Bayern München und die spielerischen Baustellen

Bayern München gehört weiterhin zu den besten Mannschaften Europas. Aber auch beim Tabellenführer der Bundesliga läuft nicht alles rund. Von der Verteidigung übers Mittelfeld bis hin zur Kreativität ganz vorn gibt es noch Verbesserungsbedarf.

Daniel 7. April 2022 um 00:33

Ok, mittlerweile seh ich das doch weniger entspannt. Je länger Nagelsmann in München am Ruder ist desto größer werden die Probleme und desto unklarer wird, wohin er die Mannschaft eigentlich entwickeln will.
Zunächst fällt aus, dass (insbesondere auswärts) das Pressing deutlich schwächer und inkonsequenter ist als zu Flick’s Zeiten, wodurch sich die Gegner häufiger spielerisch befreien können und die Wege zum Torabschluss nach Ballgewinn weiter werden. Kann man natürlich machen (wird ja hier auch oft gefordert), aber dann muss man daraus auch die Konsequenz ziehen und mannschaftlich geschlossen tiefer verteidigen und das tut/kann Bayern nicht. Das erinnert so ein bisschen an Pep Guardiola bei wichtigen Auswärtsspielen in der Champions League: man will das Ganze etwas tiefer und konservativer angehen, defensiv sicher stehen-weil genau das aber nicht das gewohnte Defensivkonzept ist wird man dann defensiv erst Recht anfällig und weil die Wege nach vorne länger werden ist man offensiv wie gelähmt. Letzteres geht besonders zu Lasten von Thomas Müller, der in schnellen Kombinationen herausragend ist, aber in statischen Situationen gegen eine formierte Abwehr selten etwas Zielführendes beizusteuern hat. Für eine Pressingmannschaft ist das Pressing sowohl Defensiv- als auch Offensivkonzept und muss eben deshalb auch und gerade in den vermeintlich schwierigen/großen Spielen bedingungslos durchgezogen werden. Wenn der Gegner einigermaßen kontrolliert ins zweite Drittel kommt ist ein Mittelfeld aus Musiala und Kimmich eine echte Schwachstelle, wenn man das personell so spielen will muss man jeden gegnerischen Aufbau kaputtpressen. Im Offensivbereich wiederum fehlt Bayern dann ein Pressingresistenz- und Passgott wie Thiago, um eine stehende Defensive wirklich ausspielen zu können. Das führt direkt zur bislang augenfälligsten Schwäche: auswärts bei unterlegenen, aber kampfstarken Gegnern kommt Bayern regelmäßig für längere Spielabschnitte komplett unter die Räder. Jeweils die ersten Halbzeiten in Gladbach, Bochum, Salzburg und Villareal waren völlig desolat, wobei Bayern in der CL in beiden Spielen mit Glück noch im Spiel bleiben konnte. Ein solches Implodieren einer Bayernmannschaft ist unter Heynckes und Flick nie passiert, unter Guardiola war es der einzige (aber ziemlich entscheidende) Makel. Schade, dass dieses Muster jetzt wiederkehrt.
Auch in kleineren taktischen Fragen hat Nagelsmann noch nicht die richtigen Lösungen gefunden: in der fast vier Monate dauernden Aufallzeit von Davies gab es ein wirres Hin und Her aus Dreierkette mit sehr offensiven Flügeln und einer Viererkette mit gelernten Innenverteidigern außen. Keine der beiden Varianten wurde auf ein wirklich tragfähiges Niveau gehoben, stattdessen wurde immer wieder gewechselt und Davies musste heute bei der Kaderrückkehr sofort durchspielen. Es bleibt dabei, dass Pep Guardiola der einzige Bayerntrainer war, der wirklich mehrere Systeme gleichzeitig auf hohem Niveau spielen lassen konnte. Dabei half ihm sein phänomenaler Blick für kleine, aber entscheidende Gegneranpassungen und dass er die spielerischen und taktischen Grundlagen auf einem vorher und nachher unerreichten Niveau eingeschliffen hat-beides fehlt unter Nagelsmann bislang.

Tendenziell geh ich immer noch von einem Weiterkommen aus, Bayerns wirklich sehr große Heimstärke sollte normalerweise zu einem ausreichend deutlichen Sieg reichen. Aber Glück, Zufall und Tagesform können da leider immer einen Strich durch die Rechnung machen. Für die entscheidenden Wochen muss Nagelsmann jetzt auf jeden Fall seine Stammelf finden, und zwar sofort

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Koom 7. April 2022 um 09:52

Ich hab grundsätzlich nichts gegen Nagelsmann, aber wenn ich mir Spiele seiner Mannschaften anschaue, dann halte ich mich entweder für zu dumm, weil ich relativ wenig Muster und Struktur sehe – oder sehe sie nicht, weil sie nicht wirklich existieren. Oder zumindest nicht sehr ausgeprägt sind.

Und der generelle Drang, jede Position auf dem Platz mit einem fast reinen Offensivspieler zu besetzen kann ich nach wie vor nicht nachvollziehen. Etwas, das mit Guardiola sehr aufkam und was der auch weiterhin noch sehr betreibt – aber da erkannte ich wenigstens Muster und Struktur und die Defensividee. Fairerweise hab ich ManCity aber noch nicht groß angeschaut.

Persönlich bleib ich nach wie vor ein Fan von Klopp. Auf dem Platz stehen da nach wie vor immer mindestens 4-5 Leute, die auch als IV arbeiten könnten, wenn sie es müssten, aber trotzdem mit dem Ball was anfangen können.

Aber zurück zu den Bayern: Die Vermutung liegt nahe, dass sie das im Rückspiel hinkriegen. Aber das war schon recht eklatant schwach von den Bayern gestern, und zwar durch die Bank. Neuer fast mit einem Gegentor für nen Jahresrückblick, Lewandowski praktisch ohne Szene… Man darf gespannt sein, ob das Villareal noch mal so abrufen kann. Immerhin haben sie auch Juve rausgeworfen, wobei die natürlich nicht mehr das Juve der letzten Jahre sind.

