Türchen 12: Mario Götze

Die Karriere des Mario Götze ist illuster und doch auf ihre Art eine Shakespearian Tragedy. Monumentale Augenblicke und Momente des totalen Rückschlags halten noch die Waage. Großartige Partien in seiner Karriere auszumachen fällt leicht. Aber welche ist die wohl beste bis dato?

Grundformationen beider Mannschaften

Im Oktober 2014 war der FC Bayern unter der Ägide Pep Guardiolas auf dem Zenit. Die spielerische Klasse des deutschen Rekordmeisters gepaart mit der Genialität und Rastlosigkeit des katalanischen Trainergurus formte einen fußballerischen Vorschlaghammer, der nahezu alles mit Gnadenlosigkeit niederwalzte. Die Ästhetik jener Bayern entsprach natürlich nicht der eines Vorschlaghammers, aber viele Gegner wurden in einen Zustand der Bewusstlosigkeit gespielt.

So auch die Roma beim 1:7 im eigenen Olimpico am 21. Oktober 2014 in der Gruppenphase der Champions League. Der an sich gefährliche italienische Erstligist erlebte eine Schlappe für die Ewigkeit, als die Bayern ohne Rücksicht auf römische Gefühle ein Tor nach dem anderen erzielten. Der kicker titelte im Anschluss: „Robben & Co demontieren die Roma.“ Dabei war es gerade auch Götze, der das Spiel auf seine Art dominierte – selten mit spektakulären Aktionen, aber mit einer für einen Offensivakteur außergewöhnlich niedrigen Fehlerquote.

Die Partie in der italienischen Hauptstadt verdeutlicht noch einmal, wie sich die Bayern in der Ära Guardiola oftmals präsentierten: ein 3-2-4-1 mit Arjen Robben auf der rechten Flügelläuferposition und Philipp Lahm im zentralen Mittelfeld. Der Vorstellungskraft des Cheftrainers waren keine Grenzen gesetzt. Und insofern scheint es nur folgerichtig, dass er mit dem Spielertyp Götze immens viel anfangen konnte.

Dieser durfte sich innerhalb der 79 Minuten, die er auf dem Platz stand, vor allem im offensiven Mittelfeld austoben. Nominell spielte Götze an der Seite von Thomas Müller hinter Robert Lewandowski. Natürlich nur nominell. Denn real gab es ständige Positionsverschiebungen in der Breite und Rochaden innerhalb des vorderen Trios.

Auf der Suche

Das Spiel begann für Götze jedoch direkt mit einer Ansage vom Chef. Schon in der ersten Minute zitierte Guardiola seinen Schützling zu sich und wies ihn an, die Wege nach vorn und auf den Flügel zu suchen. Götze hatte sich in der ersten Szene weit zurückfallen lassen und Kontakt zu den bayerischen Sechsern gesucht. Zu viel Zurückfallen wollte Guardiola jedoch vermeiden und Götze gehorchte ihm.

Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images

In den Anfangsminuten befand sich der Bundesligist interessanterweise häufiger im Rückwärtsgang. Im Pressing positionierte sich Götze nicht selten zentral und Lewandowski etwas weiter außen. Die grundsätzliche Mannorientierung der Bayern stellte Götze gegen den Sechser der Roma, während Lahm halbrechts regelmäßig aggressive Vorstöße unternahm. Gelegentlich ließ sich auch Götze auf Miralem Pjanić zurückfallen, wobei diese Aktionen eher aus einem intuitiven Handeln heraus resultierten, als dass eine Stringenz in den Anschlusshandlungen im Pressing existierte.

Wichtig war für Götze sowieso vielmehr der offensive Umschaltmoment. Denn genau in jenem löste er sich regelmäßig vom Gegenspieler und suchte den offenen Raum hinter oder neben dem Mittelfeldtrio der Roma. Exakt aus diesem Grund wollte Guardiola nicht, dass er zu tief nach hinten ging. Denn damit wäre Götze weiterhin im Blickfeld der Mittelfeldgegner gewesen.

Im Rhythmus

Relativ schnell bewegte er sich entweder auf die Außenbahn oder aber in die Spitze, um dort die Innenverteidiger zu beschäftigen. Erstere Aktion war gedacht, um gerade links die notwendige Präsenz zu erzeugen, weil Juan Bernat ein wenig später als Robben nach vorn rückte. Zudem konnte Götze von links aus, die Abwehr der Roma strecken und zu diagonalen Dribblings ansetzen. Konzentrierte er sich jedoch darauf, Präsenz im Offensivzentrum zu erzeugen, so wurde dadurch Raum für Lewandowski geschaffen. Götzes Vorrücken drückte ein ums andere Mal die Innenverteidigung der Roma nach hinten.

