Bayern beeindruckt

4:2

Mit enormer Intensität legen Hansi Flicks Mannen phasenweise einen wahnsinnig druckvollen Auftritt hin. Dem tiefen 5-4-1 der Borussen geht kurz vor Schluss die Luft aus.

Mit einer letztlich enorm starken Leistung im Topspiel, speziell nach der Halbzeit, setzen sich die Bayern gegen den BVB durch und behaupten vorerst die Tabellenspitze. Die hohe Qualität in der Ausführung der eigenen Abläufe war dafür der entscheidende Schlüssel beim Team von Hansi Flick.

Dortmund macht die Hausaufgaben

Die Dortmunder machten im Grunde genommen vieles von dem, was sie machen mussten: Sie nutzten ihre ersten Torchancen gut aus, als sich diese boten. Sie setzten auf Breitenabdeckung in einer Fünferkette und verteidigten diszipliniert. Dies galt etwa weitgehend für das Doppeln der offensiven Außenspieler, auch wenn beide durch frühes Aufrücken mitunter zu schnell und flach in tiefe Positionen gedrängt wurden.

Wenn sie eng und die Flügelverteidiger breit standen, war ein Vorteil für den BVB das mögliche Belauern von flachen Verlagerungen. Die Münchener hatten in ihren Entscheidungen bei Ballbesitz teilweise überambitionierte Momente, in denen sie zu sehr Positionen weiträumig aus der Zirkulation heraus zu überspielen versuchte. Das erleichterte den Dortmunder Flügelverteidigern das ballferne Vorrücken.

Zudem variierte die Borussia den eigenen Ansatz: Zu Beginn gab es ein hohes Pressing mit asymmetrischen Staffelungen der Stürmer, wenngleich dies letztlich recht früh ad acta gelegt wurde. Zwischendurch stellte Edin Terzic von 5-2-3/5-4-1 auf 4-5-1 um. Er zog dafür Can ins Mittelfeld, der passenderweise zwischen Dahoud und Delaney mittig nach vorne durchschieben durfte und dort Deckungsschatten werfen sollte. Zumindest im ersten Teil der zweiten Halbzeit attackierte Dortmund gelegentlich wieder höher. Teilweise lief statt des offensiven Außen der Flügelverteidiger mit an und im Zentrum schoben die Borussen einige Male geschickt diagonal nach.

Kleine Unsauberkeiten und große strategische Defensivorientierung

So gut wie in diesem Fall funktionierte die Ausführung jedoch nicht in sämtlichen Spielmomenten. Bei der tieferen Flügelverteidigung schloss Delaney ballfern mehrmals nicht kompakt und auch nicht gestaffelt genug an Dahoud an, zumal wenn dieser ohnehin breiter herausrücken musste. Auf Mittelfeldhöhe machte das Timing im Verschieben nach außen Probleme.

Die zweite Linie neigte dazu, sich frühzeitig einige Meter zu weit fallen zu lassen bzw. dann, wenn diese gerade nicht zum Verhalten von Haaland passte. Beim Herausrücken auf den gegnerischen Außenverteidiger zur potentiellen Zugriffsvorbereitung drohten sie folglich zu spät zu kommen. Das Tempo bzw. die Variation des Tempos im Anlaufen passten nicht bei allen Spielern optimal. Kurz gesagt: In Folge dieser Faktoren agierten beim Attackieren auf den Ballführenden die beteiligten Spieler nicht immer einheitlich und das Kollektiv dementsprechend nicht in vollster Geschlossenheit.

Solche Nachlässigkeiten gaben den Bayern zwischendurch Möglichkeiten, sich einfach von den Außenverteidigerpositionen zurück auf die Sechser zu lösen. Daraus ergab sich am ehesten ein langfristiger Effekt auf den zunehmenden Druckaufbau nach der Halbzeit. Dieses Phänomen stellte sich auf Dauer zwangsläufig zunächst einmal deshalb ein, weil Dortmund sich bereits vor der Pause immer mehr auf das tiefe Verteidigen stützte.

