Eine Weihnachtsgeschichte: Der Panyee FC und seine symbolische Bedeutung für den Weltfußball

„Was würden Sie mitnehmen, wenn Sie auf einer einsamen Insel gefangen wären?“

 

Eine der meistgestellten Fragen in zwischenmenschlichen Beziehungen oder Fragespielchen unterschiedlichster „lifestyle“-Magazine, welche wohl auch die verrücktesten Antworten zutage bringt. Manche machen sich keinen Spaß daraus und antworten allzu logisch. Dieter Nuhr gab in seinem Buch „gibt es intelligentes Leben?“ folgende Aussage zu Protokoll:

„Komischerweise kommen nur sehr wenige Menschen darauf, dass eine Brücke zur nächsten festländischen Besiedlung ein geeigneter Gegenstand wäre. Auch ein Rettungsboot mit angemessener Motorisierung oder ein Krankenhaus wären prima. Meistens nehmen die Leute Bücher mit oder Tiere. Dabei sind Bücher, wenn man sie erst mal drei-bis vierhundertmal gelesen hat, oft gar nicht mehr spannend. Und Tiere gibt es auf der Insel oft mehr als gewünscht.Vor allem Ratten, Mücken und Kommodowarane, die mit ihrem Schwanz einen Menschen töten können, was umgekehrt gar nicht denkbar ist.

Wenn ich drei Dinge auf eine Insel mitnehmen dürfte, wären das ein Apache-Kampfhubschrauber inklusive Pilot, der einerseits in der Lage wäre, mich von der Insel zu evakuieren, andererseits mit gezielten Raketenangriffen die Warane niedermetzeln könnte; eine komplette Großstadt mit Krankenversorgung, öffentlicher Bibliothek, regem Nachtleben und geteerten Straßen; Damen. Das wäre eine intelligente Lösung.“

Nuhr zum Trotz: die meistgenannten Antworten dürften dennoch Dinge wie „ein Schweizer Taschenmesser“, „mein Partner“, „eine kleine Bibliothek“ oder „viel Proviant“ sein. Meist sind es Sachen, die entweder als ungemein praktisch oder für das seelische Wohl als unabdinglich erachtet werden. Hier stellt sich allerdings die Frage, wieso Fußball nicht so oft genannt wird. Ist dieser Sport denn nicht für viele mehr als „eine Sache von Leben und Tod“, wie es die ehemalige Liverpool-Legende Shankly ausgedrückt hatte? Wieso fehlt es dann als Antwort bei dieser Frage? Ein jeder Fußballfan müsste doch antworten, dass sein innigster Wunsch auf einer einsamen Insel eine nette kleine Bevölkerung, ein paar Gleichaltrige für ein Fußballteam und die grundlegenden Sachen zur Versorgung wären. Eine Insel mit 2000 Einwohnern, einer Handvoll Lehrern für circa 200 Schüler und dazu noch ein Polizist, der Gott sei Dank nichts zu tun hat. Jeder verdutzte Leser dürfte nun wohl antworten, es sei ja unmöglich, mitten im Dschungel, gar auf einer Insel, einen Fußballplatz zu finden, geschweige denn zu errichten.

Tja, hier wird die Geschichte unrealistisch, aber was hindert die Fußballmannschaft denn daran, sich einen Fußballplatz zu bauen? Ein Floß aus Holz, mitten im Meer, aus einzelnen Holzlatten gezimmert. Wirklich unrealistisch – jedoch nicht unmöglich. Im Jahre 1986 bauten die Jungs des Panyi FC eine solche Fußballinsel. Beeindruckt von der WM 1986 in Mexiko, insbesondere von Diego Maradona inspiriert, ließen sie sich trotz hämischer Kommentare ihrer Mitbewohner nicht davon abhalten, das Unmögliche geschehen zu lassen. Kurz vor Weihnachten war ihr Traum in Erfüllung gegangen. Die Insel stand und trotz herausstehender Nägel, dem Meer als Tribüne und mitunter überaus kritischen Zuschauern ließen sie sich nicht von ihrer Leidenschaft abbringen. Ihr glaubt das nicht?

Hier ein Video, welches aber den meisten bereits bekannt sein dürfte:


Heute sind sie der erfolgreichste Jugendverein in ganz Süd-Thailand, gewannen sogar seit 2004 jedes Jahr die Jugendmeisterschaft. Ganz am Ende des Clips, welchen eine als Sponsor fungierende Bank bezahlte, sieht man übrigens die Originalmitglieder heute.

