Hertha BSC – FSV Mainz 05 3:1

Bei der Partie Hertha gegen Mainz trafen zwei interessante Teams aufeinander. Beide Mannschaften verkaufen sich über Wert, beide haben taktisch versierte Trainer, beide bemühen sich um konstruktives Ballbesitzspiel und können das aber auch ad acta legen, wenn eine andere Ausrichtung passender ist. Das tat Mainz in Hälfte Eins zum Beispiel.

Mainz in Hälfte Eine mit einer Paradevorstellung im Pressing

Die Mainzer begannen in einer 4-1-4-1-Formation, die auch im Pressing so beibehalten wurde. Durchaus möglich, dass diese Formation bewusst gewählt wurde, um das Aufbauspiel der Herthaner zu stören, welche sich in diesem bislang taktisch sehr gut bewegten gegen Mannschaften mit 4-4-2 oder 4-4-1-1-Formationen immer wieder sehr gut die Räume öffneten.

Die Berliner hatten zum Beispiel gegen den VfB Stuttgart vor zwei Wochen phasenweise über 70% Ballbesitz und kamen zu Spielende auf 60%. Gegen Freiburg und Hamburg hatte man ähnlich viel Ballbesitz, gegen Frankfurt und Wolfsburg weniger – allerdings verständlich, Wolfsburg spielt selbst durchaus ballbesitzorientiert und gegen Frankfurt beim 6:1 ging man schnell in Führung. Sollte also Bedarf und Interesse an einer Betrachtung des Hertha-Ballbesitzspiels im Mittelfeld anhand der ersten Halbzeit gegen Stuttgart bestehen, kann diese nachgereicht werden.

Eine Standardöffnung des einen Sechser für den anderen kann man dann zum Beispiel beobachten. Einer der Sechser zieht Richtung Ball und diagonal in die Spitze, wo er gegen positionsorientiert verteidigende 4-4-2-Mannschaften sich im Halbraum öffnet und gegen mannorientiert verteidigende 4-4-2-Mannschaften den anderen Sechser öffnet, der sich auf die ursprüngliche Position des diagonal gelaufenen Sechser orientiert.

Raumöffnen? Nein, danke.

Raumöffnen? Nein, danke.

Dieses Raumöffnen wurde wie so manches andere von der Mainzer Spielweise und ihrem 4-1-4-1-Konstrukt unterbunden. Immer wieder liefen die Halbspieler neben / diagonal vor Geis die gegnerischen Sechser an und rückten intelligent heraus. Dabei standen die Mainzer eigentlich in einer positionsorientierten Raumdeckung in einem überaus kompakten 4-1-4-1, welches man durchaus als Variante eines 4-5-1 oder gar eines 4-6-0 deklarieren kann, anstatt eines oft benutzten 4-3-3 wie bei den Bayern oder bei Bayer Leverkusen.

Dadurch schlossen sie in der passiven positionsorientierten Haltung die Offensivspieler von der Doppelsechs ab und platzierten Schahin zumeist vertikal vor oder generell in der Nähe der Doppelsechs, welche dann in die defensiven Halbräume ausweichen musste. Dort rückten dann die Halbspieler Okazaki und Zimling heraus, verhinderten Zuspiele oder beengten den Raum, weswegen das ansonsten funktionierende Raumöffnen der Herthaner nicht klappte. Oftmals nahm einer den in die Tiefe ausweichenden Sechser in seinen Deckungsschatten und ging gleichzeitig auf den zweiten Sechser, wodurch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen wurden. Kippten die Sechser ab, statt in die Halbräume zu gehen, ging Schahin komplett in die Tiefe und schuf einen sehr kompakten Block mit einer 3-Mann-Überzahl.

Generell waren die Mainzer also vorrangig auf Kompaktheit und Zerstörung des gegnerischen Aufbauspiels in der Spielfeldmitte ausgelegt. Statt manchmal im Pressing ins 4-3-3 überzugehen, schienen die Mainzer eher situativ ein 4-1-3-2/4-4-2 zu bilden, wenn einer der Halbspieler weit nach vorne rückte. Dies geschah ab Minute 20 vereinzelt, um den Herthanern den Rhythmus zu nehmen und das eigene Pressing kurzzeitig zu intensivieren.

