Liga-total!-Cup: Erster Tag

Meister, Vizemeister und die beiden großen Nordvereine testen gegeneinander in Hamburg und liefern erste Erkentnisse. Insbesondere Hamburg und Bremen zeigen sich runderneuert.

Hamburger SV – Borussia Dortmund 0:1

Im ersten Spiel des Liga-Total-Cups trafen die Hamburger Gastgeber auf den amtierenden Double-Sieger aus Dortmund. In einem recht ausgeglichenen Spiel konnte sich der BVB am Ende durch einen Kopfballtreffer knapp durchsetzen. Wieder einmal war es eine Co-Produktion der beiden Polen, Piszczek flankte auf Blaszczykowski.

Finks Pressing-Weiterentwicklung

Während bei Dortmund also einiges beim alten blieb, zeigten sich die Hamburger runderneuert. Wie bereits beim Testspiel gegen den FC Barcelona zu beobachten, hat Thorsten Fink einige veränderte Abläufe im Pressing und Spielaufbau eintrainieren lassen. Die Sechser agieren in beiden Phasen eine Kette höher. Konkret heißt das, dass im Pressing nun oft ein Sechser aufrückt, während im Spielaufbau nurnoch selten das letzte Saison so präsente Abkippen in eine Dreierkette praktiziert wird.

Gerade die Pressingneuerungen sind hochinteressant und werden das Hamburger Spiel der kommenden Saison vermutlich stark prägen. Dabei rückt Westermanns Nebenmann (gegen Barcelona der laufstarke Skjelbred, hier war es Sala) teils extrem weit auf, wenn die gegnerische Viererkette in Ballbesitz ist, und die Flügelspieler rücken (zumindest ballfern) ein. Der HSV bildet dann also ein 4-1-3-2 oder eine Raute im Pressing und versucht aggressiv und frühzeitig Druck zu machen. Barcelonas Team wurde auf diese Weise über den gesamten Platz gejagt und zu einigen frühen Ballverlusten gezwungen, wobei sogar ein Hamburger Treffer im Gegenstoß abfiel.

Besonders spannend ist die Umformung, die Hamburg durchführt, falls die vorderste Reihe überspielt wurde. Der hohe Sechser fällt dann in seine Grundposition neben Westermann zurück und es wird ein tiefes und sehr enges 4-4-2 in Strafraumnähe geformt. So wird dann in der tieferen Defensive die Breite besser gesichert und der Sechserraum vor der Abwehr geschlossen. Das führt natürlich dazu, dass der offensive Sechser eine extrem laufintensive Rolle auszuführen hat. Der ballfixierte gelernte Außenspieler Sala konnte diese nicht in der gleichen Weise ausfüllen wie der kämpferische Skjelbred.

Die Dortmunder wurden daher gestern nicht ganz so extrem gejagt wie Barcelona, aber auch diese wurden vereinzelt zu frühen Fehlpässen gedrängt und hatten vorerst gegen das aufgerückte Pressing ruhig aufzubauen. Dabei konnte die potentielle Schwäche, die temporär offenen Halbräume neben Westermann, nicht ausgenutzt werden. Allerdings waren Hamburgs Gegner bisher wohl kaum auf diesen Schwachpunkt vorbereitet, was im Liga-Alltag dann anders sein wird, weshalb man abwarten muss, wie effektiv diese Defensivstrategie „in der Praxis“ sein wird. Der Formationswechsel während der laufenden Spielphase ist aber ohne Frage eine sehr interessante Idee von Thorsten Fink.

Raumnutzung und Absicherung im Aufbau

Im Offensivspiel hat er eine ähnliche Formationsumformung offenbar verworfen. Die Sechser bewegen sich beim Aufbauspiel nun stärker in ihren Räumen, anstatt wie vergangene Saison in fast jeder Szene zentral zwischen die Innenverteidiger zurückzufallen. Nur noch vereinzelt gibt es das Abkippen, auch ein Herauskippen zum Flügel war zu beobachten. Hauptsächlich versuchen sie aber die Bälle in den zentralen Mittelfeld-Räumen abzuholen. Sala rückte dann teilweise auch im Ballbesitz nach vorne auf.

