SV Training #2: Mehr als zwei Stangen und Netz

Ein weiterer Ausflug in die Welt geometrischer Möglichkeiten für die tägliche Arbeit im Training. Ganz ohne einschleifendes Wiederholen von Schüssen und mit erstaunlich wenig Aluminium.

SV Training ist unsere Praxis-Rubrik. Die Inhalte verknüpfen technische, taktische und konditionelle Komponenten innerhalb eines ganzheitlichen Trainingskonzeptes, bei dem das Treffen von Entscheidungen unter variablem Raum-, Zeit- und Gegnerdruck im Vordergrund steht. Aus den grundsätzlichen Ideen soll jeder Trainer schließlich selbst für ihn passende Spielformen kreieren.

Nachdem ich zu Beginn der Serie bereits etwas ausführlicher über diverse Feldformen reflektiert habe, geht es in dieser Folge nun darum Dreiecke und Rauten aufs Spielfeld zu bringen – als (Pass-)Tore. Wie das genau aussehen kann lässt, sich in diesem Videoausschnitt mit Diego Simeone recht gut erkennen.

„El Cholo“ verwendet Stangen, um beim Rondo ein Zielfenster für Zuspiele durch das Zentrum zu erzeugen. Andersherum formuliert: Er provoziert die Verteidiger dazu, Pässe durch die Mitte zu verhindern. Dadurch, dass der Abstand innerhalb des Dreieckstores sehr eng ist, funktioniert dies idealerweise durch eine aggressive Form der Verteidigung und Deckungsschattennutzung.

Diese Art des Pressings kann wiederum bei wenig akkurater Ausführung durch schnelle Zirkulation über nebeneinanderstehende Spieler überwunden werden, ehe sich entweder doch ein Passweg öffnet oder eine große Anzahl an Pässen erreicht wird.

Je nachdem, wie man als Spieler zu den Stangen steht, ergeben sich unterschiedliche Passmöglichkeiten in Bezug auf das Dreieckstor. Gerade wenn sie so nah beieinander aufgestellt sind wie im Beispiel von Atlético, kann nicht jeder Spieler den Ball hindurch passen, weil einigen eben der Weg durch die Stangen selbst versperrt ist. Diejenigen, die es könnten, müssen sich wiederum akkurat positionieren und freigespielt werden. Die Verteidiger können dies ihrerseits erkennen und das Spiel zu potentiell weniger gefährlichen Akteuren lenken.

Einen Faktor bei der Nutzung dreieckiger Tore stellt also schlichtweg deren Fläche dar. Gleichzeitig lässt sich im Rahmen von Positionsspielen die bloße Anzahl steigern und man kann damit einhergehend zusätzliche Vorgaben machen, welche oder wie viele Tore bespielt werden sollen. Auch der Zweck wird hier dahingehend variiert, dass es nicht mehr um den einen linienüberwindenden Pass, sondern um kleinräumiger angelegte Kombinationen sowie anschließende Wechselpässe geht.

Wenn man gerade keine Stangen zur Hand hat oder schlichtweg deren räumlichen Faktor reduzieren will, lassen sich natürlich genauso gut herkömmliche Hütchen verwenden. Zudem kann festgelegt werden, ob und eventuell wie lange der Raum innerhalb des Dreiecks besetzt werden darf.

dreieckstorschach

Dreieckstore-Vierfelderspiel von Nils Poker (Klick aufs Bild für eine ausführliche Beschreibung).

Besonders interessant werden die Dreieckstore schließlich in weiträumigen Spielformen, bei denen sie für kurze wie lange Pässe erreichbar sind und einzelne von ihnen als Kontrast beispielsweise für Dribblings freigegeben werden können. In letzter Konsequenz lassen sich somit unmittelbar spielnahe Vorgaben machen. Beispielsweise lassen sich zur Fokussierung ganz bestimmter Aspekte auch eine klare Ballbesitzmannschaft und ein verteidigendes Team festlegen, dem nach Ballgewinn ein Zeitlimit für erfolgreiches Kontern gesetzt wird.

Hierbei stellt sich die Frage: Wie positioniert man die Dreieckstore auf dem Feld? Nachfolgend einige Beispiele:

kleine-dreiecke-raute– 11 gegen 11; 4-3-3 gegen 5-3-2; Grundlinie bis etwa 7 Meter hinter die Mittellinie; kleine Dreieckstore rautenförmig zueinander angeordnet; vor Torerfolg muss eines im Zentrum und eines im Halbraum bespielt werden.
– Defensive bei Team Blau: Lenken nach außen bei tieferer Position der Achter; Lenken nach innen und Isolieren des Sechser, wenn die Achter höher stehen; „Trennen“ der Innenverteidiger; Aufrücken der Wingbacks auf der ballnahen Seite (keine Mannorientierung); gezielte Reaktion darauf, welche Tore noch bespielt werden müssen.
– Offensive bei Team Rot: Halbraum- und Zentrumsfokus; Schaffen von Optionen für Spiel weg vom Flügel; Anlocken und Wechselpässe; Schnittstellenpässe und Einlaufen hinter die Abwehr; zusätzlich individuellere Aspekte wie Absetzen des Sechsers in den ballfernen Halbraum bei Ballbesitz eines Innenverteidigers.

