Ronaldo wuchtet Portugal ins Finale

In der ersten Halbzeit liefern sich Portugal und Wales den erwarteten Defensivkampf. In der zweiten Halbzeit war es das Duell Ronaldo gegen Bale, das die Partie entschied.

Das Thema „Gegneranpassungen“ wurde breit debattiert in den vergangenen Tagen. Wie auch immer man zu dieser Debatte stehen mag, eins ist seit dem gestrigen Halbfinale klar: Mit Portugal steht eine Nation im EM-Finale, die sich in der K.O.-Runde stark an die Gegner angepasst hat. Auch gegen Wales blieb Trainer Fernando Santos seiner Linie treu und stellte seine eigene Defensivformation auf den Gegner ein.

Portugals (seltsame) Raute

Grundformationen Wales gegen Portugal

Grundformationen Wales gegen Portugal

Portugal begann in einer 4-1-3-2-Formation, besser bekannt als Raute. Renato Sanches und Joao Mario agierten als äußerst breite Achter meist auf einer Höhe mit Zehner Adrien Silva. Danilo sicherte hinter dieser Dreier-Kombo als Sechser ab. Nani und Ronaldo waren auf dem Papier Stürmer, bewegten sich jedoch auch immer wieder auf die Außen und sorgten für Breite im letzten Drittel.

Ein herausstehendes Merkmal der Portugiesen in diesem Turnier sind ihre Mannorientierungen. Die portugiesischen Mittelfeldspieler verfolgen ihre Spieler eng. Portugal versucht mit diesen Mannorientierungen, die Räume im Mittelfeld zu kontrollieren und dem Gegner die Verbindungsräume zwischen Abwehr und Angriff zu versperren – wer gedeckt wird, kann nicht angespielt werden, so die portugiesische Logik.

Somit war die Raute gegen Wales keine schlechte Wahl: Da Wales erneut im 5-3-2 agierte, konnten Sanches, Silva und Joao Mario Wales‘ Dreiermittelfeld mannorientiert verfolgen (gut zu erkennen auf der Grundformationsgrafik rechts: Joao Mario gegen allen, Silva gegen Ledley, Sanches gegen King). Danilo sicherte dahinter ab und bewachte dabei auch Bale, wenn dieser sich aus dem Sturm nach hinten fallen ließ.

Ganz so eindeutig war die portugiesische Abwehrformation jedoch nicht. Immer wieder mussten sie gegen den Ball improvisieren, beispielsweise wenn beide walisischen Wing-Backs weit vorrückten. In solchen Situationen ließ sich Joao Mario neben die Viererkette fallen und deckte damit Wales‘ rechten Wing-Back Gunter. Nani ließ sich in solchen Situationen etwas fallen, damit Portugal nicht die Grundkompaktheit im Mittelfeld verlor. Auch Ronaldos Rolle im Pressing war (mal wieder) etwas undefiniert; mal blieb er vorne, mal schaltete er sich in die Defensive ein und verfolgte einen Gegenspieler weit. Aus der nominellen Rautenformation entstanden somit immer wieder 5-4-1 oder 4-1-4-1-Staffelungen.

Teams neutralisieren sich

Portugal konnte mit der eigenen Raute die walisischen Angriffe lange Zeit neutralisieren. Wales kam nur selten in die Mitelfeldräume. Man merkte hier das Fehlen von Ramsey, der zuletzt als Verbindungsspieler brillierte, aber auch den Ausfall von Davies, der normalerweise das Spiel aus der Abwehr eröffnet. Allen und Ledley orientierten sich gegen Portugal weit nach hinten, um sich den Mannorientierungen zu entziehen. Es fehlte dadurch die Präsenz vor dem Ball, um das Spiel ins zweite oder letzte Drittel zu eröffnen.

Auch Bale ließ sich weit fallen, um eine Anbindung an das Spiel zu bekommen. Wenn der Real-Star sich fallenließ, brachte er damit etwas die Mannorientierungen der Portugiesen durcheinander. Mit Dribblings konnte er Raumgewinn verschaffen und die aufrückenden Außenverteidiger freispielen. Gunter kam einige Male zu Flanken. Allerdings hatte Wales durch die tiefe Positionierung der meisten Spieler zu wenig Präsenz im Strafraum. Der tief agierende Bale fehlte in diesen Situationen genauso wie der zurückbleibende Allen. Meist rückten nur Robson-Kanu und der aufrückende Achter King in den Sechzehner – zu wenig  Strafraumpräsenz gegen Portugals Abwehrrecken.