Die Unsauberkeiten betrafen vor allem Situationen, in denen man erwarten konnte, dass für den BVB Druckerzeugung möglich werden würde. Stattdessen sprang in solchen Fällen zumeist ein ähnliches Resultat heraus, als wenn Dortmund durchgehend bloß die Positionen gehalten hätte: weiterhin Münchener Ballbesitz. Für die unmittelbare Stabilität in der konkreten Situation wirkten sich solche Unsauberkeiten aber kaum nachteilig aus.

Bayern steigert sich hinein

In erster Linie hatte Dortmund also einen ordentlichen Plan mit verschiedenen Variationen. In zweiter Linie gestaltete sich die Umsetzung nicht optimal, die Unsauberkeiten hielten sich im Rahmen, und so stand im Ergebnis solides Niveau. Dazu kam nur die strategisch mitunter extrem defensive Ausrichtung: Das flache 5-4-1 bot wenig Entlastung, letztlich zu wenig. Die Borussia konnte sich den Münchenern entgegenstemmen, aber sie hätte eine außergewöhnliche Leistung erreichen müssen, um dem Gegner nachhaltig bremsen zu können.

Nachdem die Mannen von Hansi Flick in der Phase zwischen 0:2 und 1:2 mitunter unruhig agierten, wurden sie im Laufe der Spielzeit in den gruppen- und mannschaftstaktischen Abläufen immer stärker. Es war eine Begegnung, in der man diese Entwicklung graduell sehr deutlich sichtbar nachverfolgen und nachvollziehen konnte. Der Tabellenführer steigerte sich von Einzelaktion zu Einzelaktion und mit jedem gelungenen Zugriffsmoment in eine immer stärker werdende Intensität förmlich hinein.

Am Ende entwickelten sich punktuell Szenen mit absurder Lösungsfindung. Nach dynamischen Abprallern oder Umschaltaktionen behaupteten Davies oder Goretzka einige Male herausragend den Ball in unangenehmen, chaotischen Konstellationen. Kimmich und Co. im bewegten sich im Zentrum nach der Pause geschickt und staffelten sich gruppentaktisch äußerst balanciert für Gegenpressing und Abprallersituationen.

Lewandowski-Präsenz und Bewegungen ohne Ball

Die Grundlage dafür war stets eine gute Organisation bei den Münchenern: Ein asymmetrischer Dreieraufbau mit Süle in flacher Position wurde schnell seltener. Die Außenverteidiger fokussierten sich auf frühes Aufrücken, um Hazard und Reus nach hinten zu drücken. Mitte der ersten Halbzeit kippte Kimmich vermehrt nach halblinks heraus, während Goretzka zentral blieb. Die diagonale Position zwang Dortmunds Sechser, mehr Wege nach außen zu machen.

Die verstärkten Rochaden zwischen Müller und den Flügelstürmern machten sich dagegen weniger bemerkbar, hauptsächlich indirekt. Sie sorgten für einige asymmetrische Staffelungen, nach denen es den Spielern gelegentlich leichter fiel, sich mal einen Ball im Halbraum neben den Dortmunder Sechsern abzuholen, wenn diese zunächst weit auf eine Seite geschoben hatten. Beim BVB reagierten die ballfernen Akteure darauf mitunter geschickt, indem einer von ihnen überraschend herausrückte.

Vor allem fiel auf Seiten der Münchener Lewandowski nach etwa 20-25 Minuten wesentlich häufiger und früher zurück. Er band sich präsenter ein und besetzte potentielle Lücken hinter den gegnerischen Sechser. Auch für halbhohe Verlagerungen oder Chip-Bälle in den (ballfernen) Halbraum diente er wegen seiner Technik als Zielspieler. Wenn er stärker im Übergang eingebunden war, intensivierte Müller dafür Wege innerhalb der vordersten Linie oder zur Seite.

Zudem versuchten die Bayern, die gegnerischen Halbverteidiger in solchen Szenen zu binden. Angetäuschte Diagonalsprints der Flügelstürmer – entweder tief oder vom Halbraum schräg zurück nach außen – waren ein Mittel dafür. Diese Läufe riefen sie einige Male mit sauberem Timing ab, in jenen Fällen eben möglichst zeitgleich mit Lewandowskis Auftaktbewegung.

