Frankreich – Bosnien-Herzegowina 1:1

Frankreich hat das direkte EM-Ticket gelöst. Nachdem man den starken Bosniern lange unterlegen war, kämpfte man sich im zweiten Durchgang mehr und mehr zurück und erreichte noch den Ausgleich.

Die Franzosen mussten erneut ohne den verletzten Bayern-Star Ribéry auskommen und traten nach dem Sieg gegen Albanien mit einigen Veränderungen auf. In der Defensive bekamen Revéillère und Abidal den Vorzug vor Debuchy und Kaboul, während in der Offensive Gomis auf der Bank blieb und durch Menez ersetzt wurde. Dadurch wurde das nominelle 4-2-3-1 der Franzosen deutlich fluider und variabler angelegt. Der zuletzt noch als Außenstürmer eingesetzte Remy ließ das Sturmzentrum immer wieder verwaisen und driftete auf die Außen, während seine drei Offensivkollegen ebenso sehr viele Freiheiten genossen.

Auf der anderen Seite spielten auch die Bosnier ein sehr interessantes System. Ihr 4-2-3-1 sah eher wie ein 4-1-4-1 und häufig sogar wie eine 3-3-3-1-ähnliche Formation aus. Der Freiburger Mudjza agierte auf der rechten Seite deutlich offensiver als der linke Außenverteidiger. Deshalb rückte Pjanic aus dem rechten Mittelfeld weit ein, während Lulic auf links weiter außen, aber dennoch variabel spielte und seine Rolle frei interpretierte.

Zwar war die Situation vor dem Spiel recht klar, aber dennoch nicht einfach. Mit einem Punkt Vorsprung auf den direkten Konkurrenten würde den Franzosen ein Remis zur direkten Qualifikation reichen, die Bosnier hingegen waren auf einen Sieg angewiesen, um den Umweg über die Play-Offs zu umgehen.

Entsprechend dieser Ausgangslage gingen die Gäste dann auch ins Spiel. Sie attackierten früh und stellten die Franzosen mit ihrem aggressiven und forschen Pressing vor einige Probleme. Generell hielt das Spiel, was es versprochen hatte, denn auch die Franzosen gingen ihre Gegenspieler früh an, wodurch sich ein intensives und durchaus temporeiches Spiel entwickelte. Beide Teams machten das Feld eng, suchten die Duelle, forcierten das Tempo – und gaben so natürlich auch manchmal Räume her. Weiterhin waren Ballverluste und damit Umschaltmomente und Tempo wegen des kleinen Feldes in hoher Zahl vorhanden. Aufgrund des engen Mittelfeldes bei den Bosniern und der starken Rotation der Franzosen entstanden die Räume aufgrund dieser Konzentration häufig in der Vertikalen, was wiederum zum Tempo beitrug. Ein kleineres Feld führte zu mehr Raum, denn je kleiner das Feld, desto mehr kann man im Pressing riskieren und desto mehr Bedeutung hat schon ein kleiner Raum.

Zwei Phasen zu Beginn

Interessant war, dass es zu Spielbeginn zwei recht klare Phasen gab, in welche man das Spiel ausdifferenzieren kann. In der ersten Viertelstunde war das Pressing der Bosnier hochaggressiv. Frankreich wurde überrumpelt, konnte sich kaum befreien und wurde hinten eingeschnürt, so dass auch ihr eigenes Pressing selten greifen konnte. Folglich verbuchten die Gäste sieben Abschlussversuche in der Startphase des Spiels – die Franzosen gar keinen, nur einmal schlug die riskante bosnische Taktik fehl, doch Rémy verstolperte den Ball im 1-1 mit dem Keeper.

Bis etwa zur 30. Minute änderte sich das Bild ein wenig. Bosnien fuhr die Intensität des Pressing deutlich zurück und attackierte nun später. Ihre sehr hohe Abwehrlinie behielten sie allerdings bei – mit Erfolg, denn sie war eine der entscheidenden Faktoren für ihre starke Performance.

So konnte man sehr kompakt stehen und gegen die Franzosen kaum Lücken zwischen den Mittelfeldreihen entstehen lassen. Wenn es den Franzosen gelang, den Ball in den Abwehrblock hinein und durch ihn durch zu spielen, zwangen die Bosnier mit intelligentem Abdrängen durch ihre defensiven Mittelfeldspieler die Franzosen auf die Außen. So konnte man sich  wieder sortieren und als Block fallen lassen – Frankreich musste von vorne beginnen. Weil vor allem Rahimic auch sehr stark die Passwege verstellte, kam es dazu, dass die Spieler der Les Bleus häufig selbst die Dinge in die Hand nehmen mussten, dadurch aber den Ball zu lange hielten.

In dieser Phase hatten die Gastgeber etwa 80 % Ballbesitz, doch kamen sie fast gar nicht an das Tor der Bosnier heran – obwohl man immer weiter aufrückte. Bosnien aber konnte sich immer neu sortieren, machte die Räume weiter sehr eng und profitierte umgekehrt weiter von jenem Aufrücken. Wie bei Ballgewinnen nach frühem Pressing ergaben sich auch bei tiefen Ballgewinnen und hoher französischer Abwehr Konterchancen, besonders für den stets gefährlichen Dzeko.

