FC Barcelona – Racing Santander 3:0
Racing hatte bereits Real große Probleme bereitet, nun wollte man im Camp Nou den Meister aus Barcelona ärgern. Die Katalanen hatten allerdings einiges dagegen und mit einer sehr offensiven Aufstellung und der Rückkehr zum 4-3-3 ließ man sich auf keine Kompromisse ein. Insbesondere die Leistung Lionel Messis sorgte dafür, dass man abermals eine Gala des amtierenden Champions-League-Siegers erleben konnte.
Wechselwirkung der jeweiligen Formationen
Die Gäste aus Santander versuchten mit Munitis und Kone die offensive Orientierung des rechten Außenverteidigers Barcelonas, Dani Alves, auszunutzen. Im 4-5-1 orientierte sich der einzige Stürmer, Kone, sehr stark nach links und Munitis‘ hohe schematische Position hätten dafür sorgen sollen, dass man entweder die Löcher hinter Alves ausnutzt oder ihn zumindest in seinen Offensivvorstößen eingrenzt, aber beides gelang nicht. Francis und Fernandez auf den beiden Außenverteidiger-Positionen rückten zwar auf, doch da Pedro und Villa relativ zentral und eng agierten, hatten sie selten einen direkten Gegenspieler und wenn sie einrückten, ließen sie die Außen verwaisen. Rückten sie nicht ein, hatten die beiden Innenverteidiger immer eine Unterzahlsituation, wenn Messi, der nominell eher rechts spielte, ins Zentrum kam. Diop und Tziolis bildeten die Doppelsechs vor der Viererkette Santanders, doch sie bekamen keinen Zugriff, weder auf den Ball noch auf ihre Gegenspieler und Samperio auf rechts sowie Gonzalez im Zentrum waren vom Aufbauspiel isoliert, hatten nie Raum und spielten hinter Munitis und Koné ohnehin nur die zweite Geige.
Barcelona hingegen war taktisch wie so oft perfekt eingestellt und auf den Gegner passend ausgerichtet. Interessant war es, dass man aufgrund des gegnerischen Systems vom 3-4-3/3-3-4 abrückte, welches bislang das am öftesten benutzte System war und wieder zum letztjährigen 4-3-3 zurückkehrte. Allerdings konnte man erkennen, dass es einen fundamentalen Unterschied gab: mit Maxwell und Alves auf den Außenverteidiger-Positionen sowie Thiago auf der Sechser-Position statt Busquets war man extrem offensiv ausgerichtet und agierte teilweise mit einer Zweierkette, da sich Thiago nicht zwischen die Innenverteidiger fallen ließ sowie beide Außenverteidiger nach vorne rückten. Als nach kurzer Zeit Pique für Abidal ausgewechselt wurde, war das System nahezu ideal, da beide Innenverteidiger im Zweikampf sehr stark sind und dank ihrer Dynamik eine so hohe schematische Stellung der gesamten Mannschaft ermöglichen. Maxwell agierte relativ offensiv, aber war natürlich kein Vergleich zu Dani Alves, der den rechten Flügel auch im letzten Drittel für sich beanspruchte und Messi trotz seiner nominellen Rolle als rechter Flügelstürmer lange Zeit dessen typische Position als false Nine ermöglichte. Messi kam zwar oft von rechts, doch genauso oft startete er auch aus dem Mittelfeld oder postierte sich weit vorne, während Pedro und Villa die Positionen tauschten und mit vielen Rochaden Chaos in die Abwehrreihen Santanders brachten. Das innovativste an der gestrigen Formation war dennoch die Mittelfeldbesetzung mit Xavi, Iniesta und Thiago Alcantara von Beginn an, wobei der jüngste von ihnen die tiefste Position bekleidete.
83% Ballbesitz – wieso Santander nie Zugriff hatte
Über 80% Ballbesitz ist selbst für die Katalanen eine Hausmarke und diese Zahl schafften sie bislang nur gegen Osasuna, was damals aufgrund der extremen numerischen Überlegenheit in der Offensive zustande kam, dieses Mal war es allerdings die Aufstellung von Messi auf dem rechten Flügel sowie Thiago als Sechser, welche diese extreme Zahl ermöglichte. Messi, der sich von rechts ins Zentrum fallen ließ, war immer eine sichere Anspielstation und mit den zwei Stürmern vor sich sowie Alves auf der rechten Seite, der für die nötige Breite sorgte, konnte man den Argentinier nie wirklich abdecken und es gab kaum eine Möglichkeit, das Dreiecksspiel Barcelonas einzuschränken.