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Daniel 7. April 2022 um 12:05

Besonders alarmierend finde ich, dass ich Villarreal nicht wirklich stark fand. Es war schon ziemlich deutlich, dass hier keine der acht besten Mannschaften Europas spielt. Dass Bayern froh und dankbar für die 0:1-Niederlage sein muss lag nur an der sowohl mannschaftlich als auch individuell katastrophalen eigenen Leistung. „Wenn Villarreal das nochmal so abrufen kann“ sollte die übliche Heimspielleistung Bayerns locker reichen, das mit zwei+x Toren Vorsprung zu gewinnen.

Wenn man sehr viele „Offensivspieler“ auf den Platz stellt muss man mit sehr hohem Pressing verhindern, häufig in die Defensive gedrängt zu werden. Wobei die Anzahl der Spieler, die auch als IV arbeiten könnten, kein taugliches Kriterium für die Defensivstabilität ist. In der legendären ersten Halbzeit in Bochum hatte Bayern mit Hernandez, Upamecano, Süle und Pavard vier gelernte Innenverteidiger auf dem Platz stehen.

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Koom 7. April 2022 um 13:17

Jepp. Und die spielten auch hinten in der Kette. Da war ich etwas unklar in meiner Erklärung. Mal bei Liverpool: In der Viererkette spielt ein guter Mix. IVs klar defensiv orientiert, AVs flexibel mit solidem bis teils gutem Offensivspiel (allerdings nicht in der Davies-Spielweise). Im Mittelfeld sind oft Fabinho (klassischer DM), daneben Henderson (sehr ambivalent in der Spielweise, kann man überall bringen) und Thiago (eher offensiv, aber auch geschickter Balldieb). Die meisten anderen Mittelfeldalternativen sind ebenfalls Leute, die auch nach hinten mal dichtmachen können und wollen. Die 4+3 sind alles Spieler, die keinen Nahkampf scheuen und auch immer mal die Defensive im Hinterkopf haben. Die absichern, und nicht nur aufs tor gehen.

Bei den Bayern gehen bis auf die von dir genannten Leute weitgehend alle gerne nach vorne aufs Tor. Kimmich und Goretzka können sich auch mal am Riemen reißen, was das angeht, aber deren Grundsetting ist auch tororientiert, was gerade bei Spielen, wo die Dinge nicht so laufen, sehr auffällt.

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tobit 7. April 2022 um 18:28

Was glaube ich einfach wichtig ist, ist die Staffelung der defensiv denkenden Spieler. Wenn die alle nur in der Abwehr sind, gibts halt ein Loch davor.
Ein weiteres Problem in schlechten Spielen ist für mich auch, dass die Angreifer sich die Bälle immer tiefer abholen und von da dann unnötig riskante Aktionen abziehen. Das Problem hat aber so ziemlich jede Mannschaft, nicht nur Bayern. Wird halt gefährlicher, wenn die Sechser diese Aktionen nicht absichern sondern Sané einen Diagonalball auf Kimmich schlägt, der dann auf Musiala flanken soll (erfundenes Beispiel).

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AG 8. April 2022 um 08:19

Das mit Liverpool ist natürlich richtig, wobei die AV schon klar offensiv ausgerichtet sind, ohne sofort ganz hoch zu schieben. Und wir sollten nicht vergessen, dass Liverpool lange sehr konteranfällig war und eine ganze Reihe Chancen zugelassen hat. Das hat sich eigentlich erst geändert, als sie van Dijk (und dann Fabinho) geholt haben und qualitativ ordentlich zugelegt haben!

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Koom 8. April 2022 um 09:54

Ja, die AVs spielen klassischer als AV als viele andere heutzutage. Sie halten gern die Position, hinterlaufen auch mal einen Flügelstürmer, aber eher gut dosiert.

Und zu Van Djik und Fabinho: Das ist eben auch der Punkt. Man hat Thiago geholt und davor schon Keita. Da hätten Nagelsmann und Flick schon fast abgewunken, weil die zu defensiv sind. Und dann packt man noch Fabinho oben drauf. Klopp hat eine recht klare Idee, wen er im Mittelfeld haben will. Da ist kaum ein Name dabei, der nur offensiv denkt. Sondern viele Spielertypen, die auch als 6er potentiell spielen können.

Die Basis für Klopps sehr offensives System ist eben „Ballgewinne“. Dann kann man vorne auch mal Risiko gehen, wenn dann dahinter effektiv 7 (+Torhüter) Leute stehen, die den Ball sich zurückholen wollen. Dann ist es auch ok, mal den langen Ball zu spielen, um den Speed der Stürmer auszunutzen, weil die Gegentorchance geringer ist.

Ich mag Klopps Ansatz einfach auch viel mehr. Ist auch sehr attraktiv anzuschauen.

tobit 7. April 2022 um 13:35

Also in Hoffenheim gab es schon sehr klare Strukturen und auch in Leipzig hat man viele Muster immer wieder gesehen. Da hat er aber auch angefangen sich mehr auf die individuelle Klasse seiner Angreifer zu verlassen (was du bei Topteams einfach tun musst). Bei Bayern verlässt er sich da (wie übrigens auch Flick) zu sehr darauf, dass Kimmich schon das ganze Feld beherrschen wird und Lewy immer mindestens ein Tor schießt.
Viele dieser Probleme ließen sich meiner Meinung nach recht simpel mit einem defensiven Sechser (statt Goretzka/Musiala) lösen, der Kimmich eben die Freiheit gäbe das ganze Feld zu beherrschen ohne die Zone 14 jemals zu öffnen. Man würde Kimmich gleichzeitig besser und ersetzbarer machen, weil er seine besten Fähigkeiten öfter einsetzen und seine Rolle leichter von Musiala oder Goretzka übernommen werden könnte. Ohne so einen Sechser (Rudy, Grillitsch, Kampl) sah es bei seinen vorigen Stationen meist auch chaotischer und instablier aus.

Generell muss man mit vielen Offensivspielern nicht zwingend unbedingt super hoch und aggressiv pressen. Wenn zumindest die zentralen Spieler grundsätzlich positionstreu sind, kann man auch mal etwas weniger hart pressen, sind sie bei Bayern aber halt so gar nicht (Kimmich ist da neben Coman der einzige den man halbwegs nennen könnte). Aktuell sind ja auch die Verteidiger alles sehr zugriffsorientierte Typen, was dann natürlich bei ständig offenen Räumen vor ihnen zu noch größeren Löchern hinter ihnen führt, die Neuer selbst vor seinem Mittelfußbruch nicht konstant hätte schließen können.