(Konstruktiver) Dauerdruck führt zum späten Sieg

Mit der Zeit positionierten sich die Münchener Sechser wieder mittiger. Spätestens in der zweiten Halbzeit überwog im Zentrum vermehrt eine 1-1-Rollenverteilung zwischen einem absichernden und einem offensiv nachrückenden Akteur – in wechselnden Aufteilungen. Gerade als die vertikalen Abstände bei den Borussen zwischen erster und zweiter Linie zunahmen, besetzten die Münchener genau diese Bereiche im Rücken des Mittelstürmers gut. Über die Außenverteidigerpositionen kamen sie mit Querpässen zum Zuge.

Ähnliche Passwege stellten letztlich auch für die Münchener Aktionen in unmittelbarer Strafraumnähe eine der vielversprechendsten Routen dar. Wenn sie sich vorne festgesetzt hatten, versuchte sie im Laufe der Partie immer häufiger, aggressiv an der Kette entlang zu spielen. Dort bewegte sich Lewandowski geschickt und konnte einige Bälle auf nachrückende Kollegen ablegen. Vor allem Müller und der nachrückende Sechser in bekannter Manier waren aktiv, um zu unterstützen.

Die Bayern rannten unnachgiebig an und generierten diese Situationen in hoher Quantität, ehe schließlich eine von ihnen spät und mit etwas Glück beim Abschluss noch zum 3:2 führte. Der Dauerdruck auf das Abwehrpressing war irgendwann zu groß geworden. Um den tieferen Sechser herum schlossen die Innenverteidiger sehr konsequent und flexibel an. Einige Male beteiligte sich Alaba sehr wertvoll am Münchener Gegenpressing, das dem BVB Konter und/oder Entlastung gegen jenen Dauerdruck erheblich erschwerte.

Bis zum 3:2 hatte die Dortmunder Strafraumverteidigung viele ähnliche Angriffe mit guten individuellen Blocks entschärfen können. Dazwischen gab es aber einzelne „Aussetzerszenen“ wie etwa beim 1:2, als die letzte Reihe unerklärlich tief fast bis an den eigenen Fünfmeterraum zurückwich und auch Schulz als ballnächster Gegenspieler – trotz vieler Kollegen zur potentiellen Absicherung hinter ihm – gegen Sané sogar noch Schritte zurück machte.

Bayerns Intensität

Manchmal wirkte es kurios, wie die enorme Eigendynamik des zweiten Durchgangs den Bayern ihre schwächeren Szenen zu überspielen erlaubte. Wenn die Offensivakteure zu frühzeitig aufrückten, konnten die Außenverteidiger am Flügel gelegentlich in isolierte Situationen geraten. Beispielsweise hatte der BVB auf der eigenen rechten Seite über die geschickte Unterstützung Dahouds und zumal nach der Einwechslung von Brandt durch konsequentes Nachschieben einige klare Überzahlen gegen Davies.

Über brutale Intensität in der Aktionsausführung bekamen die Gastgeber solche zugeschobenen Szenen aber gruppentaktisch in 2gegen3- oder sogar individuell in 1gegen3-Konstellationen mehrmals noch gelöst. Ansonsten beeindruckte in manchen Phasen des zweiten Durchgangs die enorme Präzision in der Zwischenraumbesetzung der Bayern. Diese funktionierte im Detail mitunter äußerst sauber und wirkte sich entsprechend auf die Passwinkel aus. So konnten die Münchener Spieler teilweise selbst durch kleinste Schnittstellen noch Zuspiele hindurch bringen.

Fazit

Die Bayern steigerten sich nach misslungenem Start zügig und deutlich. Auf die disziplinierte Defensivausrichtung der Borussen bauten sie enormen Druck auf. Weite Teile der Begegnung dürften von der Intensität und der Umsetzung bestimmter Abläufe her zu den beeindruckendsten Auftritten der erfolgreichen Zeit unter Hansi Flick zählen.