Die Offensivspieler, außer Stürmer Berg, bewegen sich ebenfalls stärker ins Zentrum orientiert und versuchen die kreativen Räume zu nutzen. Anders als vergangene Saison, wo diese oft nur in die Spitze liefen und die Mittelfeldräume oft verwaisten. Was dabei aber beibehalten wurde, sind das frühe Aufrücken und der Außenverteidiger und die breite Positionierung der Innenverteidiger, um sich viel Platz im Aufbauspiel zu sichern. Durch diese Kombination steht Hamburg nun in einer Art beweglicher 2-2-5-1-Aufbauordnung, die viele Möglichkeiten nach vorne zulässt.

Diese wurden ansatzweise auch schon genutzt. Der Spielaufbau der Innenverteidiger war dabei gut und Hamburg verlor kaum gefährliche Bälle gegen das Dortmunder Pressing, sondern kam ungewöhnlich oft zwischen die Linien des BVB. Dort merkte man aber noch die Frische dieses Systems – es fehlten noch Automatismen im Vorwärtsgang, um aus diesen Räumen weiter zu kombinieren. Somit blieben die dicken Torchancen für Hamburg aus. Das sollte aber angesichts des Gegners und der verbleibenden drei Wochen zum Saisonstart nicht zu viel Panik verursachen.

Dortmund taktisch unverändert mit Personalneuerungen

Dortmund zeigte das gewohnte Spiel der letzten Rückrunden-Monate vergangener Saison. Flexibles ruhiges Aufbauspiel über Gündogan, starkes kollektives 4-4-2-Mittelfeldpressing mit situativem Aufrücken, viel Gefahr über den nachstoßenden Piszczek. Lediglich die Angriffsbesetzung war ungewohnt: Königstransfer Reus ersetzte den abgwewanderten Kagawa und auch Neuankömmling Julian Schieber spielte für Lewandowski vom Start.

Auch wegen diesen beiden fehlte es Dortmund noch an Durchschlagskraft im letzten Drittel. Die beiden Neulinge müssen noch weiter ins Spiel integriert werden, an der Abstimmung hakte es noch. Insbesondere Schieber kommt noch nicht oft dazu, seine athletischen Stärken ins Spiel einzubringen. Im Pressing sah man die Klopp’sche Schule an beiden, aber noch kann Marco Reus nicht Kagawas Genialität beim Schließen und Belauern von Passwegen erreichen.

Was man zumindest jetzt schon sagen kann, ist, dass die beiden eine andere, gleichmäßigere Aufgabenverteilung haben als Kagawa und Lewandowski. Sie spielen stärker nebeneinander und Schieber bewegt sich horizontaler als Lewandowski, um die Schnittstellen der Defensive zu attackieren. Reus zieht es stärker in die Spitze als Kagawa. Allerdings scheint die Partnerschaft Reus-Lewandowski bisher noch vielversprechender, die auch schon beim 4:2-Testspielsieg in Münster glänzen konnte.

Ansonsten gibt es nicht viel neues zu erzählen über die Dortmunder, was vielleicht schon die eigentliche Meldung ist – Klopp versucht keine Revolutionen wie zu Beginn vergangener Saison, sondern bleibt seinem bewährten System weitestgehend treu. Die Weiterentwicklungen erfolgen in kleinen Schritten, wie im Laufe der ungeschlagenen Rückrunde. Der knappe, aber recht souveräne Sieg ist in diesem Kontext momentan „typisch BVB“.

FC Bayern München – SV Werder Bremen 4:6 n.E. (2:2)

Im zweiten Spiel gab es den Nord-Süd-Klassiker zwischen dem SV Werder und Rekordmeister Bayern München. Bremen überließ den Bayern dabei das Spiel und versuchte hauptsächlich über Konter zu kommen. Auch hier zeigte sich der vergangene Saison eher enttäuschende Underdog taktisch erneuert, während der Vizemeister auf bewährtes setzte. Nachdem zwei Bremer Führungstreffer noch ausgeglichen wurde, erreichte die Werderaner das Finale im Elfmeterschießen.