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Koom 7. April 2022 um 13:45

In Hoffenheim konnte ich die auch noch sehen. In Leipzig… mit Woche zu Woche weniger. Ich bin aber auch sehr ein Fan von klaren Strukturen, mochte da Rangnicks 4-2-2-2 schon ziemlich. Bin da vermutlich altmodisch, dass ich gern eine Formation auf dem Platz erkennen will. 😉

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tobit 7. April 2022 um 18:16

Rangnicks (bzw Schmidts) 4-2-2-2 fand ich immer relativ meh, weil es entweder die AV oder die „Zehner“ überfordert. Sind die „Zehner“ konsequent innen, müssen die AV unmenschlichen Aufwand nach vorne betreiben, was entweder in massiven defensiven Löchern oder in reinen Athleten auf der Position mündet. Beides mag ich nicht. Gleichzeitig steht man einander im Zentrum zu oft in den vertikalen Passwegen oder es stehen alle gedeckt im Sturmzentrum. Wenn die „Zehner“ nicht Zehner sein dürfen sind sie meist gar nicht im Spiel bzw nur in für sie ekligen Situationen an der Auslinie.
Ich fand die Rauten oder 3-5-2-Varianten meist strukturell vorteilhafter, weil sie den Halbspielern mehr Positionierungs-Unsauberkeiten (die man bei harten Pressingspielern immer haben wird) verzeihen und die AV etwas entlasten können. Und sie gleiten im Pressing nicht so leicht ins 4-0-2-4.

Leipzig hat bei der Kaderzusammenstellung auch ein bisschen komisches Zeug gemacht. Gerade nach dem Werner-Abgang sind da eine Menge Improvisationskünstler für die Offensivpositionen gekommen, die eher nicht so auf klare Strukturen stehen. Olmo und Nkunku sind halt individuell so krass gut, dass wohl fast jeder Trainer sie lieber machen lässt.

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Koom 8. April 2022 um 10:04

> Rangnicks (bzw Schmidts) 4-2-2-2 fand ich immer relativ meh, weil es entweder die AV oder die „Zehner“ überfordert.

Das ist definitiv keine Spielweise, die man jedem verordnen sollte. Auf Leipzig passte es ganz gut, auch weil alles darauf ausgerichtet war. Die 10er-Positionen superflexibel zu halten passt auf manche Spielertypen – wie Sabitzer – auch ziemlich gut. Das ist jetzt kein Spieler, der superkreativ und fummlig ist, aber spielintelligent, laufstark. So eine Position ist da tatsächlich nicht schlecht. Insbesondere, wenn man dann vorne ein Pressingmonster wie Poulsen stehen hat, Werner als Waffe daneben – das ist schon sehr bitter. Aber ja: Sehr Spielertypenabhängig.

Aber Leipzig hat nach Rangnick auch sehr den Fokus verloren. Ich fand das mit ihm ein tolles Projekt, schön zu beobachten, und hatte auch großen Erfolg. Jetzt hat definitiv eher wieder der Wirtschaftsteil die Kontrolle über das Sportliche, was auch den kleinen Absturz erklärt. Leipzig dürfte mittelfristig auf dem Weg von Wolfsburg sein. Potentiell viel Geld, aber wenig Philosophie. Der einzige Vorteil ist der inoffizielle Unterbau mit Salzburg & co.

tobit 8. April 2022 um 10:53

Weiß nicht ob man da „zu wenig Rangnick“ als Grund des Absturzes gelten lassen kann. Schließlich hat man den Rangnick-Jünger auf Platz 14 gefeuert, einen flexiblen Typen mit Ballbesitz-Ideen geholt und ist damit auf Platz 4 geklettert. Und das Pressing sieht von dem bisschen was ich gesehen habe unter Tedesco auch besser aus als unter Marsch.

Davon ab fand ich Leipzig unter Rangnick bisher immer schwächer als unter seinen jeweiligen Vorgängern und Nachfolgern. Und konsequent war er mit dem 4-2-2-2 auch nicht, der hat auch in der Mehrheit der Spiele Raute und 3-5-2 gespielt.

Ironischerweise braucht es für das 4-2-2-2 Spielertypen, die in anderen Konstellationen besser sind. Forsberg als klarer Zehner, Sabitzer als offensiver Achter, Keita als offensiver Sechser. Selbst Kaiser wäre als Achter besser gewesen.

Koom 8. April 2022 um 15:43

Rein von den Leistungsdaten war man mit Rangnick eigentlich immer so gut wie unter seinen Vorgängern und Nachfolgern. Allerdings war er nie lange Trainer. Und ich beziehe in meine Bewertung explizit seine Arbeit als Sportdirektor ein. Dabei fiel unter seiner Führung nur ein relevanter Abgang (Keita) zu ziemlich guten Konditionen für Leipzig. Rangnick war definitiv sehr viel mehr fokussiert darauf, den Bayern Konkurrenz zu machen. Und das merkte man.

Nach Rangnicks Abgang als Sportdirektor zerfiel der Kader recht flott, weil plötzlich Abgänge recht problemlos möglich waren. Jesse Marsch war vermutlich noch von Rangnick bei Salzburg verpflichtet worden, aber nicht nach Leipzig geholt. Ich würde das sowieso mehr als Verpflichtung seitens der sportlich dann doch deutlich unbedarfteren Führung Leipzigs zuordnen nach dem Motto „der ist so ähnlich wie, hat mal mit dem geredet“. Gewißermaßen die Variante vom BVB, die immer noch nach dem nächsten Klopp fahnden, aber weder kapieren, was den ausmacht, noch ihm ein Gerüst hinstellen, dass für ihn arbeitet.

Also doch, ich mache „zu wenig Rangnick“ daran fest, dass Leipzig aktuell und sicherlich auch in Zukunft keine Rolle > BVB spielen wird.

