Eine Weihnachtsgeschichte: Fritz Walter, die Todeself und der zweite Weltkrieg

Es gibt nicht nur schöne oder liebenswerte Anekdoten aus dem Fußball zu erzählen. Manche erzählen von tapferen Helden, welche zu Märtyrern werden. Andere wiederum schildern, welche unfairen Vorteile Fußballer besitzen, ohne je dafür in der Bevölkerung kritisch beäugt zu werden. Es ist ein Privileg, Fußballer zu sein – deshalb darf man die Vorteile genießen, aber Konsequenzen nicht aus dem Weg zu gehen. Zwei kurze Geschichten, welche diese Ansicht verkörpern, werden nun stark vereinfacht wiedergegeben.

Sie stammen beide aus dem gleichen Zeitalter, nämlich den düsteren Tagen des zweiten Weltkriegs. Damals waren die Fußballligen noch jung, doch die Begeisterung für den neuen Volkssport keineswegs gering. Die deutsche Armee bildete sogar zahlreiche verschiedene Mannschaften aus ihren jeweiligen Einheiten, welche teilweise Legendenstatus erhielten.

es gab sogar Tickets für das "Todesspiel"

Wir beginnen mit den tragischen Helden, welche gegen eines dieser Teams antreten „durften“. In diesen längst vergangenen Zeiten waren nicht nur Militärmannschaften üblich, sondern auch der Amateurstatus als Fußballer. Man ging zu einem Verein, erhielt maximal ein kleines Taschengeld, aber als Gegenleistung für die fußballerischen Fähigkeiten besorgte der Verein seinen Spielern einen Job in ihren Fabriken oder bei Sponsoren. Zumeist arbeitete dann das gesamte Team im gleichen Unternehmen und man konnte somit Trainings sowie Spiele leichter organisieren oder auch den Spielern für Trainingslager gemeinsam frei geben.

Ein solches Unternehmen war eine Brotfabrik in Kiew, welche im September 1941 in deutsche Hände fiel. Die Besatzer forderten die Betriebsmannschaft zur eigenen Unterhaltung auf, gegen sie anzutreten. Russische Medien berichteten, man wollte die Ukrainer demütigen, doch diese Ansicht sei hier dahingestellt. Der „FC Start“ besiegte seine Gegner mit einem 5:1 deutlich und trat in weiterer Folge gegen eine verbesserte „Flakelf“ an.  Die Mannschaft der deutschen Besatzer setzte sich aus den talentiertesten Fußballern der Luftstreitkräfte an, doch sie schienen dennoch vor dem Duell Angst zu haben. Kein Wunder, hatten sie erst vor kurzem erfahren, dass beim FC Start acht der besten Spieler Ukraines, Stars von Dynamo Kyiv und Lokomotive Kyiv, spielten – unter anderem agierte dort Ivan Kuzmenko, welcher mit einem dreimal so schweren Fußball seine unglaubliche Schusskraft geschult hatte; er sollte im entscheidenden Spiel ein Tor aus 40 Metern Distanz erzielen. Vor dem Spiel marschierte der angebliche Schiedsrichter, ein SS-Mann, in die Kabine des Gegners. Ob im Auftrag des Gegners oder in Eigenverantwortung ist unklar, aber seine Ankündigung war unmissverständlich: „Wenn ihr gewinnt, dann werdet ihr sterben.“ So will es die Geschichte, ob dies wirklich so stattfand, dürfte man angesichts der verspäteten Todesdaten der später gestorbenen Spieler stark bezweifeln, ebenso ist unklar, wer wirklich diesen Satz gesagt haben soll.

Aber die ukrainischen Stars brachen nicht. Angeführt von Korotkykh besiegten sie den Gegner überzeugend mit 5:3. In einer brutalen Partie, welche der Schiedsrichter wenig überraschend kaum einschränkte, demütigten die stolzen Fußballprofis ihre Widersacher. Der Verteidiger(!) Korotkykh ließ es sich nicht nehmen, mehrere Gegner inklusive Torhüter zu umkurven und dann den Ball von der gegnerischen Torlinie wieder zurück zu seinem Mannschaftskameraden zu passen. Selbst weitere Drohungen in der Halbzeit konnten der Mannschaft keine Angst einjagen, ebensowenig die bewusst gewählten gegnerischen Spieler, die großgewachsen, blond, blauäugig und dennoch unterlegen waren.

die Mannschaft des FC Start, welche bereits einige deutsche Militärmannschaften bezwungen hatte

Der Großteil des FC Start kam nach dem eindrucksvollen Sieg in ein Konzentrationslager. Drei davon starben dort nachweislich, der mächtige Kuzmenko, das Kindsgesicht Klimenko und Torhüter Trusevich sogar in seinem Torwarttrikot. Goncharenko und Sviridovsky konnten entkommen. Laut russischen Medien starben übrigens alle kurz nach dem Spiel, was nicht der Wahrheit entspricht. Lediglich Korotkykh wurde wenige Zeit nach dem Spiel tot in seiner Zelle gefunden, wobei bei ihm bewiesen sein dürfte, dass er ein ehemaliger sowjetischer Geheimagent war. Diese Geschichte erhielt medial einige Aufmerksamkeit, wurde sogar von Hollywood (in einer französischen Version der Geschichte mit Pelé als Mittelstürmer) verfilmt und der Heldenstatus erstreckt sich über die Grenzen der Ukraine. In Kiew stehen sogar vor dem Stadion Statuen der gefallenen Spieler. Ihr Mut ist bis heute eine öffentliche Inspiration für die Ukraine.

