Psychologisches Basiskonzept für den HSV

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Der folgende Abschnitt soll sich mit den psychologischen Maßnahmen beim Training und der generellen Arbeit mit der Mannschaft befassen. Diese sind chronologisch in drei Phasen  gegliedert:

  1. Informationsgewinn / vorbereitende Maßnahmen
  2. Teamdynamik
  3. Mentalität

Die erste Phase dient dem schnellen und effizienten Erfassen der Charakterstruktur der Mannschaft sowie der Erkennung von potentiellen Führungsspielern in taktischer und motivationsbezogener Hinsicht. In der zweiten Phase werden die so gewonnenen Informationen gezielt genutzt, um eine Teamdynamik zu erzeugen. Aus dieser Dynamik heraus wird die gewünschte Mentalität bei der Mannschaft erzeugt. Die einzelnen Phasen und die zugehörigen Maßnahmen werden im Folgenden kurz zusammengefasst.

Die vorbereitende Phase

Die Charaktere der Spieler und deren Antreiber (Motivationsmotive) stehen im Zentrum der ersten Phase. Solche Motive sind beispielsweise Anerkennung durch Trainer und Mitspieler, Gruppenzugehörigkeit, Macht, Respekt und Verantwortung. Dabei ist auch von Interesse, ob der Spieler erfolgsorientiert oder misserfolgsorientiert handelt, also inwiefern er mit Misserfolgen umgeht. Erfolgsorientierte Spieler schreiben Misserfolge eher den äußeren Umständen zu, während misserfolgsorientierte Spieler diese stark mit sich selbst verbinden und sie deshalb unter allen Umständen vermeiden. Dazu werden intensive Gespräche mit ehemaligen Angestellten, den Mitarbeitern des Funktionsteams (Physios, Zeugwart, Masseur, etc.) und der Geschäftsstelle geführt, um die Fremdwahrnehmung zu erfassen. Einträge aus Social Media Plattformen können als erste Indikatoren für die Selbstdarstellung dienen. Aus den Gesprächen und Recherchen soll kein Urteil gebildet, sondern die zentralen Fragen und die Grundhypothesen für die persönlichen Gespräche herauskristallisiert werden.

Als zusätzliche Informationsquelle wird eine als reine Teambuildingmaßnahme getarnte gemeinsame Unternehmung in offener Atmosphäre organisiert. Dies könnte beispielsweise ein Besuch in einem Laser Dome mit der Möglichkeit zum Konsum alkoholischer Getränke sein. Durch die Annahme des Angebots (zurückhaltend, begeistert, enthemmt) durch die Spieler sowie das Verhalten  während des Spiels (dominant, vorsichtig, etc.) können die ersten Hypothesen über die Charakterstruktur reflektiert und verfeinert werden.

In der Folge werden Einzelgespräche mit den Spielern geführt. Dabei werden die zuvor gewonnenen Informationen gezielt eingesetzt und verfeinert. Die Gespräche finden in natürlichem Umfeld während des Trainings statt, z. B. eingebunden in Feedback zum Verhalten während einer Übung. Durch die Stimulation der identifizierten Motivationsmuster durch den Trainer wird gegenüber dem Spieler ein Kompetenzbeweis erbracht und die Position von Spieler und Trainer innerhalb der Mannschaft geformt und gestärkt. Ziel ist eine charakterliche Vorbildwirkung des Trainers, die vereinbar ist mit guter Laune und angenehmer Atmosphäre. Sie umfasst ständige Möglichkeiten für Feedback und persönliche Gespräche (Mentoring).

In Teamsitzungen werden gemeinsam Verhaltensregeln eingeführt. Diese sollen u. a. die Kommunikation verbessern, z.B. durch eine freiwillig auferlegte Verpflichtung zu gemeinsamen Essen und kommunikationsfördernden Verhaltensregeln (keine Telefone und Kopfhörer, etc.). Auch der entsprechende Strafenkatalog wird durch die Mannschaft selbst festgelegt, um die Akzeptanz zu gewährleisten.  Bei der Steuerung der Meinungsbildung soll bereits unbewusst auf potentielle charakterliche Führungsspieler zugegriffen werden.

