Borussia Dortmunds Spielaufbau in der Analyse

Borussia Dortmund befindet sich in einer kniffligen Lage. Der Verein gehört zu einem der besten in Europa und erst recht in der Bundesliga, in der eine qualitative Lücke zwischen Dortmund, Bayern München, RB Leipzig  und dem Rest klafft. Von Dortmund wird erwartet, dass es das Kommando auf dem Rasen übernimmt.

Der BVB fühlt sich in dieser Rolle auch wohl. Lucien Favre gehört gewiss zu jenen Trainern, die daran glauben, dass Ballbesitzfußball und fehlerfreies Passspiel Dominanz ermöglichen und Gegner auslaugen können. Für manche Beobachter mag eben jenes fehlerlose Passspiel gepaart mit wenigen Torschussaktionen langweilig erscheinen, aber der Ansatz kann in der Tat nützlich sein, um eine gegnerische Verteidigung in Bewegung zu bringen, bis sich eine Lücke auftut, um diese für Raumgewinne zu nutzen. Dortmund ist bekanntlich am stärksten, wenn sich die Offensivabteilung um Erling Haaland in hoher Geschwindigkeit in offenen Räumen bewegt.

Die Konsequenz daraus ist, dass der Spielaufbau des BVB der entscheidende Teil des gesamten Borussen-Spiels ist. Im Durchschnitt hat Dortmund 111 Ballbesitzphasen pro Partie. Allerdings bestehen diese Ballbesitzphasen zumeist aus mehreren Spielaufbauphasen, denn Favre verlangt von seinen Spielern, dass sie wenig aussichtsreiche Angriffe abbrechen und lieber noch einmal von hinten die Spieleröffnung neu beginnen, statt Schüsse mit der Brechstange abzufeuern.

“Wir müssen das Spiel machen, von Anfang an. Wir müssen das Spiel im Mittelfeld beherrschen, intelligent Lücke nach vorne finden.”

(Lucien Favre, 2018)

Was sind die wichtigsten Elemente des Dortmunder Spielaufbaus?

Nachdem Favre in der Saisonvorbereitung mit einer Viererkette experimentierte, entschied sich der Schweizer schlussendlich doch dafür, bei der Dreierkette zu bleiben. Er nahm allerdings kleinere Anpassungen an der Grundordnung, insbesondere der Struktur vor der Abwehrkette, vor. Auffällig ist dabei die Implementierung von Gio Reyna als variablen Zehner, wobei der 17-jährige Amerikaner auch schon als Halbstürmer etwa im 3-4-2-1 gegen Hoffenheim zum Einsatz kam. Insgesamt hat sich die Aufbaustruktur allerdings nur marginal verändert. Eine gezwungene Veränderung ergab sich aus der Tatsache, dass Achraf Hakimi durch Thomas Meunier ersetzt werden musste. Die Spielweise des Belgiers beeinträchtigt ein wenig die Durchschlagskraft im letzten Drittel, hat aber keinen großen Einfluss auf die Abläufe im Spielaufbau.

Generell herrscht im Spielaufbau eine gewollte Unruhe in dem Sinne, dass die Dortmunder Aufbauspieler den Ball schnell übers Feld bewegen wollen, was vor allem dann sichtbar wird, wenn Gegner wie zuletzt der SC Freiburg in klarer Manndeckung gegen die Borussen verteidigen. Genau dann spielen die drei Verteidiger den Ball druckvoll über die Breite des Spielfeldes in der Hoffnung, dass die erste Pressinglinie nicht rasch genug verschieben kann und Lücken anbietet, die es wiederum den Dortmunder erlauben ins zentrale Mittelfeld vorzudringen. Denn genau das ist das zentrale Ziel des BVB-Spielaufbaus. Die Dortmunder versuchen stets den Ball durchs Zentrum nach vorn zu bewegen, auch wenn es vielleicht manchmal nicht so wirkt, weil sie nach außen abgedrängt werden. Aber eigentlich ist der Spielaufbau dazu da, den Ball zu Axel Witsel und insbesondere Jude Bellingham sowie Gio Reyna hinter der ersten und teilweise sogar zweiten Pressinglinie zu bringen.

