Türchen 10: Diego Maradona

Das zehnte Türchen öffnet sich und hinter der Zehn kann sich natürlich nur einer verbergen: Diego Maradona. Hui, ist jetzt nach Zidane etwa schon wieder inkompetente Majestätsbeleidigung angesagt? Die Antwort darauf ist natürlich ein Nein; gab’s nie, wird’s nie geben. Und Maradona ist ja nicht irgendwer, sondern D10S; der einzige Fußballer mit seiner eigenen Religion.

Was wollen wir also hier schreiben? Wie schon mehrmals betont geht es in diesem Adventskalender auch um das Aufräumen mit falschen Kategorisierungen bestimmter Spieler. Uns geht es nicht darum, ob ein Spieler unter- oder überschätzt ist, sondern dass er als Typus richtig eingeschätzt wird. Die berechtigte Frage lautet nun: Wieso um D1os willen sollte ausgerechnet Maradona falsch eingeschätzt sein? Jeder Mensch kennt den Typ doch.

Die Kanonenkugel mit Beinen war einfach überkrass. Supergeiler Dribbler, pfeilschnell, durchsetzungsfähig, unfassbarer Antritt. Der hat doch einfach den Ball genommen und dann Tore nach Alleingängen gemacht. Brauchte keine Mitspieler, die waren eh nur Statisten und er hat alleine die Weltmeisterschaft geholt. Das wissen wir doch alles!!!!11einseinself.

Das Unglaubliche daran ist aber, dass Maradona trotz seiner 5 Tore und 5 Vorlagen bei der WM 1986 in gewisser Weise Unrecht getan wird, wenn er auf seine Dribblings reduziert wird. Maradona war vielmehr als ein ungeschliffener Diamant, der wegen seiner engen Ballbehandlung und seiner körperlichen Fähigkeiten gelegentlich bis zum Tor durchmarschiert ist. Er war viel mehr als das.

Die nie erwähnte Weiträumigkeit des Passspiels

Seine Pässe zum Beispiel waren nicht nur unglaublich präzise über sämtliche Distanzen, sondern besaßen eine gewisse Empathie – sie waren meist schön zu verarbeiten, hatten eine leitende Passkommunikation (dazu kommt noch ein eigener Artikel) und bespielten die jeweilige Spieldynamik sehr gut. Dieser Aspekt wird oft vergessen: Maradona gilt als „Trequartista“ und „Fantasista“, der sich vorwiegend im letzten Spielfelddrittel aufhielt und als „9,5“ die Aufgaben einer Zehn mit denen einer Neun verband. In der Massenerinnerung spielte Maradona seine Pässe vorwiegend als tödliche Pässe in kleinen Räumen oder suchte eben selbst den Abschluss mit Dribblings.

Natürlich tat Maradona das. Aber es war eben nicht das Einzige, was er tat. Im Gegenteil: Maradona variierte seine Spielweise oft je nach Gegner und fand dabei sehr gute Entscheidungen. In manchen Spielen kam dann seine gesamte Passvielfalt zum Vorschein. Aus dem Sechserraum spielte Maradona intelligente Seitenwechsel oder teilweise sogar Pässe fünfzig bis sechzig Meter in schlecht gestaffelte Räume des Gegners. Hier gibt es eine wundervolle Bibelstelle:

„Und so weit wir uns auch von D1os Licht entfernt hatten, so weit hatte er seine Pässe ausgedehnt, um uns mit seiner empathischen Kreativität zu erreichen. Selbst wenn wir am Abgrund der Seitenauslinie in Umschaltmomenten standen, wandte er sein Sichtfeld nicht ab und spielte uns lange Bälle in die gegnerische Dynamik aus dem gegnerischen Nachsetzen heraus.“

Gab es diese Option nicht, dann nutzte Maradona seine Dribblings.

Im Raum vor der Abwehr ließ er sich pressen, provozierte den Gegner zum Aufrücken und bespielte dann im letzten Moment noch die entstehende Dynamik oder begann eben mit dem Ausdribbeln einzelner Gegenspieler, um eine neue Spielsituation zu schaffen. Bei Maradona war zum Beispiel oft zu beobachten, wie er sich in vermeintlich unvorteilhaften Situationen lange am Ball hielt, wenn keine Option vorhanden war, und dann bewusst in enge Räume marschierte. Wirkt unfassbar riskant und auch in gewisser Weise „dumm“, weswegen er wohl im Vergleich zu Cruijff, Pelé oder Netzer nie als Stratege gesehen wurde.

Insbesondere im Vergleich mit Netzer, dem vermeintlichen Superstrategen (er hätte es darum fast sogar in den Kalender geschafft), wirkt diese Beurteilung nahezu lächerlich. Mit Kollege MR habe ich beispielweise schon darüber diskutiert, dass Maradona in der heutigen Zeit bei passender Defensivarbeit, die ihm weitestgehend wegen Inaktivität (und nicht wegen Unfähigkeit) abging,  eigentlich der perfekte Partner für Ilkay Gündogan beim BVB auf einer Doppelacht/-sechs wäre. Denn seine Dribblings und Pässe waren alles andere als „dumm“ oder strategisch unvorteilhaft und dank individueller Qualität funktionierend. Sie wirkten nur so, weil sie unorthodox waren.

„Die Augen des D10s sind überall; er sieht, ob jemand Unrecht tut oder sich ordentlich freiläuft.“

Maradona hatte einfach die Qualität und die spezifischen Fähigkeiten, dass er an guten Tagen diese „Dummheit“ nahezu jedes Mal zum Vorteil seiner Mannschaft nutzen konnte. Fouls, Raumgewinne per Dribblings, neue Situationen oder unpassende Staffelungen beim Gegner kreierte er dadurch mühelos. Generell hatte er ein fast intuitives Verständnis  für Spieldynamiken, was interessanterweise nie thematisiert wird, obwohl er als der Instinktfußballer gilt; dabei passt der Stempel des Instinktfußballers gerade deswegen so perfekt.

In dieser Szene hätte Maradona neben einem Dribbling auch vier realistische Passoptionen. Eine sinnlose Flanke in die Mitte habe ich nicht einmal eines Pfeiles gewürdigt. Eine andere Option wäre der Lochpass auf den höheren Mitspieler, was aber keinen wirklichen Fortschritt bringen würde. Ein Rückpass wäre sicher, aber würde der Szene die Dynamik rauben. Ein Pass auf den nahen Mitspieler würde sich kontraproduktiv auswirken. Stattdessen bespielt Maradona intelligent den offenen Raum.

In dieser Szene hätte Maradona neben einem Dribbling auch vier realistische Passoptionen. Eine sinnlose Flanke in die Mitte habe ich nicht einmal eines Pfeiles gewürdigt. Eine andere Option wäre der Lochpass auf den höheren Mitspieler, was aber keinen wirklichen Fortschritt bringen würde; dieser könnte gut eingekerkert und in der entstehenden Dynamik von den gegnerischen Bewegungen einfach isoliert werden. Ein Rückpass wäre sicher, aber würde der Szene die Dynamik rauben. Ein Pass auf den nahen Mitspieler würde sich kontraproduktiv auswirken, ihn habe ich ebenfalls nicht eingezeichnet. Stattdessen bespielt Maradona strategisch geschickt den offenen Raum.

Unfassbares Gefühl für Räume und Dynamiken und deren Wechselwirkung

Dieses Bild des Instinktfußballers wird oftmals mangelnder Effizienz verbunden. Maradona wirkt bei den Beschreibungen als „effektiv“ im Sinne von gutem Output und „ineffizient“ im Sinne von viel Input dafür: Viele Sololäufe, viele Fehlversuche und dann eben die wichtigen 2-3 Geniestreiche.  Dieser Eindruck rührt wohl daher, dass Maradona wie ein Showfußballer wirkt. Manchmal begann er einfach mit dem Jonglieren und spielte dann (vermeintlich) blinde Bälle in die Mitte oder verarbeitete Bälle sehr unorthodox mit manchmal direkten Fersenpässen und manchmal mit zwei bis drei „unnötigen“ Ballberührungen vor dem Pass.