Ihrer Leidenschaft tut dies keinen Abbruch und sie sind bis heute die absoluten Paradebeispiele für Straßenfußball. Auf einer Insel, mit kaum Stromzugang, wo bis heute 40% als Fischer arbeiten (und 50% im Bereich des Tourismus), machten sie sich einen Traum wahr. Nun steht dort eine Futsalanlage. Ein Dorf, mit einem lächelnden und unbekümmerten Polizisten. Das Paradies namens Ko Panyi, keinen Meter über dem Meeresspiegel, ist nur ein Beispiel für die pure Leidenschaft von abertausenden Kindern wie auch Erwachsenen, welche sich den widrigsten Umständen entgegenstellen, um Fußball spielen zu dürfen.

Vor deutlich über einer Dekade hatte ich übrigens meine erste schwerere Verletzung im Fußball. Auf einem Fußballplatz, welcher mit kleinen Dornenbüschen übersät war und generell eher der roten Sandwüste Kalahari in Botswana ähnelte, riss ich mir meinen Oberschenkel und mein Knie auf einem großen spitzen Stein auf, der – neben zahlreichen anderen kleineren – auf dem Boden lag. Gegrätscht wurde bei uns  dennoch ununterbrochen, es ging hier schließlich um die Ehre. Im Gegensatz zu zahlreichen afrikanischen Spielern hatte ich allerdings Schuhe an meinen Füßen und im Gegensatz zu vielen südamerikanischen Talenten durften wir mit einem Fußball spielen, welcher nicht provisorisch aus Vaters zerstörten Arbeitssocken geschaffen wurde. Meine Narben schmerzen nicht einmal mehr bei Wetterumschwüngen.

Tja, Fußball scheint die Besessenen, die Leidenschaftlichen zu unverständlichen Taten zu bewegen. Jemand, der den Fußball nicht liebt, wird dies nicht verstehen. Und hier muss man innehalten: sind wir alle nicht zu verweichlicht geworden, um diesen Sport wirklich noch als unsere größte Passion benennen zu dürfen? Ist nicht der Wunsch vieler nach der Abkehr vom modernen Fußball ein eigener Hilferuf, wieder auf der Straße spielen zu wollen? Mit intuitiven, lockeren Regeln, vollem Einsatz und dem Fokus auf Technik, statt Athletik? Instinkt anstatt taktischer Vorgaben?

Vermutlich ist dies der Grund, wieso wir Fußballer wie die Spieler des FC Barcelona, Individualisten wie Mario Götze oder Mesut Özil so sehr bewundern. Wahrscheinlich sind die großen tragischen Genies wie unter anderem Ronaldo und Sebastian Deisler, jene, mit denen wir am meisten sympathisieren, weil eines mit uns teilen: die Unfähigkeit, ihr Potenzial zu entfalten, wenngleich auf ganz höherem Niveau. Wie im Alltag schrecken auch viele junge Menschen im Bezug auf Fußball vor widrigen Umständen zurück, die „Generation Playstation“ nimmt Überhand. An sich natürlich keine schlechte Sache, deutet sie doch auf professionelle und fürsorgliche Arbeit des Fußballverbandes und generell den hohen wirtschaftlichen Standard eines Landes hin. Es mag negativ klingen, doch dies ist es keineswegs. Schlichtweg ist es ein Fall, wo wir aufgrund erleichterter Lebensumstände etwas an Bereitschaft und Gewöhnung für die schwierigeren Umstände verlieren. Dies macht uns nicht zu schlechteren Fußballern, geschweige denn zu schlechteren Menschen. Aber man sollte sich hinterfragen, was diese Veränderungen im Lebenswandel für Auswirkungen auf die sportliche Entwicklung nehmen? Man kann nicht verleugnen, dass prozentuell gesehen mehr Fußballer aus eher ärmlichen oder zumindest schwierigeren gesellschaftlichen Bereichen kommen.