Aufgrund der Art und Weise, wie die drei zentralen Verteidiger den Ball hinten umherspielen, muss es zwangsläufig auch zu Pässen auf die Flügel kommen, denn andernfalls wäre es gar nicht möglich, die gewünschte Dynamik auf einem eigentlich kleinen Raum aufrecht zu erhalten. Das führt dazu, dass die die beiden Flügelläufer frühzeitig in den Spielaufbau eingebunden werden. Leider hat sich Meunier dieser Tatsache allerdings noch nicht gänzlich angepasst, denn er geht weiterhin frühzeitig nach vorn, nur um dann im Eiltempo wieder zurück zu sprinten, um den Pass des rechten Halbverteidigers in Empfang zu nehmen. Meunier steht dann jedoch mit dem Gesicht zum eigenen Tor, weshalb seine anschließenden Passoptionen arg begrenzt sind. Der linke Flügelverteidiger ist im Gegensatz dazu meist tiefer positioniert und hat folglich auch eine bessere Körperhaltung, um ohne große Probleme, den Ball nach einem Zuspiel von der Dreierkette ins Mittelfeldzentrum weiterzuleiten.

Dortmund spielt aktuell die direktesten Angriffe aller Bundesligateams. In dieser Kategorie war der BVB über die gesamte letzte Saison auf Rang zwei. („Directness“ drückt das Verhältnis zwischen zurückgelegter Distanz des Balles und dem effektiven Raumgewinn während einer Ballbesitzphase, die in einem Schuss endet, aus.)

Das bringt uns zu einer weiteren wichtigen Komponente des Dortmunder Spielaufbaus: der Diagonalität, die durch die einzelnen Akteure auf unterschiedlichste Weise kreiert wird. Da wäre zunächst Emre Can, der als rechter Halbverteidiger gerne durch den Halbraum dribbelt und dabei aufgrund diagonaler Bewegungen durch zu flache Pressinglinien hindurchbrechen kann, wenn diese nicht rechtzeitig verschieben. Statistisch gesehen gehört Can zu den fünf besten Bundesligaspielern in puncto Raumgewinne. Zudem gibt es Manuel Akanji, der als Rechtsfuß auf der linken Seite spielt und deshalb auf fast natürliche Weise viele diagonale Bälle ins Mittelfeldzentrum spielt.

Auf der Außenbahn gibt es mit Raphaël Guerreiro einen Flügelläufer, der oftmals tief positioniert ist, um freie Sicht auf das Feld zu geben und mit seinem linken Fuß entweder die Linie entlang oder den Ball in die Mitte spielt. Zu guter Letzt wäre da noch Felix Passlack, der sich fast mühelos an die linke Seite gewöhnen konnte und entsprechend darauf reagierte, dass er dort als Rechtsfuß eine gewisse Körperposition braucht, um den Ball umgehend weiterzutreiben. Passlack dreht sich bewusst ins Feld hinein, bevor er einen Pass von einem der drei zentralen Verteidiger erhält. Anschließend folgt meist ein Zuspiel mit leichtem Drall nach vorn, was wiederum die Dynamik der Sechser unterstützt.

So funktioniert simplifiziert dargestellt die Passabfolge mit Guerreiro.

Während sich Passlack sehr gut in den Dortmunder Spielaufbau integriert hat, bleibt Guerreiro aber ein zentrales Element dieser Spielphase. Aufgrund seiner Nähe zur Außenlinie und seiner Körperposition kann er den Ball des Öfteren im spitzen Winkel zu Bellingham oder Witsel spielen, welche dann wiederum in einem ähnlich spitzen Winkel den Ball wieder nach außen weiterleiten können. Darauf folgt dann zumeist ein Zuspiel in Richtung Haaland, der die Passabfolge auf der linken Seite dazu nutzt, um sich von einem Verteidiger zu lösen und einen Lauf hinter die letzte Linie zu starten.

Zusätzliche Faktoren

Viele gegnerische Teams sind davon überzeugt, dass sie Dortmunds Spielaufbau mit hohem Pressing und intensiver Manndeckung begegnen müssen. Sobald diese Deckungsspieler unmittelbar auf die Verteidiger des BVB draufgehen, schalten diese nicht selten auf direktes Vertikalspiel um. Selbst wenn ein Pressingangreifer beispielsweise direkt vor Can steht, gelingt es dem Dortmunder zumeist immer noch, einen entsprechenden Winkel für seinen Vertikalpass zu kreieren und den Ball nach vorn zu spielen. In diesem Zusammenhang nimmt Gio Reyna eine zunehmend wichtige Rolle ein, da er normalerweise der Offensivspieler ist, der die meisten Horizontalläufe im Mittelfeld unternimmt und sich damit auf einer vertikalen Linie vor einem der Halbverteidiger positionieren kann. Reynas Agilität und seine unablässigen Bewegungen sind mitentscheidend dafür, hohe Pressinglinien zu brechen.