AG 8. April 2022 um 15:49

Dann weise ich doch nochmal auf die xG-Werte hin: die schlechten Ergebnisse von RB diese Saison lagen auch viel an Pech, und auch unter Marsch hatten sie lange Zeit die zweitbeste xG-Differenz (eigene vs. zugelassene xG) der Liga. Mit anderen Worten: ein Aufsteigen in der Tabelle war immer zu erwarten, nur vielleicht nicht so schnell und hoch – ein Absturz war das sicher nicht. RB sieht wirklich nach der aktuell zweitbesten Mannschaft in Deutschland aus, der BVB sollte besser aufpassen. Und wundert euch auch nicht, wenn Marsch woanders wieder erfolgreich ist.

Daniel 8. April 2022 um 16:29

„Wenn zumindest die zentralen Spieler grundsätzlich positionstreu sind, kann man auch mal etwas weniger hart pressen…“
Ich hatte etwas salopp positionstreu mehr oder weniger gleichsetzt mit offensiv. Von der fehlenden Positionstreue mal abgesehen sind Kimmich und insbesondere Goretzka defensiv schon ziemlich stark und müssen sich sicherlich nicht vor den von dir genannten Kampl, Grillitsch und Rudy verstecken. Eben deshalb hat es mich auch gewundert, dass Nagelsmann in Villarreal auf Goretzka verzichtet hat. Diese fehlende Positionstreue ist bei sehr hohem Pressing ein Vorteil, aber wenn der Gegner die von diesen Spielern geöffneten Räume gezielt ansteuern kann wandelt sie sich in einen entscheidenden Nachteil.
Dass wie ihr es andeutet das Fehlen eines Sechsers von Nagelsmann oder Flick (bei dem könnte es aber in der Tat sein) explizit gewollt ist halte ich übrigens für Spekulation. Eher ist das eine Anomalie des Bayern-Kaders, der den einen Spielertyp im Übermaß und den anderen kaum beinhaltet. Nagelsmann hat solche Spieler bei seinen bisherigen Stationen durchaus eingesetzt. Da beißt sich auch der Vergleich mit Klopp-weder Nagelsmann noch Flick haben bisher einen Kader so stark und so lang prägen können wie das Klopp bei seinen langen Stationen gemacht hat.

Zu Leipzig: der Vergleich mit Wolfsburg ist viel zu hart. Wolfsburg ist ja völlig planlos, die sind näher am Abstieg als am BVB. Den Einfluss Rangnicks fand ich im Hintergrund als Sportdirektor wirkungsvoller denn als Trainer auf die unmittelbare Taktik. Es ist schon ein massiver Unterschied, wie Rangnick den Leipziger Kader jahrelang zusammengehalten hat und wie er dann im ersten Sommer nach ihm auseinander geflogen ist. Taktisch fand ich das unter Hasenhüttl, Nagelsmann und Tedesco aber mindestens genauso gut wie bei Rangnick.

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tobit 13. April 2022 um 07:56

Klar sind Kimmich und Goretzka genial I’m Zweikampf und Bälle einsammeln. Aber sie lassen dafür halt gerne Mal den Sechserraum offen. Bestes Beispiel war das 1:1 gestern, das mit einem positionstreuen Spieler auf der Sechs kaum so leicht gefallen wäre. Und es gab da noch ein paar mehr solche Situationen, wo Coquelin und Lo Celso zumindest unnötig viel Raum und Zeit gewinnen konnten. Die Heatmaps sehen da echt nicht gut für Bayern aus, normalerweise bekommt ein so defensiver Gegner kaum Ballkontakte in der Zone 14.
Außerdem fände ich Kimmich in der gestrigen Goretzka-Rolle viel cooler. Alles was die ausmacht, kann Kimmich besser, weil er dynamischer, pressingresistenter, kreativer, ein Flankengott und der wesentlich bessere Umschaltspieler ist.

Was ich gestern auch komisch fand, war, dass man nichtmal versucht hat Conan und Sané richtigfüßig agieren zu lassen, obwohl sie quasi nur breit zur Grundlinie kamen und da dann immer awkward abbrechen mussten um mit dem starken Fuß zu flanken. Vllt wäre dann Mal eine dabei gewesen, die nicht über alle hinwegsegelt.
Die Halbfeldflanken von Lucas und Pavard nach Abprallern hatten ein ähnliches Problem (zu hoch, zu sehr auf den langen Pfosten) und wären mit einem auch im letzten Drittel positionstreuen Sechser wohl deutlich seltener gewesen. So war halt das Raum- und Ballverlustrisiko bei einem Querpass zu hoch.

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Koom 13. April 2022 um 12:29

Klingt provokativ, ist so aber nicht gemeint: Warum besorgen sich Bayern & Co. dann nicht einen vernünftigen Sechser? Klar, die Nationalelf muss nehmen, was da ist (und testet deswegen korrekterweise auch Weigl und Stach), aber Bayern hat keine „nationalen“ Beschränkungen und hat trotzdem keinen „richtigen“ Sechser, sondern nur 8er-Spieler für die Position.

Ist das der (nicht funktioniernde) Versuch, wie einst Guardiola ein so perfektes Pressing aufzuziehen, dass alles und jeder „Sechser“ ist? Aber selbst der hat immer noch gerne einen wie Alonso gehabt, der diesen Raum bewacht. Sehen so manche „moderne“ Trainer nur noch Offensive und Pressing?

Mr. Big 13. April 2022 um 15:56

@Koom (bzgl. Sechser besorgen)

Das frage ich mich auch schon länger. Wen gäbe es denn da aktuell auf dem Markt.
Und was mich diesbezüglich echt wundert: ist Gravenbergh nicht auch eher ein Spielertyp, den Bayern prinzipiell nicht schon zigfach im Kader hat?

