Das Ruhrpott-Derby in der Vorschau

Im Ruhrpott-Derby treffen zwei hochklassige Mannschaften aufeinander und werfen interessante taktische Fragen auf. Wir erwarten einen spannenden Balanceakt der Risikoüberlegungen.

Nach einigen erfolglosen Derbys versuchen die Knappen beim großen Lokalrivalen zurück in die Pott-interne Erfolgsspur zu kommen. Dafür stehen ihnen mehr Mittel zur Verfügung als zuletzt. Der BVB, der in den vergangenen Spielen die Nase meist vorne hatte, hat momentan eher mit sich selbst zu kämpfen und ist mit einer ansehnlichen Verletztenliste weiter auf der Suche nach Stabilität. Das traditionsträchtige Duell stellt sich daher als ganz besondere Aufgabe dar.

Die drei möglichen Schalker Gesichter

Die Kernfrage des Spiels ist die Herangehensweise, die Huub Stevens für seine Mannschaft wählt. Der anpassungsfreudige Coach fand beim vergangenen Spiel durchaus gut funktionierende Maßnahmen gegen das starke Pressing des BVBs, die erneut ausgepackt werden könnten. Auf der anderen Seite steht das Spiel dieses Mal unter anderen Vorzeichen als noch vor einigen Monaten, da sich beide Mannschaften verändert und entwickelt haben.

  • Möglichkeit 1: Radikales Flügelspiel

So war der BVB in der vergangenen Rückrunde mit Kagawa als Pressingspieler vor den Sechsern eine überragende Defensivmannschaft, die besonders im Mittelfeldzentrum fast unmöglich zu knacken war. Als Reaktion darauf legte Schalke sein Spiel sehr breit an, schob die Außenverteidiger weit vor und spielte enorm konsequent auf Flankenwechsel und anschließende hohe Hereingaben.

Dieser Ansatz brachte den BVB so sehr ins Schwimmen wie vielleicht keine andere Mannschaft in der Rückrunde, reichte aber letztendlich nicht aus. Zwar hatte Dortmund wenig Zugriff und dadurch nur seltene Balleroberungen, aber bei den seltenen Kontersituationen zeigten sich die offensiven Außenverteidiger als krasses Risiko der Schalker. Außerdem fehlte es dem Flankenspiel an Unvorhersehbarkeit und Kreativität, weshalb Dortmund eine Vielzahl der Hereingaben klären konnte und mit etwas Glück nur ein Gegentor kassierte.

Das insgesamt ausgeglichene Spiel (und die zurückliegende Verletzung von Mats Hummels?) könnte nun für einen zweiten Schalker Anlauf über die Flügel sprechen, allerdings gibt es auch Faktoren, die für eine kontrolliertere oder defensivere Ausrichtung sprechen.

  • Möglichkeit 2: Der kreative Ansatz durch die Mitte

Zum einen sind da Lewis Holtby und vor allem Roman Neustädter zu nennen, die das Ballbesitzspiel der Schalker diese Saison auf ein neues Level heben. Mit ihren fluiden Bewegungen in der gestaffelten Sechser-Achter-Zehner-Mittelfeldordnung sorgen sie für eine gute Mischung aus Kontrolle, Kreativität und Absicherung, wie sie besonders beim dominanten Sieg über Wolfsburgs wechselhaftes 4-3-2-1 demonstrierten.

Die Frage ist, ob dieses Spiel auch gegen das deutlich kollektivere und intensivere Pressing von Dortmund bestehen kann. Vergangene Saison wagte Stevens diesen Versuch nicht, allerdings war die BVB-Zentrale mit Kagawa noch eine Stufe schwieriger zu bespielen und das Umschaltspiel etwas tödlicher. Somit macht es nun vielleicht mehr Sinn für die Schalker, einen ernsthaften Kampf um das Spielzentrum einzugehen.