Was Reyna zumeist für Can ist, ist Bellingham für Hummels. Der junge Brite schafft es immer wieder, sich von seinem Deckungsspieler zu lösen und sich ebenso in einer Gasse vorm Zentralverteidiger der Dortmunder zu positionieren. Seine Mitspieler haben bereits ein solches Vertrauen in Bellingham entwickelt, dass sie ihn sogar anspielen, wenn er sich in einer engen Zone und von Gegenspielern umgeben im mittleren Drittel anbietet. In den vergangenen Jahren mangelte es dem BVB genau an solch einem Box-to-Box-Spieler, der an der Seite von Axel Witsel zur Geltung kommen kann. Bereits im Alter von 17 Jahren ist Bellingham ein exzellenter Passspieler und vor allem selbstsicherer Ballschlepper, der auch unter dem besonderen Druck, den viele Bundesligateams auf Sechser ausüben, nicht einknickt.

Witsel, Bellingham und Reyna formen ein Mittelfelddreieck. Wenn einer der beiden Halbverteidiger, insbesondere Can auf seiner „natürlichen“ rechten Seite, nahe der Seitenauslinie am Ball ist, ist es wichtig, dass sich der ballnahe Mittelfeldspieler aus jeglichem Deckungsschatten löst und von Manndeckern befreit, um umgehend anspielbar zu sein.

Bellingham nutzt häufig den linken Halbraum, um sich für einen Vorwärtspass anzubieten. Er steht zumeist etwas höher als Witsel. Reyna wiederum tendiert dazu, sich im rechten Halbraum fallen zu lassen. Damit bilden diese beiden 17-Jährigen de facto eine temporäre Doppelacht und ein Dreieck mit dem belgischen Veteran Witsel, der sich nicht zu schade dafür ist, seinen beiden Mitspielern den Rücken freizuhalten. Das Mittelfelddreieck ist für gewöhnlich schmaler als die Dreierkette, wodurch einmal mehr Diagonalität im Passspiel erzeugt wird.

Ein weiteres Element, das vielleicht nicht von zentraler Natur ist, aber den Spielaufbau der Dortmunder unberechenbarer macht, sind Mats Hummels‘ kurze Dribblings, bei denen er zumeist einige kurze explosive Schritte macht und an einem Gegenspieler vorbeigeht. Hummels unternimmt diese Dribblings gerade, wenn er von der linken Seite auf seinen starken rechten Fuß angespielt wird und sofort den Ball einen Impuls mit der Außenseite in Richtung Spielfeldzentrum geben kann. Darauffolgend führt er den Ball noch mit ein paar Kontakten und versucht Raumgewinn zu erzielen, aber insbesondere dem Gegner zu einer Reaktion zu zwingen. Hummels‘ kurze Dribblings können im besten Fall einen Art Dominoeffekt erzielen und einen Mittelfeldspieler aus der Deckung befreien.   

Die bis hierhin getroffenen Erklärungen wurden immer unter der Annahme getroffen, dass der BVB darauf abzielt, Kurz- und Flachpassspiel zu betreiben. Favre bevorzugt gewiss diese Spielweise gegenüber einem Stil mit langen Bällen, die in der Regel schwerer kontrollierbar sind und naturgemäß ein gewisses Chaos und Zufälle verursachen. Trotzdem nutzt Dortmund gelegentlich lange Bälle, die am effektivsten eingesetzt werden, wenn die Mannschaft zuvor bereits aufgerückt stand und sich dann dazu entschied, den Ball wieder zur Dreierkette zurückzuspielen. Dann kann einer der Verteidiger sofort einen langen Diagonalball auf die ballferne Seite spielen oder einen der Angreifer anpeilen, der sich gerade hinter die Abseitslinie bewegt. In diesen Situationen nutzt der BVB die Bewegungsrichtung der gegnerischen Mannschaft zum eigenen Vorteil, weil ein gegenläufiger Pass es dem Gegner fast unmöglich macht, umgehend adäquat zu verschieben und eine entsprechende Verteidigungsstellung zu formen.

Fallstricke

Es gibt selbstverständlich einige Hürden und auch Fallen, die den Erfolg des Dortmunder Spielaufbaus beeinträchtigen können. Die Leistungen gegen Lazio und Augsburg haben das zuletzt eindrücklich unter Beweis gestellt.