Daniel 13. April 2022 um 16:12

D‘accord. Wenn der Gegner so viel Zeit und Raum zum geordneten Spielaufbau bekommt wie unter Nagelsmann ist eine konstante Besserung des Sechserraums unumgänglich

@Koom
1. Weil Bayern bis vor einem Jahr einen Trainer hatte, der sozusagen empirisch nachgewiesen hat, einen solchen Spielertyp nicht (zumindest nicht zwingend) zu benötigen. Und man sich vom Nachfolger erhofft hat, Flicks Werk möglichst bruchlos weiterführen zu können, was sich leider immer mehr als Wunschdenken erweist.
2. Populistisch ausgedrückt: weil der FC Bayern kein Ölfeld besitzt. Oder etwas ausführlicher: Gemeinsam mit Real Madrid ( das aber nach allem was man so hört massiv vom spanischen Staat gepampert wird) ist der FC Bayern der letzte Fußballverein der erweiterten europäischen Elite, der sein Geld noch mit dem anachronistischen Geschäftsmodell verdient, Fußball zu spielen. Bis zu Corona hat das noch gereicht, um annähernd konkurrenzfähig zu sein, aber in zwei Jahren Pandemie hat ein Verein wie Bayern sicher einen dreistelligen Millionenbetrag allein durch wegfallende Ticketeinnahmen verloren, während Hedgefonds und Ölkonzerne ihr Geschäftsmodell unbehelligt fortführen konnten. Barca ist schon abgestürzt, Juve wird durch einen chinesischen Milliardär als Serienmeister entthront, Bayern folgt wahrscheinlich etwas langsamer, aber der Prozess ist erstmal unumkehrbar. Die Zukunft gehört den saudischen Scheichs und chinesischen Staatsfonds. Als Folge daraus kann Bayern halt nicht die Spieler verpflichten, die man braucht oder will. Schon die Mannschaft halbwegs zusammenzuhalten war ein finanzieller Kraftakt, so dass man auf der Zugangsseite nur sich bietende Gelegenheiten ausnutzen konnte (wenn Espanyol absteigt holt man Rocca, wenn sich Sané das Kreuzband reißt und in Manchester unzufrieden ist holt man ihn, sowas), aber nicht proaktiv Transfers herbeiführen konnte. Auf der Sechserposition hat sich wohl nix besseres ergeben als Roca, der leider keine Option ist. Wir können hier ja bei unserem theoretischen Denkspielen auch kaum jemand nennen, wir sagen nur „ein Sechser“. Aber Sechser auf CL-Niveau kriegst du halt nicht im Supermarkt

tobit 13. April 2022 um 18:01

@koom
Weil Sechser für die Bosse zu unsexy sind. Die mussten sich immer explizit vom Trainer gewünscht werden, sonst kommt nur ab und zu Mal ein Kaderfüller zum Schnäppchenpreis.

Also Sechser gäbe es denke ich schon. Man darf von ihnen halt keine Spielweise a la Kimmich erwarten (oder sie für unter 30 Mio an die Konkurrenz verscheuern). Boubacar Kamara wäre sogar ablösefrei, Brozovic hat auch erst im März verlängert, Jorginho könnte je nach Chelsea-Situation auf den Markt kommen. Und das sind nur die Topspieler, die mir aufgrund der kurzen Vertragslaufzeit eingefallen sind. Ein Regal weiter unten sind immer Spieler auf dem Markt, die sich Bayern problemlos leisten könnte und trotzdem CL-tauglich sind.

Nagelsmann hat nach dem Fürth-Spiel(?) schonmal sehr deutlich gesagt, dass er sich halt keinen Sechser schnitzen kann. Viel offensichtlicher kann man die Kader-Zusammenstellung kaum kritisieren.

Daniel 14. April 2022 um 12:12

Kamara wäre diesen Sommer ablösefrei. Es ging jetzt aber darum, warum Bayern Stand jetzt noch keinen Sechser hat. Für kommendes Transferfenster würde ich auch sagen, dass er auf jeden Fall ein Thema sein muss in München, zumal durch den Abgang Tolissos ein gewisses Gehaltsvolumen frei wird. Brozović hab ich selten gesehen, aber als lupenreinen Sechser hab ich ihn eher nicht abgespeichert. In meiner Erinnerung ist er ein variabler Mittelfeldallrounder, der „von Natur aus“ eigentlich auch ein Achter ist, aber bei Bedarf anders spielen kann. Bei Chelsea muss man abwarten, wie sich die Lage um Abramović entwickelt. Wenn der tatsächlich nachhaltig nicht mehr an sein Geld kommt und es beim Verkauf Probleme gibt bzw die kommenden Eigentümer nicht dessen Investitionsvolumen aufbringen können/wollen könnten Chelsea-Spieler für Bayern erreichbar werden. Das ist aber eine Wette für die Zukunft, keine reale Option der Vergangenheit.

Nagelsmann sollte sich bezüglich des Kaders besser nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Er hat im Sommer einen Wunschtransfer fürs Mittelfeld bekommen, der sich als kompletter Rohrkrepierer erwiesen hat und einfach nur eine schlechtere Variante des schon vorhandenen Personals ist. Dass Bayern keinen gelernten Sechser auf Weltklasseniveau hat ist zwar richtig, aber da hätte man als Trainer auch ein bisschen mehr versuchen können, das Problem mit Bordmitteln zu beheben, sei es mit genaueren taktischen Instruktionen an die bestehende Stammbesetzung oder indem man Roca vielleicht doch mal ein paar zusammenhängende Spiele das Vertrauen gibt und dann schaut, ob er es rechtfertigen kann.

Koom 14. April 2022 um 12:43

Vor allem Transferkritik und Salihamdzic geht in etwa genauso gut wie friedliche Diplomatie und Putin. 😉

Das es einen Mangel an guten Sechsern gibt (generell) ist auch nichts Neues. Bei der Nationalelf jammern wir seit Jahren (bzw. Schweinsteigers und Lahms Ende), die Bayern und Dortmunder haben da auch keinen – und just jene wundern sich, warum der Erfolg ausbleibt. Als Sechser muss es dann halt auch gleich die perfekte eierlegende Wollmilchsau werden, ein bloßer Abräumer oder selbst ein „Absicherer“ ala Weigl ist verpöhnt.

Finde ich faszinierend. Die Königsposition hat keinen König mehr. Bzw. scheut man sich, einen „Bauern“ dort draufzusetzen. Lieber packt man einen Kroos, Modric, Kimmich oder andere 8er da hin, „treten“ kann ja jeder. Ja scheinbar nicht.

Fände es cool, wenn hier mal ein neuer/alter Trend kommen würde. Müssen ja nicht gleich wüste Treter sein, aber mal wieder ein paar DMs spielen zu sehen wäre schon cool.