Die zentrale Frage dabei: Wie gut kommt Lewis Holtby ins Spiel? Dortmund schafft es oft, durch die sehr intelligente Raumorientierung ihrer Stürmer und Sechser den gegnerischen Zehnerraum zu einem toten Bereich zu machen, in welchem die gegnerischen Kreativspieler ohne Einfluss auf das Spiel untergehen. Es wäre ein interessanter Test, ob die Schalker Aufbauspieler gegen Dortmunds Defensive in der Lage wären, ihren Spielmacher in die Offensive einzubinden. Auch die Bewegungen von Holtby, der sich gelegentlich intelligent zurückfallen lässt oder nach außen weicht, würden dabei sehr wichtig werden.

Da Ballverluste bei so einem kontrolliert angelegten Spiel nicht gänzlich zu vermeiden sind, stünde noch die Frage nach der Abgesichertheit der Schalker Bewegungen. Hier wären besonders Höger oder Jones auf der Achterposition gefragt, die sich wohl ähnlich wie Neustädter sehr intelligent positionieren müssten, um Konterräume zu reduzieren und schnellen Zugriff im Gegenpressing zu gewährleisten.

  • Möglichkeit 3: Risikoloses Spiel auf Einzelaktionen und Konter

Die dritte Möglichkeit wäre die defensiv sicherste: Stevens könnte sowohl auf das eventuell zu ambitionierte Passspiel durch die Mitte als auch auf das risikoreiche Flügelspiel verzichten und bei eigenem Aufbauspiel verordnen, früh zum langen Ball zu greifen.

Über Einzelaktionen auf den Flügeln und Kontersituationen könnte man dann gefährlich werden oder zumindest Standardsituationen herausholen. Damit würde man die Borussia nicht dominieren können und die Offensivgefahr würde sich in Grenzen halten, aber es wäre zumindest garantiert, dass man selber nicht zu oft in die Gegenstöße der Hausherren läuft.

So waren einige der letzten Derbys stark davon geprägt, dass Dortmund am laufenden Band aus Balleroberungen attackieren konnte und kaum zu eigenem Aufbauspiel gezwungen war. Gut möglich, dass Stevens solch eine Spielbalance in erster Linie vermeiden will und deshalb das Risiko reduziert und auf die eigene Stabilität setzt. So nahm er gegen das gute Pressing von Mainz in Kauf, dass seine Mannschaft überhaupt keine Dominanz entwickeln konnte, indem die (gegen die Raute so wichtigen) Außenverteidiger sich sehr zurückhielten. Dafür blieben die Schalker in diesem Spiel stabil und gewannen letztlich über ihre individuelle Klasse 2:0.

Vermutlich wird man daher gegen den BVB ebenfalls wenig Risiko gehen. Voraussichtlich werden die Schalker zumindest ansatzweise versuchen, ihre zentrale Spielstärke umzusetzen, dabei aber keine riskanten Dinge unternehmen, sondern im Zweifelsfall lieber bolzen anstatt den Ball in gefährlichen Zonen wegzugeben. Sie haben allerdings ohne große Umstellungen jederzeit die Möglichkeit, über etwas riskanteres, raumgreifenderes Aufbauspiel und/oder aggressiv aufrückende Außenverteidiger ihr Offensivpotential zu erhöhen.

Personelle Fragen beim BVB im defensiven Mittelfeld…

Die verschiedenen möglichen Grundausrichtungen des Rivalen machen die Personalwahl auf Seiten der Gastgeber sehr spannend, die mit einigen Verletzungssorgen zu kämpfen haben. Während die eigene taktische Basis klar sein dürfte – aufrückendes, kollektives Pressing, schnelles Umschalten und vielfältiges, balanciertes Aufbauspiel, wenn der Gegner tief steht – gibt es einige Fragezeichen bei der bestmöglichen personellen Umsetzung jener Klopp’schen Ideen. Es sind Fragen der Balancierung und von unerprobten Wechselwirkungen, die sich beim BVB stellen.