Portugal brachte nach vorne ebenfalls nicht viel zustande. Durch die Raute hatten sie eine hohe Präsenz im Zentrum. Sie kamen jedoch zu selten in diese Räume. Wales Doppelsturm agierte sehr zentral und ließ sich nicht auf die Flügel locken. Sie versperrten den Passweg ins Zentrum. Portugal musste stattdessen über die Außenverteidiger eröffnen. In der Folge spielten die Außenverteidiger zu häufig den Flügel herunter. Portugal hatte keine Verbindungsmechanismen, um die Flügel zu wechseln. Wales konnte meist einfach einrücken, die gegnerischen Achter mannorientiert verfolgen und somit Portugals Gefahr bannen. Bei Flanken wiederum hatten die Portugiesen genau wie Wales zu wenig Präsenz im Strafraum; ein Ronaldo allein macht noch keinen Sommer. So kam es, dass zur Halbzeit von beiden Teams gerade einmal ein Schuss aufs Tor kam.

Zweite Halbzeit im Zeichen Ronaldo gegen Bale

Aufgrund der defensiven Klasse und des nur vorsichtigen Aufrückens beider Teams ging aus dem Spiel nicht viel. Es war folgerichtig eine Standardsituation, die zum 1:0-Treffer für Portugal führte. Direkt nach dem Führungstreffer legten sie nach, als Ronaldo einen Gewaltschuss wagte, den Nani ins Tor ablenkte. Ronaldo erzwang mit seiner Durchschlagskraft beide Tore der Portugiesen.

Die Formationen, nachdem Wales dreimal wechselte (ab 66.).

Die Formationen, nachdem Wales dreimal wechselte (ab 66.).

Bale war in der Folge merklich bemüht, nachzuziehen. Er trieb sein Team an, ließ sich zurückfallen und beteiligte sich somit an jedem Angriff. Wales stellte jetzt vom 5-3-2 auf ein offensives 4-3-3-System um. Bale war theoretisch für die Position des Rechtsaußens vorgesehen, war nun aber Sechser, Achter und Stoßstürmer in Personalunion.

Bales Überpräsenz tat dem walisischen Spiel nicht unbedingt gut. Er brachte zwar etwas Vorwärtsdrang in das bisher recht horizontal angelegte Mittelfeldspiel der Waliser. Allerdings waren viele seiner Aktionen auf den vorschnellen Durchbruch angelegt. Wales legte sich den Gegner nicht zurecht. Portugal zog sich jetzt häufiger in 4-4-2-Staffelungen zurück, verteidigte in und um den Sechzehner die verzweifelten walisischen Versuche. Gegen die aufgerückten Waliser hatten die Portugiesen sogar die besseren Chancen ab der 70. Minute, konnten ihre Konter aber nicht mit einem Torerfolg belohnen. Es blieb beim 2:0. Portugal zieht damit zum zweiten Mal in seiner Geschichte in ein EM-Finale ein.

Fazit

Vor dem Halbfinale konzentrierten sich viele Gazetten auf das Duell Ronaldo gegen Bale. Das war ein wenig merkwürdig, schließlich waren beide Teams hauptsächlich wegen ihrer Teamleistung ins Halbfinale eingedrungen. In der ersten Halbzeit stellten sie dies unter Beweis, als sämtliche Spieler sich auf eine sattelfeste Defensive fokussierten. Hier sah man die Stärken der Mannschaften: Portugals flexibles, mannorientiertes Mittelfeld auf der einen Seite, das viel Kontrolle über die Mittelfeldräume hatte. Wales kompaktes 5-3-2 auf der anderen Seite, das den Gegner auf die Flügel lockte und dort isolierte.

Ironischerweise war die zweite Halbzeit tatsächlich das angekündigte Duell Ronaldo gegen Bale. Ronaldo ließ seine Stärken zweimal aufblitzen, als er mit seiner ihm eigenen Explosivität zwei Treffer erzwang. Er konzentrierte sich damit auf das, was er am Besten kann. Bale hingegen versuchte mit allen Mitteln, sein Team zum Ausgleich zu führen – und half damit seinem Team nicht nur. Bale fehlt das strategische Gespür, einen geplanten Angriff zu eröffnen. Gleichzeitig fehlte er im letzten Drittel, um die enge Deckung der Portugiesen zu sprengen. Letztlich entschied Ronaldo das Duell gegen Bale für sich – und damit auch das Spiel.