grosse-dreiecke-aussen– 9 gegen 9; 2-4-2-Aufbau gegen 2-3-3-Pressing, Grundlinie bis zum hinteren Ende des Mittelkreises, volle Breite; große Dreieckstore (etwa 15 Meter Seitenlänge) zwischen Halbraum und Seitenlinie; Bespielen eines der Tore durch direkten Pass, bevor ein Torabschluss verfolgen darf.
– Defensive: Lenken des gegnerischen Aufbaus nach innen; schnelles Verschieben bei Zuspiel zum Flügel; sofortiger Zugriff im Zentrum; Deckungsschattennutzung, Referenzpunkte v.a. Dreieckstore und äußere Spieler des Gegners.
– Offensive: Tiefes Anbieten der Innenverteidiger neben dem aktiv eingebundenen Torwart; Herauslocken für Vorstöße am Flügel; Nutzen schneller Ablagen aus dem Zentrum heraus; dynamische Läufe, um durch Dreieckstore anspielbar zu sein (v.a. Stürmer); Zurückdrängen der Innenverteidiger, um Zwischenlinienraum zu öffnen.
– Variation 1: Es darf innerhalb der Dreieckstore kombiniert werden. Diese gelten dann als bespielt, wenn der Ball durch eine Seite hinein- und durch eine andere Seite wieder hinausgelangt, ohne dass der Gegner am Ball gewesen ist. Die verteidigende Mannschaft erhält einen Zusatzpunkt, wenn sie den Ball im Dreieckstor erobert und einen erfolgreichen Pass über eine der Außenseiten desselben anbringt.
– Variation 2: Den beiden Toren werden Farben zugeordnet. Der Trainer sagt willkürlich eine der Farben an und kann jederzeit ein neues Kommando hereinrufen. Für Durchspielen des angesagten Dreieckstores gibt es einen Extrapunkt. Wird im Anschluss ein Tor erzielt, ohne dass der Gegner den Ball zwischendurch erobert, zählt dieses zusätzlich doppelt. So wird das Lenken auf eine Seite forciert, wobei der ständige Wechsel eine zusätzliche Umschaltkomponente ins Spiel bringt.

Durch entsprechende Anordnung der Dreieckstore in Kombination mit anderen Elementen kann der Trainer schließlich unter Gegnerdruck klarere Abläufe und Muster ins Spiel bringen, ohne die Entscheidungsfindung grundlegend einzuschränken. Dadurch wird einerseits ein insgesamt höheres Bewusstsein bei den Spielern erzeugt, wenn sie bereits auf einem relativ hohen Niveau agieren und über entsprechendes Priming verfügen. Andererseits ist innerhalb des dann abgesteckten Rahmen vielerlei explizites Coaching möglich, wobei dies neben Konturierung eigener Spielerrollen beispielsweise ganz konkret der Gegneranpassung dienen kann. Hier geht es schon ordentlich ins Detail, weshalb ein ausführliches Beispiel folgt:

asymmetrische-dreieckstore– 7 gegen 6; asymmetrischer Aufbau (aus 4-3-3 abgeleitet) gegen 4-2/2-2-2-Pressing; ca. halbes Feld; 3 Minitore auf der Mittellinie für rotes Angriffsteam; 2 frontal und 2 seitlich stehende Minitore für Konter des Verteidigungsteams; Dreieckstore (5-7 Meter Seitenlänge) und rechteckige Zone (ca. 10*15 Meter) wie dargestellt; nachdem der Ball im Aus war, startet das Spiel stets mit Aufbau von Rot.
– Bevor Rot ein Tor erzielen darf, müssen während eines Spielzugs entweder beide blauen oder beide roten Dreieckstore bespielt worden sein, ohne dass der Gegner zwischendurch den Ball erobert.
– Der orange unterlegte Innenverteidiger darf durch einen „Laserpass“ zusätzlich direkt einen Treffer erzielen, ohne dass die Dreieckstore bespielt wurden.
– Die schwarz markierte Zone repräsentiert den Sechserraum. Dieser muss ständig besetzt sein –  wobei es dabei egal ist, durch wen dies geschieht.
– Blau darf frei auf eines der vier zur Verfügung stehenden Minitore kontern. Dauert der Konter zu lange, unterbricht der Trainer und es geht wieder bei Rot los.

Zur Erklärung der Spielform werden beide Teams voneinander separiert, wobei der Coachingfokus auf Team Rot liegt. Blau bekommt allgemeine Informationen in Hinblick auf ihre Formation und das Pressing. Eine Möglichkeit wäre es gar, Team Blau überhaupt nicht mitzuteilen, wie Rot Tore erzielen kann, sondern lediglich das Ziel des Ballgewinns und eines anschließenden schnellen Konters zu formulieren.
Der Zweck der Spielform liegt in der Etablierung eines flexiblen Aufbauspiels bei Rot, das zunächst gegnerunabhängig erfolgen soll und sich vor allem nach den Charakteristiken der eigenen Spieler richtet.