Daniel 14. April 2022 um 13:08

„Vor allem Transferkritik und Salihamdzic geht in etwa genauso gut wie friedliche Diplomatie und Putin.“
Obwohl ich alles andere als ein Salihamidžić-Fan bin ist mir der Satz völlig schleierhaft…kannst du das erläutern?

Weder Lahm noch Schweinsteiger waren einen großen Teil ihrer Karriere Sechser-obwohl Lahm echt das Potenzial zu einem absurd genialen Sechser gehabt hätte

Koom 14. April 2022 um 17:12

Naja, er steht wohl intern in der Kritik wegen seiner nicht so zündenden (aber teils urteuren) Transfers. Dann gab es diese Geschichte mit ner Abwerbung vom BVB, wo er dann souverän wie ein Autoverkäufer mit Mafiaanschluss drauf reagierte. Und auch das Duell Flick vs. Don Brazzo war ausgesprochen unschön (und endete mit Flick draussen).


Daniel 4. Januar 2022 um 17:13

Nochmal zum Thema kreativer Zehner: laut kicker sind Müllers 15 Assists in der Hinrunde ein historischer Bundesligarekord. Das hab ich jetzt nicht überprüft, klingt aber nicht unplausibel. Entsprechend hat der kicker Müller auch in der aktuellen Rangliste als einzigem Spieler neben Lewandowski und Haaland das Prädikat Weltklasse verliehen. Diese Rangliste ist jetzt sicher nicht der Weisheit allerletzter Schluss, aber das spricht doch für sich.

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Daniel 12. Dezember 2021 um 23:58

Muss sagen dass mir das generell wieder deutlich zu viel Hysterie ist gerade. Schwächephasen besonders gegen Ende der Vorrunde sind seit Jahren-insbesondere nach Sommern mit großen Turnieren-gang und gäbe.

Das mit dem fehlenden Zehner seh ich tatsächlich ziemlich prinzipiell anders. In meinen Augen ist Müller ein hervorragender Zehner für diese Mannschaft-ob nun „klassisch“ oder nicht. Müller ist eben sehr wohl ein sehr kreativer Spieler, er beschleunigt das Kombinationsspiel durch die Mitte in einer Art und Weise wie das wohl niemand sonst könnte. 15 Assists allein in dieser Hinrunde sprechen da eine deutliche Sprache. Müller wählt immer die erfolgversprechendste Spielfortsetzung-egal wie schwierig diese technisch umzusetzen ist. Und ja, wenn diese technisch schwierige Umsetzung dann schief geht sieht das schonmal doof aus. Aber sehr oft ist es eben auch erfolgreich, und das nicht selten genial. Nicht umsonst haben in den letzten Jahren mit Philippe Coutinho und James Rodriguez zwei klassische Zehner sich an Müllers Stammplatz die Zähne ausgebissen.

Dass Bayern heute nicht mehr so spielen könnte wie 2013 seh ich genauso. Damals waren die Eckpfeiler neben Neuer Lahm, Boateng (wobei der erst beginnend), Martinez, Schweinsteiger, Müller und die offensiven Flügel. Der Rest wurde so ein bisschen mitgezogen. Heute liegt der Fixpunkt des Offensivspiels auf dem Mittelstürmer (völlig anders als damals) und generell haben die allermeisten Spieler des heutigen Teams ihre Stärken viel mehr in der Offensive als damals. Wobei ich die Unterschiede deutlich eher im Fehlen von mit Lahm oder Martinez vergleichbaren Spielern sehe als mit Rib/Rob. Zumindest Sané fehlt in meinen Augen nicht mehr viel zu den beiden großen Flügelstürmern von damals.

Boateng hätte man unter sportlichen Gesichtspunkten verlängern müssen. Die Trennung folgte eher aus atmosphärischen Gründen. Dass allen Beteiligten ein Verbleib Alabas lieber gewesen wäre ist wohl klar.

Fehlt Thiago? Klar. Wenn Kimmich da ist gehts noch, aber sonst brutal. In meinen Augen fehlt ein so spielstarker Akteur wie Thiago viel mehr als ein „klassischer“ Sechser oder Zehner.

Dass Bayern Variabilität im Offensivspiel fehlt kann ich nicht erkennen. Wenn man gegen eine tiefe Fünferkette nicht schnell in Führung geht kanns nunmal leicht zäh werden, das ist ja grad der Sinn des Ganzen. Ich wüsste nicht, dass es in der Fußballgeschichte mal eine Mannschaft gegeben hätte, die das lässig ausgespielt hat.

Gnabry, Musiala, Coman und Sané mit den Peak-Robben und Ribéry zu vergleichen ist halt auch etwas unfair. Man sollte nicht vergessen, dass sie alle noch deutlich jünger sind, als es Rib und Rob 2013 waren.

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AG 13. Dezember 2021 um 08:40

Volle Zustimmung. Der Kader der Bayern ist sicher etwas dünn nach den ersten elf, das ist aber seit Jahren so Politik (und anders können sich das ernsthaft auch nur die Topclubs in der Premier League leisten). Und die Leistungen sind auch super: die Tordifferenz würde extrapoliert über die Saison +70 ergeben, und die xG-Differenz (xG erzeugt minus zugelassen) ist bei +1,9 pro Spiel. Das sind beides Bestwerte seit mindestens der Saison 17/18 und die beste xG-Differenz/90 aller fünf großen Liegen, also verdammt gut.

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Koom 13. Dezember 2021 um 14:11

Ich seh den Kader auch als gut. Die Probleme der Bayern sehe ich wenn dann auch eher darin, dass die Defensive in der Struktur anfällig ist, wenn der Gegner auf der Position Qualität und insgesamt eine gute Stabilität hat. Findet man aber sehr wenig. Entweder treffen sie auf BVB, die offensiv überragend, aber als Mannschaft instabil sind, oder auf brutal kompakt gut agierende Teams wie Freiburg und Mainz, denen dann aber vorne die Klasse fehlt.

Und international ist es auch recht licht geworden, was solche Mannschaften angeht. In Spanien, Italien und Frankreich wackelt es oben, im Grunde bleiben da nur die englischen Topteams, allen voran Liverpool und Chelsea. ManCity auch, aber aus meiner Sicht krankt deren Defensive an den gleichen Problemen wie die Bayern.

