Italien – Spanien 2:4 | U21-EM-Finale

Italien zwingt Spanien aus dem Tiki-Taka, doch der Plan B funktioniert.

Die zwei stärksten Teams der U21-EM trafen in einem ereignisreichen Finale aufeinander, in dem sich die favorisierten Spanier letztendlich wieder einmal durchsetzen konnten. Nachdem sie im Halbfinale die kompakten Norweger noch vollkommen dominieren konnten, fanden die individuell gut besetzten Italiener jedoch durchaus Mittel, sich zu wehren. Mit gezieltem Risiko im Pressing und konsequenter Raumnutzung in Ballbesitz eroberten sie Spielanteile und kamen als erste Mannschaft im Wettbewerb auch zu Toren gegen die spanische Auswahl.

Öffnung von vertikalen Kanälen im Mittelfeld

Die größte Auffälligkeit war, dass beide Mannschaften das Spiel deutlich beschleunigten. Verglichen mit vorangegangenen spanischen Auftritten, ging es in dieser Partie deutlich mehr hin und her, wofür es Gründe auf beiden Seiten gab.

Die Italiener fokussierten diese Beschleunigung, indem sie im defensiven Mittelfeld Räume öffneten, welche die Spanier gewissermaßen zum Vorwärtsspiel zwangen. So rückte immer wieder einer der Sechser im Pressing heraus, um die beiden Stürmer zu unterstützen. Zu dritt stellten sie den spanischen Sechserraum zu und blockierten somit die wichtige Verbindungszentrale des Tiki-Takas.

Die italienischen Flügelspieler rückten in die entstehenden Lücken aber kaum ein, sondern fokussierten sich eher auf die offensivstarken spanischen Außenverteidiger. So gab es bei Italien immer wieder größere Lücken in den Halbräumen. Diese sollten optimalerweise durch die Deckungsschatten der drei vorderen Spieler abgedeckt werden.

U21 Finale - Italien Pressing Min28

Verratti rückt heraus und presst Isco (gerade Position mit Tello getauscht) am Ball, während Borini und Immobile das Zentrum um Koke zumachen. Der Halbraum öffnet sich. Hier kann Isco jedoch durch die kleine Gasse zwischen Verratti und Insigne durchspielen, über Illarramendi kommt Spanien zu einer Chance.

Wenn dies nicht gelang, boten diese Lücken den Vorteil, dass die Spanier dort umstellt waren. Von hinten rückte der Sechser nun nach, die seitlichen Wege wurden von den verbliebenen Mittelfeldspielern blockiert. So musste Spanien oft zu relativ direkten Spielzügen nach vorne greifen. So konnten sie sich nicht, wie sie es so gern haben, mit längeren Ballstaffetten im Angriffsdrittel festsetzen, um den richtigen Moment zum Durchbruch abzuwarten.

Spanien findet individuelle Antworten

U21 Finale FormationenSpanien wirkte jedoch gewappnet für diese mutige, unorthodoxe Herangehensweise. Sie präsentierten ihre gesamte Spielanlage um einiges vertikaler, was nicht nur durch die Kanäle im offensiven Mittelfeld bedingt war. So zeigte sich beispielsweise auch Innenverteidiger Bartra in der Spieleröffnung wesentlich ambitionierter und brachte mehr Bälle direkt in die Offensivräume, anstatt sie nur auf die Sechser zu verteilen.

Zudem interpretierte Thiago seine Rolle etwas offensiver und fokussierte sich stärker auf den Zwischenlinienraum, anstatt das Aufbauspiel großartig zu unterstützen. In dieser Rolle wirkte er zwar weniger gut aufgehoben und war unsicherer im Passspiel als gewohnt, doch durch seine höhere Grundposition konnte er zwei entscheidende Tore erzielen.

Seine Rolle ergänzte sich auch mit der veränderten Besetzung im Sturm, wo mit Morata ein eher physischer, dribbelnder Mittelstürmer aufgestellt war an Stelle des mitspielenden Rodrigo. Während sich Rodrigo eher im Zehnerraum präsent zeigte, wich Morata noch mehr nach außen auf. So setzte er sich auch vor dem 1:0 an der Seite des Strafraums durch und brachte die Flanke auf den nachgerückten Thiago. Ein Tor, bei dem Italien letztlich auch von der veränderten Struktur der spanischen Offensive überrascht wurde.

