Türchen 20: Martin Ødegaard

Der nächste Freddy Adu? Au contraire!


Dieser Artikel ist eine Zusammenarbeit der Autoren MR und CE.


Der Profifußball und sein Publikum schlingern in der heutigen Zeit zwischen den Polen des Extremen. Spieler werden in Nullkommanichts in den Himmel gehoben und genauso schnell wieder fallen gelassen. Es ist eine permanente Hysterie: Erst kommt der öffentliche Hype. Dann der Wechsel aus der Provinz in eine europäische Fußballmetropole. Anschließend das Ausbleiben des unmittelbaren Durchbruchs. Und daraufhin das knallharte öffentliche Urteil.

Dabei hat die Realität viele Graustufen, nicht nur ein glattschwarzes „Versager“ und ein blütenweißes „Jahrhunderttalent“. Es ist der unbedingte Wunsch, das nächste Wunderkind, den nächsten Pelé, Messi oder Rooney schnellstmöglich zu entdecken und seinen Erfolg auf der großen Bühne miterleben zu dürfen. Geduld und das Verständnis für natürliche Entwicklungsprozesse sind dabei nur Teil störender Differenziertheit.

Martin Ødegaard machte bereits im vorpubertären Alter von sich Reden und gab später mit 15 Jahren sein Profidebüt. Damals schnürte er noch die Fußballschuhe für den norwegischen Erstligisten Strømsgodset IF. Ein Club aus der Stadt Drammen, von der die meisten noch nie gehört hatten und der schon längst wieder vergessen ist. Aber der Name Ødegaard wurde schnell zum Begriff, mit dem Fans und Experten Hoffnungen und zugleich eine immense Erwartungshaltung verbanden.

Retrospektiv war sein früher Wechsel zu Real Madrid ein Fehler. Aber nicht etwa weil der junge Ødegaard mit der Gesamtsituation bei einem derartigen Weltclub überfordert war, sondern weil er in eine Mannschaft kam, die spielerisch nicht zu ihm passte. Zinédine Zidane, selbst einst ein gehypter Teenager in den neunziger Jahren, war schlichtweg der falsche Trainer zur falschen Zeit. Ein etablierter und sich seiner Stärken vollends bewusster Ødegaard hätte wahrscheinlich die Differenzen zwischen seinem eigenen und dem Spielstil des Trainers überwinden können. Als minderjähriger Neuzugang aus dem Südosten Norwegens jedoch ist die Konstellation bei weitem diffiziler.

Zidane, erst als Übungsleiter von Real Madrid Castilla und ganz besonders in seiner Funktion beim Starteam um Ronaldo und Kroos präferierte und weiterhin präferiert einen Fußball, der auf Sicherheit und Stabilität ausgelegt ist. Die Kreativräume werden nur punktuell besetzt, Durchschlagskraft wird erst spät fokussiert und oftmals durch Flanken und Standards, nicht durch kreative Spielzüge durch die Zwischenräume. Ødegaard hingegen benötigt einen gewissen Fokus auf Durchschlagskraft, das Interagieren in Zwischenräumen, in denen er brillieren kann. Er ist ein Spieler, den Zidane nicht braucht. In seinen Spielen bei Castilla spielte er oft breit am Flügel, musste sich auf sichere Aktionen konzentrieren, konnte also weder in den richtigen Räumen spielen, noch seine Stärken ausspielen.

Zidane und Ødegaard, es wurde keine Meister-Schüler-Beziehung, die sich die Blancos vielleicht im Vorfeld erhofft hatten. Ist damit die Karriere des Martin Ødegaard bis auf alle Tage verdammt, ein Zurückkommen unmöglich? Natürlich nicht. Er ist vor wenigen Tagen 19 Jahre alt geworden, momentan an Heerenveen verliehen und darf sich seit einem Jahr in den Niederlanden austoben. Sein Talent, seine Genialität durfte er schon gelegentlich – auch unter den Augen einer breiten Öffentlichkeit – unter Beweis stellen. Beispielsweise beim Sieg der U21 Norwegens über die DFB-Auswahl im Rahmen der EM-Qualifikation.

Dort spielte er gegen Verteidiger wie Tah, Kehrer oder Henrichs, die nicht nur etablierte Bundesliga- und angehende A-Nationalspieler sind, sondern auch immer noch ein bis drei Jahre älter als Ødegaard. Das vergisst man wegen des frühen Hypes um ihn ja schnell. Letztens habe ich erst gelesen wie er mit Asensio verglichen wurde, der ja im Gegensatz zu ihm durchgestartet wäre. Aber Asensio ist geschlagene drei Jahre älter. Vor drei Jahren spielte das spanische Supertalent noch in der zweiten Liga für Mallorca und erzielte dort 14 Scorerpunkte in 36 Spielen, im Jahr zuvor zwei Scorerpunkte in 20 Spielen. Man hätte damals wahrscheinlich geschrieben, er wäre gescheitert, wenn er bereits als 15-Jähriger medial ausgeschlachtet worden wäre. So schnell kann es gehen.