Jener Dzeko sorgte nach 41 Minuten auch für die bosnische Führung. Er bot sich für das schnelle Ausführen eines Freistoßes an und ließ eine Demonstration seiner Weltklasse folgen. Gedankenschnelligkeit, Handlungsschnelligkeit, saubere Annahme und Drehung in einer traumhaften und fließenden Bewegung, geschicktes Abschirmen, wunderbarer Schlenzer vom Strafraum – es stand 0:1.

Verdient war das Tor allemal, denn nach einer halben Stunde waren die Bosnier wieder aktiver und aggressiver geworden. Das Gesamtbild des Spiels blieb weiterhin gleich – Bosnien attackierte, war aggressiv, verengte die Räume sehr gut, selbst bei einer etwas tieferen Angriffshaltung stand Frankreich stets unter Druck.

Französische Probleme

Zweifelsohne ist Laurent Blanc ein sehr kompetenter Trainer und ein großer Gewinn für die französische Auswahlmannschaft. Doch in diesem Spiel gab es nicht nur einen starken Gegner, sondern auch hausgemachte Schwierigkeiten, die den Franzosen im Weg standen. In den bisherigen Spielen war es oftmals auffällig, dass durch die Beweglichkeit des zentralen Stürmers häufig die Durchschlagskraft fehlte.

Die Idee, gegen die hoch stehenden und aggressiven Bosnier derenPressing mit viel Bewegung aufzubrechen und den Raum hinter ihrer Abwehr mit Hilfe der Laufwege Remys attackieren zu wollen, war in der Theorie richtig. Doch in der Praxis konnte Rémy zwar manchmal die zentralen Verteidiger Bosniens locken und einen Raum öffnen, doch es gab keine konstante Option, welche die Räume hinter der bosnischen Abwehr hätte nutzen können. Durch die Rochaden Frankreichs ballten sich häufig viele Spieler auf einen Ort, was es für Bosnien leichter machte, die entscheidenden Passwege zuzustellen. Nasri, Malouda und auch Menez tendierten alle in die Mitte, auf den anderen Flügel oder zur Unterstützung des Mittelfeldzentrums nach hinten.

Allerdings fehlte ihnen auch hierbei die Abstimmung, so dass es zu ähnlichen Problemen kam, wie bei der deutschen Mannschaft gegen Belgien. Die Nachteile der (offensiven) Mittelfeldrochade wurden hier vor allem darin sichtbar, dass man den Bosniern zu viele Räume offen standen und bisweilen in einem offensiven Chaos. In der ersten Halbzeit wurden die Franzosen von starken Bosniern übermannt.

Wie Bosnien das französische Pressing konterte

Das System der Bosnier half ihnen nicht nur bei der Sicherheit in der Defensive, sondern auch im Offensivspiel. Durch das weite Aufrücken Mudjzas erzeugte man hinten eine sichere Dreierkette, welche die Franzosen nur schwer unter Druck setzen konnten. Vorne durfte Mudjza auf Außen unterstützen und nervte vor allem Malouda gehörig. Mit Pjanic und Misimovic sowie dem spielerisch nicht zu unterschätzenden Rahimic hatte man im Zentrum genug Spielstärke, welche bei Bedarf durch Medunjanin aufgestockt werden konnte. Jener ließ sich ansonsten als weitere Hilfe auf die linke Seite in die Nähe von Papac fallen, oder auch weiter vorne, wo er im Duett mit Lulic die Franzosen über diese Seite attackieren konnte. Der Raum zwischen Réveillère und Cabaye konnte von den Franzosen nicht entscheidend gesichert werden, so dass vor allem der offensive Lazio-Legionär hier Platz fand – wie auch Dzeko bei seinem Treffer.

Bosnien fand mit ihrem flexiblen und asymmetrischen 4-2-3-1/3-3-3-1 die richtigen Lösungen und Wege, um Ballverluste im Aufbau zu minimieren, sowie Räume für Torchancen.

Zweite Halbzeit

Auch nach dem Wechsel konnte der Gastgeber das Spiel nicht entscheidend zu seinen Gunsten wenden. Bosnien überzeugte unverändert mit gutem Pressing – wenn auch nicht mehr ganz so intensiv – und defensiver Kompaktheit.

Erst die Einwechslungen von Gameiro und Martin nach etwas mehr als einer Stunde brachten wieder etwas neuen Schwung. Mit einem offensiven und flexiblen 4-3-3 bekamen die Franzosen die Zügel etwas mehr in ihre Hände. Gameiro sorgte vorne für eine Anspielstation und einen Verwerter, zudem kam man nun wesentlich effektiver über die Flügel. Remy hielt weitestgehend seine Postion auf rechts, doch Nasri und Menez wechselten gut zwischen linker Seite und zentralerer Stellung. Vor allem Menez brachte nun mehr Zug zum Tor aus der Tiefe, wenn auch seine Dribblings zwar sinnvoll, aber ein wenig zu häufig waren.