LordRemiel 18. Juli 2016 um 23:29

Hallo, kein Bericht zum EM-Finale o.O Ich warte gespannt drauf 😀

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rum 20. Juli 2016 um 12:13

Wie wäre es mit diesem Blickwinkel: Frankreich hat Ronaldo und damit die Kopfballwaffe vom Platz getreten und danach glücklicherweise das Tor nicht gemacht.

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tobit 20. Juli 2016 um 17:23

Frankreich hatte in der regulären Spielzeit mehr vom Ball und sehr gute Chancen sowohl vor als auch nach der Halbzeit in Führung zu gehen, war in der Verlängerung dann mit den Kräften am Ende und wurde für die schlechte Chancenverwertung bestraft.

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Koom 20. Juli 2016 um 20:34

„Mehr vom Ball“ war auch das Problem von Frankreich. Mit Ballbesitz konnten die ja nichts anfangen. Und nachdem der einzige Matchplan ansonsten halt „Ronaldo vom Platz treten“ war, war das Endergebnis letztlich erwartbar.

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tobit 20. Juli 2016 um 21:00

Naja ich habe genau diese eine Situation im Kopf, wo Ronaldo mal etwas härter erwischt wurde, und da würde ich Payet auch kein absichtliches „Kaputttreten“ unterstellen würde, sondern einfach eine falsche Einschätzung und Pech, dass er genau Ronaldos Standbein unter Volllast erwischt.

Dafür dass Frankreich nichts mit dem Ballbesitz anfangen konnte, haben sie aber verdammt viele Chancen kreiert – da ging zwar viel über individuelle Klasse von Pogba, Griezmann und Physis von Sissoko, aber warum sollte das weniger Wert sein als sich durchzukombinieren. Portugal hat es in der gesamten ersten Hälfte nicht geschafft die Halbraum-Brachialdribblings von Sissoko zu verteidigen oder Pogba anständig unter Druck zu setzen – die Portugiesen waren schlicht der schlechteste (individuell und taktisch) Finalist seit Portugal und Griechenland 2004, die sich mit mehr Glück als Verstand in die Verlängerung retteten, um dort dann den zweiten ernsthaften Schuss des ganzen Spiels im Tor unterzubringen.
Dass die Franzosen eher durch starke Physis und gute Dribbler als durch herausragende Kombinativität überzeugen und wesentlich brachialer/vertikaler spielen als Spanien oder Deutschland wusste man ja schon vor der EM, trotzdem sind sie immer wieder in der Lage einzelne Spielphasen sehr kontrolliert zu gestalten und dann im Vertrauen auf ihre individuelle Klasse später mit einem überraschenden Durchbruch das Siegtor zu erzielen.

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Koom 21. Juli 2016 um 13:25

Das Problem der Franzosen war, dass sie keinen kontinuierlichen, konsequenten Matchplan hatten. Die waren eine hervorragende Kontermaschine mit guter bis sehr guter individueller Klasse. Da kannst du noch so überragende Spieler haben, letztlich bist du in einem 50:50 Glücksspiel, wenn du so auf ein Team triffst, dass auch nicht groß mitspielen möchte.

Portugal kam deswegen ins Finale, weil es diese ganzen Glücksspiele irgendwie gewonnen hat (bzw. irgendwie weitergekommen ist). Souverän war da nix, allerhöchstens gegen Wales – wobei dann dort diese 50:50 wegen fehlender individueller Klasse seitens Wales eher auf ein 60:40 kippte.

Die Herangehensweise von Löw war deswegen auch grundsätzlich gut: Es gab einen klaren Plan, wie man gegen tief einmauernde Teams spielt und führte das selbst mit eher international zweitklassigen Spielern wie Hector gut aus und verließ sich nicht nur auf brachiale Offensivdribblings.

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savona 21. Juli 2016 um 15:57

Wobei imho die Spielweise Portugals sich in den beiden Turnierabschnitten deutlicher unterschied als es die sich gleich bleibenden Unentschieden in der regulären Spielzeit nahelegen und auf denen im Meinungsmainstream für meinen Geschmack viel zu viel rumgeritten wird.

Was ich von Portugal in der Gruppenphase sah, war doch eher der wohlbekannte gefällige Kombinationsfußball mit mangelhafter Chancenverwertung und schlampiger Defensivarbeit. Typisch Portugal eben, sympathisch aber ineffizient.