Meist waren diese „unnötigen“ Zusatzberührungen aber viel mehr als Show. Ein Beispiel ist das Auflupfen des Balles bei Ballannahmen. Bei zu harten Pässen ermöglichte Maradona sich dadurch nicht nur mehr Zeit, weil der Gegner nicht in der Luft dynamisch auf den Ball gehen kann, sondern konnte auch in einer vorteilhaften Stellung verbleiben. Statt den Pass nach vorne prallen lassen zu müssen und eventuell gepresst zu werden ohne sein Sichtfeld wieder drehen zu können, befand sich der Ball in der Luft und Maradona konnte sich nach hinten zum Gegner lehnen, um seinen Manndecker in eine unpassende Position zu drängen.

"Und wahrlich, ich sage euch. D10S war kein egomanischer Dribbler und kein gefühlloser Instinktfußballer. Für unsere Sünden in der Positionierung ist er selbstlos in das Fegefeuer der Engen hinabgestiegen, um uns aus den gegnerischen Deckungsschatten zu erlösen. Und wurde Diego bei Angriffen von hinten an einer Hinternbacke erwischt, so hielt er auch die andere Arschwange hin."

Deckungsschatten? Mir doch egal. Da jongliere ich paar Mal und spiele ihn hinter mich selbst perfekt in den Lauf des Mitspielers und blocke ihm den Weg frei.

Dies nutzte Maradona aber nicht nur deswegen bei zu harten Pässen. Es gab einen zusätzlichen, genialen Nutzen bei dieser Eigenart. Durch das Anlupfen blieb Maradona wie erwähnt in seiner bisherigen Position. Das bedeutet auch, dass die Situation für ihn sich nicht verändert: Er sieht die gleichen Räume, hat die gleichen Optionen und anspielbaren Mitspieler, kann aber seinen Mitspielern neue Optionen geben.

Durch das Auflupfen des Balles anstatt eines direkten Passes verzögert Maradona nämlich das Spielgeschehen um eine halbe Sekunde. Befand sich ein Mitspieler im Lauf konnte er dadurch eben genau die zwei oder drei Meter machen, um in einer anspielbaren Position zu sein.

Maradona slalomt durch die brasilianische Abwehr und zieht die Aufmerksamkeit von drei Spielern auf sich. Von links zieht er rein und drei Spieler bleiben stehen. Maradona läuft so, dass er den Raum öffnet, wohin sein Mitspieler läuft und gleichzeitig dort den Pass spielen kann. Es entsteht eine große Chance.

Maradona slalomt durch die brasilianische Abwehr und zieht die Aufmerksamkeit von drei Spielern auf sich. Von links zieht er rein und drei Spieler bleiben stehen. Maradona läuft so, dass er den Raum öffnet, wohin sein Mitspieler läuft und gleichzeitig dort den Pass spielen kann. Es entsteht eine große Chance.

Das war aber nur einer von zahlreichen genialen individual- und gruppenstrategischen Aspekten Maradonas. Generell nutzte Maradona solche vermeintlichen Showeffekte oft. Lupferpässe, sich merkwürdig drehende Bälle oder die Nutzung der eigenen Verweildauer ermöglichten seinen Mitspielern oftmals das effektivere Bespielen einer gegnerischen Staffelung. Manchmal tat er es auch rein strategisch ohne wirkliches Ziel beim folgenden Pass: An der Auslinie und auf der Seite jonglierte er ein paar Mal, wartete, bis die Gegenspieler sich um ihn scharten oder zumindest zu ihm verschoben und spielte blind hinter sich selbst auf den zweiten Pfosten, wo oftmals Räume offen und einfache Abschlüsse aus nächster Nähe möglich waren.

Dieses strategische und taktische Gespür für Dynamiken und Räume hatte er auch im gröberen Sinne. Nach Führungen spielte Maradona oftmals weniger spielgestaltend, aufbauend und beteiligte sich geringer am Defensivspiel, sondern positionierte sich bei gegnerischem Ballbesitz weit vorne. Mit seiner hohen Positionierung wollte er verhindern, dass bestimmte gegnerische Spieler aufrücken. Taten sie es dennoch, so positionierte sich Maradona so, dass er dieses Aufrücken in Umschaltmomenten bespielen konnte.

Sein „Zocken“ war enorm intelligent und strategisch. Auch hier ein Beispiel: Maradona positionierte sich oft zwischen Außenverteidiger und Innenverteidiger. Damit hinderte er den Außenverteidiger am Aufrücken. In Umschaltmomenten erhielt er den Ball und legte ihn sich auf den Innenverteidiger. Dieser blieb dann meist stehen oder rückte gar auf Maradona heraus, was die gesamte Außenbahn für dynamische Pässe in offene Räume ermöglichte.

Ein anderes Beispiel zu seinen generellen Fähigkeiten in Positionierung und Umschaltspiel erzähle ich einfach ein Tor seiner Barcelona-Zeit nach (Link dazu), welches ich grafisch leider nicht ordentlich nachbilden konnte. In dieser Szene schaltet Barcelona nach vorne um, Maradona lässt sich zurückfallen und spielt per Hacke auf den offenen Raum hinter sich. Der Passempfänger spielt einen einfachen diagonalen Pass, woraufhin der neue Ballführende wieder auf Maradona prallen lassen kann.

Maradona zieht dann in die Mitte, führt den Ball etwas und attackiert den offenen Raum. Er wartet den perfekten Moment ab und spielt einen unfassbar präzisen Schnittstellenpass durch eine Schnittstelle kleiner als die Singularität der Raumzeit in einem schwarzen Loch. Tor!

Dribblings als Mittel in der damaligen taktischen Kultur

Maradona jetzt zum reinen Passspieler auszumachen, ist natürlich auch nicht das Ziel dieser Analyse. Er machte natürlich sehr viele Dribblings und keineswegs alle davon waren Geniestreiche an Raumöffnung für Mitspieler.

Aber das hier schon.

Aber das hier schon. Maradona zieht wieder die Aufmerksamkeit auf sich, lotst einen Gegenspieler auf sich und spielt dann den Lochpass in die entstehende Dynamik, wodurch die Kombination aufrechterhalten wird, gleichzeitig wird links Raum für seinen Lauf offen. Passend dazu ein Vers aus der Bibel (Leo, Buch WM, 1, 9-86):
„Und wahrlich, ich sage euch: D10s war kein egomanischer Dribbler und kein gefühlloser Instinktfußballer. Für unsere Sünden in der Positionierung ist er selbstlos in das Fegefeuer der Engen hinabgestiegen, um uns aus den gegnerischen Deckungsschatten zu erlösen. Und wurde Diego bei Angriffen von hinten an einer Hinternbacke erwischt, so hielt er auch die andere Arschwange hin.“

Doch seine Dribblings wirken heutzutage weniger üblich und passend als sie es im Kontext der damaligen Zeit und Liga waren. Insbesondere in der Serie A Mitte der 80iger waren viele Angriffsversuche relativ flaches Aufrücken und fanden in Unterzahl statt. Maradona (und andere Spieler) wurden darum bewusst zum Einsatz dieser Dribblings eingesetzt. Schlugen sie fehl, gab es ohnehin eine enorme Absicherung bei wenig gegnerischem Potenzial für schnelle Konterangriffe mit Überzahl.

Funktionierten sie, dann waren sie eine der ganz wenigen Möglichkeiten, um die kompakten und tiefen Abwehrreihen zu knacken. Die Dribbler stellten nämlich in gewisser Weise durch Einzelaktionen Überzahl her, indem sie zwei Spieler stehenließen und dann in einen offenen Raum kamen. Dort kombinierten sie schnell und suchten den Durchbruch. Außerdem waren diese Dribblings wegen einem etwas anderen Aspekt im (taktik-)antiken Italien der 80er akzeptierter: Standards waren deutlich wichtiger.