In seinem wirklichen Element war Götze jedoch im Zwischenlinienraum. Hatte er sich erst von Pjanić oder Daniele De Rossi weggestohlen, konnte er nicht nur die Lücken nutzen, sondern auch das Angriffsspiel seiner Mannschaft steuern, ohne selbst ständig am Ball zu sein. Götze gab Lahm und gerade auch Xabi Alonso Orientierung, wenn es darum ging, das runde Leder in die vorderen Zonen zu befördern.

Durch seine Bewegungen hin zur halblinken Seite legte Götze in seiner bekannten Rolle als AsymmetrieInitiator auch einen Schwerpunkt auf eben jene Zonen. Dadurch konnte er von dort aus, selbst die Angriffe ins letzte Drittel hinein ankurbeln, aber auch Robben mehr Freiheit auf der rechten Seite geben, weil sich die Formation der Roma natürlich regelmäßig in die Richtung Götzes verschob. Robben war es auch, der das 1:0 mit einem für ihn typischen Schlenzer aus spitzem Winkel erzielte.

Photo by Giuseppe Bellini/Getty Images

Auf 2:0 erhöhte Götze selbst, indem er nach seiner Ballannahme im halblinken Zwischenlinienraum den Platz zur Abwehrkette der Italiener nutzte. Er dribbelte mit ein paar Übersteigern an und gab Müller genügend Zeit für eine flache Diagonalroute. Im richtigen Augenblick spielte Götze seinen Mitspieler an. Timing und Passgewichtung waren perfekt, sodass Müller direkt mit der Fußaußenseite auf Götze ablegen konnte, welcher daraufhin den Angriff mit einem präzisen Schuss abschloss.

In der Lösungsfindung

Die nächsten Tore für den FC Bayern fielen in recht schneller Abfolge. Immer wieder war Götze entscheidend beteiligt, auch wenn sein Name nicht auf der Anzeigetafel landete. Beim 4:0 von Robben etwa band Götze die italienischen Verteidiger auf der halblinken Seite, während Lewandowski diagonal hinter Ashley Cole startete und das Tor vorbereitete.

Im weiteren Spielverlauf erkannte er aber kleinere Probleme im bayerischen Ballbesitzspiel und zeichnete sich – wie so oft in seiner Karriere – als wichtigster Problemlöser aus. Alonso und Lahm dribbelten allenfalls, brachen aber die Linien der Roma im Zentrum nahezu nie. Götze ließ sich deshalb weiter nach hinten fallen und positionierte sich nun vor De Rossi, um nicht mehr auf die Pässe zu warten, die Romas Mittelfeld überspielen würden, sondern um den Ball direkt aufzunehmen und Durchbrüche zu manifestieren. Seine Ballsicherheit kam ihm dabei erheblich zu Hilfe, weil keinem römischen Verteidiger die Balleroberung gelang.

Gleichzeitig sah er die formativen Tendenzen beim Gegner und wusste diese im weiteren Spielverlauf zu nutzen. Weil Gervinho den rechten Flügel der Roma selten besetzte, stieß Pjanić regelmäßig nach vorn, zog damit aber das Mittelfeldtrio auseinander. Götze attackierte zunehmend das Loch hinter Pjanić, wodurch er Duellen mit De Rossi zunächst aus dem Weg gehen konnte und nach Ballannahmen die Zentrumsspieler zum schnellen Verschieben zwang.

Was macht Götze aus?

Die Zeiten, in denen Götze als Dortmunder Wunderknabe mit zig-fachen Übersteigern die Abwehrreihen von Greuther Fürth oder dem SC Freiburg schwindelig spielte, sind vorbei. Schon auf seinem absoluten spielerischen Zenit war Götze keiner für die Galerie der Oberflächlichkeit. Seine gedankliche wie technische Agilität ermöglichte es ihm stets, nach Lösungen zu suchen und diese auch zu finden, für die anderen Spielern schon die Vorstellungskraft fehlte, weil es weit außerhalb ihrer Möglichkeiten lag. Die taktischen Bewegungen abseits des Balls machen Götze zu einem wertvollen Mannschaftsspieler und indirekten Spielmacher. Götze war – und ist immer noch – ein Lösungs- und kein aufdringlicher Impactspieler.