Abseits des offensiven Bewegungsspiels agierten die Münchener auch im Pressing nach der Pause enorm wuchtig. Bereits in Halbzeit eins hatte es gute Ansätze und Abläufe gegeben: Asymmetrisches Anlaufen mit drei Mann gegen die Dreierkette, vermehrte und etwas tiefere 4-4-2-Staffelungen zur Zeit der Dortmunder Formationsumstellung.

Später stach schließlich die Umsetzung besonders heraus, im Vergleich zu den Phasen vor der Pause. Schließlich gehörte zum ersten Durchgang auch die Anfangsphase, als das Balancieren der vertikalen Abstände mitunter ein ähnlicher Drahtseilakt war wie in den Vorwochen und der BVB die potentielle Verwundbarkeit offenlegen konnte. Sowohl die reine Aggressivität als auch das Timing, etwa bei der Umsetzung simpler Nachschiebebewegungen der Zentrumsspieler im Pressing auf den gegnerischen Außenverteidiger, beeindruckten schließlich.

rb 9. März 2021 um 11:04

Ich habe nur die zweite Halbzeit gesehen, war aber zunächst von der vorwärtsgerichteten Dortmunder Verteidigung sehr angetan. Davon war im Laufe der zweiten Halbzeit dann immer weniger zu sehen.
War die Auswechslung von Haaland der Knackpunkt? – Ich hatte den Eindruck, dass die Bayern anschließend keinen Gegenstoß mehr fürchteten, noch weiter aufschoben und damit dieser Dauerdruck erst möglich machten.

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osch@d 9. März 2021 um 14:57

De facto hat Bayern zu gut gegengepresst bzw. Dortmund zu schlecht sich befreit in der zweiten Halbzeit. Viele Bälle wurden um die Mittellinie schon verloren von Dortmund. So kannst du dann ja auch nicht mehr aufrücken.

Wenn man sich das dynamisch anguckt, dann geht es ja darum als Block hochstehen zu können und sich in der Verteidigung dann langsam als Block nur zurücksinken zu lassen. Je langsamer als Gesamtmannschaft, desto besser. Wenn du nicht mehr gut eröffnest und dich ins letzte Drittel vorspielst, dann sinkst du immer tiefer als Block und irgendwann ist der Tank leer durch’s Hinterherlaufen.

Die Qualität muss man aber erstmal Bayern wiederherum zusprechen, dass sie sehr gut pressen und sehr gut gegenpressen. Aus der Dortmunder Brille geschaut sieht man einfach einen Ballverlust nach dem nächsten. Das war offensiv dann ja gar nix mehr ab Minute 65.

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WVQ 9. März 2021 um 16:32

Ich denke, diese „Vorwärtsorientierung“ der Dortmunder Verteidigung war in beiden Halbzeiten nur anfangs und kurz und danach immer seltener und erfolgloser zu sehen, weil Terzic es zwar in der Kabine jeweils als Motivation ausgegeben haben dürfte, durch Intensität und höheres Positionieren für Entlastung zu sorgen, da man mit Busparken und langen Bällen gegen Bayern einfach keine 90 Minuten bestehen kann; aber Dortmund hat – insbesondere, wenn sie wie hier (und wie zuvor ähnlich unter Favre) gegen einen starken Gegner aus einer tiefen, flachen Grundordnung heraus agieren – schlicht weiterhin keine echten kollektivtaktischen Pressing-Mechanismen für hohe Zonen. Oft sieht man Haaland – wie TR es oben anspricht – mit großem Abstand vor dem Mittelfeld spontan gegnerische Spieler an- und ins Leere laufen oder gar gleich wieder abbrechen, weil er merkt, daß der unter „Druck“ gesetzt Spieler stets zwei bis vier einfache Anspielstationen hat. Und selbiges, wenn ein Mittelfeldspieler mal Pressinglaune bekommt (meistens am ehesten Reus) – der Rest verbleibt in tiefer Staffelung oder rückt mehr oder weniger nach spontanem Gutdünken nach, so daß entweder vorne kein echter Druck auf den Gegner entsteht oder hinten Löcher in der Formation aufgehen. Man ist da schlichtweg vorne komplett unsystematisch, betreibt entsprechend mit solchen Versuchen sehr hohen Aufwand mit sehr wenig Ertrag und kann es also auch nicht lange durchhalten, weil der Gegner dadurch effektiv kaum am Spielvortrag gehindert wird und der Druck hinten schnell zu groß wird, als daß man sich vorne noch mit mehr als zwei Mann irgendwo draufzugehen trauen könnte.

