Auf der Suche nach einem Nachfolger für Jadon Sancho

Aktuell herrscht Stillstand im Fußball. Trotzdem darf sich jeder sicher sein, dass die Fußballindustrie nicht einfach aufhört zu existieren. Stattdessen planen die Clubs bereits für die Zeit danach. Borussia Dortmund wird diese Zeit womöglich ohne Jadon Sancho bestreiten. Der junge Engländer könnte in seine Heimat zurückkehren und ein großes Loch hinterlassen, dass es zu füllen gilt.

Was macht Sancho aus?

Gemeinhin sind die Attribute des 20-Jährigen bekannt. Er hat sich innerhalb kurzer Zeit zu einem der verheißungsvollsten Flügelstürmer in Europa entwickelt. Dabei verfügt Sancho über die klassischen Merkmale eines Außenbahndribblers: Er kann von der Seitenlinie diagonal ins Eins-gegen-Eins gehen, den geradlinigen Sprint zur Grundlinie anziehen oder durch Bewegungen nach innen Lücken am Rande seines Sichtfelds kreieren. Sancho ist agil und ballgewandt.

Zudem ist er sehr aggressiv in seiner Spielweise. Sein Risikomanagement ist so ausgerichtet, dass er einen Ballverlust mit Blick auf möglichen Offensivoutput in Kauf nimmt. Aus diesem Grund schenkt er Ballbesitz auch des Öfteren her, kommt aber bei Torchancen zumeist aus guter Lage zum Schuss. Insgesamt hat er eine vergleichsweise hohe Präsenz im Strafraum. Er bewegt sich nicht nur auf den Außenbahnen um den Sechzehner herum, sondern richtet sein Spiel darauf aus, in die torgefährliche Zone zu kommen.

Dabei ist Sancho vom Typ her jedoch weniger einem Franck Ribéry ähnlich, der den Zug zum Tor vor allem vom Flügel aus entwickelte, sondern er verschafft sich seine Positionen im Halbraum. Insgesamt wird Sanchos Spiel aus dem Halbraum heraus unterschätzt. Von dort aus interagiert er allerdings zumeist mit den anderen Dortmunder Offensivkräften – etwa mit Marco Reus oder Julian Brandt. Er sucht regelmäßig das kurze Anspiel auf Reus oder neuerdings auch Erling Haaland, um sich unmittelbar im Anschluss für die Weiterleitung oder Ablage in Position zu bringen. Sancho besticht dadurch, dass er in Ballnähe, aber nicht am Ball selbst, in freie Räume kommt. Er bewegt sich schneller als Gegenspieler, die gerade als Manndecker ihn nur für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen verlieren müssen, um nicht mehr entscheidend einzugreifen.

Beim BVB funktioniert Sancho auch deshalb so gut, weil er nicht ständig die Außenbahn auf und ab rennen muss. Seine Arbeit gegen den Ball ist sowieso eher schlampig und teils unbeholfen. Aber auch lange Läufe, ohne die Option diagonal in die Mitte zu gelangen, liegen ihm wenig. Im Sprint ist er vor allem bei offenen Konterattacken in seinem Element. In Dortmund hilft es Sancho, dass er mit Achraf Hakimi oder Raphael Guerreiro Außenbahnläufer um sich herum hat. Gerade Hakimi mit seiner Neigung, im letzten Drittel hinter die Abwehrlinie zu laufen, passt gut zu Sanchos Präsenz im Zentrum, da die Aufmerksamkeit mehr auf dem Engländer liegt, der aber aufgrund seiner Agilität Hakimi trotzdem durch die Schnittstellen bedienen kann.

Typische Szene: Sancho spielt gegen eine sich zurückziehende Abwehr durch den Halbraum und bewegt sich dann nach vorn. Er zieht die Aufmerksamkeit der äußeren Defensivspieler auf sich und ermöglicht Hakimi einen Lauf hinter die Abwehr.

Was muss der Nachfolger mitbringen?

Aufgrund der genannten Attribute sollte der BVB nicht nur nach einem starken Flügeldribbler suchen. Davon gibt es einige in der Bundesliga wie auch im Rest Europas. Doch der BVB braucht gerade im 3-4-3 nicht unbedingt einen für die vordere Dreierreihe, der sich vornehmlich auf dem Flügel zurechtfindet. Dafür gibt es auf den Flügelverteidigerpositionen laufstarke Akteure wie eben Hakimi, Guerreiro oder auch Nico Schulz. Der mögliche Transfer von Thomas Meunier verdeutlicht zudem, dass die Dortmunder in diesem Bereich sogar noch einmal aufrüsten werden.

Dafür können wir das Tool für die „Similar Player Search“ von StatsBomb bemühen und auswerten, welche Bundesligaspieler in dieser Saison Sancho ähneln. Dabei gewichten wir, welche Werte besonders stark in den Vergleich einfließen sollen und erhalten in diesem Fall für die Kategorie bis einschließlich 22 Jahre und bei einer Mindestanzahl an Spielminuten von 600 einige interessante Namen – jeweils mit der prozentualen Übereinstimmung zu Sancho. Die Kandidaten sind in abfallender Übereinstimmung: Marcus Thuram, Christopher Nkunku, Kai Havertz, Dodi Lukebakio, Moussa Diaby, Josip Brekalo, Ruben Vargas, Amine Harit, Leon Bailey, Alphonso Davies, Marco Richter, Christoph Baumgartner, Rabbi Matondo, Javairô Dilrosun und Ismail Jakobs. Natürlich fallen hier schon einmal aus offensichtlichen Gründen ein paar Kandidaten raus. Oder glaubt jemand, dass Davies demnächst für den BVB spielen wird? Allerdings können wir auch drei interessante Spieler herausgreifen.

