Polen gerade noch im Rennen

Bis zu Robert Lewandowskis Ausgleichstor gegen Spanien schien die EM für Polen vorzeitig zu enden. Das vielseitige Team befand und befindet sich in seiner Gruppe in einer kniffligen Lage. Trainer Paulo Sousa hat in den ersten zwei Partien erwartungsgemäß taktisch wie strategisch viel variiert – bzw. sogar noch weitergehender als erwartet. Die Umsetzung machte an verschiedenen Stellen Probleme.

Als vielversprechender Geheimtipp ging die polnische Mannschaft in dieses EM-Turnier. Man konnte die Erwartung eines vielseitigen Geheimfavoriten hegen, der Ballsicherheit, Intensität und gute Aufbauqualität in die Waagschale werfen würde.

Systematisch blieb Trainer Paulo Sousa seiner Linie treu: Sein Team agierte in den ersten zwei Partien in zwei verschiedenen Formationen, die sich zwischen dem eigenen und dem gegnerischen Ballbesitzmoment stark unterscheiden konnten. Verteidigte Polen mit vier Mann hinten, wandelte sich die Anordnung im Aufbau, indem der Linksverteidiger hoch aufrückte und sein Vordermann ins Mittelfeldzentrum ging.

Zäher Aufbaustart gegen die Slowakei

Der Auftakt gegen die Slowakei verlief allerdings ernüchternd und mit einer schmerzhaften 1:2-Niederlage. Seither läuft das Team diesem Ergebnis und seinen tabellarischen Folgen hinterher. Die Enttäuschung gegen die Slowaken begann mit einem Szenario, welches für die Polen zuletzt stets ein besonders unangenehmes war: Wenn der Gegner weitgehend tief verteidigt und sich selten in höheres Attackieren locken lässt.

Auf den polnischen Dreieraufbau hatte die Slowakei eine passende Antwort parat – womöglich gezielt, vielleicht aber auch ungezielt: In der 4-4-2-Ausgangsformation gegen den Ball verhielten sich die offensiven Flügel unterschiedlich. Dort neigen die Slowaken dazu, ihre Gegenspieler mannorientiert zu verfolgen und sich weit zurückdrängen zu lassen. Es könnte sein, dass auch das Verhalten gegen Polen bloß aus der Orientierung an den Gegenspielern resultierte – Haraslin nahm auf rechts Rybus auf und Mak verteidigte gegen Bereszynski.

Wie klar Haraslin den aufrückenden Verteidiger aufnahm und wie sich die erste Defensivreihe leicht asymmetrisch anpasste, spräche aber für eine geplante Ausrichtung. Allerdings erfolgte die Umformung wiederum nicht immer sauber und manchmal zögerlich. Die Polen ihrerseits verpassten die gelegentlichen Momente, in denen Mak verspätet oder aus ungünstigen Ausgangspositionen startete, meistens. In solchen Situationen fehlte dem polnischen Aufbau der Einsatz des Andribbelns.

Polens Offensivformation gegen die Slowakei

Ansonsten führte Maks Vorrücken dazu, dass die Slowakei eine Gleichzahlsituation gegen den Dreieraufbau erzielte und Polen in der Folge Schwierigkeiten hatte, sich nach vorne zu lösen. Anders als in vielen bisherigen Begegnungen unter Sousa wurde dies kaum durch verschiedene Ab- oder Herauskippbewegungen aus dem defensiven Mittelfeld beantwortet, die zuvor so flexibel genutzt worden waren. Nominell agierte mit Krychowiak nur ein einzelner Akteur aus dieser Zone heraus, der sich dementsprechend stärker zurückhalten musste, um keine zu großen Räume verwaisen zu lassen.

Probleme der offensiven Raumbesetzung bei Ballbesitz

Vielmehr stellte sich die polnische Raumaufteilung im Zentrum bei Balbesitz letztlich oft als 3-1-3-1 (plus zwei Breitengeber) dar. Gleich drei Akteure bewegten sich im vorderen Mittelfeld und sorgten dort für ausgeprägte Präsenz. Klich war vor allem für den halbrechten Bereich zuständig, Zielinski agierte aus der Mitte heraus und Linetty auf halblinks. Sousas Team hatte also eine überdurchschnittlich starke Zwischenlinienraumbesetzung und diese Konstellation war als solche enorm vielversprechend, sie entwickelte aber nur wenig Wirkung.

