:1 lag jedenfalls in der Luft, schien nur eine Frage der Zeit, da die Ordnung von West Broms Defensive jetzt ständig durcheinander gewirbelt wurde. Von den 15 Tackles, die West Brom zur Halbzeit in der Statistik stehen hatte, war nur ein einziges nach der 24. Minute.
Umstellungen in der zweiten Halbzeit
Die Gastgeber konnten sich glücklich schätzen, dass sie der Halbzeitpfiff noch vor dem Gegentreffer ereilte und in die Kabine zu ihrem Trainer schickte. Nach der Pause zeigten sich beide Teams verändert, wobei Hodgson eindeutig die besseren Schlüsse aus der ersten Hälfte zog als sein Gegenüber. Das Spiel war nun ausgeglichen, zwischen der 45. und 75. Minute war das Schussverhältnis 4:5, darunter ein höchst gefährlicher Pfostenschuss von Thomas. Nach 20 Minuten hatte West Brom schon so viele Pässe gespielt, Tackles unternommen und drei Mal so viele Pässe abgefangen wie in der gesamten ersten Hälfte.
Grund dafür war zum einen, dass West Brom nun viel höheres und aufwändigeres Pressing spielte. Man attackierte schon Citys Innenverteidiger und tat das anders als in Hälfte eins auch kollektiv. Das Mittelfeld rückte weit auf, beteiligte sich am Offensivpressing, City war oft zum langen Ball gezwungen. Neben der Zerstörung von Citys Aufbauspiel hatte das noch einen zweiten positiven Effekt. West Brom hatte bei eigenen Ballgewinnen mehr Tiefe in der Formation, wodurch man viel gefährlicher angreifen konnte. Nicht nur, dass man den zusätzlichen Raum spielerisch nutzen konnte, es war auch sehr hilfreich, dass die zentralen Mittelfeldspieler näher an den Stürmern waren. Einige hohe Bälle zwischen diese beiden Reihen bekam Citys Doppelsechs deswegen nicht kontrolliert und West Brom konnte mit dem zweiten Ball arbeiten, was in Hälfte eins nie möglich war.
Der zweite Grund war, dass Mancini auf ein 4-2-3-1, das Grundsystem der vergangenen Saison, umgestellt hatte, in dem Balotelli auf den linken Flügel rückte und Silva nun ein klarer Zehner war. Der Plan schien zu sein den linken Flügel zu überladen, wo Clichy jetzt dynamischer aus der Tiefe kam, Balotelli sich sehr offensiv orientierte und Silva unterstützend stark nach außen wich. Abgesehen von einem Distanzschuss von Balotelli aus dem Nichts, ging dieser Plan nicht auf. West Brom wurde die Defensivarbeit viel einfacher gemacht, da sich die beiden Viererketten viel stärker verschieben konnten und nun horizontal enger gestaffelt standen. Durch die klarere Besetzung der Räume (statt mehreren Spielern bewegte sich im wesentlichen nur noch Silva verstärkt in Zwischenräumen) waren auch die Zuordnungen für Hodgsons Defensivverbund klarer, was das offensive Pressing vereinfachte.
Citys Trainer kann für diese Umstellung durchaus kritisiert werden, da dadurch die eigentlich guten Abläufe der ersten Hälfte durcheinandergeworfen wurden und man an Dominanz einbüßte. Kleine Justierungen oder eine gezielte Auswechslung um die Angriffsbemühungen zu mehr Dynamik anzutreiben (oder einfach den Druck von vor der Pause aufrechtzuerhalten), wären wohl eine bessere Lösung gewesen.
Fragwürdig ist zudem, weshalb nicht der wendige Nasri in die Enge des linken Flügels geschickt wurde. Der stieß stattdessen von der meist ballfernen Seite Richtung Strafraum und war zur Wirkungslosigkeit verdammt. Seine Auswechslung in der 59. Minute wird die meisten Zuschauer daher wohl nicht überrascht haben, aber dass für ihn mit Barry ein deutlich defensiver orientierter Spieler kam, wirkte seltsam. Eine nachvollziehbare Entscheidung war dieser Wechsel zwar dahingehend, dass Barry ein sehr ruhiges, sicheres Passspiel besitzt, was City in dieser undominanten Phase hätte helfen können, aber Mancinis Versuch zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen ging nicht auf. Mit Yaya Touré auf der Zehnerposition (Silva ging für Nasri auf rechts) büßte City insgesamt etwas spielerische Qualität ein, zumal Barry nicht für die erhoffte Ordnung sorgen konnte (3 Fehlpässe bei 9 Versuchen in den ersten Minuten). So gewann City vorerst kein Stück Dominanz dazu und West Bromwich blieb auf Augenhöhe.