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WVQ 27. November 2021 um 16:43

Daß Bayern einen Sechser-Typ wie Rodri oder Casemiro, bei dem defensive Zentrumskontrolle das Existenzprinzip ist und Vorstöße die Ausnahme sind, nicht im Kader hat, ist natürlich offensichtlich; daß Kimmich für die alleinige Sechser-Rolle (wenn wir mal vom im Video gezeigten 3-1-Aufbau ausgehen und nicht von der 2-3-Variante, bei der die Mechanismen ein bißchen anders sind) besser geeignet ist als Goretzka, Sabitzer oder Tolisso, ist auch völlig klar. Aber ich frage mich trotzdem, ob das Problem der Konterabsicherung nicht auch sehr gut mit Kimmich zu lösen wäre, wenn man seine Rolle konservativer anlegen würde. Kimmich ist nun mal vom Naturell her ein vorstoßender Sechser, und wenn man dann in einem System spielt, in dem gerade bei tiefstehendem Gegner praktisch jeder Spieler (inklusive der IV) die Erlaubnis zu haben scheint, spontan vorzustoßen, um Druck und Überzahl zu erzeugen, dann sind diese Situationen mit mangelhafter Restverteidigung einfach vorprogrammiert. Ich frage mich daher vor allem, warum Nagelsmann nicht klarere Vorgaben bezüglich der Restabsicherung macht – oder ob die Spieler sie einfach immer und immer wieder falsch umsetzen (wäre komisch) oder gar immer wieder ignorieren (wäre noch komischer). Wenn Pavard als AV vorrückt (ob nun auf dem Flügel oder im Halbraum) und dann Hernandez gegenüber auch noch dribbelnd die letzte Linie verläßt, derweil der zweite „Sechser“ sowieso längst im Zehnerraum unterwegs ist, kann Kimmich – oder überhaupt jeder einzelne – bei Ballverlusten natürlich auch nur sehr bedingt etwas machen. Da fehlt mir eine klare Vorgabe vom Trainer, daß (bspw.) immer zwei Verteidiger in der letzten Linie zu stehen haben und zwei weitere Spieler im Sechserraum. Hieße am Beispiel eines Hernandez-Andribbelns, daß Pavard als rechter IV mitabsichern und Goretzka aus dem Zehner-/Achterraum Richtung Sechserraum fallen muß, so daß man selbst dann, wenn Hernandez sich verdribbelt, noch vier Spieler hat, die hinter dem Ball stehen bzw. Zugriff auf konternde Spieler haben. Aber dem Anschein nach will Nagelsmann das nicht, sondern bevorzugt die Personaldichte vorne und nimmt das Risiko in Kauf, daß man bei Ballverlust dann eben mal plötzlich in Gleich- oder sogar Unterzahl steht (und noch suboptimal gestaffelt). Kann man natürlich im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung machen – wenn man dadurch am Ende mehr Tore schießt als man kassiert, ist ja alles gut. Klappt sogar meistens. Aber wenn es schon gegen Gegner wie Kiew und diverse mittelklassige Bundesligisten regelmäßig zu brenzligen Situationen führt, fragt man sich schon, wie es dann gegen größere internationale Kaliber werden soll.

Glaube jedenfalls nicht, daß es ein Problem des Kaders oder individueller taktischer Mängel ist, sondern daß die Anlage im wesentlichen vom Trainer so gewollt ist. Auch wenn Nagelsmann sich manchmal nach entsprechenden Spielen beklagt, daß Vorgaben nicht richtig umgesetzt wurden; aber mir ist dann meist nicht ganz klar, welche das gewesen sein mögen. Für mich schaut es – wenn überhaupt – eher danach aus, daß die Aufgaben für die Spieler vielleicht etwas zu umfassend definiert werden; der Anspruch, daß praktisch alle Spieler Offensivspieler sein dürfen und zugleich aber auch immer in der Restverteidigung voll da sein müssen, ist halt schon sehr, sehr hoch gegriffen, das scheint mir der Bayern-Kader aktuell (noch) nicht herzugeben. (Das wäre dann vielleicht ein passender Ansatz für die im Video erwähnte Viererkette + Sechs aus der Heynckes- bzw. natürlich auch aus der Guardiola-Ära.)

CEs These eines fehlenden klassischen Zehners teile ich nur sehr bedingt. Klar ist es immer gut, einen kreativen Paßgeber im Zentrum zu haben, aber Bayern besetzt den Zehnerraum ohnehin schon oft dreifach und sehr dynamisch, und gerade Müller und Goretzka können auch kaum als schwache Paßgeber bezeichnet werden. Auch Sané macht in dieser Hinsicht Fortschritte. Gerade in puncto Chipbälle hinter die Kette muß man auch Kimmich dazuzählen. Finde diesen Aspekt so – auf mehrere Kreativspieler verteilt – eigentlich sehr sinnvoll umgesetzt, und für ständige Steckpässe durchs Zentrum oder sonstwelche „genialen“ Methoden, das gegnerische Zentrum zu zerspielen, stehen die Bayern-Gegner sowieso meist viel zu massiv, da sind Halbraum und Flügel die aussichtsreicheren Räume fürs Durchbrechen und das klappt doch auch weitgehend sehr gut und entspricht den Stärken des Kaders. Sehe jetzt nicht, wie da etwas wesentlich besser dadurch würde, daß man nun, sagen wir mal, Thiago statt Goretzka hinstellt, der sich dann ein bißchen weniger durch Lauf- und mehr durch Fußarbeit auszeichnet. Einen „tiefen“ oder „hohen“ Aufbau gibt es ja bei Bayern derzeit ohnehin nur noch sehr eingeschränkt, im wesentlichen ist der Aufbau IV + Sechser und der Rest ist Angriff. Unter Nagelsmann sind die entscheidenden Fragen folglich vor allem, wie der Ball vom Aufbau in den Angriff kommt und dann vom Angriff ins Tor. Für dieses verbindende Element, das ein Typ Thiago gut spielen könnte, gibt es in diesem Sinne gar keinen Raum.