Und was es noch schwieriger macht, selbst Druck zu erzeugen bzw. gar mal für eine Weile aufrechtzuerhalten, ist die Tatsache, daß man ebenso weiterhin auch kaum über Spielaufbau-Mechanismen verfügt, wenn man in tiefer Stellung einmal an den Ball kommt und aber keinen klassischen Tempo-Konter bei hochstehendem Gegner fahren kann. Das 1:0 fällt in der zweiten Spielminute zwar aus (sogar recht hohem) Dortmunder Ballbesitz heraus, aber schon hier spielt Hummels als letzter Mann (!) eine Verlagerung auf einen ziemlich isolierten Meunier rechtsaußen, der dann unter Druck auch nichts weiter als eine Bogenlampe ins offensive Zentrum zustandebringt, wo der Ball zweimal von einem Bayern-Spieler beim Klärungsversuch nicht richtig getroffen wird, dann von Delaneys Fuß mehr oder minder zufällig Haaland vor die Füße fällt, der wiederum von Boateng seltsam viel Freiraum bekommt, abzieht und mit Glück (da abgefälscht) trifft. Und das war dann noch so ziemlich die geordnetste Dortmunder Offensiv- und (Hoch-)Pressingszene im ganzen Spiel.

Letztlich ist es doch am bezeichnendsten, daß Dortmund nach einem derart guten und glücklichen Start in die Partie und anschließend erst mal nervösen und eher ungefährlichen Bayern nicht das macht, was man bei einem 0:0 und stabilen Bayern nie hätte riskieren können, nämlich weiter (mit und ohne Ball) Druck zu machen und Bayern solange es geht beschäftigt zu halten, um dann vielleicht ab der 70. oder 80. Minute den Vorsprung mit Maus und Mann zu verteidigen. Stattdessen versucht man das ab der 20. Minute. Und man hätte auch gar nicht anders gekonnt, weil die Spieler seit langem nicht mehr wissen, wie man es anders macht, wenn der Gegner dem nicht selbst in die Karten spielt. Das war für mich ohnehin die entscheidende Lehre aus dem Spiel (und aber ehrlich gesagt längst nicht erst aus diesem Spiel): zunehmend hochklassige Reaktion der Bayern, aber abgesehen von einer überwiegend (!) gerade hinreichenden (!) Disziplin im Verteidigen des eigenen Strafraums (!) verfügt Dortmund aktuell über gar keine Mittel, selbst bei derart glücklichen frühen Spielverläufen selbst das Zepter in die Hand zu nehmen (was man ja bekanntlich nicht nur durch eigene Dominanz, sondern auch durch konstante Nadelstiche und generelles Stressen des Gegners tun kann, so wie man das in Dortmund lange Jahre teils herausragend zu tun vermochte).

Und ja, hat man statt Tigges (der in der ersten Dortmunder Mannschaft bei allem Respekt höchstens Ersatzstürmer für einen Ersatzstürmer sein dürfte) 90 Minuten lang Haaland auf dem Feld, ist die Chance natürlich höher, irgendwie sogar noch glücklich zu einem dritten Tor zu kommen. Aber es ist auch nicht so, daß ein komplett isolierter Haaland vorne viel ausrichten könnte, solange die Bayerische Restverteidigung (zu der im übrigen ja auch immer noch Neuer zählt) gut steht und spätestens ab der 60. Minute kein anderer Dortmunder mehr sinnvoll nachrückt, um vielleicht noch einen (immer noch relativ aussichtslosen) 2-gegen-3-Konter zu fahren. Insofern war mein Eindruck des Spiels auch nicht der von zwei annähernd ebenbürtigen Gegnern, sondern der von weiterhin haushoch überlegenen Bayern und von Dortmunden, die nur deswegen nicht komplett chancenlos waren, weil ihnen sehr früh und sehr schmeichelhaft zwei Tore gelangen, nach denen aber letztlich trotzdem schnell klar wurde, daß es im weiteren Verlauf nur um die Frage geht, wann Bayern noch wie viele Tore schießt.