Vor allem zeigte Spanien aber seine zweite große Säule neben dem kollektiven Kombinationsspiel. Wenn ein Gegner Risiko geht und sie zum riskanteren Attackieren zwingt, haben sie auch die individuelle Klasse solche unkompakteren Situation durchschlagskräftig abzuschließen. Neben Morata war es vor allem Koke, der mit seiner guten Passtechnik Akzente setzen konnte. Thiagos zweiten Treffer bereitete er durch eine außergewöhnliche Hereingabe vor, die durch einen geschickten Unterschnitt perfekt zwischen den zwei Bewachern von Thiago herunterfiel. Zudem spielte er anspruchsvolle Pässe durch oder über die italienische Pressinglinie.

Zudem zahlte sich der Einsatz von Barcelonas Tello aus, der im Turnierverlauf zuweilen auch als Fremdkörper im spanischen Spiel erschien. Doch wie gegen die deutsche U21 gelang es ihm, mit seiner Geschwindigkeit am Ball aus breiten Positionen nach vorne durchzubrechen und so entscheidende Nadelstiche zu setzen. So holte er auch den mitentscheidenden Elfmeter zum 3:1 heraus, auch wenn diese Schiedsrichterentscheidung etwas fragwürdig war.

Auffächerung, lange Bälle und das Stürzen der Null

So zahlte sich der italienische Matchplan gegen den Ball nicht so richtig aus, doch man darf konstatieren, dass die Spanier auch nicht (wesentlich) mehr Gefahr erzeugten, als gegen ihre passiver verteidigenden Gegner. Im Gegensatz zu vorherigen Spielen hatten sie hier jedoch auch noch das Strafraumglück auf ihrer Seite – Thiagos Schuss zum 2:1 war haltbar, der Elfmeter zumindest nicht eindeutig. Die Schussstatistik ähnelt den zu-Null-Siegen. Auf der anderen Seite steht der Effekt, dass die spanischen Angriffe kürzer waren und Italien deshalb mehr Gelegenheiten bekam, selber nach vorne aktiv zu werden.

Diese Möglichkeiten nutzten sie auch ganz gezielt, was viele Mannschaften gegen solch dominante Mannschaften aus psychologischen Gründen ja oft vermissen lassen. Die Italiener zeigten jedoch keine Angst vor der gegnerischen Dominanz, sondern waren auf das spanische Pressing gut eingestellt. So fächerten die Innenverteidiger weit auf und bildeten öfters auch eine Dreierkette mit dem Torwart, um dem Zugriff der Spanier zu entgehen.

Verratti versuchte dann um Caldirola herum die Bälle zu fordern, was aber kaum gelang. Thiago machte hier einen sehr guten Job, indem er sich grob an Veratti orientierte und das Spiel mit seiner Positionierung von ihm wegleitete. Bei einem Abkippen zwischen die Verteidiger konnte Morata ihn übernehmen.

So liefen die italienischen Angriffe eher über die halbrechte Seite, wo sie auch versuchten Überzahlen herzustellen. Donati rückte frühzeitig auf, Rossi bewegte sich verbindend. Borini und Florenzi attackierten oft den halbrechten Offensivraum, während Immobile kreuzend hinter Moreno ging. Bianchetti spielte meist gute eröffnende Pässe in diese Ordnung.

Allerdings stellten die Spanier die Verbindungsräume stark zu. Koke und Illaramende positionierten sich wie üblich sehr intelligent, isolierten Rossi und ließen wenig konstruktives über die linke Halbseite zu. So kam Italien auch zu selten dazu, aus höheren Räumen auf Insigne zu verlagern. Das Toptalent konnte nur vereinzelt aus breiten Positionen ins Zentrum dribbeln und hatte wenig Einfluss auf das Spiel seiner Mannschaft.

Allerdings wurde Spanien durch das konsequente Auffächern zum verstärkten Aufrücken gezwungen, was die Italiener mit guten langen hinter die hohe Linie attackierten. So kam Bianchetti beim 1:1 sogar zu einem Assist und wenige Minuten später hätte Florenzi nach einem weiteren langen Ball beinahe die Führung erzielt.