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PeterVincent 27. November 2021 um 11:56

Die Restverteidigung und das Mittelfeld gefallen mir, wie schon unter Flick, überhaupt nicht. Flick hat viel durch extrem hohes (Gegen-) Pressing kaschieren lassen. Das ging zumindest solange gut, wie die Bayern physisch dem Gegner überlegen waren bzw. der Gegner nicht die spielerischen MIttel hatte, sich vom Pressing zu befreien. Nagelsmann ist in anderer Form extrem. Er vernachlässigt schon beim Vortrag vom 2. ins 3. Drittel die Absicherung.

Es fehlt eine starke 6 und eine 10. Ob die 6 der defensive Part (z. B. Kante oder Camavinga) einer „Doppel-Sechs“ oder ein alleiniger 6er (z. B. Casemiro oder Rodri) ist, halte ich dabei gar nicht für entscheidend, wobei ich die alleinige 6 bevorzuge. Auf der 10 fehlt ein Typ wie Modric, der selbst ins Dribbling gehen kann, aber auch die flachen Pässe zw. den Ketten an den Mann bringt.

Als Abschlussspieler #1 Post-Lewy sehe ich Sané. Bei einer Dreierreihe mit Sané, Musiala und einem weiteren abschlussorientierten OA (Adeyemi?) wäre mir nicht Bange. Zumal eine torgefährliche 10 (z. B. Wirtz) und Kimmich auf der 8 ebenfalls scoren könnten.

Ich bin kein großer Davies-Fan. Seine Schwächen im Pass- und Stellungsspiel sind mir zu groß. Außerdem flippert ihn der Ball zu oft vom Fuß. Omar Richards hat mit bisher ganz gut gefallen, vielleicht macht der noch ein, zwei Schritte. In der Innenverteidigung halte ich Süle für die #1 und Lucas für die #2. Alaba vermisse ich nicht. Der hat für mich zu viele Schwächen im Zweikampfverhalten, als dass ich ihn weltklasse (als IV) bezeichnen würde. Allgemein sind für mich die anderen angesprochenen Gründe für die Defensivschwäche verantwortlich und nicht die Abgänge von Boa und Alaba.

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Daniel 12. Dezember 2021 um 23:28

Modric war doch die meiste Zeit gar kein Zehner, sondern eher Achter.
Das mit dem Sechser ist letztlich eine Frage des Geschmacks. Hätte Bayern statt Goretzka einen defensiven Sechser wäre die Absicherung besser, das ist fraglos so. Dafür hätte man dann halt einen Abschluss- und Kombinationsspieler im gegnerischen Zehnerraum weniger und würde ebenso fraglos an Torgefahr einbüßen. Ob man schlussendlich mehr Gegentore reduzieren als eigene Tore verlieren würde ist Spekulatius und hängt von beliebig vielen Faktoren ab. Mir persönlich gefällt die Spielweise unter Flick und Nagelsmann sehr und ich hab es lieber so.

Zu Davies: diese Schwächen kann man nicht wegdiskutieren. Vielleicht sollte man einem 21-jährigen aber auch einfach noch gewisses Verbesserungspotential zugestehen? Dass Richards in diesen Bereichen besser wäre wäre mir bisher auch nicht aufgefallen…

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PeterVincent 17. Dezember 2021 um 13:05

Technisch (Ballbehandlung, Kombinationsspiel, Dribbling) sehe ich Richards stärker, aber im Gesamtpaket ist Davies vorne. Dass Davies sich technisch noch deutlich verbessert, halte ich für sehr unwahrscheinlich. In dem Alter ist die technische Ausbildung schon zu weit fortgeschritten. Man erlebt häufig, dass Fans sich da noch Hoffnungen machen. Als Costa zu Bayern kam, hieß es auch, der werde seine Ballannahme unter Pep noch deutlich verbessern. Wundersamerweise nie geschehen.

Würde gerne mal Spielernamen hören, die mit 21+ technisch sich auf Top-Niveau noch deutlich verbessert haben?! Gibt vielleicht sogar welche, aber wie sieht die Verteilung aus? Auf ein Beispiel kommen 1000 Gegenbeispiele?

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tobit 17. Dezember 2021 um 13:58

Schmelzer unter Tuchel hat sich binnen Monaten von technisch unterstem Zweitliga-Niveau zu einem ordentlichen Bundesligaspieler entwickelt. Einfach nur durch sauber trainierte Basics, wo ja auch Davies die meisten Probleme hat. Gab es meine ich auch Mal Aussagen von Subotic zu, dass Tuchel ihnen da schon in den ersten Wochen sehr viel beigebracht hat, wie man den Ball in bestimmten Situationen am besten annimmt und abspielt und, dass das einer der großen Unterschiede zu Klopp sei.
Bender hat im selben Bereich unter Tuchel ebenfalls Riesenfortschritte gemacht. Da ist die Trennschärfe zwischen seinem Fortschritt und der neuen Position als IV aber nicht so klar.

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Daniel 17. Dezember 2021 um 15:12

Dafür hab ich Richards ehrlich gesagt noch gar nicht oft genug gesehen, um mir da ein Urteil zu erlauben. Dass er da signifikant besser wäre wäre mir jetzt nicht aufgefallen. Als Costa zu Bayern kam war er 25, Davies ist jetzt gerade mal einen guten Monat 21. Das sind vier Jahre, die einen riesigen Unterschied machen.
Goretzka z.B. hat unter Flick nochmal massive Fortschritte im spielerischen und kombinativen Bereich gemacht. Am Anfang hatte ich doch große Bedenken, ob er sich bei Bayern jemals wirklich wird durchsetzen können. Jérôme Boateng galt am Anfang seiner Karriere als technisch schwaches Physismonster, die Laserpässe kamen viel später. Konrad Laimer war am Anfang in Leipzig technisch überhaupt nicht auf der Höhe, inzwischen auch technisch ein guter Bundesligaspieler.
Davies Probleme sind für einen extrem schnellen Spieler meinem Eindruck nach auch nicht so ungewöhnlich…solche Spielertypen machen in der Jugend die Erfahrung, dass sie den Ball auch mal etwas weiter klatschen lassen können und ihn wegen ihrer Geschwindigkeit trotzdem noch erreichen können. In kritischen Situationen passieren Davies praktisch nie technische Fehler, das deutet darauf hin, dass er es eigentlich kann und seine „Unsauberkeiten“ offensiv eher so halb gewollt sind.

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