Hipster-Treffen in Berlin: Pressingansatz vs. Ballbesitzfokus

2:1

Mit der Hertha forderte der Überraschungsdritte den Überraschungszehnten aus Ingolstadt. Vor dem Spiel durften sich alle Taktikinteressierten auf eine hochinteressante Partie freuen. Die Partie im Überblick:

  • Ingolstadts hohes und variantenreiches Pressing stellte die Hertha in der ersten Halbzeit vor große Probleme. Weil die Oberbayern aber selbst die bekannten Mängel in puncto Durchschlagskraft zeigten, entwickelte sich zunächst ein Bundesligaspiel auf überschaubarem Attraktivitätsniveau.
  • Zu Beginn des zweiten Durchgangs führten vermehrte Halbraumüberladungen und eine veränderte Rollenverteilung auf der linken Berliner Seite zu den ersten beiden hochkarätigen Torchancen der Hertha – die diese auch sofort zu nutzen wusste.
  • Erst mit den beiden Einwechslungen von Cohen und Hinterseer konnten die Ingolstädter in der Schlussphase die Laufleistung im Pressing wieder erhöhen und kamen so noch zum Anschlusstreffer.
2016-03-19_Hertha-Ingolstadt_Aufstellungen

Startaufstellungen

Standardmäßige Rollenverteilung bei der Hertha – Änderungen bei den Schanzern

Die Hertha begann die Partie wie schon vergangene Woche gegen den FC Schalke. In der 4-2-3-1-Grundordnung agierte Ibisevic als alleiniger Stürmer. Dahinter fungierte Darida als freier Zehner, der in Aufbausituationen als Verbindungsspieler im Übergangsspiel diente und in späteren Angriffsphasen mit in die letzte Linie rückte. Im Aufbau lag die tragende Last auf den beiden etwas mehr als strafraumbreit spielenden Brooks und Stark in der Innenverteidigung, die zunächst vornehmlich von Skjelbred und später dann auch von Cigerci Unterstützung erhielten. In das Aufbauspiel wurde zudem Torhüter Jarstein stark miteingebunden.

Bei den Ingolstädtern ersetzte Bregerie Hübner und auch Groß rückte nach seiner Sperre wieder in die Startformation. Dabei wechselte der Ex-Fürther allerdings von der rechten Achterposition auf die linke Seite – genauso wie es auch bei Matip in der Innenverteidigung der Fall war. Groß agierte im Gegensatz zum rechten Achter Christiansen deutlich tiefer und beteiligte sich vermehrt am Aufbauspiel, um den weniger aufbaustarken Rechtsfuß Matip an dieser Stelle zu entlasten. Christiansen stieß mit weiten Läufen immer wieder mit nach vorne und besetzte dabei gemeinsam oder im Wechsel mit dem jeweiligen zentralen Ingolstädter Stürmer den eigenen Zehnerraum. In vorderster Linie rochierten Leckie, Hartmann und Lezcano über die gesamte Spielzeit viel, wenngleich Leckie in der ersten Halbzeit vornehmlich vom rechten Flügel aus spielte und Hartmann die Position des zentralen Stürmers besetzte.

Während die Hertha versuchte über den gewohnten Ballbesitzansatz zu Torchancen zu kommen, nutzten die Schanzer im Aufbau lange Bälle auf beide Flügel, wo sie in überladenen Räumen versuchten, zweite Bälle aufzusammeln. Erst in der Endphase der Angriffe zeigte sich eine leichte Rechtslastigkeit.