Nur gelegentlich kamen die Hausherren aus Berlin in die entstehenden Lücken in den Halbräumen, aber dies geschah nur bei schnellem Bespielen, welches dann wegen dem Rückwärtspressing der Mainzer auch fortgesetzt werden musste. Konstruktive Angriffe nach längerer Ballzirkulation im zweiten oder letzten Spielfelddrittel gab es deswegen nicht.  Wegen der Richtung, in welcher dieses Raumöffnen praktiziert wurde und auch wegen der Spielertypen der Berliner wurde einzig Ben-Hatira in Hälfte Eins gefährlich. Skjelbred wurde total aus dem Spiel genommen.

Das viele Herausrücken in die offensiven Halbräume bei den Mainzern von den Halbspielern im Mittelfeld wurde von den Außenverteidigern in abgeschwächter Form in den defensiven Halbräumen praktiziert und funktionierte teilweise sehr gut. Mit dem 4-1-4-1 war man auf den Flügeln auch gut besetzt und hatte nahezu die optimale Höhe der Abwehrlinie, Hertha kam dadurch weder zu viel Ballbesitz in gefährlichen Zonen noch zu der Möglichkeit mit Pässen hinter die Abwehr gefährlich zu werden.

Durch das frühe Tor der Mainzer konnten sie dieser etwas tieferen und im Mittelfeldpressing praktizierten Spielweise bis nach der Halbzeitphase treu bleiben. Nicolai Müller zog immer wieder (auch ohne Ball) in die Mitte, Schahin wich Richtung Choupo-Moting aus, der seine Dribblings nutzen konnte und von Zimling sowie Okazaki unterstützt wurde, die ebenfalls situativ die Mitte statt Schahin besetzten.

Die Statistiken zur Halbzeit zeigten das Spielgeschehen bisweilen sehr gut. Mainz hatte mehr Torschüsse, aber viel weniger Ballbesitz (35%). Dennoch lagen Cigerci und Hosogai bei den Ballkontakten unter allen vier Verteidigern bei der Hertha, während bei Mainz die Top5 der Ballkontakte Choupo-Moting, Geis, Ziemling, Park und Okazaki (in dieser Reihenfolge) bildeten.

Bei der Hertha gab es außerdem 7 Spieler mit mehr als 10 angekommenen Pässen, bei den Mainzern deren nur 3. Viel Gegenpressing und viel Druck störten viele Pässe, was sich wiederum in der Laufstatistik wiederspiegelte: Beide Teams kamen auf über 61 in der ersten Hälfte.

Luhukay zerstört die existierende Spieldynamik und wird belohnt

Nach dem Seitenwechsel veränderte Jos Luhukay seine Mannschaft etwas. Allagui kam für Tolga Cigerci und ging auf die Außenbahn, Skjelbred wechselte in die Mitte. Dadurch sollte es mehr Durchschlagskraft über den linken Flügel geben, was früh funktionierte: Nach einer aggressiven Pressingaktion im Mittelfeld konterte Hertha schnell und gut, was zum 1:1 führte.

Grundformationen zu Beginn

Grundformationen zu Beginn

Hertha versuchte nun weniger über das Aufbauspiel zu kommen, sondern mit schnellen und raumgreifenden Aktionen. Sie schienen im Aufbauspiel tiefer zu stehen und eher die Mainzer aus ihrer Position locken zu wollen, ohne die Sechser besonders stark zu nutzen, um dann lange Bälle zu schlagen und die Pressingduelle für sich zu entscheiden. Mainz stand dann gelegentlich in einem 4-1-2-3 da, wobei die zwei „Stürmer“ neben Schahin von den Achtern gebildet wurden. Sie warteten auf Zugriffsmöglichkeiten, erhielten sie nicht und starteten dann ein relativ aussichtsloses Pressing auf einen der Innenverteidiger, der prompt auf den Torwart spielte, der einen langen Ball folgen ließ.

Diese Veränderung Herthas war einerseits ein Eingeständnis an das starke Pressing der Mainzer, andererseits war es auch eine Veränderung der gesamten Spieldynamik durch mehr Kampf um die zweiten Bälle und veränderte Mechanismen im Offensivspiel und im Absichern desselben.

Ronny ließ sich im Zentrum öfters näher zu Geis fallen, suchte dort die langen Bälle und Weiterleitungen, während nach Ballverlusten sofort zugeschoben und aggressives Gegenpressing praktiziert wurde. Dies gab es zwar schon in der intensiven ersten Halbzeit, allerdings wurde es weniger fokussiert; auch das Pressing mit dem 4-4-2/4-2-3-1-Hybrid war nun schneller und aggressiver. Im Aufbauspiel versuchten sie Mainz nun nicht mehr innerhalb derer stehenden Pressingformation zu umspielen, sondern wollten sie ins Pressing zwingen und dann die entstehenden Lücken bespielen, was relativ gut gelang.