Entwicklung der Teamdynamik

Das Team überwacht die disziplinierte Umsetzung des Strafenkatalogs selbst. So wird das Ausscheren einzelner Spieler gemeinschaftlich sanktioniert. Die nahezu ausschließliche Nutzung von Spielformen im Training dient u. a. dazu einen positiven Konkurrenzkampf entfachen. Die Spieler werden aktiv dazu ermutigt, Gruppenprojekte anzustoßen. Beispiele sind selbst erstellte Problemanalysen nach den Spielen, in denen die Ursachen und Erklärungen gemeinsam mit der Mannschaft herausgearbeitet werden sollen. Die Grundlagen dazu werden durch das aktive Erklären und das Freezing in den Trainingsübungen geschaffen.

Im Training werden weitere Maßnahmen ergriffen, um die Selbstwirksamkeit der Spieler zu erhöhen. Dazu gehören Selbsteinschätzung vor Übungen (z. B. Standards oder Spielformen) zu den erzielten Erfolgen sowie der gut dosierte Umgang mit Lob und Kritik. Darüber hinaus soll das Team sich eigene Ziele (z. B. die Anzahl der Punkte aus den nächsten drei Spielen) mit entsprechenden Belohnungen (freie Tage, Aktionen mit der Mannschaft) vorgeben.

Aufbau der Mentalität

Oliver Kreuzer hat durch den Begriff des Eigenfehlers eine auf Fehlervermeidung fokussierte Mentalität geschaffen. Es ist wissenschaftlich belegt, dass eine solche Vermeidungsstrategie oft gegenteilige Effekte aufweist. Das erste Ziel ist es deshalb, eine Mentalität zu schaffen, die darauf basiert, Fehler der Mitspieler vorherzusehen und aufzufangen, also eine proaktive Haltung zu entwickeln. Dazu wird aktiv mit positiven Ankern (Goal Settings) gearbeitet. Anstatt Spieler bei Fehler zu kritisieren, werden die Mitspieler gelobt, welche die Situation im Nachhinein bereinigt haben. Dazu wird auch gezielt auf Archivmaterial zurückgegriffen. Es muss das Ziel eines jeden Spielers sein, seine Mitspieler aufzufangen und abzusichern. Das entsprechende Motte lautet: „Niemals aufgeben“. Positives Vorbild ist hierbei der BVB. Dort wurde eine Kultur geschaffen, in welchem nicht der Spieler kritisiert wird, der einen Fehlpass spielt, sondern nur sein Mitspieler, welcher nicht sofort ins Gegenpressing geht.

Nachdem diese Mentalität aufgebaut wurde besteht der zweite Schritt darin, von einer reaktiven auf eine aktive Defensivspielweise umzustellen. Als Methode dient hier das Gegenpressing. Auch hier wird aktiv auf positive Anker gesetzt, indem bereits kleine Erfolgen, wie beispielsweise das Verhindern eines Konters oder die Erzwingung eines Rückpasses, durch das aktive Gegenpressing, extrem honoriert und gelobt werden.

Sonstige Maßnahmen

Es wird wieder ein Psychologe zur Mannschaft geholt, der mit einem eigenen Büro im Verein sitzt und als fester Teil des Funktionsteams arbeitet und die Mannschaft ständig begleitet. Es ist entscheidend, dass die Spieler den Psychologen aufsuchen können, ohne vorher den Weg über das Trainerteam gehen zu müssen, um eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre zu gewährleisten. Sollte sich in den Gesprächen herausstellen, dass Spieler durch Drucksituation belastet werden, so sollen gezielt und in gemeinsamer Absprache mit dem Psychologen Maßnahmen zur Entspannung/Stressabbau eingeleitet werden. Beispiel hierfür sind Emotionsregulationstraining und autogenes Training.

Im absoluten Notfall wird auch auf das Aussortieren von Spielern zurückgegriffen. Dies geschieht jedoch nur bei klaren Verstößen gegen die selbst auferlegten Regeln und in Rücksprache mit dem Mannschaftsrat.

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