Thiago als Sechser und Iniesta, der einige Male auf dem linken Flügel aushalf, ansonsten aber sehr unüblich viele Freiheiten genoss, waren neben Xavi weitere Gründe für die Dominanz, sie waren dank ihrer Dynamik im Pressing sehr wirkungsvoll und beim Freilaufen sehr schnell, wodurch man andauernd eine freie Anspielstation und neben den defensiven Spielern immer eine offensivere Option für den Pass hatte. Thiagos Dynamik und seine Wechselspielchen mit Xavi im defensiven Mittelfeld sorgten für weitere innovative Ideen, die man im Spiel Barcelonas bestaunen konnte – getoppt wurden sie, wenn überhaupt, nur von Messi persönlich.
Der Barca-Sechser
Der Grund, wieso Thiago auf der Sechs auflief, ist das Anforderungsprofil Pep Guardiolas an diese Position. Mit Yaya Toure hatte man vor einige Jahren noch einen körperlich sehr starken und eher defensiven Spieler auf dieser Position, doch bereits kurz nach Guardiolas Amtsantritt wurde er Schritt für Schritt von Sergio Busquets ersetzt, welcher alles andere als der klassische Sechser der späten Neunziger bzw. der Anfangszeit der letzten Dekade ist. Ganz im Gegenteil, wenn er überhaupt wirkliche Schwächen besitzt, so ist es der Zweikampf, die Aggressivität und das Grätschen, also eben jene Attribute, die Spieler wie Gennaro Gattuso und Co. seit jeher auszeichneten. Allerdings benötigt der „Barca-Sechser“ solche Attribute auch nicht, da die Bälle nicht durch Einzelaktionen, sondern die kollektive Defensivarbeit, das Pressing und Verschieben ohne Ball erobert werden, der Sechser muss also ein spielintelligenter Typ sein, welcher antizipativ agiert und den Ball bereits vor dem Zweikampf erobert – und um ins Spielsystem Barcelonas zu passen, muss er auch mit dem Ball hervorragend gut umgehen können. Exakt das sind jene Stärken, die eben Sergio Busquets auszeichnen und ihm die unumstrittene Stammposition brachte, Yaya Toure wurde sogar zu Manchester City verkauft. Pep Guardiola kaufte zwar Javier Mascherano, doch für den Argentinier war zu Beginn nur eine Bank- bzw. Spezialistenrolle geplant, da er deutlich rustikaler ist und nicht ins Mittelfeld Barcelonas passt. Doch da sich die Katalanen im Ballbesitz weiterhin verbesserten (+5% im Durchschnitt), gab es schlichtweg keine solcher engen Partien, wo man die Stärken eines klassischen Sechsers benötigte und Mascherano rückte in die Innenverteidigung, während Busquets ohne Konkurrenz blieb (und später ebenso in die Innenverteidigung geschoben wurde).
Nun scheint es, als ob sich nach der Verpflichtung Fabregas‘ ein weiterer Anwärter auf die Position des Sechsers im System Barcelonas aufzutun scheint: Thiago, das hochgepriesene La-Masia-Talent, welcher bereits als Xavis Nachfolger gesehen wird, aber ein paar andere Stärken als sein vermeintlicher Lehrmeister besitzt. Der Jungnationalspieler ist dynamisch, extrem spielintelligent und wendig, er löst sich blitzschnell aus schwersten Situationen und ähnelt in seinem Bewegungsablauf eher Iniesta oder gar Ronaldinho, als dem Strategen Xavi, welcher deutlich öfter lange Pässe spielt und nicht mit klein-klein schrittweise den Raum des Gegners erobert. Man wird sehen, ob der aufkommende Stern am katalanischen Fußballhimmel wirklich Busquets Konkurrenz macht, doch da Barcelonas Dominanz immer größer wird und nicht stagniert, könnte es sein, dass man zu Busquets eine weitere Steigerung im spielerischen Bereich sucht – Thiago wäre eine der sehr wenigen Möglichkeiten, die das von sich behaupten können.
Fazit
Ein tolles Spiel Barcelonas, welche unglaublich dominant agierten und Racing nicht den Hauch einer Chance ließen. Die Katalanen eilen zu einem weiteren Meistertitel und es wirkt so, als ob die kleinen Mannschaften der Liga, egal, wie sie auftreten, schlichtweg nicht mitspielen können. Mit Thiago als Sechser und Xavi neben Iniesta auf der Doppelacht entwickelt man sich noch stärker im spielerischen Bereich und erdrückt den Gegner im Mittelfeld – weder Pressing noch eine extrem tiefe Grundstellung können dem entgegenwirken.