Drei Hauptfaktoren kamen dafür zusammen: Erstens entstanden für die Polen Probleme bei der Einbindung ihres Superstars Lewandowski. Der Bayernstürmer hatte es schwer, passende Räume in den Halbräumen zu finden, in die er sich – speziell ballfern – absetzten hätte können, wie es typischerweise seinem Stil im Nationaldress entspricht. In der Folge driftete er eher ziellos umher und begab sich phasenweise zu weit auf den Flügel. Die Aufteilung zwischen Lewandowski und den vorderen Mittelfeldakteuren schien also nicht scharf genug definiert.

Zweitens entwickelte dieses Trio untereinander zu wenig Anbindung, so geschickt die Individualisten sich innerhalb ihrer Zonen für sich jeweils punktuell bewegten. Neben guten Momenten fehlte es generell an Konstanz. Im Detail verpassten es die Akteure zu häufig, sich in kleine Tiefenstaffelungen zu begeben, um so bessere Passwinkel zu schaffen und kurze Abstände auch tatsächlich ausspielbar werden zu lassen. Dann standen sie eher flach zueinander im offensiven Mittelfeld.

Klich auf halbrechts versuchte zudem noch am ehesten, Kontakt nach hinten herzustellen, wurde aus hoher Startposition aber insgesamt etwas ungeduldig. Er musste letztlich oft in diagonal nach hinten gehenden Freilaufbewegungen Bälle fordern, in denen er eng markiert wurde, und konnte dann nur nach außen mitnehmen. Überhaupt verfolgten die Slowaken die jeweils zwei ballnächsten polnischen Mittelfeldspieler oft eng mit ihren eigenen Sechsern – typischerweise also Hromada gegen Klich und Kucka gegen Zielinski.

Der ballferne polnische Akteur aus dem Zwischenlinienraum wurde jeweils freigelassen oder von einem Innen- oder Außenverteidiger aufgenommen. Bei Verlagerungen reichten die Slowaken die Zuständigkeiten horizontal weiter. Diese stark mannorientierte Organisation erlaubte es Klich bei seinen Bewegungen nach außen zumindest, selbst in suboptimalen Staffelungen und/oder bei schwierigem Sichtfeld einige Gleichzahlsituationen am Flügel zu initiieren.

Er nahm nach außen mit, stellte den Übergang dorthin her und schaltete sich gegebenenfalls in der Folgesituation wieder ein. Durch den Dynamikvorteil gelang es Polen auch, sich nach vorne zu spielen und Raumgewinn zu erarbeiten. Gerade dank solcher Momente kam es zumindest in ordentlicher Häufigkeit vor, dass Sousas Mannen das Leder ins vordere Drittel transportierten.

Wenig Vorwärtsdynamik in Strafraumnähe im ersten Spiel

Dort trat der dritte große Problempunkt auf: Die Bewegungen aus der Grundstruktur heraus nach vorne. Um den Strafraum herum hatte Polen kaum Tiefe. Einzig Lewandowski war in vorderster Front zu finden, dort aber in massiver Unterzahl gegen die slowakische Verteidigung. Aus dem offensiven Mittelfeld gab es kaum Läufe in die Spitze. Gerade für Klich und mit Abstrichen Linettys wäre das auch nicht unbedingt das Spiel gewesen, das ihnen liegt.

Vor allem aber gab es auch kaum dynamische Freilaufbewegungen kleinräumig zum Ball hin oder diagonal nach vorne in Zwischenlücken. Wenn die offensiven Mittelfeldakteure sich dynamisch einschalteten, taten sie das fast immer, indem sie sich nach hinten absetzten. Häufig verpassten sie entsprechende Momente aber auch ganz und hielten sich zu lange zurück.

Dadurch hatte Polen auch in Strafraumnähe erneut viele Leute im offensiven Mittelfeld und mitunter auch eine hohe Quantität an Optionen in Ballnähe, aber diese waren kaum nutzbar – zumindest nicht für das Angreifen, höchstens ballsichernd. Dieser dritte Knackpunkt wurde in der Phase nach dem Seitenwechsel gegen die Slowakei deutlich besser, die Spieler aktiver aus dem offensiven Mittelfeld heraus und fokussierter dort. Direkt nach Wiederbeginn führte das zu einem sehenswert herausgespielten Ausgleichstor und anschließend zu zwei oder drei weiteren ordentlichen Szenen.