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osch@d 9. März 2021 um 17:27

Das Bayern-Offensivspiel war schon um die Mittellinie herum recht einsam, die Spieler hatten viel Raum und Zeit sich den Gegner zurechtzulegen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es besonders schwer war für Bayern ins letzte Drittel zu kommen. Ab da standen viele Dortmunder eng gestaffelt und in sofern war es auch schwer für Bayern durchzukommen – aber der Trainer hatte in der PK vorher gesagt, dass das Ziel wäre sie gar nicht ins letzte Drittel kommen zu lassen. Da schienen die Mittel zu fehlen für diesen Plan, was ja letztlich kollektives Pressen bedeutet.

Damit kann man finde ich aber leben, wenn im nächsten Schritt es möglich ist Ballbesitzphasen auch noch nach Minute 60 zu generieren und zwischendurch Konter laufen. Ersteres für die Entlastung defensiv und zweiteres, um nochmal hochzustellen und das Aufrücken der letzten Linie von Bayern in deren Offensivspiel zu verlangsamen.

Ich habe das Muster jetzt oft genug gegen Bayern gesehen: Dortmund hat Einwurf in der eigenen Hälfte und wird von Bayern so gepresst, dass sie es einfach nicht mehr schaffen rauszukombinieren und zwar praktisch in jeder Spielphase.

Klar presst derjenige gut, aber offenbar kann man ja auch andersherum sagen, dass der BVB dann offenbar nicht die Mittel im Kollektiv hat 2 bis 3 schnelle und präzise Pässe erfolgsstabil zu spielen, um aus dem Pressing auszubrechen um wieder in einen geordneten Angriffsvortrag zu kommen.

Ich bin immer etwas zu blöd zu sehen, wie die Gruppe sich verhält als Ganzes, zumindest aus den TV-Bildern. Kann mir das jemand erklären, warum das Bayern kann, der BVB aber nicht?

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AG 10. März 2021 um 12:36

Nach dem Sevilla-Spiel würde ich schon sagen, dass das sehr tiefe Verteidigen eine Trainervorgabe zu sein scheint. Da standen teilweise 10 Spieler im eigenen Strafraum! Hier bei SV gab es ja schon früh den Hinweis, das Verteidigen im 4-5-1 schlecht für den Zugriff ist. Und wieder haben sie zwei Gegentore kassiert. Ich verstehe jedenfalls nicht, was die Leute an Terzic besser als Favre finden: die Ergebnisse sind eher schlechter, das Spiel tendenziell auch, die xG-Werte definitiv. Das ist aber alles ja nur für begrenzte Zeit: ich freue mich auf Rose und bin gespannt, wie das Team unter ihm auftritt. Der BVB hat ja dermaßen tolle Angreifer, das könnte richtig gut werden.

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osch@d 10. März 2021 um 14:28

Favre verabschiedete sich mit 23:15 Toren nach 11 Spieltagen. Terzic stellte das in 13 Spieltagen höher um 27:20. Damit wäre Favre bei 8 mehr geschossenen (0.72 pro Spiel) als bekommenen, Terzic bei 7 mehr geschossenen als bekommenen (0.53 pro Spiel).

Bei den Punkten war es so:
Favre in 11 Spielen 19 Punkte, Terzic in 13 Spielen 20 Punkte.

Man sieht also den klaren Aufwärtstrend und daher ist Reus auch total zufrieden, dass man die Handschrift des Trainers jetzt erkennt.

Im besten Fall kann man von einem Stillstand sprechen.