Besser funktionierte Mancinis dritte Umstellung in der 75. Minute als er Flügelspieler Adam Johnson für Agüero brachte. Balotelli ging zurück in den Sturm, Silva wechselte auf links und Johnson hielt den rechten Flügel. Jetzt spielte City eher in einem 4-2-1-3, machte das Spiel noch breiter und war etwas besser balanciert, aber vorallem schaltete West Brom wieder einen Gang herunter. Offenbar reichten die Kräfte nicht mehr für eine Fortsetzung des aggressiven Pressings und man fiel in das Schema der ersten Halbzeit zurück. Nach vorne ging in der Schlussviertelstunde nichts mehr für die Hausherren.
Dafür offenbarte sich spätestens jetzt das Problem des Nasri-Barry-Wechsels, denn City fehlte nun etwas technische Klasse um den Abwehrriegel spielerisch zu knacken. Stattdessen fokussierte man sich nun beinahe vollständig auf Flanken um per Brechstange im Luftkampf das entscheidende Tor zu erzielen, was durch Dzekos Einwechselung für Milner noch unterstützt wurde. Diese Variante hatte West Bromwich aber im Griff. Von den 8 Flanken in den letzten 15 Minuten kam keine einzige an.
Fazit
Ein nicht besonders gutes, aber taktisch interessantes Spiel brachte einen durchaus verdienten Punkt für den Außenseiter. West Bromwich profitierte zuerst von der gegnerischen Lethargie, dann vom Glück, vom Halbzeitpfiff und letztlich vom eigenen Einsatz. Roy Hodgson wählte einen guten Zeitpunkt um seine Mannschaft in ihre anstrengendste und beste Phase zu schicken.
City litt an den Problemen, die man bei einem zusammengekauften Starensemble klassischerweise erwartet. Zu Beginn wirkten sie etwas selbstgefällig und „verschwendeten“ ein Viertel der Spielzeit mit drucklosem Ballgeschiebe, später fehlte der Kampfgeist um gegen den aufdrehenden Gegner die Dominanz zu wahren. Dass das höhere, theoretisch riskantere Attackieren von West Brom sich kaum in gefährlichen Szenen für City niederschlug, lag ebenso wie die zunehmende gegnerische Offensivkraft auch daran, dass West Brom in der halben Stunde nach dem Wiederanpfiff einfach mehr Meter machte als die Stars vom oberen Tabellenende. Die Spieler in Weiß-Schwarz rückten nach langen Bällen in beide Richtungen viel schneller nach, was ein sehr wichtiger Faktor war.
Roberto Mancini hatte kein glückliches Händchen an diesem Tag. Allerdings sah man am Ende der ersten Hälfte, wie gut sein fluides Grundsystem funktionieren kann, wenn seine Mannschaft den richtigen Antrieb hat. Im Meisterschaftskampf könnte es die entscheidenden Punkte ausmachen, wie oft er seine Mannschaft dazu bringen kann, ihre großen individuellen Fähigkeiten mit dieser Zielstrebigkeit zu kombinieren.
4 Kommentare Alle anzeigen
Pseu 2. Januar 2012 um 15:05
…da war der Artikel (bzw. die Überschrift) wohl schon vor Abpfiff fertig 😉
TR 2. Januar 2012 um 16:01
Dann stünde da ja „Sunderland“ 😉
Pseu 2. Januar 2012 um 17:15
..hm, da war der Kommentar dann wohl vor dem „zu-ende-denken“ fertig 😉
grombrindal 31. Dezember 2011 um 03:53
Guter Artikel! Auch ohne das Spiel gesehen zu haben, bekommt man nen guten Einblick in die taktischen Umstellungen während dem Spiel.
Sehr gut strukturiert und viele wichtige Punkte erklärt, sodass man nen Eindruck vom Spielablauf bekommt. Auf Heatmaps wurde wohl bewusst verzichtet wegen der häufigen Positionswechsel vor allem bei City (sonst hätte man dort evtl. die Bewegungen Silvas, Nasris und Agueros nochmal gut sehen können).
Sonst fällt mir nichts mehr ein, was mir fehlt oder eher – da ich das Spiel ja nicht gesehen habe – über was ich gerne noch mehr wissen würde.
Noch ne kleine Anmerkung: Paar Spitzen gegen das „Team an der Spitze“ sind mir da aufgefallen – war jetz nich auffällig, aber weiß nich, wie die anderen User das hier sehen 🙂
Alles in Allem sehr guter erster Artikel hier auf SV, Herr MR!