Nach schwungvollen 15 Minuten, in denen Polen die Partie hätte drehen können, endete der Druck jäh durch einen Platzverweis für Krychowiak bzw. schwächte sich deutlich ab. Dementsprechend wurden Sousas Mannen vom Spielverlauf stark gebeutelt: Sie verloren ihr Momentum zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt und eine eigentlich klare Steigerung kam quantitativ nicht „lange genug“ zum Zuge.

Zumal kurz nach dem Platzverweis die Slowakei durch eine Standardsituation überraschend erneut in Führung ging, war der Ertrag der starken Phase ohnehin torpediert. Diesen unglücklichen Verlauf muss man dem polnischen Team in Rechnung stellen. Das Endergebnis und die über weite Spielphasen ernüchternde Harmlosigkeit bilden den Auftritt der Mannschaft nicht ganz repräsentativ ab.

Kompaktes Angreifen gegen Spanien

Die offensive Herangehensweise fiel zur zweiten Partie gegen Spanien deutlich verändert aus. Trotz der Auftaktniederlage entschied sich Sousa gegen den nominellen Favoriten für einen vorsichtigen Ansatz. Stilistisch bedeutete das Duell sogar einen Bruch in seiner bisherigen Amtszeit, zumindest im Verlauf der ersten Halbzeit: Es dauerte nach den Anfangsminuten nicht lange, bis Polen sich fast ausschließlich auf ein Spiel auf den zweiten Ball fokussierte, das zunächst noch eine mögliche Option unter anderen gewesen war.

Die 3-5-2/3-4-1-2-Grundstruktur veränderte sich dafür asymmetrisch, indem der rechte Flügelläufer höher schob und die offensive Außenposition besetzte. Seine Seite war der Zielraum für die frühzeitigen langen Bälle. Praktisch entstand eine 4-2-Struktur mit den drei zentralen Offensivakteuren davor plus Jozwiak als Flügelspieler auf der „starken“ Seite. Polen stand kompakt zur rechten Außenbahn hin und vor allem gut abgesichert.

Die strukturelle Umformung mit hohem Jozwiak und Rechsfokus bei langen Eröffnungen

Aber im Umkehrschluss dieser stabilen Anordnung ließ sich wenig Durchschlagskraft hervorbringen. Für die Spanier war es gut möglich, das eigene Zentrumstrio des 4-3-3 in die unmittelbaren Duelle zu schicken und die Abwehr dahinter als Absicherung zu stellen, gegen die die polnische Mannschaft nicht immer ausreichend Besetzung herstellen konnte, sofern sich einzelne Offensivakteure auf den zweiten Ball ins Mittelfeld begeben mussten. Nur vereinzelt gelang es Polen, sich am Flügel vorarbeiten, wenn auch ein Stürmer weiter mit auswich, und Flankenmöglichkeiten schaffen.

Auch in früheren Spielen unter Sousa gehörten weite Bälle und Diagonalpässe zu wichtigen Stilmitteln des Teams, aber nicht so gezielt und wiederkehrend vom Torhüter aus mit der ersten Aktion. Ein entscheidender Unterschied betraf vor allem die räumliche Konstellation, in der diese Zuspiele geschlagen wurden: Auch mit langen Bällen griff die polnische Mannschaft bisher stets weiträumig an. Gegen Spanien galt das ab der Anfangsphase nicht: Stattdessen griff die Mannschaft in einer kompakten Formation an – dies war der Zweck der weiten, hohen Eröffnungen des Keepers.

Thema Konterabsicherung aus verschiedenen Blickwinkeln

Dass sich die Polen im Laufe der Begegnung so stark auf dieses Mittel konzentrierten, dürften die Erfahrungen der Anfangsminuten befördert haben. Zunächst hatte das Team auch mit Versuchen begonnen, gewohnt aufgefächert aufzubauen. Dafür hielten sich die Flügelläufer zunächst symmetrisch, entsprechend der Grundstruktur mit Dreierkette. Ohne den gesperrten Krychowiak und dessen enorm ballfordernden Stil schien sich das Mittelfeld erst einfinden zu müssen. Von der Zehn bewegte sich Zielinski recht flach und die Sechser engagiert in der Horizontalen.