„Der D10s ist mein Passspieler, an keinen Abschlüssen wird mir fehlen. Er bespielt mich auf saftigen Wiesen und führt mich zu neuen Angriffsquellen. Er gibt mir Pässe. Er leitet mich auf sicheren Laufwegen, weil er der gute Passspieler ist. Und geht es auch durch passive Defensivkompaktheiten, so fürchte ich mich nicht, denn der Ball kommt zu mir. D1os beschützt mich mit seinen Dribblings.“

Sie bedeuteten Raumgewinn, einfachere Pässe in den Strafraum, bessere Abschlussmöglichkeiten und gingen mit einer gewissen einfacheren Trainierbarkeit einher. Diese Aspekte gibt es mit dem heutigen Kombinationsspiel deutlich öfter, während Standards wiederum wohl ähnlich effektiv sind, aber einen geringeren Anteil an den erzielten Toren der jeweiligen Mannschaften haben. Die Torquoten der italienischen Serie A Mitte der 80er sprechen da schon für sich genommen eine deutliche Sprache. Napoli wurde 1987 Meister mit 41 Toren in 30 Spielen, eine zu jener Zeit normale Toranzahl für die Topteams.

Dennoch darf man Maradonas Dribblingweise auch ein zusätzliches mannschaftstaktisches Strategiegeschick zuweisen. Mit seinen Dribblings lotste er nicht nur zufällig, sondern bewusst Gegenspieler zu sich und bespielte die entstehenden Lücken. Er variierte seine Ballkontrolle ebenfalls, um gewisse Aspekte der gegnerischen Staffelung zu bespielen; enge Ballführung bei engen Situationen oder dem Ausmanövrieren heranstürmender Gegner, weiteres Vorlegen des Balles in größere Räume und Nutzung der dabei entstehenden Dynamik.

Hier betätigt sich Maradona als Laufwegsblocker. Er läuft von seinem Gegenspieler weg und öffnet dadurch den Raum. Sein Mitspieler kann in diesen Raum aufrücken; Maradona läuft außerdem so, dass er den Verfolger seines Mitspielers abblockt und dieser nicht weiterlaufen kann, sein Mitspieler erhält den Ball alleine auf weiter Flur.

Hier betätigt sich Maradona als Laufwegsblocker. Er läuft von seinem Gegenspieler weg und öffnet dadurch den Raum. Sein Mitspieler kann in diesen Raum aufrücken; Maradona läuft außerdem so, dass er den Verfolger seines Mitspielers abblockt und dieser nicht weiterlaufen kann, sein Mitspieler erhält den Ball alleine auf weiter Flur.

Das perfekteste Beispiel hat dafür Maradona sogar auf allergrößter Bühne gezeigt.

Das Jahrhunderttorparadoxon

Den letzten Absatz möchte ich gar nicht näher ausführen. Das Video spricht Bände. Jeder hat das Tor im Kopf. Es steht symbolisch für Maradonas vermeintlichen Privatkrieg gegen die gesamte Fußballwelt bei der Weltmeisterschaft 1986. In der brütenden Hitze Mexikos marschierte Maradona einfach an fünf Engländern vorbei und erzielte das Tor der Weltmeisterschaft.

Doch Maradonas Tor war nicht nur die Ausgeburt seiner variablen Ballführung, seiner Gambetta und seiner Athletik; im Grunde bespielte Maradona einfach nur die schlechte Staffelung der Engländer. Wer einen Aspekt findet, den Maradona taktisch oder strategisch signifikant besser hätte machen können bei diesem Tor, der darf ihn gerne in den Kommentaren erläutern.

Seine Mitspieler sind nicht wirklich anspielbar und sind schlechter postiert als Maradona in jedem Moment. Ihr größter Nutzen liegt an einem einfachen Faktum: Sie existierten und sorgten für diese Staffelung, welche Maradona einfach durchlief. Ich muss nämlich sagen: Lange Zeit hat mich Maradonas Wundertor kaum fasziniert. Trotz der Charakteristik und Aura um das Tor mit dem Falklandkrieg, der brütenden Hitze, Maradonas einzigartiger Ausstrahlung und der spielerischen Qualität des Tores berührte es mich irgendwie nicht.

Von Beginn an wirkte es etwas maschinell auf mich. Es war einfach nur zu logisch in dieser Situation. Den Ball zu nehmen, so vermeintlich einfach in diese offenen Räume zu laufen und ganz locker an den Gegenspielern vorbeizulaufen schien für mich nur ein Auswuchs von Intelligenz, Technik und Ballführung. Es war keine Situation, die auf den ersten Blick unlogisch erschien. Es war nicht einmal eine besondere Spieldynamik in dieser Szene drinnen, welche Maradona in seiner Karriere so oft hervorragend bespielt hatte. Das Tor wirkte trotz des ganzen Trara und Drumherums jahrelang zu einfach für mich.

In gewisser Weise sah das für viele subjektiv schönste und vom kontextuellen Rahmen her ästhetischste Solotor der Geschichte für mich maschinell aus. Ein kleiner Mann mit athletischen und motorischen Vorteilen hatte ein oft gesehenes Bewegungsschema bei ihm einfach in einer dafür perfekt passenden Situation wie ein Computerprogramm abgespult. Und dann wurde mir klar, dass genau das diese Besonderheit an diesem Tor ist. Der kleine Teufels-, äh, Gotteskerl hatte mit seinem Programm begonnen und in jeder Situationsveränderung erkannt, dass es weiterhin funktionierte und es schlicht weiter ablaufen lassen. Mein Desinteresse verwandelte sich in Faszination. D10s hatte mich erleuchtet.

blub 26. November 2020 um 16:14

7 Jahre später immernoch schön

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Batigol 27. November 2020 um 09:56

Absolut!!

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Gh 8. November 2014 um 20:09

Zusammenschnitt von Maradona-Ballkontakten aus einem Spiel gegen Bayern… interessant, wieviel Risiko Maradona in den meisten Aktionen eingeht (eingehen darf) und wieviel dann auch im Ballverlust endet
http://www.youtube.com/watch?v=3dnF-eDUm-k

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RM 9. November 2014 um 06:11

Für meinen Heynckes-Artikel habe ich mir das Spiel damals sogar in voller Länge angesehen. Sehr viele Ballverluste, ja. Habe auch noch ein paar Napoli-Spiele gesehen, da gingen mir diese Mischung aus erzwungenem Vertikalfokus, Unterzahlkonter und einer Position als zweiter Stürmer ebenfalls öfters auf die Nerven. Ziemlich schade.

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Gh 9. November 2014 um 08:00

Weiss natürlich nicht inwieweit das dem selbst gepflegten Napoli-Underdog-Mythos geschuldet ist, oder ob sie tatsächlich im Spielaufbau so limitiert waren, dass sie alles auf Careca- Maradona – Carnevale setzen mussten. Trotzdem waren Napoli Spiele damals immer ein Riesenhighlight, weil halt auch regelmässig richtig cooles improvisiertes Zeug herauskam.

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Tank 8. Januar 2015 um 01:45

Das Spiel hält Maradona übrigens selbst für eines seiner besten bei Napoli. Habe es auch letztens ganz gesehen und kann seine Einschätzung überhaupt nicht nachvollziehen. Er hat zwei Assists, aber besonders der zweite passiert ihm eher als dass er wirklich viel dafür tut. Dazu ganz viel Stückwerk und verunglückte Aktionen.

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Gh 8. Januar 2015 um 14:27

Oh, interessant. Subjektiv galt für ihn vielleicht: je mehr riskante Sachen gemacht, desto besser wars. Hab neulich gelesen, dass er das Napoli Team für überaus gut besetzt hielt. Also kann man annehmen dass die Unterzahl-Hochrisikooffensive Taktik war, und nicht Notwendigkeit wegen fehlender Qualität.