Eine Mannschaft, welche die Prinzipien des Spiels und ihre eigenen Fähigkeiten über das eigene Leben stellte, besiegte mit ihrem überlegenen Fußball eine brutale und unfaire Mannschaft. Allen Widrigkeiten zum Trotz konnte man mit einer couragierten Leistung den Geist dieses Sportes wahren. Es kostete zwar manche Spieler ihr Leben, doch ihre Statuen vor dem Stadion, ihr Gedankengut und ihre Einstellung zum Fußball werden für die Ewigkeit eine Inspiration sein. Abermals zitiere ich Bill Shankly: „Some people think football is a matter of life and death. I don’t like that attitude. I can assure them it is much more serious than that.“

Ein deutlich glücklicheres Ende hatte allerdings die Geschichte um eine der deutschen Fußball-Koryphäen des 20. Jahrhunderts. Fritz Walter, Sepp Herbergers Musterschüler, genoss lange Zeit große Privilegien beim Krieg, denn er war einer der „würdigen Spieler“, wo NSDAP-Mitglied Herberger seine Beziehungen geltend machte. Erst 1940 wurde er einberufen, musste dann als Infanterist nach Frankreich, wo er unter anderem für die TSG Diedenhofen und die TSG Saargemünd auflief. Deutlich öfter spielte er für die „roten Jäger“, Gründer und Torwart war Luftwaffenoffizier Hermann Graf. Trainer war übrigens einige Zeit lang sogar Sepp Herberger selbst, die Mannschaft setzte sich aus zahlreichen damaligen Starspielern Deutschlands zusammen. 26 Spiele bestritt man zwischen August 1943 und November 1944, 21 Siege, vier Niederlagen (u.a. gegen die ungarische Nationalmannschaft) und ein Unentschieden gegen den FC Bayern München waren das Resultat. Das Torverhältnis war mit 142:50 natürlich vom Freundschaftsspielcharakter der Spiele geprägt, aber dennoch beeindruckend.

bei den roten Jägern agierte Walter vornehmlich als Stürmer, später war er im halblinken Mittelfeld als Läufer ein Vorläufer des klassischen Spielmachers

Fritz Walter machte eine Odyssee durch Europa, auf Elba fing er sich Malaria ein, doch Fußball blieb seine Leidenschaft. Es war übrigens diese Malariakrankheit, welche für das „Fritz-Walter-Wetter“ sorgte, denn bei Regen fühlte er sich auch nach Verlassen der ansteckenden Gebiete noch am wohlsten. Die Mythen aufgrund der besseren Fußballschuhe oder Walters überlegener Technik klingen zwar schön, doch die faszinierendste aller Theorien ist die richtige: Fritz Walters Regen war nur ein Placebo, ein sicheres Gefühl für den höchst abergläubischen und unsicheren Kapitän. Noch faszinierender ist allerdings, wie es überhaupt zum Wunder von Bern kam.

1945 geriet der spätere Weltmeister Fritz Walter in russische Gefangenschaft. In Máramarossziget, einer rumänischen Stadt, war er kurz vor der Überstellung in Kriegsgefangenschaft nach Sibirien. Bei einem Spiel gegen die Wärter spielte Fritz Walter ebenso wie die „Todeself“ um sein Leben – doch er gewann. Slowakische und – jetzt kommt’s – ungarische Wachsoldaten erkannten ihn und sagten es ihrem Major Schukow. Selbst ein großer Fußballfan, bewahrte er Fritz und seinen Bruder Ludwig vor der Deportation. Sie waren frei und kamen noch vor dem Jahr 1946 in ihre Heimat zurück. Acht Jahre später sollte Fritz Walter dem ungarischen Wachsoldaten wohl noch einmal beweisen, wie gut er wirklich war …

Bernhard 12. März 2013 um 17:36

Find ich grandios, dass du Fußabll interdisziplinär interpretierst. Einer der wenigen fußball-historischen Artikel der auf gutem Niveau geschrieben und im Internet aufzufinden ist. Hut ab.

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RM 12. März 2013 um 18:48

Danke, das macht mich ja ganz verlegen. Ich habe generell eine schwache Seite für Anekdoten und Fußballhistorie (sh. Fantasydraft), außerdem bin ich eigentlich auch abseits der Taktik fußballfanatisch (also Trainingsmethodik, Psychologie, Philosophie, sogar Physiotherapie und Medizin finde ich interessant). =)

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Bernhard 13. März 2013 um 10:39

Eher wem Ehre gebührt! 😉
Ich finds einfach toll, wenngleich ihr hierzu leider noch ein bisserl zu wenig habt, die historischen Aspekte dieses Sports auch miteinzubeziehen. Es gibt ja auch Literatur dazu die man jedem Fußballfan ans Herz legen sollte (Bsp da wir beide Bayernfans sind: Der FC Bayern und seine Juden).

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Max 6. Januar 2012 um 06:51

Aus diesem Spiel erklärt sich, warum Deutschland meist gute Torhüter hat. In der Wahrnehmung der Zuhörer hat sich durch den Spielverlauf und den Kommentar Zimmermanns (Toni, du bist Gold wert; Toni du bist ein Fußballgott) Toni Turek als wichtiger Faktor für den Sieg eingeprägt. Und dann finden sich auch junge Fußballer, die dem nacheifern wollen. Und dadurch entstand eine Reihe von Torwart-Idolen, die immer wieder in jungen Fußballern den Wunsch weckt, zwischen den Pfosten zu stehen: Turek, Maier, Schumacher, Kahn, Neuer…. (und dazwischen sind noch einige ausgelassen, die ohne Frage auch großes Niveau besaßen…)

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grmpf 5. Januar 2012 um 11:14

„verspäteten Todesdaten der später gestorbenen Spieler“

ist eine äußerst ungünstige formulierung

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