Angriffspressing-Duell in Hälfte zwei

Mit zwei Toren zurück, erhöhten die Italiener das Risiko nun noch mehr und erzwangen eine Art offenen Schlagabtausch. Sie attackierten die Spanier im Angriffspressing über das ganze Feld, sodass diese nun Schnellangriffe und vereinzelt sogar hohe Bälle nutzen mussten. Falls Spanien sich durch das hohe Pressing durchspielen konnte, versuchten die Italiener ihre Angriffe am Strafraum auszubremsen und wieder kompakt zu werden, was sehr laufaufwändig war, aber durchaus unangenehm zu bespielen.

Italiens Angriffspressing in recht klaren Zuordnungen über den ganzen Platz. Der herausrückende Sechser macht Druck in der Spitze.

Italiens Angriffspressing in recht klaren Zuordnungen über den ganzen Platz. Spanien weicht in die Torwartkette zurück. Der herausrückende Sechser muss daher einen langen Weg in die Spitze machen. Es gelingt aber Druck zu machen: Ein langer Ball von de Gea ist die Folge, den dann Bianchetti nach Verlängerung erläuft und zu Bardi zurückspielt.

Doch die Spanier zeigten wieder, dass sie die richtigen taktischen Antworten auf ungewöhnliche Situationen kennen. Oft formierten sie sich nun in einer Torwartkette, in der de Gea seine außergewöhnliche Spielstärke voll einbringen konnte. Die Rolle als zentraler Mann einer Dreierreihe im Spielaufbau bekleidete er auch schon bei Manchester. Italien wurde zu weiten Wegen gezwungen und von de Geas sehr präzisen langen Bällen beschäftigt. So wurden die Squadra Azzurra mürbe gespielt und in der 66. Minute konnte Montoya bei einem Vorstoß nicht verfolgt werden, kam ins 1-gegen-1 mit Regini und holte den Elfer zum vorentscheidenden 4:1.

Doch auch in der zweiten Hälfte hatten die Italiener weiterhin Offensivpräsenz und konnten letztlich zumindest diese Halbzeit unentschieden gestalten. Das wurde allerdings erst durch eine gute Kombination über Insigne und einen guten Distanzschuss von Borini möglich, als sich Spanien etwas zurückzog. Zuvor hatten die Spanier den Schlagabtausch relativ gut im Griff, auch weil ihr Pressing das flexiblere war.

Bei Italien rückte meist ein Sechser weit auf, sodass eine 4-1-3-2-Grundordnung ergab, in der sich die Italiener relativ mannorientiert bewegten. Spanien spielte flexibler mit den Anordnungen und der Dynamik des gegnerischen Spiels. So konnten die Turniersieger durch ihre starke Kollektivintelligenz variabler aufrücken und öfter Überzahlen erzeugen. Da sie den Italienern auch körperlich durchaus gewachsen waren, bekamen sie auch über zweite Bälle wenig Probleme.

Spaniens intelligentes Aufrücken.

Nach dem langen Ball der Spanier formiert sich Italien in einer Torwartkette. Man erkennt Spaniens kollektive Intelligenz im Aufrücken: Weil Tello in erster Linie den Innenverteidiger zustellt, rückt Moreno nach und die Viererkette schiebt nach links. Thiago stellt aufmerksam Caldirola zu und verhindert damit den Spielaufbau über die schwächere Seite. Illarramendi erkennt den möglichen Unterzahlraum halblinks und schiebt dort hinein. Nach dem langen Ball auf Gabbiadini holt Spanien den zweiten Ball.

Fazit

Italien fand sinnvolle Maßnahmen gegen das spanische Spiel und wurde vom Tiki-Taka nicht so erdrückt, wie das den meisten Mannschaften passiert. Ihre (mit Abstrichen) gute Strafraumverteidigung, das dosiert riskante Pressing und das konsequente Auffächern inklusive der typisch italienischen langen Bälle stellte die Spanier vor ungewöhnliche und schwierige Aufgaben. In Hälfte zwei konnten sie mit riskantem Angriffspressing zumindest eine kleine Chance auf eine Aufholjagd bewahren.

Der Turniersieger zeigte aber, dass auch diese Mittel nichts daran ändern, dass Spanien schlichtweg die bessere Mannschaft ist. Sie konnten zwar nicht ihre übliche Strategie durchdrücken („nur“ 61% Ballbesitz), doch fanden die richtigen Ausweichstrategien und dominierten mit ihren Qualitäten das Spiel trotzdem.