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wombat 20. März 2014 um 13:52

thema schach: dass sich spieler in verschiedenen stellungen wohlfühlen, ist bekannt.
die kunst besteht darin, wohlfühlstellungen aufs brett zu bringen und den gegner daran zu hindern, dasselbe aus seiner sicht zu tun.
instinktfußballer mit positions-spielern gleichzusetzen ist m.mn. nach nicht zielführend.

wenn überhaupt, kann man die fähigkeit, den gegner daran zu hindern, sein spiel zu spielen, einigermaßen sinnvoll beiden spielen zuschreiben.

im schach wird das, sieht man auf hohem niveau von sekundanten und computeranalysen ab, von einem spieler gelöst, beim fußball gruppentaktisch.

dass manche spieler die fähigkeit haben, aufgrund ihrer fähigkeiten probleme sowohl-als auch zu lösen, steht auf einem anderen blatt.

wenn carlsen wenig zeit mit dem training von eröffnungen verbringt, heißt das nicht, dass er weniger als seine gegner trainieren ( u.a. wiederauffindbare muster schaffen) würde als seine gegner. er trainiert halt andere sachen.

wenn schon, ist schach eher mit der aufgabe eines trainers vergleichbar, m.mn. nach.

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Tank 19. März 2014 um 23:38

Nur wenn jemand zufällig Ahnung und Lust dazu hat: Ich würde mich ja freuen, wenn jemand mal 1-2 Spiele nennt, in denen Maradona in voller Pracht zu sehen ist. Idealerweise natürlich solche, die man schnell und in voller Länge findet. (Bitte nicht vs. England ’86, das Spiel ist so langweilig.)

Vielen Dank schonmal, falls sich jemand findet.

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king_cesc 9. Januar 2015 um 22:35

https://www.youtube.com/watch?v=aXA3CVFjhoU

Vielleicht nicht in seiner vollen Pracht, aber irgendwie nicht so kopflos wie bei Neapel?

Antworten

wombat 11. Dezember 2013 um 21:09

in den kommentaren dieses sehr guten artikels wird vor allem eines deutlich:
dass es sich eigentlich verbietet, dass ein niedrigeres system ein höheres bewertet/beurteilt, v.a. wenn instinkt auf auf analyse trifft.

Antworten

Maturin 11. Dezember 2013 um 17:17

Toller Artikel, und er macht verdammt Lust auf einen Vergleich Messi / Maradona um mal eure Sichtweise auf die ewige Diskussion zu erfahren.

Maradona nicht erlebt zu haben ist wohl eine der grössten Nachteile der späten Geburt.

In diesem Sinne schöne Grüsse aus dem „Heiligen Land“ in dem Mann seine Söhne nach D10S benennt.

Antworten

ES 11. Dezember 2013 um 19:26

Vielleicht könnte man die Beiden mal durch den angedeuteten Pass in die Singularität des Raum-Zeit-Kontinuums zusammenspielen lassen. Der Pass müsste in Lichtegeschwindigkeit ausgeführt werden und Maradonna müsste selbst gleich hinterherschlüpfen . Für einen Gott wohl nicht völlig unmöglich.

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RM 11. Dezember 2013 um 21:24

Maturin, bist du eigentlich noch im Meistertrainerforum aktiv? Hätte eine Frage, falls du das bist.

Antworten

Ancalagon 11. Dezember 2013 um 21:47

Ich meine da vor kurzem was von Maturin gelesen zu haben.
Sowieso hab ich mich da gefragt ob das überall der selbe Maturin ist, du schreibst irgendwie überall wo ich nur stiller Mitleser bin (Barcaforum bei TM, Meistertrainer, hier und acuh sonst ist mir der Name schon einige Male in den Tiefen des Netzes begegnet, nehme mal an das warst alles du).

Antworten

Maturin 12. Dezember 2013 um 12:49

Also im Meistertrainerforum bin ich unterwegs unter dem gleichen Namen wie hier, auf TM allerdings nicht, das muss jemand anderes sein. Da ist mir zu viel Quanität und zu wenig Qualität, auch wenn das in gewissen Unterforen ev. anders ist.

Für Fragen bin ich immer offen, per PN im MTF, offen hier, oder als Mail, ihr seht die doch Rene, oder?

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RM 12. Dezember 2013 um 13:15

Ich habe dir per Mail geschrieben! 🙂

Antworten

Philippe Kabo 11. Dezember 2013 um 13:55

Zur Religion:
Die Zeugen Yeboahs sind eine Religion, keine Sekte! 😉

Antworten

El entrenador 11. Dezember 2013 um 15:59

😉 göttlich

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Tank 10. Dezember 2013 um 19:57

Ich hatte es schon im Zuge des Zidane-Beitrages erwähnt, aber mein persönlicher Eindruck ist nicht ganz so berauscht, wie der hier exemplarisch aufgeführte.

Zunächst sollte ich vielleicht sagen, auf welcher Datengrundlage ich meine Sicht formuliere. Wenn ich z.B. nur das WM-Finale ’90 gesehen hätte, wäre meine nicht ganz so positive Haltung zu Maradona völlig wertlos, da er in dem Spiel halt angeschlagen und ausnehmend gut gedeckt war. Also ich hab von Maradona 3-4 Napoli-Spiele, 1-2 Barcelona-Spiele, 1 Spiel von der WM ’82, sowie die ganze WM ’86 gesehen, dazu dann noch das WM-Finale ’90. Hauptsächlich beruht mein Eindruck also auf der WM ’86. Das sollte Diego eigentlich nicht zum Nachteil gereichen, denn die gilt ja weithin als der Gipfel seiner Kunst.

Ich hab ihn so erlebt, dass er zu oft die ganz genialen Akzente setzen wollte und es dabei versäumt hat, den noch besseren Weg zu gehen; nämlich sowohl die genialen Akzente zu setzen, als auch am „ganz normalen“ Spiel seiner Mannschaft voll teilzunehmen.

Nun mag man sagen, dass das aber auch ein wenig viel verlangt ist, – der D10S ist halt ein Künstler – aber da halte ich gegen, dass es sehr wohl möglich ist. Pele ’70 und Cruyff ’74 haben genau das gekonnt. (Cryuff davor bei Ajax übrigens wieder eher nicht, aber dazu was, wenn es mal um Cruyff geht.) Ich habe extra diese beiden zeitlich früher gelegenen Beispiele gewählt, um dem Punkt zu entgehen, dass beides zusammen erst in neuerer Zeit von Spielern geleistet werden konnte.

Dann vielleicht noch ein Wort dazu, was ich damit nicht meine, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Das ultimative Paradebeispiel für solche genialen Akzente, wie Maradona sie meiner Meinung nach zu sehr gewollt hat, ist das gedribbelte Solo bis zum Tor. Nun ist mir aber völlig klar, und der Artikel sagt es auch richtig, dass Maradona auf solche Soli zu beschränken Humbug wäre. Er konnte viel mehr. Ich würde aber gegenhalten, dass z.B. auch Pässe solche zu genialischen Aktionen sein können. Pässe über 50 Meter und mehr, wie Diego sie konnte, stehen da zum Beispiel unter einem gewissen Grundverdacht. Also, klar, dass Maradona nicht nur der Ego-Dribbler war, aber auch Aktionen, die Mitspieler einbinden, können unnötig genialisch sein.

Was ich auch nicht meine, ist dass Diego nur und ausschließlich nur solche übertrieben genialen Aktionen gemacht hat. Dann wäre er ein echter Show-Spieler gewesen und krass überbewertet. Ist natürlich nicht so. Die Sache ist subtiler – was sie natürlich nicht einfacher macht.

Was ich kritisiere ist schlussendlich eine Schwäche in der Entscheidungsfindung. Genauer benenne ich eine Tendenz dazu, zu riskante, wenn auch geniale Dinge zu versuchen. Nicht jede eigentlich zu riskante Aktion ist gescheitert, immerhin ist Maradona nicht ohne Grund der liebe Fußballgott. Nicht jede Aktion von ihm ist so eine übertrieben geniale Aktion, immerhin ist Maradona ein großer Fußballer. Und nicht jede tatsächlich übtrieben geniale Aktion führt gleich zu einem breiteren Vorwurf an den Spieler Maradona, schließlich macht jeder mal Fehler.

Selbst wenn mein Punkt in voller Stärke durchgehen würde, würde ich nicht behaupten, dass sich daraus ergibt, dass Maradona dramatisch überschätzt ist. Nein, er war ein Guter, zweifelsohne. Aber aus meiner Perspektive ist er aus eben jenem Grund leicht überschätzt.