Ingolstadts variantenreiches und intensives Pressing der ersten halben Stunde

Von Beginn an bereitete das flexible und aggressive Pressing der Ingolstädter den Herthanern arge Probleme. Aus einer 4-3-3-Grundordnung heraus agierten die Schanzer in vielen unterschiedlichen Staffelungen und Anordnungen. Dabei nutzten sie klare Mannorientierungen im zweiten Band, wohingegen auch der starke Fokus auf die Arbeit mit den eigenen Deckungsschatten der ersten Reihe ein prägendes Stilmittel darstellte. Hinzu kam eine grundsätzlich asymmetrische Anordnung der einzelnen Spieler zueinander und bzgl. deren Verhaltensmuster, sodass insgesamt ein leitendes Element auf die eigene rechte Seite erzeugt wurde. In den häufig zu sehenden 4-3-2-1-Staffelungen zeigte sich dies zum einen durch eine höhere Positionierung des linken Flügelspielers, zum anderen durch ein systematisches bogenhaftes Anlaufen Jarsteins von links durch den zentralen Stürmer. Hinzu kam, dass sich der rechte Flügelspieler zunächst am hoch agierenden Plattenhardt orientierte und situativ aus einer tieferen Position herausrückte. Um Laufwege von Brooks mit Ball am Fuß ins zweite Drittel zu blockieren, rückte aus diesen Konstellationen dann zumeist nicht der rechte Flügelspieler nach vorne, sondern Christiansen, der dann seinen direkten Gegenspieler Cigerci auch noch im eigenen Deckungsschatten behalten konnte. Zu den beschriebenen Abläufen und grundsätzlichen Staffelungen kamen bei statischeren Aufbausituationen oder beim Zustellen von Abstößen auch 4-3-1-2-Anordnungen zur Anwendung, wenn die beiden Flügelspieler sich an den Innenverteidigern der Hertha orientierten und der zentrale Stürmer leicht zurückfiel, um den tieferen der beiden Berliner Sechser zuzustellen. Verrückterweise gab es zu all diesen Varianten noch ein äußerst unorthodoxes Stilmittel zu beobachten: Sowohl Groß als auch Christiansen und auch Roger zeigten situativ Sprints über teilweise 30 Meter, wenn sie sich keinem direkten Gegenspieler gegenübersahen und attackierten auf diese Art und Weise Rückpässe der Berliner zu Jarstein.

Durch die verschiedenen Eigenheiten des Ingolstädter Pressings – frühes Anlaufen, Leiten zur Seite oder zur Mitte, Mannorientierungen im zweiten Band und gutes Nachrückverhalten – gelang es den Berlinern nicht ordentlich ins Aufbau- und schon gar nicht ins Übergangsspiel zu kommen. Kaum einmal öffneten sich vertikale Passwege in die Tiefe, ergab sich die Möglichkeit für einzelne Spieler mit Ball am Fuß aufzudrehen oder Schnellkombinationen im Anschluss an Ablagen zu starten. In Verbindung mit der enormen horizontalen Kompaktheit der Ingolstädter Formation in Phasen des Mittelfeldpressings führte das dazu, dass die Hertha schnell den Weg auf die Flügel suchen musste, wo Kalou und Haraguchi von den Schanzern aber gut isoliert werden konnten.

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Hertha in der zweiten Halbzeit

Halbraumüberladungen und Breite im zweiten Drittel als Herthaner Erfolgsrezept

Vor der Halbzeit versuchte die Hertha mit dem Seitenwechsel der beiden Flügelspieler veränderte Bewegungsmuster im letzten Drittel zu erzeugen: Haraguchi sollte von der linken Seite kommend ein weiteres spielmachendes Element in tieferen Räumen darstellen, während Kalou auf der anderen Seite als Verlagerungsoption diente oder nachstoßend in die Spitze agierte. Die eigene Durchschlagskraft erhöhte das aber nicht nennenswert.

Nach der Halbzeitpause nutzten die Herthaner dann verstärkt Halbraumüberladungen und tauschten auf den Flügeln wieder zurück. Vor allem, dass Plattenhardt höher agierte und Kalou damit weiter zur Mitte rücken konnte oder durch vielfaches Hinterlaufen des Außenverteidigers anderweitige Freiheiten bekam, brachte einige Vorteile mit sich. Insgesamt orientierte sich auch Darida verstärkt in die letzte Linie – die mit Ibisevic und den beiden Flügelspielern sowie die Schweizer dann teilweise vierfach besetzt war. Die verstärkten Rochaden – unter anderem Kalous Einrücken ins Sturmzentrum und Ibisevics Zurückfallen – brachen in dieser Phase die klaren Zuordnungen der Ingolstädter auf und nahmen deren Pressing etwas an Wirkung. Beim Fertigspielen der Angriffe ermöglichten die nachstoßenden Läufe Plattenhardts ein Durchbrechen bis an die Grundlinie. In dieser Phase fielen auch die Treffer der Hertha – beide nach Zuspielen in den Strafraum vom Flügel. Ingolstadt gelang es erst wieder nach den Einwechslungen von Cohen und Hinterseer besser ins Spiel zu kommen – die Mannschaft von Hasenhüttl hatte zuvor der hohen Laufleistung im ersten Durchgang Tribut zollen müssen. Zu mehr als dem Anschlusstreffer durch den Österreicher reichte es allerdings nicht mehr.

Fazit

Schlussendlich wäre wohl ein Unentschieden zwischen den beiden Mannschaften leistungsgerecht gewesen. Der Tatsache geschuldet, dass die Herthaner Treffer direkt aus den beiden ersten Chancen der Mannschaft Dardais resultierten, wobei dem 1:0 ein Foul an Lezcano vorausging, machen das Ergebnis für die Schanzer doppelt bitter.