So besteht in Gündogans Abwesenheit – so er es denn nicht doch überraschend zum Spiel schafft – in erster Linie die Frage nach der optimalen Besetzung der Sechserpositionen. Normalerweise sind Leitner und Kehl dort zu erwarten, aber eventuell traut man Schalke so viel Spielstärke oder Risiko zu, dass das defensivere Duo Bender-Kehl als vorteilhafter erachtet wird. Über die potentiell höherwertigen Balleroberungen stärkt man damit das Umschaltspiel.

Zudem wird wegen Holtbys asymmetrischer Rolle die Seitenaufteilung der Sechser spannend. Der rechtsseitige Sechser der Borussia könnte vor eine taktisch besonders anspruchsvolle Aufgabe gestellt werden, während der linke aber möglicherweise die physisch starken Jones und Farfan um sich hat. Besonders wenn Leitner aufläuft wird es daher interessant, welche Seite er übernimmt – die defensivtaktisch oder die physisch schwierige?

…und dem offensiven Mittelfeld

In der offensiven Dreierreihe hat Dortmund trotz bzw. gerade wegen der Ausfälle von Götze und Blaszczykowski einige Optionen. Zuerst steht die Entscheidung aus, ob Reus auf die Zehnerposition zurückkehrt, oder seine mittlerweile scheinbar etablierte Position links außen behält. Die (mangelnden) Alternativen würden für ersteres sprechen, die vergangenen Spiele eher für zweiteres.

Für die beiden verbliebenen und umkämpften Positionen stehen Großkreutz, Perisic, Schieber und eventuell Leitner zur Verfügung. Da diese Spieler allesamt für mehrere Positionen in Frage kommen, gibt es entsprechend viele Kombinationsmöglichkeiten, die wir an dieser Stelle nicht alle diskutieren wollen.

Jedenfalls kann Klopp sich mit diesen Wahlmöglichkeiten in verschiedene Richtungen orientieren. Großkreutz ist der perfekte Spieler, um einen Flügel (gegen Fuchs?) defensiv zu schließen. Schieber kann die physische Präsenz und Durchschlagskraft erhöhen und wurde außerdem bereits als Zehner eingesetzt, weshalb Reus womöglich seinen Flügelplatz behalten könnte. Letzteres gilt ebenfalls für Moritz Leitner, der als tiefer spielender Zehner noch einen ganz anderen Aspekt einbringen kann. Perisic ist durchschlagskräftig, stark in Luftduellen und bietet mit seinen guten Verlagerung eine Mischung aus den verschiedenen Optionen, neigt aber zu vereinzelten Fehlern in der Defensive.

Letztendlich muss bei Dortmund die Komposition stimmen. Klopp selbst formulierte, „eine Personalie bedingt möglicherweise eine andere“, was die Komplexität dieser Entscheidungsfindung verdeutlicht. Jedoch gelang es dem BVB in den letzten Jahren sehr oft, fehlende Eingespieltheit über die taktische Festigung des eigenen Systems aufzufangen, von daher sind keine allzu großen Probleme zu erwarten.

Was kann Schalkes Pressing leisten?

Zentral für die Dortmunder Überlegungen sind dabei natürlich auch die potentiellen Stärken und Schwächen des Gegners. So ist Schalkes Pressing zwar ausgewogener geworden, hat aber doch ein paar klare Stärken und Schwächen.

Sehr positiv hervorzuheben ist die Arbeitsrate von Holtby und die von der Asymmetrie erzeugte Flexibilität im Mittelfeldzentrum, die es schwer macht, die Schalker sauber auszunavigieren – letzteres war so ähnlich ein Element, welches bereits Nürnberg und Frankfurt erfolgreich gegen den Meister anwandten. Aus dieser Stellung heraus kann Schalke durch ein Herausrücken von Holtby und kluges Defensivverhalten von Huntelaar gut Druck auf die Innenverteidiger des Gegners machen. Kontrolliertes Aufbauspiel durch das Zentrum ist gegen Schalke also durchaus anspruchsvoll – sicher ein Argument für Leitner auf der Sechs.