Die französische Energieleistung produzierte nun auch einige Torchancen, doch Bosnien tat gut daran, mit ihrer hohen Abwehr die Räume zu verdichten und den Gegner vom Tor wegzuhalten, was auch weiterhin recht effektiv funktionierte. Wie eng es war, verdeutlicht die Tatsache, dass häufig alle Feldspieler in der bosnischen Hälfte waren, aber jene dennoch mit ihrer hintersten Kette etwa 30 Meter vor dem Tor standen.

Nachdem die Franzosen bei einigen Kontern ihrer Herausforderer Glück gehabt hatten, gelang ihnen nach 78 Minuten durch einen Elfmeter der Ausgleich. Ausgerechnet ein Ball hinter die Abwehrreihe war der Ausgangspunkt und brach den Bosniern das Genick. Sie erholten sich nicht mehr. Stattdessen drängten die Hausherren für eine kurze Zeit mit dem Momentum auf ihrer Seite sogar auf die Führung.

Fazit

Die erste Halbzeit war einseitig – Frankreich fand gegen die defensivstarken Bosnier keine Mittel. Diese attackierten aggressiv, schalteten gut um und hielten den Gegner vor allem vom eigenen Tor fern. Frankreich steigerte sich in der zweiten Halbzeit und zeigte dann eine gute Leistung, da man fairerweise einige Chancen gegen die guten Bosnier erspielte und die Fluidität auch besser einsetzte.

Wenn man voraus blickt, scheint Frankreich ein solides Team für die Europameisterschaft – wobei man deutlich noch in einer Entwicklung steht – und Bosnien gute Chancen auf ein Ticket zu haben.

Incubo 14. Oktober 2011 um 23:26

Vielen Dank…wieder sehr interessante Aspekte.

Meine Einschätzung/Meinung zum Fazit mit Vorausblick auf die EM mit Frankreich und evtl. Bosnien H.:

Frankreich scheint solide, ja, wirkt aber weder:
1. Defensiv so kompakt (wie die Niederlande, oder früher Italien, oder Griechenland) noch
2. So spielstark und kombinationstark wie Spanien oder Deutschland

Ich möchte nicht sagen weder Fisch noch Fleisch, aber zum Fürchten finde ich Frankreich jetzt gerade nicht. Frankreich wird wohl im Topf 3 sein, Bosnien H. (sollten sie sich in der Ausscheidung durchsetzen) in Topf 3 oder 4. Ich finde die Bosnier viel gefährlicher, auch für die Spielweise der Deutschen…
Bosnien wäre weder in der Vorrunde, noch im Viertelfinale ein Wunschgegner, Frankreich dagegen schon.

Wie seht Ihr das?

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piedra.montana 13. Oktober 2011 um 16:27

Bezüglich der Elfmeter-Szene:

Sie sah komisch und schwer zu entscheiden aus, da vorher bereits sehr viel von Spahic und Nasri geklammert wurde…doch das eigentliche Foul (das Hochreißen des Fußes in Nasris Schritt) fand auf der Sechzehner-Linie statt und somit ein verdienter Elfmeter…

Der Auftritt Medunjanins hat mich in einer starken bosnischen Auswahl am meisten beeindruckt…. wenn dieser nicht so ein schwieriger Charakter wäre, könnte er in ähnliche Sphären wie seine Nationalmannschaftskollegen Misimovic und Pjanic aufbrechen….

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blah 12. Oktober 2011 um 18:22

Ich würd mal gerne in die Runde fragen, wie ihr die Elfmetersituation bewertet. Ich fand eigentlich, dass das Foul klar außerhalb des Strafraums stattfand und es deshalb Freistoß hätte geben müssen. Seht ihr das genauso?

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Daniel 12. Oktober 2011 um 13:46

Ich habe eine Frage zu den Worten „fluid“ bzw. „Fluidität“: Ihr benutzt beide Begriffe auffällig oft in euren Analysen, was genau meint ihr damit, wie definiert ihr die Begriffe genau? Könnte man es umschreiben mit „Flexibilität“, „viel Bewegung“ und „flüßiges Angriffsspiel“? Welche Eigenschaften muss ein Team genau haben bzw. zeigen dass man ihr Spiel als „fluid“ bezeichnen kann?

Vielen Dank schon vorab für die Antwort!

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Tiger Gerland 12. Oktober 2011 um 17:39

würd mich auch mal interessieren was des genau bedeudet thx

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TR 12. Oktober 2011 um 18:05

Ja, Bewegung, Flexibilität, flüssiges Angriffsspiel und Rochieren treffen es ganz gut. Es kommt allerdings immer auch auf das „Bezugssystem“ an, aber dazu wird es bald irgendwann noch einen Extra-Artikel geben.

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Santon39 12. Oktober 2011 um 13:35

Wieder einmal eine sehr gelungene Analyse.

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