PS: vielleicht verrechnet, also gerne Korrektur

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Koom 10. März 2021 um 15:41

Es erscheint teilweise so, dass man zumindest eine andere Herangehensweise nun anstrebt. Höheres, agressiveres Pressing, mehr Anlaufen – hingegen Favres sehr passive Spielweise, wenig Agressivität, tieferes Stehen. Das Umzustellen erfordert Zeit. Wobei „überragende“ Trainer da auch in kurzer Zeit mehr hinbekommen. Aber das wird gerade das Problem sein: Man hat jetzt einige Jahre „Favre-Fußball“ im Blut (und ich sage das wertungsfrei), dass jetzt auf Gegenpressing-Lauf-Fußball umzustellen ist da schon ein ziemlicher Sprung. Und wenn der Trainer da jetzt kein Welttalent ist, dann wird das holprig.

Es wird abzuwarten sein, wie das mit Rose läuft. Der durchwandert jetzt gerade auch die erste große Krise in seiner Trainerkarriere – da kann er auch eine Menge draus mitnehmen und lernen – wenn man ihn lässt.

osch@d 11. März 2021 um 13:47

@Koom: der Punkt, dass es ggfs. Glück mit dem Spielermaterial oder ein besonders talentierter Trainer so eine Änderung nur hinbekommt in nützlicher Frist, hat was. Bei Bayern war man ja vielleicht noch ein bissl geprägt von Heynkes, Kovac war ja nicht einmal 1,5 Jahre bei Bayern.

Das ist für einen Trainer ja ggfs. dann noch leichter auf diese alten Muster zurückzugreifen.

WVQ 10. März 2021 um 16:14

Terzics Arbeit zu beurteilen, ist natürlich schwierig, da er seit Amtsübernahme praktisch null Gelegenheit hatte, ernsthaft neue Spielmuster zu trainieren. Alles andere als ein Beibehalten der Favreschen Grundlagen plus Optimierung wo eben möglich wäre in dieser Phase einer Corona-Saison (und bei der tabellarischen Ausgangslage) vermutlich sportlicher Selbstmord, weil es null Spielraum für Lernphasen und Fehler gibt. Insofern kann man Terzic schlecht vorwerfen, daß alles im wesentlichen weiter wie bei Favre aussieht, zumal die Vorgabe von oben auch nicht gelautet haben dürfte „Krempel hier mal den Laden um“. Andererseits hat ein Flick seinerzeit in München in einer gar nicht so unähnlichen Situation eine ebenso auf Defensive und Risikovermeidung eingeschleifte Mannschaft in kürzester Zeit zu einem Pressingmonster mit hochvariablem Angriffsspiel umgeformt, und derartiges ist in Dortmund nun nicht mal im Ansatz zu erkennen, obwohl es zweifellos letztlich genau der Anspruch des Vereins (und laut eigener Aussage auch des Trainers) ist.

Den Hauptunterschied von Favre zu Terzic sehe ich in einer generell höheren und konstanteren Intensität, die gut und gerne einfach daher rühren mag, daß die Mannschaft mit Terzic persönlich besser klarkommt und man sich folglich (in Sachfragen wie auch emotioinal) besser versteht. Und in den Spielen auffällig ist natürlich das (bei Favre fast komplett fehlende) In-game-coaching, das sicher dem ein oder anderen Spieler sehr zugutekommt und auch der Mannschaft insgesamt – den unter Favre so oft zu beobachtenden Kollaps in schwierigen Spielen sehe ich nun nicht mehr und überhaupt auch nicht mehr die teils extremen Schwankungen von Spiel zu Spiel, die man unter Favre durchgehend hatte. Aber daß der grundsätzliche Plan irgendwo (Spielaufbau, Angriffsmuster, Pressing, Formation, Spielerauswahl…) merklich verbessert worden wäre, kann ich auch nicht erkennen.