Nun hab ich viel behauptet und müsste es nun kleinteilig an dutzenden, besser noch: hunderten Szenen belegen. Tue ich nicht. Daher kann ich auch nicht erwarten, dass irgendjemand, der nicht eh schon den gleichen Eindruck hat, mir glaubt.

Aber vielleicht sieht ja jemand mal ein paar Spiele von Maradona und zeitlich naheliegend die Vergleichsspiele von Pele und Cruyff und hat die These irgendwo im Hinterkopf.

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Lobanowskyj 12. Dezember 2013 um 10:17

In gewisser Weise kann ich deine Kritik (intuitiv) nachvollziehen, obwohl auch ich zugeben muss, gar nicht so viele Spiele aus seiner besten Zeit gesehen zu haben.
Maradonas riskante Entscheidungen würde ich einem Heute-Fussball-Gucker vielleicht mit dem Stil eines Thiago Alcántara näherbringen (andere Position, anderer Typ, anderes Talent, aber besseres Bsp. fällt mir jetzt auch nicht ein). Mir gehts da nur um die Parallele: auch Thiago hat geniale Momente, sucht sie aber vielleicht zu oft und übersieht dabei manchmal den „seriösen“ Pass zum Mitspieler. Sicher wurde das bei Maradona durch sein enormes Talent und die von RM angedeuteten Zeitumstände (bevorzugt Individualisten, um „italienische“ Systeme aufzubrechen) mehr als kompensiert. Trotzdem finde ich auch, seine Trainer hätten in Sachen Entscheidungsfindung und Übersicht noch ein wenig mehr auf ihn einwirken können. In einer stärker kombinativen Mannschaft (du hast ja Cruyff schon angesprochen) hätte er wohl so einige Probleme bekommen.
Andererseits macht es ja gerade einen solchen Spielertypus aus, dass er, aufgrund seiner Fähigkeiten und Selbstbewusstsein, risikofreudiger agiert als andere. Aus einer Vielzahl riskanter Entscheidungen resultiert dann eben das Besondere. Dazu wieder ein Beispiel eines komplett anderen Spielers: Manuel Neuer wird oft kritisiert für Fehler, die gelegentlich aus seiner risikofreudigen Herangehensweise resultieren. Ohne sie wäre er aber nicht der überragende Torwart, der er ist.

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El entrenador 10. Dezember 2013 um 17:40

Sehr schöner Artikel. Da fühle ich mich genötigt erstmal eine Runde zu beten…

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fcv08 10. Dezember 2013 um 17:13

Sehr schöner Artikel, war wirklich sehr angenehm zu lesen.
Die Frage die sich mir aufgedrängt hat beim Lesen des Artikels und insbesonders an der Stelle über das Jonglieren der Bälle bei der Ballannahme, ist, ob man denn sowas antrainieren kann, also im Prinzip jeder Fußballer das in sein Spiel einbauen könnte, man quasi kleine MAradonas züchten könnte, oder ob sowas einfach angeboren sein muss? Und würde letzteres der Grund dafür sein, dass es einfach sehr wenig Spieler mit solch überragenden Fähigkeiten gibt?

Hoffe ich konnte meine Fragestellung deutlich machen…

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Koom 10. Dezember 2013 um 19:15

Allgemein gesagt, kann man sich jedes Verhalten grundsätzlich antrainieren. Alles eine Frage der Zeit und Geduld und auch der „Toleranz“ seitens des Trainers. Weil man im Grunde fast jede Ballannahme so dann machen muss, verschlechtert sich für eine zeitlang ziemlich sicher die eigene Qualität.

Ob das ganze erstrebenswert ist, ist natürlich auch so eine Frage. Maradona hatte wahnsinniges Gefühl im Fuß, so das er mit einem solchen Ball, der dann eine sehr seltsame Dynamik hat, weiterarbeiten konnte. Wenn du das jetzt einem Jens Nowotny beibringen willst (oder einem Kießling), dann wird das eher nix. 😉

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karl-ton 10. Dezember 2013 um 19:31

Ich würde wetten, dass auch bei den Spielern, die das nötige Gefühl im Fuß haben die (Jugend-) Trainer jedesmal einen Schreikrampf bekommen, wenn sie sowas versuchten. Und wenn sie dann in den Profikadern stehen, haben sie andere Sorgen als eine coole neue Ballannahme.

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Koom 11. Dezember 2013 um 09:27

Wobei man es grundsätzlich nicht ausschließen kann, dass das noch mal Mode wird. Momentan liegt der Fokus darin, den Ball entweder tot zu stoppen oder ihn direkt in einen Bewegungsablauf einzuarbeiten, um schneller zu werden.

Kann schon sein, dass die immer besser werdenden Defensivsysteme irgendwann dafür sorgen, das man mehr mit Lupfern und hohen Bällen spielen wird, und als Ausgangsbasis wäre da so ein Maradona-Jonglieren schon gut, weil du dem Ball in der Luft mehr mitgeben und anders treffen kannst als am Boden liegend. Natürlich werden dann aber auch hohe Bälle noch mal präziser als das, was man heute sieht. Aber ich halte es für eine mögliche zukünftige Entwicklung, die ihren Ursprung in der momentanen Mode der kleinen, schnellen Offensivalleskönner haben wird. Abwehrspieler werden auch kleiner und schneller werden, wodurch der Raum enger und schwerer bespielbar wird.

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Rasengrün 10. Dezember 2013 um 13:58

Sprachlich vielleicht der bisher beste Artikel hier. Well done.

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Bernhard 10. Dezember 2013 um 12:02

Die Synergien zwischen Schuster und Maradona zu analysieren wäre interessant. Vor allem erschließt sich mir schon allein vom formative Aspekt nicht, welche Formation Barcelona seinerzeit spielte. Das 4-3-3 kam ja erst mit Cruyff, und sofern ich weiß war ja der blonde Engel nominell auch ein Zehner.
Ich nehme an, du wirst die Antwort wissen, RM? 😉

Antworten

MAW 10. Dezember 2013 um 11:23

Die Frage ist, ob er sich seiner Handlungen wirklich bewusst wurde und diese dann ggf. verbessert hat, oder ob Selbstreflektion bei ihm nicht vorkam und er wirklich alles rein intuitiv/instinktiv gemacht hat. Ich zumindest bemerke bestimmte Sachen in meinem Spiel, die ich intuitiv mache und versuche mir dieses Wissen in anderen Situationen zunutze zu machen bzw. diese Anlagen noch auszubauen.

Antworten

MR 10. Dezember 2013 um 12:13

Wofür genau ist das die Frage?

Frage ich aus einem generellen Grund: Ich finde, dass sowas oftmals überbewertet wird. Siehe Kommentar 1 hier. Ist doch für die Analyse eines Spiels oder der Qualitäten eines Spielers irrelevant, was davon explizit bewusst hervorgerufen wird und was durch zufällige Synergien und implizite Qualitäten einfach so „entsteht“. Wichtig ist doch erst mal, dass es da ist.

Die Frage nach der Bewusstheit wird doch erst dann relevant, wenn man selber mit/an diesen Qualitäten arbeiten muss. Aber da von uns wohl keiner mehr Diego Maradona trainieren wird…

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EvS 10. Dezember 2013 um 13:15

mit instikt/intuition als abgrenzung zu „es ist besser, weil bewusst so eingesetzt“ wäre ich sowieso ein wenig vorsichtig, da sich diese „intuition“ erst durch erfahrung entwickelt (schachspieler arbeiten auch intuitiv, weil sie eben diese situationen tausende male durchgegangen sind) – aber ist wohl auch eher ein neurowissenschaftliches thema.
und man sollte auch nicht vergessen dass er einfach nur ein fußballer war und kein sportwissenschaftler oder trainer (*hust*).