4 Kommentare Alle anzeigen
Tank 17. Oktober 2011 um 01:32
Hätte nicht gedacht, dass ich auf einer der üblichen Seiten eine Analyse dieses Barca-Spiels finde, da es doch von außen und auch vom Spielverlauf her eher unspektakulär war. Aber, siehe da, auf Spielverlagerung.de ist Verlass! Danke dafür.
Bei aller Liebe zu Thiago Alcantara, aber ich glaube nicht, dass er sich auf der 6 festspielen wird. Diese Position wird mittelfristig von Busquets besetzt bleiben und das halte ich auch für gut so. Zum einen ist Thiago körperlich noch ein Stück schwächer als Busquets und so fein seine Technik auch ist, Busquets einfache aber effektive Ballverteilung und sein Gespür, welchen Weg der gegnerische Angriff wohl nehmen wird, sind eine andere Liga.
Außerdem wäre es auch Schade um Thiago! Du hast seine Technik spot on als eine Mischung aus Iniesta und Ronaldinho beschrieben und so ein Talent wäre auf der 6er Position verschwendet. Schon die vielen Xavi-Nachfolger Tiraden fand ich eher unangebracht, da ich ihn in Strafraumnähe besser eingesetzt finde. Ich will damit keinesfalls sagen, dass technisch beschlagene Spieler auf der 6 nichts zu suchen haben (siehe Busquets), aber Dribbling, Torabschluss und Kopfballstärke kann man weiter vorne dann doch effektiver einsetzen. Wenn es darum geht Xavi nachzufolgen (und ganz ersetzen wird ihn niemand können), seh ich eher Iniesta und Fabregas in der Pflicht.
Mich würde es interessieren was es aus taktischer Sicht zur Puyols Nachfolge zu sagen gibt. Unter Barcelona-Fans wird besonders die Frage, ob es neben Pique noch eines zweiten spielstarken Innenverteidigers (evtl. jmd. aus der eigenen Jugend oder z.B. Mats Hummels) bedarf oder ob ein vorwiegend kampfstarker Spieler (Mascherano) besser passt, intensiv diskutiert. Bin selber unschlüssig, zumal wenn man nicht weiß, ob man mit 3er oder 4er Abwehr kalkulieren soll.
Nochn‘ dickes Lob für eure Arbeit. Ein einsamer Berg im großen deutschsprachigen Mittelmaß.
Felix 17. Oktober 2011 um 10:30
Ich denke die Sache mit der IV-Position kommt wirklich drauf an, mit welchem System Pep in Zukunft plant. Bleibt er wirklich beim 3-4-3, so dürfe Pique fürs erste genügen, da Mascherano diese Position ja auch spielen kann (wenn auch mit Abstrichen). Aufjedenfall sollte man sich aber um die Position von Abidal Gedanken machen. Er kann zwar sicherlich noch eine Weile spielen, aber hier sehe ich fast das größere Fragezeichen, da man einen Spieler braucht, der wie Abidal als athletischer und offensiver linker AV spielen kann, aber vorallem im 3-4-3 auch Zweikampfstark und vorallem Kopfballstark sein sollte.
HerrHAnnibal 17. Oktober 2011 um 19:18
Mascherano kann unabhängig vom System in der Innenverteidigung spielen.
Ein Ersatz für Abidal wird in der Tat in den nächsten Jahren nötig und diese Position ist nicht einfach zu besetzen.
Abidal interpretiert seine Rolle nur sehr selten offensiv. Und falls ein Offensiver LV gefragt ist kann das Duo Adriano/MKaxwell diese Position ausfüllen.
Abidal hat im Gegensatz zu diesen Spielern aber die Skills um defensiv innen und außen verteidigen zu können.
Gerade für die 3er Kette ist diese Variabilität sehr wichtig. Und da sich bei Barca auch die klassische 4er Kette eher asymetrisch präsentiert ist das auch mit diesem System elementar. Alves spielt ja zumeist dann sehr offensiv während Abidal einrückt und mit den beiden Innenverteidigern eine 3er Kette bildet.
Ein klassischer Aussenverteidiger mit der Statur eines Lahm oder Cole kommt ist daher nicht denkbar.
Andy 17. Oktober 2011 um 01:07
Gute Spielanalyse. Allerdings ist es nach so wenigen Spielen etwas zu früh, Barcelona bereits die Titelverteidigung anzutragen. So gern ich das auch hätte, noch sind die Clásicos nicht gewonnen, und weil Real ebenfalls ins Rollen gekommen ist, wird es wohl darauf ankommen, wer sich da durchsetzt.