Mainz wurde dadurch gezwungen, das eigene Defensivspiel anders anzulegen, gleichzeitig wurden sie dank langer Bälle Herthas nach Pressingjagden zurückgedrängt und nach verlorenen zweiten Bällen wurden sie gezwungen, ihre Formation tiefer anzulegen, was ihnen nicht behagte und den Herthanern mehr Raum im Rücken überließ, wodurch sie dann zumindest vereinzelt zu Ballbesitzphasen im zweiten Spielfelddrittel kamen.

Mit der Zeit wurden die Mainzer als Antwort darauf aber selbst dominanter mit dem Ball; wenn der Gegner zu einer Veränderung der Spieldynamik greift und das Pressing umspielt, darf man es eben seltener zum Pressing kommen lassen. Es entwickelte sich eine Partie mit vielen Ballbesitz- und Richtungswechseln, die letztlich durch einen Kopfball in der Mitte, einen Pass auf die Außen und Allaguis Dribbling entschieden wurde. Das 3:1 kurz darauf nach einem langen Pass von Skjelbred auf Ben-Hatira sollte die Veränderungen Luhukays nur unterstreichen.

Mainz leichte Veränderungen der Offensivmechanismen (schnelleres Aufrücken, 4-1-3-2-artiges Spiel, Sliskovic-Einwechslung) und der Versuch mit stärkerer Mannorientierung und höherem Pressing mehr Zugriff zu erhalten, sollten sich nicht als effektiv erweisen.

Fazit

Ein taktisch interessantes Spiel mit vielen Rhythmuswechseln, in welchem letztlich Luhukay die Oberhand behalten sollte. Trotz eines 0:1-Rückstandes konnten sie das Spiel mit ihren Umstellungen und der passenden Reaktion auf die Pressingmauer der Mainzer noch drehen und gewannen letztlich auch durchaus verdient. Mit mehr Fokus auf die zweiten Bälle brachten sie etwas Chaos in die Abwehrreihen des Gegners, der seinerseits nach dem Ausgleich und nach dem Rückstand aufmachen musste und die tolle Pressingleistung der ersten Hälfte nicht wiederholen konnte.

Blaugrana Bull 29. September 2013 um 05:21

Kann es sein, dass unkontrolliertes Spiel gegen Mannschaften wie z.B Mainz absolutes Gift ist?
Heißt, Tuchel überlegt sich eine bestimmte Taktik, aber Luhukay reagiert, indem er auf die Dinge setzt, die man nicht beeinflussen kann.
50:50 Bälle, individuelle Entscheidungen im einzelnen Situationen usw.
Ein Trainer lässt also modern spielen, aber die Antwort darauf ist ein „klassisches“ Spiel, wo Wille, Zweikampfstärke, möglicherweise individuelle Klasse und vor allem auch Glück zählt.
Das könnte auch die einzige Möglichkeit sein, wo individuell unterlegene Mannschaften wie z.B Rayo gegen Barca bestehen können, indem sie einfach eine chaotisches Spiel erzwingen und damit einen festgelegten Plan durchbrechen.
Auf sowas kann man ja auch nur bedingt reagieren.

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Vinnie 29. September 2013 um 11:55

Es scheint mir zumindest DIE Möglichkeit gegen Mannschaften zu sein, deren starkes Pressing den eigenen Spielaufbau lahmlegt.

Wenn ich mich recht entsinne, hat damals Dutt im Hinspiel gegen Barcelona ähnlich spielen lassen. Das fand ich damals sehr beeindruckend, hatte Leverkusen doch in etwa gleich viele und gleich gute Chancen, auch wenn es am Ende ein 1:3 wurde.

Unmodern, chaotisch und auf Glück basierend ist es meiner Meinung nach allerdings nicht mehr, als jede andere mögliche Spielweise. Modern ist es allein schon deswegen, weil es eine Reaktion auf gutes Pressing darstellt, was schließlich ein Kernelement modernen Fußballs ist. Darüber hinaus benötigt man bei der Eroberung zweiter Bälle selbst eine gute Pressingordnung, womit dann auch der Vorwurf widerlegt sein sollte, dass bei dieser Spielweise allein Glück und individuelle Klasse zählen.