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sharpe 10. Dezember 2013 um 14:07

natürlich ist es im Nachhinein egal, was er bewußt und was unbewußt gemacht hat, aber im Artikel kommt es schon so rüber, als wäre er nicht nur ein fußballerisches Genie gewesen, sondern hätte schon damals taktische Finessen drauf gehabt, die er in Wirklichkeit nicht hatte (behaupte ich jetzt mal). Trotz seiner unglaublichen Technik und seiner Dynamik hab ich ihn nie als reinen Individualisten gesehen, gerade sein Passspiel und sein Kombinationsvermögen wurden wenn er gute Mitspieler um sich hatte, ja oft deutlich erkennbar. Aber nichts desto Trotz werden ihm hier Fähigkeiten zugeschrieben, die er nicht hatte. Nur weil er sich aus schwierigen Situationen, in die er sich selber gebracht hat, wegen seiner individuellen Qualitäten wieder befreien konnte, ist das noch lange kein taktisches Geschick.
Ist ja so, als wenn Neuer als letzter Mann in höchster Not einen Gegenspieler auspielt und man würde behaupten, war vom ihm genial gedacht, er hat sich taktisch clever in eine schwierige Situation gebracht und nun hat Bayern kurzfristig einen Gegenspieler weniger zu bespielen.

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RM 10. Dezember 2013 um 14:17

Wieso sollten diese taktischen Finessen bewusst gewesen sein? Solche Sachen macht man instinktiv. Und diese Aktionen, wo er Wege freiblockt und dann bespielt, kamen sehr oft vor. Bekannter von mir spielt in den Niederungen des Amateurfußballs und ist taktisch einfach Weltklasse, beim Öffnen von Räumen z.B. Das kann einfach der Charakter des Spielers sein; der bewegt sich halt so und macht versehentlich immer solche Räume auf. Ähnlich ist es bei Maradona.

Ich bezweifle nämlich, dass diese Häufigkeit und auch, wann er dann die Pässe spielt, Zufall sein sollen. Dass er nicht explizit wusste, wie genial das war, bezweifle ich keineswegs. Vielleicht war es einfach seine Art zu Dribbeln und zu positionieren so und war unfassbar lässig, ohne dass er das je raffte. Seine Lauf- und Bewegungsmuster, die er einfach unbegründet so hatte, äußerten sich einfach. Dennoch äußerten sie sich und können somit beschrieben werden.

Es geht außerdem nicht nur um solche Situationen, wo er sich aus einer Enge befreit, sondern auch intelligente Entscheidungsfindung im Passspiel und im Freilaufen.

Oder dieses Abwenden vom Gegner, Wegbewegen vom Tor, mehrfache Jonglieren und dann „blinde“ Bälle auf den zweiten Pfosten zu spielen. Das ist strategisch so geschickt, bereitete viele Tore vor und ist etwas, was er wohl gar nicht begreift. Der hat vermutlich mal in der Jugend so ein Tor vorbereitet und macht das immer als Grundsatzlösung, ohne zu begreifen, wie lässig das ist. So auch in anderen Aktionen.

Und nur weil jemand so wirkt, sollte man ihm nicht bestimmte Fähigkeiten absprechen. Ebenso wenig beim Thema Vermittelbarkeit. Nur weil Maradona keine Ahnung davon hat, was er wieso macht und dass er das keinem Spieler vermitteln kann, heißt das ja nicht, dass er als Spieler nicht so sein konnte. Ich bezweifle z.B. das Fußballer wie Cristiano Ronaldo den physikalischen Effekt hinter ihrem Flatterball erklären können. Ich bezweifle sogar, dass er genau weiß, wie blöd das für den Torwart ist und welche Zusatzaspekte zur Berechenbarkeit kommen.

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karl-ton 10. Dezember 2013 um 15:20

Hmm. Hat man nicht für genau sowas Trainer? Auch wenn ich Maradonna tatsächlich nicht so einschätze, dass man ihm die taktischen Finessen erklären kann und er sie dann ins ein Spiel einbaut, würde ich wetten, dass man bereits vorhandene Ansätze sehr gut verstärken kann. Und jemand, der so talentiert ist bietet ja meist auch wahnsinnig viel an. Da reicht es dann oft schon zu sagen, mach das und das mal mehr, dann finde ich dich ganz toll. Okay, vielleicht nicht mit den Worten, aber der scheint ja so nach Anerkennung zu lechzen, der ist sicher offen für Verbesserungsvorschläge – sofern sie für ihn richtig formuliert sind.

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Joseph Brant 13. Dezember 2013 um 03:24

Der Vergleich mit Neuer hinkt ja wohl gewaltig. Ich denke schon dass dieses bewusst in enge Räume eindringen ein adäquates Mittel ist (die Fähigkeiten Maradonas vorausgesetzt) um stur defensive Teams zu bespielen. Ist quasi manchmal fast die einzige Möglichkeit. Die Gefahr bei Ballverlust gekontert zu werden ist vergleichsweise gering. Ich gebe zu bedenken Ende der Achtziger Italien. Das war die Zeit der Betonkünstler.
Mit Pressing machst du da die Räume nur noch enger. Maradona taktische Fähigkeiten abzusprechen halte ich deshalb für absurd. Er hat das gespielt was nötig war, und die team-taktischen Anforderungen des SSC Neapel waren damals halt deutlich niedriger als die eine FC Barcelona heute.
Ich kenne Maradona hauptsächlich von den WMs und kann mich jetzt auf Anhieb an kein Spiel seiner Vereinsteams erinnern… aber ich hatte immer den Eindruck dass der zumindest genau weiß warum er was gerade macht.

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EvS 10. Dezember 2013 um 14:15

ja klar, aber wie mr sagte spielt es ja für die bewertung als fußballer keine wirkliche rolle. aber etwas noch als kleiner nachtrag und was wohl manchmal vergessen wird. bewusste entscheidungen kosten mehr zeit als „intuitive“.

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MR 10. Dezember 2013 um 19:59

“es ist besser, weil bewusst so eingesetzt” -> Wieso schwingt das eigentlich so oft unausgesprochen und mit dogmatischer Selbstverständlichkeit mit, wenn über sowas gesprochen wird? Irgendwie werden die „Instinktfußballer“ immer so ein bisschen belächelt, hab ich den Eindruck. Kanns sein, dass das so ne gesellschaftliche Sache der Ingenieursnation Deutschland ist und man das in Argentinien oder gar Brasilien gar nicht diskutieren würde?

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Demetrios 10. Dezember 2013 um 20:25

Mal ehrlich: Wenn ich davon ausgehen müsste, dass ihr glaubt, jedes einzelne Element eines Fußballspiels sei entweder von einem der Trainer oder von den ausführenden Spielern bewusst so gemacht worden – ich würde hier zwei, drei Artikel lesen und mich müde lächelnd der Sportbild zuwenden.

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MR 10. Dezember 2013 um 21:16

Nicht mal unsere Analysen sind zu hunderprozent bewusst!

Die passieren einfach so.

Voll schön.

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MAW 10. Dezember 2013 um 22:30

Ich habe gemerkt, dass ich damit meine intuitiven Handlungen eventuell aufwerten konnte bzw. meine Laufwege „optimieren“, wenn ich versucht habe mir gewahr zu werden was ich besonders gut gemacht habe, wenn etwas geklappt hat, oder eben schlecht, wenn was schief lief. War er jetzt also jemand der von Grund auf brilliant war oder hatte es vlt. doch etwas mit Arbeit auf solider Basis zu tun? Ich möchte ihm Letzteres nur ungern absprechen, was uns wieder zum ersten Kommentar bringt.

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karl-ton 11. Dezember 2013 um 00:51

Ich habe schon mehrfach den Eindruck gehabt, das solche Diskussionen immer irgendwie schlecht funktionieren, weil es dem ganzen an sprachlicher Präzision mangelt.