Sehr früh schon sehr reif

Aber genug Orakel über die Zukunft, schauen wir uns lieber an, was Ødegaard in der Gegenwart so besonders macht und wieso er überhaupt so früh von allen Topclubs der Welt gejagt wurde. Zunächst ist festzuhalten, dass Ødegaard schon enorm früh enorm weit war in seiner Spielweise. Als 15-Jähriger war er in der ersten Liga Norwegens kein frecher Jungspund, der riskante Dribblings zeigte und spektakuläre Tore erzielte, sondern er war sehr stabil, konstant und logisch in seiner Spielweise.

Bereits in diesem Alter hatte Ødegaard eine hervorragende Orientierung und zudem einen sehr weit entwickelten Instinkt für individualtaktische Prozesse. Neben seiner herausragenden Technik hatte er ein sehr hohes Aktionstempo, eine gute Dynamik und ein sehr reifes Fundament stabiler Ballaktionen. Daher machte er wenige Fehler, spielte einen sauberen, modernen und klugen Fußball.

Das führte vielleicht auch ein bisschen dazu, dass er sich nicht ganz so wie erwartet entwickelte: Er konnte vieles von dem schon, was viele junge Talente erst in den ersten Profijahren lernen. Diese Entwicklungsschritte konnte er dementsprechend nicht machen, weil er sie schon hinter sich hatte. Ein ähnliches „Problem“ hatte Mario Götze. Vergleicht man die beiden mit dem jungen Neymar oder beispielsweise Ousmane Dembélé, so sind die beiden Letzteren unreifer und inkonstanter, aber dafür ist auch klarer, was sie noch lernen können und müssen.

Verbindungsspieler, Zwischenraumspieler

Aus diesem Grund wird Ødegaard vermutlich kein nächster Messi oder Pelé, ebensowenig wie Götze einer wurde. (Trotzdem hat Götze übrigens den höchsten GoalImpact auf der Welt.) Man kommt hier eher zum Ziel, wenn man nach dem nächsten Iniesta sucht. Ødegaard hat zwar große Dribbel- und Passfähigkeiten, aber er nutzt diese vornehmlich unterstützend und stabilisierend, um das Spiel seiner Mannschaft auch in engen Räumen und schwierigen Situationen aufrechtzuerhalten.

Aktuell hat er zwar in manchen Phasen noch gehäuft Aktionen, bei denen ihm merkwürdige Ballverluste unterlaufen, aber auch Phasen, in denen er beinahe fehlerfrei agiert. Seine Präzision, Beweglichkeit und Spielintelligenz sollten ihm perspektivisch erlauben, auf höchstem Niveau und unter höchstem Druck extrem stabil zu spielen und das Spiel dabei weiterhin tororientiert zu gestalten. Auch seine Positionierung und seine Passentscheidungen sind stark, sodass er eine Mischung aus strategischem Spielmacher, offensivem Kombinationsspieler in den Zwischenräumen und Mann für den finalen Pass sein kann.

Wichtig, um diese Fähigkeiten effektiv auszunutzen, ist, dass er in zentrale Positionen kommen kann und dort Mitspieler hat. Ähnlich wie Henrikh Mkhitaryan kann er in schwachen Strukturen durchaus größere Probleme bekommen. Und wenn er wenig Situationen hat, in denen er sehr effektive, kreative Aktionen bringen kann, nimmt man ihm seine größte Stärke.

Gruppenstrategischer Fokus auf saubere Durchbrüche

Ødegaard versteht es nämlich sehr gut, aus diesen Zwischenräumen Chancen zu generieren und nicht nur „neutral“ den Ball laufen zu lassen. Er war bereits mit 15 Jahren außergewöhnlich gut darin, mit dem Ball so anzudribbeln, dass er den Gegner zu Entscheidungen zwingen kann: Die Gegenspieler müssen nach innen kommen, um ihm den Dribbelweg zu versperren, so geht der Passweg nach außen auf oder andersherum. Sein Timing ist dabei hervorragend, um auch den Mitspielern zu ermöglichen, im richtigen Moment in der richtigen Position zu sein.

Den Pass verzögert er dann oft bis zum letzten Moment, um sehr saubere, klare Abschlusspositionen zu ermöglichen. Auch streut er kurze Doppelpässe ein oder fintiert gezielt in eine andere Richtung, um die Defensive noch stärker zu binden und aus dem Zielraum wegzuziehen.