Von der Raute zum 4-3-3

Thomas Schaaf ist zur neuen Saison offenbar vom alten Bremer 4-3-1-2-System abgerückt und versucht nach der vorletzten Spielzeit den zweiten Anlauf mit offensiven Flügelspielern in einem 4-3-3-System. In Ansätzen erinnert das neue Spielsystem dabei an Swansea City, die eine ähnliche Philosophie verfolgen wie Werder. Die Bremer Rauten-Identität ist dabei aber nicht verloren gegangen – besonders bei den drei zentralen Positionen wurden Charakteristiken der Raute beibehalten.

Fritz, Junuzovic und Hunt spielten recht flach nebeneinander und verschoben wie im Rautensystem weit zum Flügel. Gleichzeitig spielen die Flügelspieler mannorientiert und sorgen somit für stetige Überzahl außen. Petersen verteidigt zudem äußerst aufmerksam, wodurch er mit den drei Zentralen wieder eine Raute bildete defensiv. Auf diese Weise schafft es Bremen im Pressing gut, die Stärken ihres Rautensystems beizubehalten und die Schwächen (die mangelnde Breite) zu kompensieren.

Im Grunde spielen die Zentrumsspieler dabei als fluide Dreifachsechs, die situativ herausrücken und füreinander absichern. Dieses Konstrukt ist sehr anpassungsfähig, was es schwer macht, gezielt die Lücken des Dreiecks anzusteuern oder Überzahlen herauszukombinieren. Pässe durch die engen Gassen dieser drei versetzten Spieler sind selten möglich und deshalb oft leicht zu antizipieren, weshalb Bremen viele Ballgewinne durch die aufmerksam herausrückenden Innenverteidiger verzeichnen konnte.

Konterfußball und Improvisation

Ähnlich wie beim HSV waren Bewegungen und Raumaufteilung im Spielaufbau bereits recht gut ausgearbeitet, aber es fehlten feste Mechanismen im Angriffsspiel und auch etwas Kreatitivät im Zentrum. So kamen die Bremer nur manchmal aus dem Spiel heraus nach vorne gegen das wenig intensive Pressing der Bayern, wenn sie auch ab und zu gelungene kurze Kombinationen einstreuten wie beim gelungenen 1:0. In diesem Punkt kann sicherlich entscheidend sein, wie gut de Bruyne und Ekici sich auf den zentralen Positionen zurechtfinden werden – gestern wurden sie erstmal auf den Flügelpositionen eingewechselt.

Dominant war gestern aus diesem Grund das Konterspiel, welches besonders in der ersten Hälfte sehr vielversprechende Ansätze zeigte. Auffällig war, dass durch die raumorientierten Bewegungen der Dreifachsechs oft Räume für die Spieler im Zentrum vorhanden war, aus denen die eroberten Bälle vorgespielt werden konnten. Petersen zeigte dabei gut getimete Vertikalsprints und Elia konnte seine Stärken im Diagonaldribbling andeuten. Auch hier fehlte noch die letzte Abstimmung, aber Bremen kann scheinbar auf eine gute Basis bauen.

Bayern bleibt sich treu

Wie bei der Dortmunder Konkurrenz gibt es auch zu Heynckes‘ Truppe keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse. Die Münchner verteidigen weiter im 4-2-3-1, was manchmal durch Aufrückbewegungen zur 4-1-4-1- oder 4-4-2-Grundordnung werden kann. Offensiv bleiben sie dem Ballbesitzfußball treu, Müller und Robben rochieren weiterhin und Badstuber spielt immer noch gute Pässe.