Kandidat 1: Moussa Diaby

Aus dem Freien gegriffen hätte ich womöglich auch Diaby als recht offensichtliche Option vorgeschlagen. Der Flügelspieler von Bayer Leverkusen ist noch nicht so leistungsstabil wie Sancho – insbesondere im gegnerischen Strafraum –, aber er verbindet seine Wendigkeit und Geschicklichkeit am Ball mit einem vorhandenen Zug zum Tor. Von Vorteil ist dabei, dass er im System von Peter Bosz auch nicht reinweg als Außenbahnspieler eingesetzt wird, sondern die Freiheit oder sogar die Aufgabe hat, sich in den Halbräumen zu positionieren beziehungsweise diese Zonen zu bespielen. Diaby attackiert Verteidigungen nicht nur vom Flügel, sondern penetriert sie auch in den positionellen Lücken. Insofern könnte er gut in Lucien Favres Spielsystem passen. Über seine grundsätzlichen fußballerischen und athletischen Fähigkeiten sollten ohnehin keine Zweifel bestehen.

Kandidat 2: Ruben Vargas

Augsburgs Vargas ist schwieriger als Diaby zu bewerten, da er momentan vom Spielstil seiner Mannschaft nur bedingt profitieren kann. Der FCA gehört zu jenen Bundesligisten mit einer geringen offensiven Produktivität in Form von Torschüssen. An dieser Situation kann Vargas allein wenig ändern, das muss er vielleicht aber auch gar nicht. Denn gerade im Umschaltspiel erzeugt er trotz allem eine respektable Durchschlagskraft, die selbst in isolierten Situationen ersichtlich wird. Die Devise bei Vargas kann insofern nur lauten: Wer bereits in einem schwachen spielerischen Umfeld so viel offensive Präsenz hat, der müsste doch eigentlich mit besseren Mitspielern umso mehr glänzen. Der Fallstrick hierbei ist, dass sich dahinter unter Umständen ein Denkfehler verbirgt. Denn Vargas profitiert auch vom Umschaltfußball Augsburgs, denn er erhält mehr Freiräume und muss selten kleinteilige Aktionen erfolgreich umsetzen. Vargas ist ein Kandidat bei dem deutlich wird, dass es nicht so leicht ist, Leistungen eines Spielers in Relation zur Mannschaftsstärke sowie in den Kontext eines möglichen künftigen Spielsystems zu setzen.

Kandidat 3: Christoph Baumgartner

Etwas überraschend dürfte die Nennung dieses 20-jährigen Hoffenheimers sein. Baumgartner gilt als größtes Talent im Bundesligakader der Kraichgauer. Allerdings wurde er in dieser Spielzeit – ganz im Stile von Alfred Schreuder – von Position zu Position herumgereicht. Vom rechten Flügelläufer bis zum linken Halbstürmer hat er nahezu jede Position schon einmal ausgefüllt. Baumgartner ist aber in jedem Fall ein Spieler, der am besten auf der Zehn oder als Außenstürmer zur Geltung kommt. Seine aggressive und gleichzeitig agile Spielweise im letzten Spielfelddrittel erinnert in Zügen sogar an Sancho. Natürlich geht Baumgartner das besondere Etwas im Dribbling vollends ab. Sollte der BVB allerdings nach einem jungen Kandidaten suchen, der sowohl als verkappter Außen wie auch als möglicher Reus-Backup eingeplant werden kann, dann dürfte Baumgartner in Frage kommen. Ähnlich wie Sancho vor eineinhalb Jahren ist Baumgartner noch ein wenig inkonstant in seiner Entscheidungsfindung. Allerdings haben bereits die Einsätze, die er in der Bundesliga hatte, mit der Zeit gezeigt, dass er sich rapide weiterentwickelt.

Wen auch immer Dortmund schlussendlich für Sancho verpflichtet, es wird im ersten Moment kein gleichwertiger Ersatz sein und stattdessen jemand mit dem entsprechenden Potenzial, die BVB-Offensive kurz- und vor allem mittelfristig auf seine Weise zu prägen. So war es schon bei Sancho der Fall. Und das hat sich als lukratives sportliches wie finanzielles Modell für die Dortmunder erwiesen.

Pflaumenaugust 21. Mai 2020 um 17:39

Generell fährt der BVB ja meistens besser mit Spielern, die unfertig sind, aber ein riesiges Potenzial haben. Als Mkhitaryan durch Schürrle ersetzt werden sollte oder Dembélé durch Yarmolenko war das weniger erfolgreich. Dembélés Rolle als der Unterschiedsspieler in der Offensive wurde dann ja schließlich auch mit etwas Verzögerung durch Sancho ausgefüllt, der als noch unbekannter Jugendspieler für wenig Geld kam. Dennoch wird man womöglich einen etablierten Spieler verpflichten, sollte Sancho gehen, der dann vielleicht nicht das Potenzial zur absoluten Weltklasse hat. Und vielleicht füllt dann irgendwann ein ganz anderer Sanchos Fußstapfen. In dem Zusammenhang frage ich mich, ob das Ende vielleicht Gio Reyna sein könnte, auf den Favre offenbar große Stücke hält. Wie ist da die Einschätzung? Hat Reyna das Potenzial für ganz oben? Und wie ähnlich ist er Sancho als Spielertyp? Nach meiner Einschätzung ist weniger ein Dribbler als Sancho.

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