TobiT 21. März 2016 um 20:38

Dardai und Preetz haben da vor der Saison einfach einen richtig starken Job gemacht und die vorhandene Klasse (Lustenberger, Kalou, Brooks, Skjelbred, Plattenhardt) sehr sinnvoll und günstig ergänzt.
Ibisevic war ein Risiko, gehört in Form aber zu den (technisch) Besten Strafraumstürmern der Liga.
Darida gehörte bei Freiburg zu den unumstrittenen Leistungsträgern, und hätte besonders Wolfsburg – aber auch Mainz, Schalke, Gladbach – gut zu Gesicht gestanden.
Weiser ein talentierter, ablösefreier(!) Aussenstürmer/-verteidiger.
Diese Spieler waren für jeden in der Liga sichtbar und für die Mehrheit der Vereine auch finanzierbar, trotzdem sind sie in Berlin gelandet, die letztes Jahr eher in niedern Tabellenregionen zu finden waren.

Dazu verbindet sie etwas mit Darmstadt. Nämlich der genau auf die Schwächen der Liga ausgerichtete Stil. Während die Lilien Bolzen, kontrollieren die Berliner das Spiel.
Auffälligstes Merkmal ist für mich das Mittelfeldzentrum, dort tummeln sich bei der Hertha viele Spielmacher und Balancierende Spieler mit starkem Passspiel.
Im Vergleich:
Hertha: Lustenberger[6], Skjelbred[6/8], Darida[8/10], Cigerci[7/8/10], (Hegeler[8/10], Baumjohann[7/10], Stark[5/6])
Bayern: Alonso[6], Kimmich[6/8], Thiago[8/10], Vidal[6/8/10], Götze[7/9/10], (Rode[8], Lahm[2/6/8], Alaba[2/5/7/8], Costa[7/10])
BVB: Weigl[6/8], Sahin[6/8], Gündogan[6/8/10], Castro[7/8/10], Kagawa[8/10], (Leitner[6/8/10], Mkhitaryan[7/10], Bender[5/6], Ginter[2/5/6])
Bayer 04: Kramer[6], Aranguiz[6/8], Kampl[8/10], Calhanoglu[7/8/10], Brandt[7/10], (Bender[6], Mehmedi[9/10])
Schalke: Geis[6], Goretzka[7/8], Hojbjerg[6/8], Meyer[7/10], (Schöpf[7/10], Belhanda[7/10], Neustädter[5/6])
Wolfsburg: Arnold[6/7/8/10], Draxler[7/9/10], (Guilavogui[6/8], Gustavo[6], Kruse[9/10])
Gladbach: Xhaka[6], Dahoud[6/8], Stindl[9/10], (Raffael[9/10], Hazard[7/9/10], Nordtveidt[2/5/6])
Dabei fällt mir auf, dass die Herthaner sowohl zahlenmäßig, als auch qualitativ einzig Bayern, dem BVB und Bayer 04 (klar) unterlegen sind. Besonders Wolfsburg und Gladbach haben ein Problem, wenn auch nur einer ausfällt, in Leverkusen fehlen Bender und Aranguiz quasi die ganze Saison.

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Vinnie 24. März 2016 um 16:20

Guter Punk! …und wenn der Kader so zusammen gehalten werden kann und noch um einen schnellen, torgefährlichen Außenstürmer ergänzt werden kann, bin ich optimistisch für die Zukunft.

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Patrick E. 21. März 2016 um 12:09

Hallo,

ist Hertha nicht das Team mit den Spielern, die es woanders nicht geschafft haben?

Kann man da mal eine Analyse machen, was diese Spieler jetzt anders machen als vorher? Sind sie nur besser eingebunden oder haben sie einfach einen Sprung gemacht?

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RadicalEd 21. März 2016 um 14:16

Das kann man eigentlich nicht sagen. Bis auf Skjelbred der beim HSV nie wirklich den Durchbruch schaffte, Weiser der beim FCB keine Vertragsverlängerung trotz eines positiven letzten Halbjahres erhielt (und das kann man in seinem Alter kaum als scheitern qualifizieren) und Kraft der beim FCB ebenfalls scheiterte, haben alle wesentlichen Säulen bei Hertha auch bei ihren alten Vereinen gute Rollen gespielt.(Darida, Kalou, Langkamp, Lustenberger Ibesevic, war bei Stuttgart auf dem Abstellgleis, aber sicher kein „gescheiterter“ Profi) Brooks kommt aus der eigenen Jugend, Cigerci galt auch bei Wolfsburg durchaus als Spieler mit Perspektive, Hegeler setzte sich zwar bei Leverkusen nicht wirklich durch, war aber davor bei Nürnberg eine tragende Figur.