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Koom 30. September 2013 um 14:06

Hm, das wäre in meinen Ohren als 05-Fan an sich ganz ok. Mainz 05 hat momentan nicht die letztjährige taktische Geschlossenheit wegen des Umbruchs und ist deswegen anfälliger für „chaotisches Spiel“ bzw. wenn es auf Duelle ankommt, die primär auf Glück und individueller Klasse basieren.

Individuell ist Mainz ja nicht schlecht aufgestellt, aber die Umsetzung von System und Taktik ist wichtiger und kann dann wohl dafür sorgen, das man keinen Plan C hat, wenn der Gegner es einfach mit Gewalt versuchen will.

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Dirk45 1. Oktober 2013 um 06:56

Mach es dir nicht zu einfach. Bei Hertha war da nichts mit Brechstange. Zweikämpfe annehmen und nicht nur den Sicherheitspass spielen wie in der ersten Halbzeit hat nichts mit Brechstange zu tun.

Mainz hat verloren, weil das Zustellen der Passwege in der zweiten Halbzeit nicht mehr geklappt hat und weil sie die Zweikämpfe verloren haben.

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Vinnie 29. September 2013 um 00:10

Ich glaube zwar das die hier angesprochene Abkehr vom Aufbau über die 6er zu Gunsten raumgreifenderer Aktionen entscheidender war, aber mir scheint dennoch, dass Skjelbreds Wechsel auf die 6 eine Verbesserung gegenüber Cigerci darstellte.

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dirk45 28. September 2013 um 22:24

Klasse Analyse, die ich komplett bestätigen kann. Ich hatte heute das Glück, im Stadion relativ nahe der Mittellinie zu sitzen in der Hälfte, in der alle Tore fielen. Und ich habe selten ein so eindeutiges 4-1-4-1 gesehen wie bei den Mainzern. So klar, dass ich meinem Sohn während des Spiels den Aufbau erklären konnte.

Die erste Hälfte ging das Konzept der Mainzer auch zu 100% auf. Hertha wirkte zweitklassig, kam kaum über die Mittellinie und wenn, wurden die Bälle schnell verloren.

Nach der Pause hatte Mainz Pech, dass Hertha so schnell den Ausgleich erzielte. Zusammen mit Luhukays Umstellung bekam Hertha so das Gefühl, gewinnen zu können, während Mainz sichtbar zusammenklappte. Der Doppelschlag besiegelte dann Mainz‘ Niederlage.

Wichtig war neben der taktischen Änderung auch vor allem das geänderte Zweikampfverhalten. Hertha gewann deutlich mehr Zweikämpfe und konnte Mainz so einschnüren.

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Koom 28. September 2013 um 20:16

Wenn mans mal auf 1-2 Kernsätze runterbrechen will: Mainz agierte gut, passte sich aber wesentlich schlechter dem dynamischer werdenden Spiel an?

Woran liegt das? War die Taktik zu „speziell“ auf das Berliner Grundsystem ausgerichtet und hatte dann keine vernünftigen Mittel mehr (es waren im Mittelfeld nur Geis und Zimling als gelernte Defensivkräfte vorhanden)? Das ganze nur mit „Kopfproblem“ zu erklären erscheint mir zu simpel.

Für mich nicht so greifbar, aber als Gefühl: Choupo-Moting gibt den 05er-Jones: Man kann ihm wenig vorwerfen, weil er viel läuft und viel macht, aber defensiv schludert er bzw. ist unsichtbar. Da würde mich mal eine „übergreifendere Analyse interessieren, ob da mein Verdacht richtig ist, bzw. welche Muster man ableiten kann von den nun 5 Niederlagen in Folge.

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RM 28. September 2013 um 21:28

Wer laberte denn von einem Kopfproblem? Hoffentlich macht meine Analyse nicht den Eindruck. Das Problem ist natürlich taktisch erklärbar.

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AP 28. September 2013 um 22:33

Ich glaube Kooms Anmerkung war auf die Berichterstattung bezogen…

Ist Fußball nicht immer zunächst ein Kopfproblem 🙂

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RM 28. September 2013 um 23:55

Tja, ich hoffe, bei meinen Analysen nicht. 🙂

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Koom 29. September 2013 um 09:08

Die Medien, ja. Gott, wenn ich hier mal was von Kopfproblem lese, dann rufe ich die Polizei an und frage, ob ein Autor hier ausgetauscht wurde. 😉

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jayjay 1. Oktober 2013 um 10:46

Zuerst mal ein großes Lob für die treffende Spielanalyse.
Zu deiner Aussage bezüglich Kopfproblem:

Wo ziehst du die Grenze zwischen individueller Klasse (die Du ja eindeutig akzeptierst und auch immer wieder mal in deine Taktikanalysen einfließen lässt) und Begriffen wie Form und Selbstvertrauen (die Du anscheinend nicht als spielentscheidenende Faktor gelten lässt)?
Darf man das so verstehen, dass Du individuelle Klasse beobachten und somit greifen kannst, Form oder Selbstvertrauen einer Mannschaft aber eben nicht und man es somit in einer Analyse nicht bewerten kann bzw. darf?
Oder bist Du der Meinung, dass Begriffe wie Form und Selbstvertrauen quasi nicht existent sind bzw. eine so untergeordnete Rolle spielen, dass sie vernachlässigbar sind?

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datschge 1. Oktober 2013 um 12:44

Extremes Beispiel: Messi. Seine individuelle Klasse ist doch klar zu sehen und zu definieren. Trotzdem lagen lange Zeiten Welten zwischen seinem Spiel bei Barcelona und dem in der argentinischen Nationalmannschaft. Das kann man platt auf Form und Selbstvertrauen schieben und wie EA mit FIFA einfach behaupten, das seien zwei verschiedene Spieler. Man kann aber auch die taktischen Umstände anschauen und herausarbeiten, warum Messi bei Barcelona seine Stärken besser einbringt als in der argentinischen Nationalmannschaft. Genau das wird hier gemacht.

Form und Selbstvertrauen haben selbstverständlich Einfluss, aber im Idealfall ist der strategische und taktische Überbau (sowie die gegnerbezogen passende Auswahl der Spieler) in der Lage, derartige mentale Schwankungen von Einzelspielern aufzufangen.

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Koom 1. Oktober 2013 um 13:22

Finde ich ein sehr gutes Beispiel.

Das Problem bei den meisten Fußballdiskussionen ist, das man, sobald man etwas nicht begreift, auf Dinge zurückgreift, die man auch nur schwer erklären kann. So, wie man früher Dinge auf Gott oder den Teufel geschoben hat, sind es beim Fußball dann jetzt die „Kopfprobleme“. Traditionell fordert man dann einen Leitwolf, der den Laden zusammenhält.

Dabei ist vieles erklärbar: Man trainiert wochenlang ein Verhalten ein, und wenn das nur um Nuancen „falsch“ ist, also nicht auf das passt, was erwartet wurde, sieht man doof aus. Dann „fehlt die Leidenschaft“ oder „manche sind nicht ganz auf dem Platz“ oder „wollen alles körperlos oder spielerisch lösen“. Das ist natürlich bullshit.

Gegen Berlin hat man es mit einem anspruchsvollen System versucht, das man so vorher noch nicht gespielt (aber ziemlich sicher trainiert) hat. Das klappte auch anfangs überragend, aber es fehlte dann der Fallback, als der Gegner was unerwartetes machte (und die erzwungenden Auswechlungen der IV halfen da ganz gewiss nicht dabei).

Diese schlechte Adaptierung auf neue Situationen scheint das 05-Problem gerade zu sein. Was Tuchel wohl als nächstes tun wird, wird ein sehr viel einfacherer Fußball sein. Eine Ausrichtung, die in der Grundhaltung gegen jeden Gegner Sicherheit verspricht. Das wird wohl auf ein 4-5-1 hinauslaufen, mit zurückfallendem 6er und dichtem Mittelfeld. Und dann wird man darin erst mal die 0 halten wollen. Wenn das funktioniert, kann man sich das anspruchsvolle Offensivspiel, das Mainz ansonsten zeigt, wieder zurückerarbeiten.

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jayjay 1. Oktober 2013 um 15:38

Ein gutes Beispiel dafür, dass eine Mannschaftstaktik auch das Spiel Einzelner positiv oder negativ beeinflussen kann, und das ich auch zu hunder Prozent unterschreiben würde.

Aber ich wollte auf etwas anderes hinaus:
Das Phänomen, dass eine Mannschaft in einer Saison um den Titel spielt, um nächste Saison unter dem gleichen Trainer in nahezu identischer Zusammenstellung um den Abstieg zu spielen. Hier versagt aus meiner Sicht die reine Erklärung anhand taktischer Analysen, da es eben doch etwas wie die mentale Verfassung einer Mannschaft gibt. So können Misserfolgserlebnisse zu Vermeidungsstrategien der einzelnen Spieler führen, die sich dann häufig in individuellen Fehlern wiederspiegeln und nur sehr schwer durch taktische Vorgaben aufzufangen sind.
Natürlich wird Thomas Tuchel im nächsten Spiel der Mainzer auf altbewährte taktische Muster zurückgreifen und höchstwahrscheinlich vor allem die Defensive taktisch in den Vordergrund rücken.
Trotzdem glaube ich, dass spätestens der erste Gegentreffer die Mannschaft wieder völlig verunsichern wird und dass dann taktische Maßnahmen nur noch bedingt helfen werden.