Der rechte Außenverteidiger positioniert sich rechts neben den beiden Innenverteidigern. Er ist ein eher tief spielmachender Typ, der sowohl andribbeln als auch gezielte Diagonalpässe in den Halbraum anbringen kann. Im Idealfall spielt der nach innen gerückte, solide aufbauende Innenverteidiger, bereits ganz zu Beginn durch Dreieckstor 1 zu ihm. Er dribbelt entweder an, wenn sich ein entsprechender Raum in Richtung von Dreieckstor 2 bietet oder versucht bei höherem Gegnerdruck einen Pass auf den nach vorne geschobenen rechten Achter anzubringen.

Sind dem rechten Außenverteidiger alle Optionen verstellt, löst er entweder über den Sechserraum oder spielt den Ball zurück zum Innenverteidiger.
Dieser leitet schnell zu seinem linken Partner weiter, welcher über ein hervorragendes Passspiel verfügt und den Zwischenlinienraum konstant erreichen kann. Er sucht bei sich auftuender Lücke direkt den Pass aufs Minitor. Ist der Weg zu, kann er wiederum diagonal über den Sechserraum lösen. Alternativ bietet sich der höher postierte linke Außenverteidiger in der Nähe des Dreieckstors 3 an. Wird er attackiert, lässt er auf den Innenverteidiger zurückprallen. Kann er aufdrehen, dribbelt er durch das Dreieckstor. Er kann sich genauso zuvor schon etwas höher anbieten und den Ball direkt nach einem Pass durch das Dreieckstor erhalten.

Der linke Außenverteidiger ist ein im Vergleich zum Spieler auf der Gegenseite stärkerer dynamischer Dribbler, der gerne mit dem Ball nach innen zieht. Hierfür zieht der linke Achter zum Beispiel entgegengesetzt nach außen. Anschließend kann der Weg durch Dreieckstor 4, etwa zum ballfernen Achter oder direkt in Richtung Tor, gesucht werden. Sollte dieser unzugänglich sein, wird das Spiel abermals neu aufgebaut.

Im Laufe der Spielzeit werden stets leicht veränderte Situationen entstehen. Dadurch, dass es keine Reihenfolge für das Bespielen der Tore gibt und durch ihre bloßen Winkel sind in Relation zum Pressing vielerlei andere Varianten möglich. Zudem können Achter und Sechser sich in der Besetzung der zentralen Zone abwechseln oder ein Innenverteidiger füllt diese situativ auf. Das Coaching wird zwar gewisse Lösungen anbieten, doch die Spieler können weiterhin eigene Alternativen dazu entdecken.

ELP 2. Februar 2018 um 09:04

Starker Artikel. Es würden da noch 2-3 Bullets helfen die man den Spielern mitgibt warum man auf einmal in gewisse Räumen passen oder eben diese absichern soll. Sprich: was nimmt man von diesen Spielformen mit (LErneffekt)? Fällt euch da was ein?

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Gegensprecher 8. Januar 2017 um 03:39

Hey ES, der Artikel ist überragend. Die ausführlichen Gedanken dazu sind spitze. Ich werde den Artikel unserem Trainer empfehlen 🙂

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Schnix25 5. Januar 2017 um 23:16

Weiter so! Kürzere Veröffentlichungsintervalle wären gut 😀

Vor allem bin ich durch die Artikel auf Marc O’Sullivan, Jens Schuster und die Seite Konzeptfussball aufmerksam geworden. Danke! Danke! Gibts da noch mehr, die ihr kennt/empfehlen könnt?

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Izi 5. Januar 2017 um 20:26

Danke für diesen megageilen Artikel!!! 🙂

Noch eine Idee: Im letzten Beispiel könnte der rote zentrale Verteidiger auch ein Torwart sein zum Eingewöhnen an eine Torwartkette..?

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ES 6. Januar 2017 um 12:32

Dir ebenfalls vielen Dank für das Lob!

Natürlich ist das möglich. Eigentlich ist alles möglich.
Das wollte ich mit dem speziellen Beispiel vor allem verdeutlichen: Letztlich muss man eine derartige Spielform den jeweiligen strategischen bzw. (mannschafts-)taktischen Überlegungen und Spielertypen anpassen. Da geht kein Copy-Paste.

Ginge ja zum Beispiel auch, wenn man extremen Long-Ball-Fokus spielt, Dreieckstore im Aufbau hinzustellen und vorne Zielzonen aufzubauen. Verteidiger werden dann darauf geprimt, die Bälle in gewisse Zonen zu bringen, wo sich dann die vorderen Akteure zusammenziehen sollen etc.

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vangaalsnase 6. Januar 2017 um 13:11

Jemand sollte einen Artikel zum Priming schreiben…

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The Soulcollector 5. Januar 2017 um 14:39

Sehr schöner Artikel mal wieder. Vielleicht könntet ihr bei solchen kleinen Trainingseinheiten noch vermerken für welche Altersgruppen die Übungen gedacht sind. Ich denke mal mit 10-12 Jährigen wird das hier eher schwierig.

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