Aus meiner Sicht verstecken sich da nämlich mehrere Konzepte hinter, die selbst mit klaren Definitionen schwierig abzugrenzen sind. Ohne scheinen immer alle aneinander vorbei zu reden 😉

Ich glaube, dass da mindestens vier Dinge drinstecken. Es gibt da sicher berufenere Menschen für als mich, aber ich versuche mal meine (völlig unwissenschaftliche) Sicht der Dinge darzulegen:

Bei einzelnen Entscheidungen würde ich unterscheiden zwischen intuitiv und bewusst getroffen. Bewusst meint, dass der Entscheidung (oder Aktion, die aber auch eine Entscheidung braucht) eine bewusste Analyse und Bewertung zugrunde liegt und man dann versucht ein formuliertes Ziel zu erfüllen. Intuitiv ist dann alles was nicht bewusst ist, also platt gesagt, Handeln ohne drüber nachzudenken. Wichtig ist wohl auch noch, dass das wohl komplett theoretische Extreme sind, die man in Reinform nicht finden wird.

Auch wenn ich nicht glaube, dass man auf die Welt kommt und brilliant Fußball spielt, denke ich schon, dass es sowas wie Talent gibt. Die anderen Konzepte sind dann auch Talent und Training. Das betrifft aber letztendlich eher die Frage wieviel Zeit jemand darauf verwenden muss um Situationen einschätzen zu können und Entscheidungen darüber treffen zu können.

So, für’s Training bedeutet das dann, dass jemand mit Talent weniger und vielleicht auch anders trainieren muss als jemand mit weniger Talent um das gleiche Niveau zu erreichen. Wichtiger ist aber wohl, dass sowohl intuitiv, als auch bewusst entscheidende Spieler nach wie vor besser werden, wenn sie trainieren. Nur muss dabei das Training unterschiedlich aussehen. Der eine braucht mehr Erklärungen wie, warum und weshalb und der andere praktisches Training und klassisches XY ist gut und Z schlecht.

Hmm, jetzt habe ich glaube ich den Rahmen mal wieder gesprengt und hoffe das macht Sinn. Ist etwa 30 Minuten alt die Theorie 😉

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fewepe 11. Dezember 2013 um 11:30

ich denk, dass hat durchaus den denkhintergrund den du meinst. es ist nun mal nichts „typisch deutsches/leistungsgesellschaftmäßiges“ einfach das zu machen was einem in den sinn kommt, sondern sich vielmehr in seinem verhalten den vorgebenen standards anzupassen. das sollte man natürlich nicht absolut verallgemeinern, aber ich denke jeder weiß was ich meine. im prinzip leben die meisten leute ja sehr ähnlich und es fehlt etwas der mut alternativen zum klassisch-bürgerlichen leben und denkweisen zu finden. das belächeln kommt dann mmn daher, dass die „unbekümmertheit“ der klassischen „instinktfußballer“ eigene, kreative lösungen zu finden etwas zu einfachheit oder womöglich minderbemitteltheit (kevin großkreutz!) abgewertet werden muss, um sich selber ins bessere licht zu rücken.
puh, viel mehr als gewollt geschrieben.

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EvS 11. Dezember 2013 um 12:27

ich glaube eher dass es ein fußball-problem ist, da es nunmal volkssport ist und jeder schonmal gegen einen ball getreten hat. beim schach sind das auch alles intuitive handlungen die einfach eintrainiert wurden, aber niemand würde auf die idee kommen die leute als „einfach“ abzustempeln, weil eben die erfahrung mit dem sport fehlen.
ich glaub aber das sich das auf absehbare zeit nicht ändern wird.
im weiteren glaub ich auch nicht das xavi oder sonst wer großartig nachdenkt. der sieht auch die spielsituation und entscheidet dann auch intuitiv nach erfahrung was er macht.

und auch nochmal was zum talent. finde die bezeichnung etwas blöd. sicherlich gibt es körperliche vorraussetzungen die helfen wie z.B. ein gut ausgeprägtes kleinhirn, aber das wichtigste ist training, training, training. messi ist bestimmt nicht aufgewacht und war der super dribbler der er heute ist, der hat sich auch jeden tag hingestellt und geübt (meine mich zu erinnern dass ihr das auch mal in nem messi-artikel geschrieben habt))

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MR 11. Dezember 2013 um 12:50

Zu dem Thema, indirekt recht interessant vielleicht der Artikel hier: https://spielverlagerung.de/2012/07/08/spielverlagerung-im-abseits-was-ist-talent-im-fusball/

bobby 11. Dezember 2013 um 13:51

Naja, im Schach ist das nicht so eindeutig. Es gibt Spieler, die ihrer besonders ausgeprägten Intuition wegen gerühmt werden (Capablanca, Fischer, Karpow oder aktuell Carlsen) und Spieler, bei denen man weniger Intuition, sondern eher die Variantenberechnung im Vordergrund sieht. Allerdings gelten die intuitiven Spieler grundsätzlich als diejenigen mit dem größeren, natürlicherem Schachverständnis und damit als die talentierteren.

karl-ton 11. Dezember 2013 um 14:44

Ja, naja, sicher ist Talent ein schwieriger Begriff. Manchmal habe ich auch tatsächlich den Eindruck in Deutschland noch ein wenig mehr als anderswo. In England etwa scheint ja immer noch ein wenig von der Haltung übrig zu sein, dass hartes Training was für die anderen ist und der wahre Gentleman es halt einfach kann (und heimlich trainiert). Und man kann das sicher auch anders nennen.

Und Talent macht doch Training auch nicht unnötig oder sorgt dafür, dass gleich als super, super Spieler auf die Welt kommt. Ich habe allerdings schon den Eindruck, dass sich die Leistungsunterschiede, die man im Fußball (und eigentlich ja überall) beobachten kann, nicht ausschliesslich durch Training erklären lassen. Das würde ich als Talent bezeichnen, aber andere Begriffe können sicher auch funktional sein.

Übrigens ist da der Umkehrschluss viel wichtiger: Könnte also eine beliebige Person auch so ein guter Dribbler wie Messi werden, wenn er lange genug trainiert und einen ähnlichen Körperbau hat?

Terminus 11. Dezember 2013 um 15:52

Kurzer Einwurf zum Schach, aber auch da ist vermutlich eher die Frage, inwieweit „intuitives Spiel“ und „Variantenberechnung“ Gegensätze sind.
Es gibt Stellen im Spiel, bei denen Variantenberechnung notwendig wird. Die erkennt man am Brett meistens anhand irgendwelcher intuitiver Muster, also von wegen „seine Figuren stehen irgendwie im Abseits, meine zielen auf seinen König … mal gucken ob ich mich durchopfern und mattsetzen kann“ – oder anders gesagt „ich hab da doch mal ne ähnliche Stellung gesehen, da ging das…“ – dann geht die Berechnung los. Gerade bei vollem Brett und nem Opferangriff geht es nicht ohne diese Berechnung.
Im Endspiel dürften auch solche „intuitiven Endspielmaschinen“ wie aktuell Carlsen nicht ohne Berechnung der Varianten auskommen. Wie weit der aber am Brett tatsächlich rechnet oder ob er beim „Rechnen“ nur seine vorhandenen Muster durchsucht, oder da gar intuitiv das richtige findet und innem Endspiel gegen den Weltmeister beim Kampf um den Titel spielt, ohne nachzudenken (scheinbar), steht natürlich auf nem anderen Blatt, das können wir Normalsterblichen gar nicht beurteilen. In vielen Stellungen dürfte das tatsächlich eher auf die Mustererkennung hinauslaufen, im Sinne von „das ist remis“ oder „das ist nicht remis“ – aber an vielen Stellen kommt auch für Carlsen Berechnung ins Spiel, im Sinne von „fünf Möglichkeiten jetzt … gucken wir mal… *rechne* okay, die drei werden remis… was is mit den anderen beiden? mal gucken…“ Einfach drauflosziehen und ne gut versteckte Gewinnfortsetzung zu verpassen, kann sich im Spitzenschach auch Carlsen nicht leisten.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass beim Schach als sicherster Weg zu mehr Spielstärke gilt, seinen Vorrat an Stellungsmustern zu vergrößern – also mehr Stellungen anzusehen, inklusive Betrachung möglicher Pläne und wie große Spieler sie behandelt haben. Großmeister rechnen nicht mehr als Amateure, nur besser, weil sie auf mehr Stellungsmuster zurückgreifen können.