Beim Aufbau über einen Halb- oder situativ mal Flügelverteidiger standen Klich und Moder aber oft zu breit auseinander. Das erschwerte die gegenseitige Absicherung, zumal sie einige riskante Folgepässe mit dem ersten Kontakt spielen mussten. Bei Ballverlusten – nicht unbedingt solchen durch sie selbst, sondern auch später im Übergang – wurden die Abstände zwischen den Sechsern groß und die zentrale Position vor der Abwehr, zwischen den Halbräumen, war nicht immer schnell genug zu besetzen.

Zwei oder drei Mal drohte Spanien in gute Konter zu gelangen und daraufhin stellte Polen bald die flachen Übergangsversuche über das Mittelfeld ein. Die Themen Konterabsicherung und Gegenpressing begleiten das Team schon das ganze Jahr über. Eigentlich haben die Polen in dieser Disziplin mit ihrer hohen Grundintensität sehr gute Ausgangsvoraussetzungen. Manchmal stellen die enorme Weiträumigkeit und vor allem Unsauberkeiten in der Restverteidigung diese infrage.

Auch gegen die Slowaken gab es Probleme, da diese mit den asymmetrischen Flügeln und vor allem einer geschickten Hamsik-Einbindung als vorderstem Umschaltspieler konterstärker daherkamen, als man vorher erwarten konnte. Zwar führten die Gegenstöße ohne ausgewiesene Tempospieler gegen die polnische Dreierkette selten direkt zu hochwertigen Torszenen. Aber die Slowakei erspielte sich auf diese Weise wichtige Ballbesitzphasen in höheren Bereichen, die ihnen Entlastung verschafften und einen dauerhaften Druckaufbau der Polen unterbrachen.

In der zweiten Halbzeit des Auftaktspiels steigerte sich das polnische Gegenpressing. Das war eine direkte Begleiterscheinung der zunehmenden Sauberkeit von Bewegungen in Ballbesitz, aber womöglich auch ein psychologischer Effekt dieser stärksten Phase des Teams. Gegen Spanien konnte Polen schließlich die gute eigene Grundintensität in der „neuen“ Konstellation der langen Bälle in Kompaktheiten nochmals neu einbringen: Für das Jagen auf den zweiten Ball. Diese Qualität wurde ein kleiner Faktor, dass aus solchen Szenen selbst bei den eher defensiven Ausgangslagen doch die eine oder andere Torraumszene entstand – wie das Ausgleichstor Lewandowskis, das das Team im Turnier hielt.

Geringes Durchschieben in der Abwehr schon bestraft

Flaches 5-2-1-2/5-3-1-1 gegen Spanien

Strategisch weniger untypisch als die Ballbesitzausrichtung gegen Spanien war in der zweiten Partie der tiefe Ansatz gegen den Ball. Polen zog sich zunächst weit zurück und startete aus einer Fünferkette, die situativ als pendelnde Viererkette interpretiert werden konnte. Für die Defensivausrichtung bedient sich Sousa seit seinem Amtsantritt eines breiten Spektrums, vom enorm hohen Anlaufen zur sehr defensiven Variante. Stilistisch orientierte er sich für das Duell mit Spanien an der Herangehensweise, die er im März gegen die Engländer, einen anderen großen Namen, genutzt hatte.

Strukturell gab es aber einige Unterschiede zwischen den jeweils 5-3-2-haften Formationen. Das lag weniger an den häufigen 5-3-1-1-Tendenzen gegen Spanien, da Swiderski wesentlich öfter zurückfallen musste als Lewandowski. Entscheidend war vor allem die Konstellation im Mittelfeld. Das 5-3-2 war mehr ein flaches 5-2-1-2 mit Zielinski in der mittigen Position und zunächst leicht vor den beiden Sechsern. Diese hielten sich also aufgefächert. So hatten sie frühzeitig Kontakt in den jeweils ballfernen Halbraum, was gegen Spaniens Verlagerungen wertvoll war.