Verlernt man dadurch – natürlich nicht alle – etwas vom Kämpfen und Beißen? Oder haben wir lediglich bei der Frage „was würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?“ bereits mit einer Kokosnuss als Fußballersatz geplant? Die aktuelle deutsche Nationalmannschaft zeigt, dass sich beides (Straßenfußball und ein wirtschaftlich gutes Haus) durchaus miteinander vereinbaren lassen, doch zumindest zu einem solchen Fest wie heute sollte man innehalten und den Pionieren des Fußballs gedenken, jungen Fußballern rund um die Welt, welche medial leider nur durch solche „Werbe“spots wie obigen vom Panyee FC und die Lebensläufe vereinzelter Weltstars vertreten werden.

Bei allen taktischen Kniffen, körperlichen Voraussetzungen und unterschiedlichsten Trainingsmethoden sind es dennoch die Spieler, welche unabdingbar sind für ein Spiel. Ihre Kreativität wird nur durch sie selbst geschult, am besten natürlich auf den Straßen, den Dschungeln und den Bergen dieser Welt. Und natürlich den selbst gebauten Holzinseln mitten im Meer.

wundervolle Eindrücke vom Panyee FC

Lukas Pilip 31. Dezember 2011 um 12:09

Hallo, tut mir sehr Leid, aber ich nehme gleich mal diesen Artikel her, um meinen Kommentar hier zu veröffentlich. Fabelhafte Sichtweisen die hier dargestellt werden. Ich selbst habe mich auch schon viel im Intertnet informiert und viel gelesen. Es sei mir bitte gestattet das sagen zu dürfen, das ich diese Webseite seit geraumer Zeit lese. Und richtig super finde. Bedauerlich das bei manchen Posts wenig bis gar keine Resonanz gibt. Denn die Meinungen von anderen Websurfern finde ich gelegentlich auch nicht schlecht. Ich wünsche jedenfalls ein gesundes Neues ins Jahr 2012. Ich bleibe als Leser weiterhin treu.

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RM 31. Dezember 2011 um 17:19

Hallo!,

ja, das ist sehr schade, aber das positive ist, dass bei den vorhandenen Äußerungen die Qualität sehr hoch ist. Falls unsere Seite weiterempfohlen wird und mehr Usern gefällt, wird es hoffentlich immer mehr und mehr Kommentare geben, die nicht nur dir, sondern auch uns Autoren sehr gefallen.

in diesem Sinne ein schönes Neues und auf ein gemeinsam taktisch geprägtes Jahr 2012!

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Majo 30. Dezember 2011 um 17:04

Zunächst einmal ist das einfach eine schöne Geschichte über ein paar Jungs und wie deren Leidenschaft für den Fussball zu einer herausragenden Leistung führte. Diese Geschichte ist die Geschichte des Sports und gerade auch die des Fussballs, wo wir alle doch nur zu gern den Underdog gewinnen sehen. Na gut, ausser der Gegner des Underdogs wäre nun vielleicht unsere Mannschaft. 😉

Wo ich nicht mehr mitgehe, ist das romantisieren in Richtung „früher…“. Hiess es nicht noch vor einigen Jahren, Fussball sei wie Klavierspielen, Du brauchst 9 Mann das Teil reinzutragen, und zwei, die es spielen können?!
Klar ist, wenn wir heute im Park ein bisschen spielen, dann ist das wesentlich näher an den Jungs vom Punyee FC, denn an der Buli. Dennoch verspüre ich keinerlei Verlangen danach, mir diese Art des Fussballs als Zuschauer im Stadion oder am TV anzutun. Gerade diese Website und die Diskrepanz zur gewöhnlichen medialen Berichterstattung über den Fußball zeigt doch, dass es noch viele neue Dinge in unserem Lieblingssport zu entdecken gibt. Da fühle ich mich doch gleich wie ein kleiner Junge in einem schwimmenden Dorf, der davon träumt ein paar Latten zusammen zu nageln, um darauf zu kicken.

Ein guten Rutsch euch allen!

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Max 25. Dezember 2011 um 20:31

Ein sehr, sehr interessanter Artikel, der einen zum Nachdenken anregt. Das, was du angesprochen hast mit dem ’neuen‘ Fußball sehe ich auch so – ebenfalls kritisch. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass der Fußball zu einem Geschäft geworden ist. Für viele steht nicht mehr der Fußball sondern dass, was man mit ihm verdienen kann im Vordergrund.
Bemerkenswert auch das mit den meisten Fußballern aus armen Gegenden. Ich würde noch weitergehen und sagen, dass die besten Fußballer zu einem Großteil aus armen Verhältnissen stammen…

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