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datschge 1. Oktober 2013 um 16:14

„Das Phänomen, dass eine Mannschaft in einer Saison um den Titel spielt, um nächste Saison unter dem gleichen Trainer in nahezu identischer Zusammenstellung um den Abstieg zu spielen.“

Wo siehst Du dieses Phänomen? Auf Mainz trifft das nämlich nicht zu, die machen gerade eine personellen Umbruch durch und die Sicherheit im System ist noch nicht da. Kann sie auch noch nicht, und genau da kommt erst die von Dir genannte mentale Ebene ins Spiel. Aber auch das ist auffangbar, wenn man sein System konsequent durchzieht und eben nicht bei Misserfolgen gleich in Frage stellt (was zusätzliche Verunsicherung auslöst). Augsburg hat genau das die letzten zwei Saisons hinbekommen.

MR 1. Oktober 2013 um 16:59

„So können Misserfolgserlebnisse zu Vermeidungsstrategien der einzelnen Spieler führen, die sich dann häufig in individuellen Fehlern wiederspiegeln und nur sehr schwer durch taktische Vorgaben aufzufangen sind.“

Da hab ich ein Gegenbeispiel parat. Als Sahin mal (während Dortmunds erster Meistersaison) in der Nationalmannschaft auf der Bank saß (oder nicht gut spielte und ausgewechselt wurde, weiß nicht mehr genau, war jedenfalls Medienthema) und deshalb verunsichert war, erklärte Klopp nach dem folgenden BVB-Spiel, dass sich Sahin gezielt in der Anfangsphase sehr tief zwischen die Verteidiger fallen lassen durfte, um ungestört Pässe zu spielen und sich dadurch Sicherheit zu holen. Im Laufe der ersten Halbzeit spielte er immer höher und machte ein gutes Spiel.

jayjay 1. Oktober 2013 um 17:05

Mainz meinte ich natürlich nicht, eher Kaiserslautern 1996, Leverkusen 2003 oder Stuttgart 2007. Aber ich gebe zu, alles keine wirklich guten Beispiele.
Aber Du sprichst die Verunsicherung, die ich meine, ja selbst an. Natürlich kann die Verunsicherung eines Teams überwunden werden, aber sie ist trotz allem nicht wegzudiskutieren und aus meiner Sicht ein nicht zu verachtender Faktor.

Ansonsten gebe ich dir völlig recht. Auch Mainz wird wieder in die Spur finden. Da bin ich fest von überzeugt.


AP 28. September 2013 um 17:48

Eine Standardöffnung des einen Sechser für den anderen kann man dann zum Beispiel beobachten. Einer der Sechser zieht Richtung Ball und diagonal in die Spitze, wo er gegen positionsorientiert verteidigende 4-4-2-Mannschaften sich im Halbraum öffnet und gegen mannorientiert verteidigende 4-4-2-Mannschaften den anderen Sechser öffnet, der sich auf die ursprüngliche Position des diagonal gelaufenen Sechser orientiert.

Hast du eine passende Grafik dazu? Wäre Bombe…

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RM 28. September 2013 um 17:51

Beispiel für dieses Spiel ist drinnen! Ich werde die Grafiken gegen 4-4-2-Teams wohl bei dem kurz-Ausgeführt zu Hertha vs. Stuttgart nachreichen, die kommt dann vor der Länderspielpause, hoffe ich.

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MW 28. September 2013 um 19:27

Vielleicht könntest du auch den Absatz etwas umformulieren.
Ich glaube nach vielfachem Lesen zwar zu wissen, was du meinst. Für meine Begriffe ist es jedoch enorm kryptisch beschrieben.

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Vinnie 28. September 2013 um 17:46

„Sollte also Bedarf und Interesse an einer Betrachtung des Hertha-Ballbesitzspiels im Mittelfeld anhand der ersten Halbzeit gegen Stuttgart bestehen, kann diese nachgereicht werden.“

Ja bitte!

Antworten

Vinnie 28. September 2013 um 17:45

Fantastisch, wie schnell ihr seid! …und wie gut!!! Vielen Dank ‚mal wieder!

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