Häufig startet er diese Aktionen aus dem rechten Halbraum, insofern ähnelt er in dieser Rolle durchaus Messi sehr stark. Er ist aber nicht so extrem explosiv und sauber wie Messi; diese Fähigkeiten erlauben Messi, diese Aktionen permanent auf recht „simple“ Art und Weise durchzuziehen. Das kann der Norweger (noch) nicht so, aber dafür ist er verspielter und kann durch seine Finten und Verzögerungen zusätzlichen Raum und zusätzliche Abwehrdynamiken provozieren, die sich dann bespielen lassen.

Technik und Passtechnik

Auch hat Ødegaard ein noch größeres technisches Arsenal. Nicht, dass Messi diese Dinge nicht kann, aber er muss sie gar nicht einsetzen. Ødegaard kommt zuweilen in problematische Situationen, die er dann kreativ lösen muss und öfters auch sehr gut kann. Beispielsweise nutzt er viele direkte Volleypässe, wenn der Ball schon einmal in der Luft ist. Auch löst er sich in Engstellen am Strafraum manchmal mit „blinden“ Lupfern, die dann teilweise keinen Mitspieler sauber erreichen, aber die die Verteidiger auch sehr schwer erreichen und unmöglich kontrollieren können.

Doch auch in kontrollierten Situationen kann er sehr tolle Pässe spielen. Schnittstellenpässe spielt er beispielsweise gerne halbhoch, um entweder zusätzlichen Spin zu nutzen oder auch den Ball so springen zu lassen, dass eng stehende Gegner den Ball trotzdem nicht erreichen können. Auch hohe Bälle in den Strafraum spielt er zuweilen sehr spektakulär mit unerwartetem Spin und auch aus unorthodoxen Räumen heraus.

Kompletter Mittelfeldspieler für die Offensive

Diese Fähigkeiten, diese Spielweise machen Ødegaard zu einem tollen Allrounder für die halbrechte Mittelfeldzone. Als rechter Achter, einrückender Rechtsaußen, Zehner oder als rechter Halbspieler kann er flexibel aus diesen Räumen für Struktur und Stabilität im Ballbesitz sorgen und zum anderen aus dieser Stabilität und Struktur heraus auch sehr zielgerichtet und hochwertig Durchschlagskraft erzeugen. Ein schlauer, aufmerksamer Pressingspieler ist er übrigens auch noch.

Ødegaard besitz ein Arsenal aus Körperfinten, Dribblings, Verzögerungen, Kurzpässen, Verlagerungen, Lupfern und Schnittstellenpässen, die ihn zu einem höchst kreativen, vielseitigen und wahnsinnig schwer zu verteidigenden Fußballer machen werden. Ob er auch die notwendige Athletik und auf höchstem Tempo die notwendige Präzision und Konstanz entwickeln kann, um zu einem Megastar zu werden, muss sich noch zeigen. Auch benötigt er für höchstes Niveau den richtigen Trainer und die richtigen Mitspieler. Dass beispielsweise Messi und Ronaldo diese quasi in ihrer ganzen Karriere immer hatten, wird häufig übersehen. Man sieht es manchmal, wenn Messi in der argentinischen Nationalelf spielt.

Doch selbst, wenn er es nicht zum nächsten Real-Shootingstar schafft, so wird Ødegaard Karriere als ganz toller Kreativspieler auf internationalem Niveau machen. Ein Spieler für attraktiven Fußball, ein Spielertyp der Zukunft ist er schon, seit er 15 Jahre alt ist.

Schelm 27. Dezember 2017 um 15:58

Schöner Artikel, wie der Zufall es so will erscheint hier relativ zeitnah ein etwas vereinfachte Version:
https://www.realtotal.de/odegaard-empfiehlt-sich-alles-andere-als-gescheitert/

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

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Pelle Lundkvist 21. Dezember 2017 um 14:19