Was uns das jetzt für den Fußball sagt, keine Ahnung. Vielleicht könnte man sagen, dass Maradona auch einen größeren Vorrat an Stellungsmustern hatte als der durchschnittliche Sofaexperte, nur halt auf die Situation auf dem Platz bezogen – könnte man das etwa vergleichen? Zumindest die Berechnung von weiteren „Zügen“ stelle ich mir auf dem Platz bei 22 menschlichen Beteiligten und normalerweise nur wenigen Sekunden Zeit am Ball schwierig vor, da muss eine Menge über intuitive und/oder eingespielte Abläufe kommen.

Maradona, der Magnus Carlsen des Fußballs? Oder andersherum, Carlsen, der Maradona des Schachs? 😀

Bobby 11. Dezember 2013 um 20:44

Ich meinte auch nicht, dass es Schachspieler gibt, die ausschließlich mit Intuition arbeiten und andere, die ausschließlich Varianten berechnen. Dennoch wird die Intuition bei bestimmten Spielern (die ich u.a. erwähnt habe) stärker hervorgehoben, als bei anderen (z.B. bei Kasparow, Tal oder Aljechin).
Es ist auch interessant, dass diese nach dieser Wertung „intuitiven Spieler“ eher Positionsspieler sind.

In diesem Zusammenhang hat auch Carlsen einmal gesagt, dass Kasparow mehr Varianten berechnen könne, aber er (Carlsen!) dafür bei einer Stellung meist auf den ersten Blick wisse, was los ist.

Was das für den Fußball heißt, ist schwer zu sagen. Vielleicht, dass es schon eine angeborene Intuition für das Spiel geben könnte, die natürlich mit Training und Wettkampfpraxis ausgebaut und ergänzt werden muss.

Schlussendlich könnte das aber bedeuten, dass z.B. Maradona oder Messi tatsächlich intuitiv ein viel höheres, natürliches, intuitives Verständnis für das Spiel haben, als „gewöhnliche Weltklassespieler“, was in Kombination zu ihren Ballfertigkeiten und Trainingsergebnissen aus ihnen die Überspieler macht, die sie sind.

Terminus 11. Dezember 2013 um 22:15

Ich kenne eigentlich gerade Tal als Beispiel eines intuitiven Spielers. Der hat seine scharfen Opfervarianten ja irgendwann aufgehört zu berechnen, wenn er gemerkt hat, dass die Stellung komplex und scharf genug ist – und wenn seine Intuition ihm sagte „hau rein!“. Viele von den Opfern wurden ja in der Analyse nachher widerlegt, am Brett konnte ihm das aber kaum ein Gegner nachweisen. Die sind im Gegenteil reihenweise zusammengebrochen, viel zu oft, als dass das nur auf Glück zurückzuführen gewesen wäre, und das bei allen möglichen großen Turnieren und sogar Weltmeisterschaftskämpfen.

Worauf ich hinaus will, ist, dass die Unterscheidung auch im Schach eher künstlich sein dürfte, oder zumindest nicht so stark „intuitiv“ vs „Rechenmaschine“, oder nur eins davon. Gerade Kasparovs bekannteste Angriffspartie (gegen Topalov, Wijk aan Zee 1999) beinhaltet eine etwa 30-zügige Opferkombination, die Kasparov am Brett nach eigener Aussage schlicht „gesehen“ hat, bevor sie überhaupt aufs Brett kam, wo er also nicht wirklich rechnen musste. Weltklassespieler und die großen Spieler der Vergangenheit hatten sowohl ein ausgezeichnetes schachgefühl als auch enorme Rechenfähigkeiten, wenn nötig.

Prinzipiell sind wir aber gar nicht so weit voneinander entfernt, denke ich. 🙂

Und wenn wir bei Maradona/Messi- und Carlsen-Vergleichen sind: Gibt es dann auch einen Kasparov-Style im Fußball? Und wie sieht der aus? 😀

RM 11. Dezember 2013 um 22:21

Wie gut kennt ihr euch bei Schach aus? Mache gerade was zu Schach und Fußball, würde mich über eine Mail auf [email protected] freuen. 🙂

Bobby 11. Dezember 2013 um 23:21

@Terminus:

Ich denke auch, dass wir gar nicht so weit auseinander sind. 🙂

zu Tal: Vielleicht muss man das Konzept „Intuition“ im Schach ein bisschen differenzieren: Man könnte vielleicht sagen, dass Tal (ähnlich wie Kasparow) eine hervorragende Intuition in zweischneidigen, dynamischen Stellungen besaß. Das brachte ihn dazu, solche waghalsigen Opfer zu spielen. Dennoch ist mir Tal auch wegen seiner phänomenalen Rechenfähigkeit bekannt, die jene seiner Kontrahenten einfach überstieg, weshalb er in diesen irrational-komplexen Position besser den Überblick behielt.

Mit Intuition meinte ich aber eine Eigenschaft, die es bestimmten Spielern erlaubte, (scheinbar) mühelos die besten und natürlichsten Plätze für ihre Figuren zu finden. Der ehemalige Weltmeister Smyslow nannte diese Eigenschaft „das Gefühl für Harmonie“. Spieler dieser Art
stören die Harmonie der Stellung (anders als Tal und Kasparow) in der Regel nicht für irgendwelche Kompensationen, da die Operationen, die dazu nötig wären, sich für sie „nicht richtig“ anfühlen.

Ich bin nicht sicher, ob man Schachspieler mit Fußballspielern vergleichen kann, aber ich habe den Eindruck, dass man Schachstile mit Spielstilen im Fußball vergleichen kann. So würde ich das Positionsspiel im Schach dem Ballbesitzfußball gleich setzen und das Angriffsschach dem Umschaltfußball.

Thomas 12. Dezember 2013 um 11:44

Terminus schrieb: Was uns das jetzt für den Fußball sagt, keine Ahnung. Vielleicht könnte man sagen, dass Maradona auch einen größeren Vorrat an Stellungsmustern hatte als der durchschnittliche Sofaexperte, nur halt auf die Situation auf dem Platz bezogen – könnte man das etwa vergleichen?

Genau so kann man das sehen. Siehe auch http://www.youtube.com/watch?v=a_Bj7p7vVFk – da wird das ganze mal auf CR7 bezogen durchgespielt und ein wenig erklärt.


Fredi 10. Dezember 2013 um 11:20

Wahnsinnsartikel!!! Ich fühle mich köstlich unterhalten, gut informiert und spirituell erleuchtet zugleich.

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RM 10. Dezember 2013 um 11:06

Eventuell noch interessant: Ich habe eine kleine Excel-Tabelle mit 350 Spielern und ihren Statistiken bei Weltmeisterschaften von 1966 bis 2010. Ich habe mir da mal Maradonas Defensivstatistiken angesehen und die Verteidiger herausgefiltert.

Maradona 1986 ist dabei 12ter bei den Zweikämpfen in Prozent, nur Sechser liegen vor ihm. Bei den bestrittenen Zweikämpfen pro Spiel, wobei hier auch viele off. Zweikämpfe drin sind, ist er 1ter. Der 82er-Maradona ist 2ter, der 94er-Maradona ist 3ter.
Bei den Balleroberungen liegt er u.a. vor Ballack 2002, Neeskens 1974 und Ballack 06.
Der 86er-Maradona ist auch vor Roy Keane 1994, Asanovic 98, Schneider 2002, Petit 98, Beckenbauer 66, Makelele 2006, Torsten Frings 2006 bei der Anzahl von Defensivaktionen pro 90min.

Diesen Aspekt wollte ich wegen mangelnder Kenntnis nicht einbauen. Eventuell dennoch eine schöne Randnotiz.

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Herr Wieland 10. Dezember 2013 um 11:01

Ich bin mir ganz sicher, dass Diego Maradona nicht verstehen würde, was ihr meint.
Liest sich aber schön. Frohe Weihnachten!

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RM 10. Dezember 2013 um 11:03

Ich bin mir auch ziemlich sicher.

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