Daniel 12. Dezember 2018 um 11:16

Die Erkenntnis, dass Götze kein „Impactspieler“ ist, wird sich in der Öffentlichkeit wohl leider nicht mehr durchsetzen. Die frühe Titulierung als deutscher Messi wird wohl leider Zeit seiner Karriere verhindern, dass er die Anerkennung für seine Leistungen bekommt. Dabei ist er oft die verdeckte Ursache, wenn sich die Spieler in seiner Umgebung in der Scorerliste nach oben katapultieren.

„Der Vorstellungskraft des Cheftrainers waren keine Grenzen gesetzt. Und insofern scheint es nur folgerichtig, dass er mit dem Spielertyp Götze immens viel anfangen konnte.“
Bezogen auf dieses Spiel stimmt das wohl, aber insgesamt konnte Pep überraschend wenig mit Götze anfangen. Er hätte es sicher gekonnt, aber Guardiola baute die Mannschaft um andere Spieler herum auf und Götze war dann eher Manövriermasse.

Wie auch immer: Danke für diese Analyse eines wundervollen Spiels. Eines der Top-4 Spiele der Pep-Bayern, eine wahnsinnige Mannschaftsleistung. Vergleicht man die damaligen Traumleistungen mit dem Gewürge von heute kann man kaum glauben, dass da nur vier Jahre dazwischen liegen und es der gleiche Verein ist. Rückblickend wirken die Guardiola-Jahre immer mehr wie ein schöner Traum, aus dem man viel zu früh erwacht ist :/

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Marlene Dietrich 12. Dezember 2018 um 11:26

Wahre Worte.

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moris1610 12. Dezember 2018 um 17:49

Ich würde dir teilweise zustimmen, dass Pep mit Götze nicht herausragend viel anfangen konnte, teilweise aber auch nicht. Götze hatte immer wieder starke Phasen bei Bayern unter Pep aber verletzte sich dann auch leider immer wieder zu sehr ungünstigen Zeitpunkten bspw vor der Ko. Phase in der CL. Ohne die Verletzungen glaube ich schon das seine Rolle größer hätte sein können und er evtl auch länger bei Bayern geblieben wäre. Durch die Verletzungen konnte er sich nie wirklich als Stammspieler etablieren und kam am Ende in den wichtigen Spielen auch folglich nicht mehr zum Einsatz. Die Ansätze waren alle da um den Transfer aus Bayernsicht erfolgreich zu gestalten. Finde ich immer noch schade, dass es mit Götze bei Bayern nicht geklappt hat unter teilweise eher unglücklichen Umständen. Sollte leider nicht sein. Das Zeug hätte er allemal gehabt.
Völlig anderer Spielertyp logischerweise aber so rein von der Verletzungsstatistik fällt mir gerade wieder Reus ein: wenn der nicht alle 2 Jahre die großen Turniere verpasst hätte wären die Chancen auch 0,0% das er immer noch bei Borussia Dortmund spielt. Mit 29 holt ihn niemand mehr aus der Kategorie Barca und Co auch wenn das Potenzial wie bei Götze durchaus da gewesen wäre bzw. ist.
Zur öffentlichen Diskussionen habe ich nichts zu ergänzen. Da liegst du leider komplett richtig.

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tobit 13. Dezember 2018 um 17:51

Guardiola hat besonders zu Saisonbeginn immer viel auf Götze gesetzt – das waren die jeweils stärksten Phasen der Bayern. Irgendwann kamen dann immer die Verletzungen oder das erste Unentschieden und Pep hat seinen spielerischen Ansatz mehr oder weniger freiwillig beerdigt. Damit war Götze dann wieder auf der Bank oder halt gerade selbst verletzt. Im Endspurt kam er dann meist nicht ins Team zurück, weil „never change a running system“.

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Peda 13. Dezember 2018 um 16:11

Ich glaube, es stand eh einmal hier auf dieser Seite:
Götze ist nicht der deutsche Messi, sondern der deutsche Iniesta.

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tobit 13. Dezember 2018 um 17:47

Passt aber auch nicht wirklich. Sicher sind viele Iniesta-Eigenschaften da – aber für mich auch sehr viel 2011-Fabregas. Gerade im letzten Drittel ist Götze viel direkter und sucht mehr selbst den Weg in den Strafraum als Iniesta das je getan hat. Fabregas hat ja für Spanien auch etwas darunter gelitten, dass er da der „spanische Messi“ sein sollte.

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