Der verlinkte Aftenposten Artikel wurde im Rahmen der Verpflichtung durch Real Madrid geschrieben. Der Autor Lars Tjærnås beschreibt wie er das erste Mal den jungen Ødegaard begegnete: „Es war ein Turnier fuer Jungen die 1995 geboren waren. Das war 2011. Ich glaube im Juni. „Schoen, dass die auch das Maskottchen ein wenig spielen lassen“, sagte jemand hinter mir. Die Stimme in der Valhalle in Oslo klang sarkastisch und ein etwas hoehnisches Lachen folgte.
Dies sollte bald verstummen.
Die besten 15-jaehrigen des Landes waren zu einem Eliteturnier fuer norwegischen Toppclubs zusammengekommmen. Strømsgodset war unter den eingeladenen. An das Spiel erinnere ich mich kaum, aber ich erinnere mich an das, was passierte als ein Spieler, der kaum groesser wirkte als eine Colaflasche, das erste Mal den Ball annahm. Er bremste den Ball nicht ab, sodass er still da lag, wie die meisten anderen es machten. Er tippte ihn genau in die richtige Richtung und Winkel weg von den doppelt so grossen Spieler, der auf das Kleinkind zugesprintet kam um ihn den Ball abzunehmen. Das war garantiert nicht das erste Mal, das Martin Ødegaard sowohl seinen Gegenspieler als auch uns Zuschauer verblueffte. Er war drei oder vier Jahre juenger als seine Gegenspieler. Es war unmoeglich nicht zu merken, dass wir etwas besonderes sahen.“

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fcb 21. Dezember 2017 um 01:20

welchen Trainer seht ihr als besten „Talente-Förderer“. Eig. sollte doch Pep bei solchen „Wunderkindern“ der beste Trainer sein, falls er von ihm überzeugt ist, er also wirklich ein Wunderkind ist.

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MR 21. Dezember 2017 um 03:54

Ich denke, das hängt stark vom Spielertypen ab. Ich weiß nicht, ob Pep spezifisch für Ödegaard der bestmögliche Trainer wäre. Das hängt vom restlichen Kader ab. Götze bspw wurde ja unter Pep nicht glücklich, allerdings wäre das vielleicht was anderes gewesen, wenn der restliche Kader eher Xavi-lastig gewesen wäre und weniger Robben-lastig – denn das bestimmt ja die Spielweise und letztlich muss vor allem diese passen.

Ich glaube übrigens – das hab ich im Artikel vergessen – dass Ödegaard ein Wahnsinnsspieler für Klopp wäre, bzw Klopp ein Wahnsinnstrainer für Ödegaard. (Beweisstücke A bis D: Kagawa, Götze, Coutinho, Gündogan)

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FAB 21. Dezember 2017 um 14:08

Allerdings halte ich weder Pep noch Klopp für die optimalen Trainer für einen sehr jungen Spieler, der erstmal Fuß fassen muss im Profigeschäft.
Pep hat da glaube ich sehr wenig Geduld mit jungen Spielern, die nicht seinem Perfektionsanspruch genügen. Ödegaard hätte bei City aus meiner Sicht kaum Chancen.
Klopp gelingt es zwar aus den Spielern das Optimale für sein System herauszupressen, sodass viele unter ihm über ihre Verhältnisse spielen, aber wirklich weiterentwickelt haben sich die Spieler unter ihm selten. Viele haben halt schon eine Menge mitgebacht (Hummels, Lewandowski, …) , aber Klopps Schüler können sich dann allgemein nur schwer in Nationalmannschaften bzw. in anderen Topvereinen durchsetzen.
Ich kenne Ödegaard kaum (außer dem U21 Spiel gegen Deutschland), um beurteilen zu können, ob das mal ein Großer wird.
Ein Problem für ihn wird sein, dass sich kaum ein Verein ihn leisten können wird (vermutlich wäre er sogar schon für den BVB zu teuer), er sich aber wahrscheinlich bei Real, Barca oder in der Premiere League kaum durchsetzen würde.
Die Bundesliga und insbesondere ein FC Bayern mit Tuchel in der Nach-Robbery-Zeit wäre vielleicht die beste Chance für ihn.

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La Masia 23. Dezember 2017 um 15:56

Achtung, vollkommen Off-Topic:
,,KLOPP gelingt es zwar das Optimale aus den Spielern das Optimale für sein System HERAUSZUPRESSEN, …“
Wie konnte bisher keiner auf diesen wahrscheinlich unbeabsichtigten, aber genialen Witz eingehen? Ihr könnt mir später danken… 😀

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hekum 21. Dezember 2017 um 06:38

Ist Pep so gut darin, taktische Schwächen auszumerzen, und die richtige Rolle zu finden? Also je taktisch ungeschliffener aber zb. im dribbling genialer desto besser, weil er dann mit einer vergleichsweise niedrigen ablöse stars formen kann? vielleicht wollte pep auch deswegen neymar? x)

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tobit 21. Dezember 2017 um 13:28

Pep ist auf jeden Fall sehr oft sehr gut darin, eine passende Rolle für einen Spieler in sein System einzubauen. Gute Rollen für einzelne Spieler finden viele – diese aber so sauber und strategisch ins Gesamtkonzept einzubinden (ohne dieses all zu viel zu verändern), da ist Pep für mich der Beste.

Ob Ödegaard zu Pep oder Klopp (besser) passt? Keine Ahnung, hab ihn nie beobachtet.

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