Schwächen hingegen zeigte zuletzt vor allem Afellay, der sich recht freimütig im Pressing bewegen durfte. In einigen Spielen driftete er sogar in die Mitte und wurde von Jones abgesichert, wodurch eine lose Rautenordnung entstand, die etwas unbalanciert war. Dass gerade der Holländer die Bahn von Piszczek schließen soll, könnte sich daher als problematisch erweisen. Gut möglich, dass dieser Faktor trotz eines gebrochenen Armes den Ausschlag für Julian Draxler gibt oder auch Barnetta in die Startelf rückt.

Ansonsten sind die Schalker traditionell stark in der physischen Strafraumverteidigung. Von daher können gerade Spieler wie Perisic oder Schieber entscheidend dabei werden, aus einer möglichen Dominanz heraus die entscheidende Durchschlagskraft zu erzeugen. Wie viel Dominanz der BVB aber eigentlich erzeugen kann, ist weniger klar als in den vergangenen Derbys.

Zum Schluss….

…bleibt zu sagen, dass man ein hochklassiges Spiel erwarten kann, welches taktisch mehr verpricht als viele der oftmals recht klar ausbalancierten Derbys jüngerer Vergangenheit. Es gibt viele interessante Kleinigkeiten, die entscheidend werden können, viel fußballerisches Potential auf beiden Seiten und für (An-)Spannung wird ohnehin gesorgt sein.

Neben der taktischen Herangehensweise an das Spiel ist gerade bei so einem aufgeladenen Derby der Spielverlauf meist besonders interessant. Der besondere Druck bzw. das ungewöhnliche Motivationslevel können den Rhythmus der Mannschaften stets entscheidend beeinflussen. Zudem könnte sich selbst bei eindeutigem Spielverlauf noch eine turbulente Schlussphase einstellen – beide Mannschaften hatten zuletzt Probleme damit, Vorsprünge über die Zeit zu bringen.

Von daher freuen wir uns auf ein attraktives, spannendes und vielschichtiges Duell der Bundesliga-Spitzenklasse. Die Analyse, wie es wirklich war, gibt’s morgen wie immer auf Spielverlagerung.de.

Taktikneuling 21. Oktober 2012 um 11:03

Ja mit dem 3-5-2 (oder auch 3-2-3-2) konnte man also vorher wirklich nicht rechnen. Ob das aber wirklich als einzige Entschuldigung herhalten kann, dass die Spieler gerade im Mittelfeld so gar keinen Zugriff auf das Spiel bekommen haben mag ich irgendwie nicht glauben.

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Doerk 20. Oktober 2012 um 22:48

Klopp hat in guter Löw’scher Tradition mit seinen taktischen wechseln seiner Mannschaft jede Sicherheit genommen. Bin gespannt auf die ex Post Analyse.

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Johnny 20. Oktober 2012 um 21:47

Jetzt bin ich mal auf die Analyse des Spiels gespannt, Klopp hat alles auf den Kopf gestellt.

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blurks 20. Oktober 2012 um 14:10

Wäre es auf Seiten des BVB eine sinnvolle Option, mit drei Sechsern zu spielen, ähnlich wie in Manchester? Ich fände eine Dreierreihe im Mittelfeld z.B. mit Kehl, Leitner und Großkreutz interessant.

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iceman650 20. Oktober 2012 um 09:24

Danke für die ausführliche Vor-Analyse des Derbys.
Nun freue ich mich auch als Schalker auf das Derby, nicht nur durch mein Fan-Sein, sondern auch auf taktischer Ebene!
Fraglich also morgen Huubs aufstellung, inwieweit er Jeff und Ibra/Jule einbinden will bzw. wie weit außen diese agieren und inwiefern die Außenverteidiger arbeiten.
Genauso Kloppos Arbeit, wie er die Sechser einstellt, inwiefern diese offensive Arbeiten übernehmen oder den zuletzt starken Lewis Holtby ausschalten oder auch Druck auf die Schalker Außenstürmer ausüben.
Auch die zuletzt unsichere Innenverteidigung der Dortmunder sollte dabei eine Rolle spielen

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