Somit waren es auch beim FCB hauptsächlich personelle Aspekte, die von Interesse waren. Der vom anderen FCB aus Basel gekommene „Kraftwürfel“ Shaqiri ersetzte Ribery in seiner Rolle fast eins zu eins und machte dabei eine gute Figur, inklusive Ausgleichstreffer zum 1:1. Der deutsche Nachwuchsspieler Emre Can deutete seine Qualitäten an, zeigte ein paar gute Vorstöße und sich ansonsten ballsicher. Die gesetzten Ribery und Schweinsteiger konnten aber in der zweiten Halbzeit doch noch einiges an Schwung in das bayrische Offensivspiel bringen, was zeigte, dass der Nachwuchs natürlich noch Zeit braucht, um auf das gewohnte Münchner Niveau zu kommen.

Jener Schwung war es auch, der Bayern am Ende das Quäntchen zum herrlichen 2:2-Treffer brachte, nachdem Ribery einen Bogenlauf quer durch die gegnerische Hälfte durchgeführt hatte und dadurch die Bremer Kompaktheit zerrissen. Diese Aktion zeigt neben dem restlichen Spiel und dem 1:1-Treffer die Stärken und Schwächen beider Teams: Die Bremer haben zwar ein schwer zu bespielendes und flexibles Zentrum, aber die Anbindung zu den mannorientiert spielenden Flügeln kann eine Achillesferse sein. Durch das starke Verschieben der Dreifachsechs öffnet sich zudem teilweise der ballferne Halbraum, über den Bayern das 1:1 einleitete.

Dass Bayern diese Räume selten fand, zeigt ihre Tendenz, zu festgefahren und unflexibel nach vorne zu spielen. Als dann aber doch einmal die richtigen Läufe getätigt wurden, konnten sie über ihr kreatives und spielerisches Potential sofort große Chancen herauskombinieren. Neben den defensiven Schwierigkeiten, die auch weiterhin bei gegnerischen Standardsituationen (2:1) bestehen, wird es daher sicherlich auch ein zentraler Faktor für die Bayern-Saison werden, wie konstant sie ihr kreatives Potential abrufen können. Die Defizite, die im öfters improvisiert wirkenden Pressing bestanden, sollten natürlich ebenfalls so weit wie möglich behoben werden, können aber teilweise auch noch mit körperlichen Problem zusammenhängen.

muffin 6. August 2012 um 15:54

Sehr schön, dass ihr diese Spiele, die sonst fast überall nicht erwähnt werden hier analysiert!

Ich freue mich schon auf die Analyse des zweiten Tages.

SVW!!

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MR 6. August 2012 um 16:06

Sorry, habe mich dagegen entschieden, den zweiten Tag noch zu machen. Die taktischen Erkentnisse sind hier bereits verarbeitet, das Spiel um Platz 3 war taktisch unspannendes Personalexperimentierie und das Finale war ziemlich chaotisch und taktisch nicht sehr „stringent“. Und ich habe heute auch leider keine Zeit.

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muffin 6. August 2012 um 17:41

hm, schade.
aber die „ausrede“ lasse ich mal gelten 😉

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Jx 5. August 2012 um 17:55

Gute und treffende Analyse der beiden Spiele. Gerade die gute Defensivarbeit von Werder hat mich als Werderfan schon fast überrascht (war ja in den letzten Jahrzehnten bis auf die Meistersaison nicht so unsere Stärke). Man hat denke ich beim SVW und dem HSV durchaus eine taktische Weiterentwicklung gesehen und ich hoffe, dass auch die anderen Mannschaften sich weiterentwickeln konnten. Wenn dem so ist, dann wird das eine unglaublich interessante Saison, die uns da bevorsteht.

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asti80 5. August 2012 um 16:25

Ein sehr guter Beitrag finde ich. Vorallem der letzte Absatz im Bayernbeitrag hat meine volle Zustimmung. Ich denke, dass die Bayern mit dieser taktischen Einstellung auch diese Saison nichts reißen werden.
Heynckes ist der falsche Trainer für Bayern, denn taktisch sind die Bayern genauso statisch wie in den letzten zwei Jahren auch. Solange diese flexibilität im Spiel und die Mechanismen nicht fluid ineinander greifen, wird Bayern auch dieses Jahr dem BVB den Vortritt lassen.

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