So wird Emre Can zu Recht für seine linienbrechenden Halbraumläufe gelobt, da diese normalerweise sehr effektiv gegen jegliche Pressingstruktur sein können, sofern sie entsprechend vorbereitet werden. Aber Can neigt dazu, etwas unvorsichtig vorzugehen und den in ihm schlummernden Achter zu reaktivieren. Als Achter muss er natürlich nicht mit jenen fatalen Konsequenzen rechnen, sollte er den Ball einmal verlieren. Can muss als Teil der Dreierkette das Risiko gut kalkulieren, wenn er versucht, die gegnerische Pressingstruktur auseinanderzuspielen. Dass er so viele Läufe unternimmt, sollte grundsätzlich positiv gesehen werden. Allerdings kann es sehr gut sein, dass Favre, der bekanntlich bedacht (oder risikoscheu) ist, manchmal mit Unbehagen dem Treiben seines Halbverteidigers zusieht, wenn sich dieser dazu entscheidet, es mit ein paar Gegenspielern aufzunehmen.

Der Grund, weshalb Cans offensive Läufe zumeist funktionieren, liegt daran, dass er die Freiräume hinter der ersten Pressinglinie für sich nutzen kann. Die meisten Gegner sind davon überzeugt, dass sie die Dortmunder frühzeitig und intensiv attackieren müssen, um ihnen ja keine Zeit in der ersten Phase des Spielaufbaus zu gewähren. Sie befürchten, dass ansonsten ein geschulter Passspieler wie Hummels sie mit seinen präzisen Vertikalpässen und langen Bällen hinter die Abseitslinie erwischen könnte, wie er es bereits in der Vergangenheit häufig getan hat. Aber jene Teams, die sich etwas tiefer positionieren, agieren zumeist erfolgsversprechender gegen den BVB.

Hoffenheim zum Beispiel verzichtete kürzlich weitestgehend auf hohes Angriffspressing in der Partie gegen Dortmund und versuchte stattdessen, räumliche Dichte im mittleren Drittel zu erzeugen. Auch Lazio spielte nicht unablässig hohes Pressing, sondern ließ den BVB zeitwillig etwas kommen, um das Vorankommen ab einem gewissen Punkt zum Stillstand zu bringen und gerade Rückpässe sowie Zuspiele auf tief positionierte Flügelläufer als Triggermomente zu nutzen, entsprechend aufzurücken und die ballnahen Anspielstationen allesamt zuzustellen.

Dortmunds Spielaufbau tappt meist in die Falle, wenn Gegner nicht sofort hochpressen. Dann rückt der BVB etwas nach vorn und macht selbst das Spielfeld enger, wodurch er sich des Raums beraubt, der eigentlich für mittellange Zuspiele zu Bellingham, Witsel oder Reyna benötigt wird. Wenn Hummels und seine Nebenleute erst einmal nahe der Mittellinie sind, können Vertikalpässe ins Mittelfeld eigentlich nur noch kurz und langsam erfolgen, weil jeder kraftvolle Pass das Risiko erhöht, das dem Empfänger der Ball sofort verspringt. Die Kürze im Passspiel und die Enge des Raums machen es allerdings für die Empfänger schwer, direkt aufzudrehen und den Angriff zum gegnerischen Tor zu forcieren.

Ein weiterer Faktor, der aktuell negativen Einfluss auf die Qualität des Spielaufbaus hat, sind die sich häufenden Verletzungen und Ausfälle in der Abwehr. Favre wurde in den vergangenen Wochen bereits dazu gezwungen, mehrfach seine Dreierkette umzustellen. Dass Thomas Delaney gegen Hoffenheim und Lazio als linker Halbverteidiger zum Einsatz kam, war nichts anderes als eine Notlösung, wenngleich sich der Däne in dieser ungewohnten Rolle recht ordentlich schlug. Eine feste Dreierkettenbesetzung mit Hummels, Can und womöglich einem wiedergenesenen Dan-Axel Zagadou würde Favre in jedem Fall weiter helfen, an den Feinheiten des Positionsspiels zu arbeiten und die Präzision der Passstafetten zu erhöhen.