Der Unterschied war letztendlich der, dass Italien mit etwas Abschlussglück hätte gewinnen können. Ein Faktor, der bei vielen spanischen Siegen sonst so gut wie keine Rolle mehr spielt, da der Gegner kaum zu Abschlüssen kommt – oder sogar zu gar keinen Schüssen, wie die deutsche U21 eine Halbzeit lang. Ein 4:2 ist ein instabileres Ergebnis als ein 2:0.

Der große Schluss dieser Junioren-Europameisterschaft: Die spanische Spielphilosophie hat sich bis in die Nachwuchsmannschaften festgesetzt und funktioniert auch auf diesem Niveau hervorragend. Die U21 wirke zuweilen fast so stark wie die A-Mannschaft und besiegte auf dem Weg zum Titel verschiedenste Widrigkeiten mit beeindruckender Souveränität. Auch die U20 zeigt bisher bei der WM gute Leistungen. Dabei ist auffällig, dass Spanien nicht nur ballsicherer ist als ihre Gegner, vor allem ihre kollektive Spielintelligenz und die ausgewogenen fluiden Bewegungen auf dem Feld machen einen großen Unterschied. Momentan ist nicht abzusehen, wie Spanien vom Thron des Weltfußballs gestürzt werden könnte.

GH 27. Juni 2013 um 21:53

Macht ihr auch was zur U-20 ?
Da würde mich bei Spanien interessieren, ob die auch so dominant sind. Bei whoscored gibts leider keine Statistiken dazu.
Meine 3.Frage wäre, ob das Spiel nicht sehr auf individuelle Stärken von Deulofeu und Jesé Rodriguez ausgelegt ist?

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TR 28. Juni 2013 um 00:30

Wenn es dann in der K.O.-Runde spannend wird, werden wir wohl mal reinschauen. 😉
Bis dahin verweise ich auf unseren Artikel zur letztjährigen U19-EM, als genau jene spanische Generation um Jesé und Deulofeu den Titel holte und sich für das U20-Weltturnier qualifizierte:
https://spielverlagerung.de/2012/07/17/spieler-und-systeme-bei-der-u19-em-2012/

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Maturin 29. Juni 2013 um 20:34

Für Frage eins bin ich natürlich nicht zuständig, aber die anderen beiden Fragen lassen sich nach Ansicht der Gruppenspiele eigentlich recht eindeutig beantworten.

Nein, die spanische U20 tritt keineswegs sonderlich dominant auf, grade gegen die USA hatte man glaube ich sogar unter 50% Ballbesitz. Vielmehr versuchte man über schnelle Gegenangriffe erfolgreich zu sein, was dank der hohen individuellen Klasse der Offensivakteure auch ganz gut gelang. Dabei sind natürlich in erster Linie die beiden von dir genannten zu nennen, wobei man sagen muss, dass die beiden und vor allem Deulofeu sich auch immer wieder verrannt haben und durch egoistische Aktionen aufgefallen sind.

Erschreckend allerdings ist, vor allem wenn man es mit den Großen oder der U21 vergleicht, dass es bisher zu keiner Zeit und in keiner Besetzung gelungen ist, Kontrolle oder Struktur ins Spiel zu bringen. Extrem viele Bälle wurden schnell verloren oder eben lang in die Spitze gespielt. Die „fluide Dreifachsechs“, wie im Artiekl zur U19 beschrieben, ist personell eigentlich immer noch die gleiche wie damals – Oliver, Saul, Campana im ersten Spiel; eine nominell extrem offensive Variante mit Oliver, Suso, Saul im zweiten Spiel – kann aber im Aufbauspiel bisher nicht überzeugen.

Positive Überraschung für mich bis jetzt Manquillo, der als Rechtsverteidiger seinen Anteil an einer ordentlich stehenden Abwehr hat und darüber hinaus nach vorne immer wieder für Gefahr sorgt, deutlich mehr als der auf der andern Seite spielende gelernte Flügelspieler Bernat.

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blub 27. Juni 2013 um 20:33

Der Koke ist sooooo geil.

Ich fand Italien wahl das Spiel schneller zu machen konsequent und richtig. Ich hoffe das probiert gegen die A-Elf auch mal jemand.

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