In den K.o.-Spielen dann ein deutlich anderes Bild: unattraktiver aber letztlich erfolgreicher Außenseiterfußball, der eigentlich nicht zur – insbesondere individuellen – Qualität passte. Dass sich in den üblichen Kommentaren fast alles um die „ewigen“ Unentschieden drehte, kam mir ziemlich oberflächlich vor. Natürlich kann man Kritik an ihrer Spielweise üben – in einem anderen Thread wurde etwa das häufig zu harte Einsteigen im Spiel gegen Kroatien, vor allem gegen Rakitic angeführt -, aber wenn Fußball, wie es immer so schön heißt, ein Ergebnissport ist, haben sie vieles richtig gemacht und dabei wider Erwarten chamäleonhafte Züge offenbart.

Koom 21. Juli 2016 um 16:43

Die taktische Entscheidung Portugals, ab der KO-Phase mehr oder weniger einen „Zerstörungsfußball mit Ronaldo“ zu spielen, sollte man türlich nicht verherrlichen. Grundsätzlich ist in KO-Spielen eine gute Defensive die Basis für den Erfolg und Portugal machte das hinten auch sehr gut (auch wenn sie die „einfachere“ Seite hatten).

Und ich stimme dir zu: Portugal spielte anfangs den üblichen, etwas naiven und vor allem mittlerweile veralteten 08/15-Offensivstil, der von Konter/Gegenpressing-Teams gefressen wird. das ging beinahe in die Hose und sie entschlossen sich deswegen wohl auch auf ein eher klassisches Verriegeln des Strafraums und die Hoffnung auf Ronaldo (und andere Individualisten).

Irgendwie war das auch eine EM zwischen 2 Stühlen sitzend: Gegenpressing- und Konterfußball erlebt gerade noch seine Hochphase, Ballbesitzfußball hat gerade angefangen sich langsam breit zu machen. Das könnte in 2 Jahren schon interessanter werden, wenn es mehr Ballbesitzfußballteams im Stile der N11 gibt.


MaPy 11. Juli 2016 um 11:14

Bin ich eigentlich der Einzige, der beim zweiten Tor vor allem ein miserables Positionsspiel des walisischen Mittelfelds gesehen hat? Alle drei Mittelfeldspieler sind in den Strafraum gerückt, obwohl die Innenverteidiger die Flanke auch so verteidigen konnten. Dadurch konnte der zweite Ball nicht verteidigt werden und Ronaldo hatte gefühlt ewig Zeit.

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Gh 8. Juli 2016 um 06:28

Kann man natürlich schwer beweisen: aber für mich sah es so aus, als ob Bale das Spiel ansaugte, weil er sah, dass sonst gar nichts vernünftiges mehr ging. Bei 2:0 in Min 60 ist für Gegner zurecht legen natürlich schon überragende Klasse gefragt, die fehlt Wales, da wollten sie wohl eher über gelungene Einzelaktionen mit hohem Risiko zum Anschluss kommen. Vielleicht wär Fouls ziehen vor dem Strafraum noch etwas erfolgsversprechender gewesen, aber die Option Portugal matt zu spielen gab es einfach nicht.

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felixander 7. Juli 2016 um 16:08

Boah, ich tu mich schwer Bale als Verlierer im eh schon beknackten Duell Bale vs. Ronaldo zu sehen. Ronaldo hat dann doch einfach nochmal bessere Mitspieler an seiner Seite und kann sich somit mehr auf die eigenen Stärken konzentrieren. Bale war ohne Ramsey an seiner Seite überfordert. Aber das war selbst Ibra bei Schweden und das wäre auch CR7 ohne Nani, Sanches etc. gewesen.

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GatlingJ 7. Juli 2016 um 19:32

^^sehe ich absolut genauso, entschieden wurde das Spiel durch das Fehlen von Ramsey und Davies. Bale kann sich nicht verdoppeln, normaler Weise wäre er die vordere Station der Achse, die durch die Gelbsperren gesprengt wurde.
Im Umkehrschluss profitierte Ronaldo eben von der Anwesenheit von Sanches, Nani etc. pp.
Der ganze Kader von Portugal ist letztlich qualitativ viel breiter aufgestellt als Wales, bei Wales fällt die B-Elf zur A-Elf extrem ab.
Ich wünsche Wales einen Schub in ihrer Fußball Entwicklung, vlt. können sie dann auch mal einige sehr gute Back-Ups mitbringen.

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