Während noch viel Verbesserungsbedarf besteht, wie die Leistungen gegen die Pressingspezialisten des FC Augsburg oder auch die gewieften Verteidiger von Lazio unter Beweis stellten, stellt der Spielaufbau des BVB trotzdem an sich eine passable Grundlage für die Angriffe der Schwarzgelben dar. Einen Zweifel an den Qualitäten des Angriffs rund um Jadon Sancho und Erling Haaland gibt es indes nicht. Es geht nur darum, den Ball entsprechend zu diesen Supertalenten zu bringen.

Die englische Version dieses Textes ist auf StatsBomb zu finden.

barcaberlin 25. Oktober 2020 um 00:02

Eine Frage hätte ich zum Thema „Directness“, denn diese Statistik verwundert mich ehrlich gesagt etwas: Wie erklärst du dir dass Dortmund führend ist in dieser Kategorie?

Für mich ist sowohl von der Wahrnehmung her als auch von deiner Beschreibung der Favre Philosophie („lieber mal einen Angriff abbrechen und neu aufbauen“) irgendwie ein Widerspruch. Ich verstehe, dass wir durchaus auch Konter immer wieder als Mittel nutzen und letzte Saison durch Haaland und Hakimi da relativ weit vorne dabei waren, aber wie wir im Durchschnitt bei unseren Schüssen immer noch Spitzenwerte haben können ist mir unklar. Das müsste ja bedeuten, dass unsere langen Ballbesitzphasen fast immer ohne Abschluss versanden und dadurch nicht in der Statistik auftauchen…

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tobit 25. Oktober 2020 um 10:31

Darüber bin ich auch ein wenig gestolpert. Vor allem, weil diese Statistik irgendwie wenig in die restliche Analyse eingebunden ist.
Und die Werte liegen alle erstaunlich nah an 1, was ja der höchste erreichbare Wert sein müsste (Ball bewegt sich in gerader Linie vom Startpunkt zum Endpunkt). Ich hätte mit einem wesentlich längeren Weg des Balles im Vergleich zur geraden Linie gerechnet.

Die Hauptfrage, die sich mir dabei stellt, ist wie eine Ballbesitzphase definiert ist.
– Beginnt bei jedem Neuaufbau eine neue Ballbesitzphase? Dann ergibt Dortmunds starker Wert Sinn, da sie aus einem Neuaufbau oft schnell zum Durchbruch kommen.
– Beginnt bei jeder gegnerischen Ballberührung (oder „wie viel“ Ballverlust braucht es dafür) eine neue Ballbesitzphase? Gerade direkt vor dem Strafraum kommt es ja oft mal zu Abprallern von denen dann ziemlich geradlinig zum Tor gespielt wird und Dortmund kombiniert ziemlich viel in diesen Räumen.
– Oder ist die Definition eine ganz andere?

Außerdem: Welchen Wert hat die Statistik überhaupt?
– Ist eine hohe „Directness“ automatisch gut? Ich denke nicht
– Taugt sie zur einfachen Beschreibung der Spielweise einzelner Teams? Beim BVB halte ich das zumindest für fraglich.
– Und was ist „effektiver Raumgewinn“? Zählt eine Flanke vom Flügel in den Strafraum als Raumgewinn (weil der Ball sich näher zum Tor bewegt) oder ist sie nur eine Verlängerung des Ballweges (weil sich der Ball nur horizontal bewegt)?

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erico 1. November 2020 um 13:36

Der hohe Directness Ratio des BVB liest sich überraschend. Man beobachtet zu häufig viele horizontale Pässe, wenn der BVB zu Beginn des letzten Drittels im Ballbesitz ist (besonders auffällig letztens gegen Zenit). Vielleicht münden aber gerade diese Ballstaffetten zu selten in einen Torschuss, sodass schnellere und direktere Angriffe mit Abschluss verhältnismäßig an Gewicht gewinnen?

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tobit 1. November 2020 um 16:56

Solange wir nichts über die historische Anpassung wissen, können wir sowieso wenig über die Basisdaten sagen. Denn diese Anpassung muss selbst mit der Annahme, dass der BVB überwiegend sehr vertikale Angriffe abschließt, ziemlich groß sein.

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CE 1. November 2020 um 18:47

Ich hatte mir kürzlich mal alle Sequenzen vor den BVB-Torschüssen in der grafischen Auswertung angeschaut und viele davon sind recht direkt. Natürlich gibt es auch mal ein Extrembeispiel, in welchem ein Angriff über 130 Sekunden dauert, aber viele Spielzüge bestehen aus mehreren Vorwärtspässen und nur vereinzelten Querpässen.