Zu Anfang der Defensivszenen startete Zielinski also zunächst vor der horizontalen Lücke zwischen den Sechsern. Mit der mannschaftlichen Rückzugsbewegung ließ er sich zwischen die beiden zurückfallen und häufiger bis in eine tiefere Linie. Griffen die Spanier über den Flügel an und ließen das Leder von dort nach hinten zirkulieren, konnte Zielinski wiederum zentral nach vorne durchrücken und vor seinen Mittelfeldkollegen auf den ballführenden Gegner herausschieben. In dieser Systematik ergaben sich wieder stärkere Parallelen zur Partie gegen England von März und der Rolle Krychowiaks.

Die polnische Struktur als Gesamtes bot Spanien klar die Flügelzonen an. Die Verteidigung in diesen Bereichen gelang jedoch, beispielsweise auch im Vergleich zur defensiven Flexibilität des Mittelfelds, nicht konstant. Vor allem bewegte sich die Abwehrkette in dieser Begegnung nicht geschlossen auf den betroffenen Flügel. Die dortige Defensivarbeit beschränkte sich zu oft auf das Herausrücken des ballnahen Flügelverteidigers und zumeist den weiträumigen Anschluss des Halbverteidigers, ergänzt um die Aktionen aus der Mittelfeldlinie.

Darüber hinaus gab es aber nur selten ein weiteres Durchschieben der restlichen Abwehrleute. Diese hielten sich übermäßig vorsichtig in ihren Startpositionen. Der Abstand zwischen ballnahem Halb- und Zentralverteidiger war daher oft groß. Gegen die Spanier bedeutete das keine angenehme Konstellation, da deren bevorzugte Anschlussaktion nach der Verlagerung auf den Flügel sich genau auf jene Schnittstelle richtet. Läufe dorthin sorgten mehrfach für Unruhe.

Bereits in der ersten Partie gegen die Slowakei hatten Schwächen beim Durchschieben in der Abwehrkette im Allgemeinen dem Team Probleme gemacht. Sie spielten exemplarisch beim Rückstand zum 0:1 eine Rolle.

Bereszynski und Jozwiak doppelten im 4-4-1-1 außen gegen Mak und ließen sich trotz der Überzahl nachlässig ausdribbeln, aber es fehlte auch der Anschluss weiterer Kollegen. Glik wollte als Innenverteidiger zentral bleiben, zumal die Slowaken zwei Spieler in die Spitze gebracht hatten. Das kann man so lösen und auf das Durchschieben in der Kette verzichten, dann aber wäre es wichtig, wenn dies stattdessen aus dem Mittelfeld käme.

Vor dem 0:1 gegen die Slowakei: Glik will nicht durchschieben, könnte dann aber Krychowiak anweisen, seine Position anzupassen und mehr in die Sicherung zu gehen. Nach dem verlorenen 1gegen2 reagieren die Polen zu spät bzw. zu sehr mit Rückzug.

In dieser Szene hielt Polen aber quasi den kompletten Defensivblock zentral und so entstand hinter den beiden doppelnden Außenspielern eine Lücke. Als Mak sich überraschend im 1gegen2 durchsetzte, bedeutete dies daher enormen Raumgewinn. Der Slowake hatte direkt die Möglichkeit, in den Strafraum einzudringen, da die polnischen Defensivakteure auf den unerwarteten Verlauf schlecht reagierten und sich zu stark nach hinten zurückfallen ließen. Der Knackpunkt also: Auch nach dem Dribbling unterblieb ein späteres Durchschieben, von nur irgendeiner Position. Es dauerte sehr lange, bis schließlich mit Glik ein Spieler wieder zum Ball durchrückte – erst, als Mak fast schon das Fünfmetereck erreicht hatte und sich so in einer Abschlussposition befand.

Hohes Pressing mit Licht und Schatten – und (noch?) kein Schlüsselfaktor

Nachdem das polnische Team in der Partie gegen Spanien in Rückstand geraten war, begannen die ballfernen Spieler zunehmend, sich frühzeitig und teilweise fast spekulativ in höhere Positionen an aufgefächerte Gegenspieler heranzuschieben. Auf der rechten Defensivseite wurde dies bei Jozwiak und Klich exemplarisch. Sie nahmen früher den Kontakt zu Alba bzw. Pedri auf und lauerten auf diagonale Herausrückbewegungen gegen einen der beiden.