Wenn ein Team in der BuLi aus Gescheiterten oder zumindest Aussortierten besteht, dann wohl Darmstadt. (Wagner, Rosenthal, Sulu, Rajkovic, Niemeyer mit Abstrichen auch Caldirola und Junior Diaz)

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Schorsch 21. März 2016 um 17:56

Einerseites folge ich @RadicalEd, dass man die meisten der genannten Spieler nicht als Kicker ansehen könne, die es „woanders nicht geschafft haben“. Andererseits sind es zumeist Spieler, bei denen aus welchen Gründen auch immer irgendeine ‚Einschränkung‘ vorhanden ist, wenn man sie beurteilen sollte. Sei es, weil sie beim vorherigen Club nicht unbedingt Spieler für die Startelf waren oder sie mit ihrem vorherigen Club abgestiegen waren oder man ihnen keinen neuen Vertrag geben wollte oder sie keine Chance mehr bekamen, etc.. Auch die Spieler, die schon länger bei Hertha sind, waren vielleicht Stammspieler, aber eher solide und durchschnittlich in ihren Leistungen.

Und damit zu Deiner Frage: „Sind sie nur besser eingebunden oder haben sie einfach einen Sprung gemacht?“ Da bin ich der Auffassung, dass das eine aus dem anderen folgt. Wobei man mMn nicht von „Sprung“ reden kann, sondern von kleinen Schritten in der Entwicklung. Viele kleine Schritte bei vielen Spielern ergeben einen größeren Schritt des gesamten Teams. Wichtig erscheint mir dabei, dass Dárdai zum einen ‚den richtigen Mann auf die richtige Position‘ gesetzt hat. Und dass die Rolle, welche diese Spieler zugewiesen bekommen, und wie sie diese Rolle ausfüllen sollen, passgenauer mit ihren Stärken korreliert als bei den vorherigen Clubs respektive Trainern. So kommt eines zum anderen. Kein Hexenwerk, sondern Ergebnis eines klaren Konzeptes, guter Analyse, akribischer Arbeit im Detail.

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DerHalbraumdeuter 20. März 2016 um 20:02

Diese 30-Meter Läufe der Mittelfeldspieler finde ich ja sehr interessant – für beide Mannschaften. Hätte gerne eine Graphik dazu 🙂 Denn ich stelle mir vor, dass man die dahinter entstehenden Räume gut nutzen könnte (welche Räume sind wie entstanden, wie war vielleicht das Zurückfallverhalten der eigentlichen Offensivspieler, oder hat man diese Räume einfach riskiert, weil sie schwierig zu bespielen sind)? Und wie hat die Hertha darauf reagiert, weiterhin ihr weiträumiges Aufbauspiel mit genauen Flachpässen? Oder wäre nicht eine gezielte Überladung eines Halbraums und das schnelle Bespielen (durch Jarstein) ein Mittel gewesen?

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Schorsch 20. März 2016 um 13:00

Ich habe mich auch auf diese Partie gefreut, gerade auch aus taktischer Sicht. Ich hatte mir einen Sieg der Hertha erhofft, allerdings einen Punktgewinn des FCI durchaus für wahrscheinlich gehalten. Eben weil sie den Spielaufbau des Gegners durch ihre Spielweise nachhaltig stören können. Wobei ich mir vor dem Spiel ein frühes Tor der Hertha gewünscht hätte, weil dies die Ingolstädter anders gefordert hätte. Insgesamt wäre ein Remis wahrscheinlich wie im Fazit des Artikels benannt folgerichtig gewesen. Andererseits fand ich die Art und Weise des FCI, um noch zum Ausgleich zu kommen, insgesamt zu limitiert. Nur ‚langen Hafer‘ und hoffen, dass die Bälle irgendwie doch durchkommen oder die zweiten Bälle verwertet werden können, ist mir persönlich dann doch zu wenig. Aber zugegebenermaßen ist der FCI sehr unangenehm zu bespielen und Hasenhüttl macht dort einen Topjob.

Skjelbred war bei Hertha wieder mit spielentscheidend. Vor dem ersten Tor eroberte er den Ball – allerdings verbunden mit einem Foulspiel. Vor dem zweiten Tor erlief er einen (schlecht gespielten) Pass eines Ingolstädters. Das Einbeziehen Jarsteins -wie im Artikel erwähnt- ist ein weiterer Mosaikstein in der Entwicklung der Hertha. Mit Kraft dürfte dies wohl weniger möglich sein.

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