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CE 25. Oktober 2020 um 16:33

Der letzte Satz bringt es gut zum Ausdruck. Jene Angriffe, die zum Abschluss kommen, sind meist verhältnismäßig direkt gespielt. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass es in diesen Situationen keine Querpässe im Aufbau gibt, aber nach einer kurzen Aufbauphase geht es recht direkt nach vorn. Das kommt auch im Text zum Ausdruck – siehe Bewegungsverhalten von Can oder die Passmuster auf der linken Seite.

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tobit 26. Oktober 2020 um 16:50

Die Liga hat im Schnitt eine Directness von über 0,8 (fast schon näher an 0,9) – der Ball legt bei einem durchschnittlichen Angriff (mit Abschluss) also maximal 25% mehr Strecke zurück als er in gerader Linie bräuchte.

Beispiel: 2 Angriffe über das komplette Feld (Annahme: 100 m direkter Weg).
Erster Angriff: langer Ball vom Torwart auf einen zentralen Angreifer, der die restliche Strecke bis zum Abschluss gerade aufs Tor zuläuft. Müsste eine Directness von genau 1 haben, korrekt? Im zweiten Angriff dürfte der Ball jetzt maximal 150 m (bzw. weniger, da die Liga ja über 0,8 liegt) zurücklegen, damit wir eine für die Liga durchschnittliche Directness erreichen. Damit kann man vielleicht zweimal zwischen den IV hin und herspielen und muss dann geradeaus nach vorne. Von Rückpässen will ich da gar nicht erst reden.

Oder verstehe ich die Berechnung komplett falsch?

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CE 27. Oktober 2020 um 09:29

Die Berechnung ist richtig, aber die Ratio ist angepasst an historische Werte. Solche Statistiken sind gedacht zum ligaweiten Vergleich oder auch zum Vergleich über mehrere Spielzeiten und zwischen Ligen.

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tobit 27. Oktober 2020 um 11:23

Was heißt denn „angepasst an historische Werte“ und welchen Zweck erfüllt die Anpassung? Weil vergleichbar (und leichter zugänglich) wäre der Wert doch auch ohne

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tobit 23. Oktober 2020 um 14:29

Vieles sehe ich ähnlich. Insbesondere, dass Zagadou links eine enorme Verstärkung wäre, da dann Guerreiro wieder etwas höher und diagonaler agieren könnte ohne den Flügel komplett aus den gegnerischen Absicherungsüberlegungen zu eliminieren.

Ich würde aber zur rechten Seite ergänzen, dass sich die Besetzung dort komplett geändert hat aber viele der taktischen Prinzipien (unter jetzt suboptimalen Bedingungen) weiterlaufen sollen.
– Piszczek besetzte viel mehr den tiefen Flügel als Can das jetzt tut und zog erst am letzten Drittel in den offensiven Halbraum. Dadurch war die gegnerische Pressinglinie entweder direkt gestreckter oder es musste einer aus den tieferen Linien auf Piszczek rausrücken, der jetzt näher bei Meunier oder Reyna bleiben kann.
– Hakimi wurde auch viel mit Rücken zum Tor angespielt, konnte sich aus diesen Situationen aber mit seiner Athletik und Technik besser lösen als Meunier (der mMn quasi dieselben Anweisungen wie Hakimi hat, nur halt nicht die Fähigkeiten oder das Umfeld um sie umzusetzen) und war auch weniger bedrängt, da Hazard viel mehr die letzte Linie attackierte als Reyna.
– Außerdem spielte zusätzlich der offensivere Sechser letzte Saison öfter halbrechts und war da als Absicherungs- (Delaney) und Überladungsspieler (Brandt) sowie zusätzliche (Rück)Passoption sehr wichtig. Witsel wäre jetzt der rechte Sechser, hält sich aber oft deutlich zentraler. Einerseits aus seiner persönlichen Tendenz nach links heraus und andererseits denke ich um Can den Halbraum zu öffnen.

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tobit 23. Oktober 2020 um 14:51

Es hat sich von sowas http://lineupbuilder.com/?sk=vy1tx6 mit klarem Fokus auf die Dynamiken der rechten Seite zu sowas http://lineupbuilder.com/?sk=vy1tx7 mit viel weniger situativen Positionswechseln verändert. Diese Wechsel waren meiner Meinung nach einer der wichtigsten Faktoren, warum die 3er-Kette so viel besser funktioniert hat als die 4er-Kette.

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