Im weiteren Verlauf des Spiels begab sich Sousas Mannschaft schließlich immer häufiger direkt in eine vorgeschobene Pressinghöhe. In Rückstand attackierte Polen vermehrt im gegnerischen Drittel. Dafür formierte sich das Team in der 5-2-1-2- bzw. dann 3-4-1-2-Aufteilung, da diese das spanische 4-3-3 gut spiegeln konnte. Im Vergleich zu hohen Pressingmomenten aus dem ersten Spiel entwickelte es in solchen Szenen eine höhere Intensität, wie sie auch mehr an vorige Auftritte unter dem neuen Trainer erinnerte.

Gegen die Slowaken könnten die vielen langen Wege, zu denen Polen im defensiven Umschalten gezwungen wurde, zu dieser Konstellation beigetragen haben. Vom Grundsatz her hatte das 4-4-1-1 mit 4-2-1-3-Übergängen in jener Begegnung keinen schlechten Eindruck gemacht. In den vorderen Zonen war die horizontale Kompaktheit besser als weiter hinten, indem der ballferne Flügel passend anschloss. Zudem profitierte Polen davon, dass die Slowaken in der Aufbaustruktur mit Doppel-Sechs Schwierigkeiten haben, insbesondere mit den Abständen.

Sousas Team schob in einige lokal kompakte Szenen zum Ball hin, entwickelte im Pressingübergang schließlich aber nicht die letzte Dynamik. Auch blieb das Timing in diesen Situationen etwas zu zögerlich. Gegen die slowakischen Schwierigkeiten reichte es dennoch zu einigen Ballgewinnen am Übergang zum vordersten Drittel – also zu keiner so schlechten Ausbeute. Es waren aber nicht die Balleroberungen von höchster Qualität – also insofern, dass sie sich direkt in Vorwärtsaktionen hätten ummünzen lassen und nicht „nur“ zu einem einfachen Ballbesitzwechsel führten.

In der Summe konnte Polen die Erwartung, womöglich als dynamische Pressingmannschaft auf sich aufmerksam zu machen, bisher nicht einlösen. Es gab in den ersten zwei Begegnungen beide Male aber zumindest kleine Ansätze. Möglicherweise könnte hohes Pressing für die anstehende Partie gegen Schweden schließlich doch noch in den Mittelpunkt rücken und das Zünglein an der Waage werden.

Vor der Entscheidung gegen Schweden

Vermutlich wird Polen gegen die diszipliniert verteidigenden Skandinavier das Spiel machen müssen. In dieser Konstellation kann man frühes Anlaufen gut gebrauchen, um dadurch alternativ weitere Offensivszenen zu erzwingen. Die entscheidende Frage wird sein, wie ausgeprägt die Schweden in diesem Fall Risikovermeidung betrieben. Würden sie zumindest gelegentlich, entsprechend ihrer Weiterentwicklungen der letzten Monate, versuchen, gegen ein hohes Pressing der Polen anzuspielen, oder würden sie fast nur auf lange Bälle und Abpraller setzen, so dass sich hohe Ballgewinne als Thema erledigt hätten?

Wie stabil wäre Polen bei den weiten gegnerischen Pässen und den Anschlussaktionen in der eigenen Tiefensicherung und in der Koordination im Abwehrverbund? Die entscheidende Begegnung mit den Schweden wird nicht also nur durch den Gegensatz von polnischem Ballbesitzspiel und schwedischem Tiefstehen bestimmt werden, auch wenn dieses Bild überwiegen dürfte und auch wenn Sousas Team in dieser Konstellation in erster Linie gefordert ist.

g 25. Juni 2021 um 01:11

sry, off-topic: in diesem TAZ Text von gestern über den Arbeiterfußball Anfang der 30er Jahre https://taz.de/Europameisterschaft-und-Arbeiterfussball/!5778351/
fällt am Ende ein Satz, der leider nicht weiter ausgeführt wird vom Autor: „(…) Und so erfahren viel zu wenige Menschen, dass im Arbeiterfußball ein anderer, fast körperloser Spielstil gepflegt worden ist (…)“. Weiß jemand was dazu?

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CE 26. Juni 2021 um 15:07

Es geht einfach darum, dass der Fußballstil der Dreißigerjahre recht körperlos war – sowohl bei den Turnieren der Arbeiterorganisationen, als auch im zusehends professionalisierten und kommerzialisierten Ligafußball.

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