An den Ergebnissen oder sonstigen Statistiken würde ich jetzt nicht viel festmachen. Der BVB hat unter Favre phasenweise massiv überperformt, nicht selten schlichtweg durch Glück, welches dann irgendwann halt doch mal aufgebracht war und zack, mußte auch schon ein neuer Trainer her. Von der Spielanlage her wäre Dortmund schon gleich in der ersten Favre-Saison für eine ausgedehnte Negativserie gut gewesen – und die kam ja sogar auch, nur halt erst, nachdem man in der ersten Saisonhälfte wirklich jedes Quentchen Glück abgesahnt hatte, das in der Bundesliga irgendwo zu haben war, und dann sah man es in der Tabelle eben nicht so sehr und es hat keinen arg gejuckt, weil es ja „keine Schande ist, hinter den Bayern Zweiter zu werden“. Am Ende stand man mit Favre zuletzt wahrscheinlich unter einem erheblichen medialen Druck (nicht zu unterschätzen, siehe Rose und Gladbach derzeit…) und hat gemerkt, daß die Stimmung in der Mannschaft nicht mehr zu retten war; und der Versuch, beides mit Terzic zu korrigieren, ist ja offenkundig gelungen. Mehr wird man sich in der Führungsetage von dem Trainerwechsel sowieso kaum erhofft haben (mal vorausgesetzt, daß man das mit der Champions-League-Qualifikation nun noch hinbiegt, aber da bin ich nun nicht arg pessimistisch, wenn man sich die direkte Konkurrenz anschaut).

@osch@d
Auf die Frage nach dem „Warum?“ würde ich mal blöd antworten: Was man auf dem Platz nicht sieht, wird offenkundig nicht trainiert. Bei Bayern hat man seit eineinhalb Jahren einen Trainer, dessen allererste Maßnahme die Wiedereinführung von aggressivem Angriffspressing war; bei Dortmund blickt man auf fast drei Jahre Favre zurück, der Aggressivität und Risiko in etwa mit „Da verlieren wir doch eh“ gleichgesetzt hat. Mal schnell angelaufen wurde, wenn es sich zufällig so ergab, nicht weil man selbst derartige Situationen herstellen wollte. Geplant war bei Favre immer, den Ball zu haben und sich den Gegner durch gemütliche Zirkulation und Respekt vor den eigenen Angreifern fernzuhalten, bis man irgendwie nahezu am gegnerischen Tor war, um es über die hohe individuelle Qualität der Besagten lösen zu können. Wenn das nicht ging, weil der Gegner personell blöderweise auch gut war, war Plan B, tief zu verteidigen und auf Kontermöglichkeiten zu hoffen. D.h. es wurden weder hohes Pressing in irgendeinem kollektivtaktischen Sinn noch Pressingresistenz und „riskanter“ Spielaufbau trainiert. Also gibt es auf dem Platz auch keine entsprechenden kollektiven Bewegungsmuster. Genau das, was Du ansprichst, war ja seit Stunde 0 unter Favre Dortmunds Achillesferse: Wenn der Gegner nicht mal mehr das tiefe Verteidigen bzw. ambitionslose Zirkulieren zuläßt, sondern schon da brutal draufgeht. Favres „Lösung“ dafür war nicht, spielerische Mittel einzutrainieren, sondern die Situation von vornherein zu vermeiden, und wenn es dann doch passierte, war es halt bereits ein Scheitern des Plans und irgendwie individuell und spontan zu lösen. Und so ist es jetzt natürlich immer noch.

Warte ab, was Rose mit denselben Spielern nächste Saison bei eigenen Einwürfen, die vom Gegner gepreßt werden, spielen lassen wird – ist jetzt schon klar, weil man in Gladbach sieht, daß er da kategorisch die spielerische Lösung will und im Zweifel lieber einen empfindlichen Ballverlust als einen verzweifelten langen Schlag in Kauf nimmt. Nicht daß ich Rose für Dortmunds nächsten Heiland halte, ich bin da tatsächlich eher skeptisch, aber es wird definitiv ein paar dicke Paradigmen-Wechsel geben, wie eben bspw. den von „bloß nix verrücktes machen“ zu „WIR wollen das Spiel spielen, auch wenn’s manchmal schief geht“. Ob das dann im Ergebnis gleich viel besser ist, wird sich zeigen und hängt auch immer von einer Vielzahl von teils zufälligen Faktoren ab, aber die Frage, warum Bayern das Angriffspressing und den Spielaufbau unter Druck um zwei Klassen besser kann als Dortmund, wird sich dann sicherlich so nicht mehr stellen, einfach weil das etwas sein wird, woran man tagein, tagaus arbeiten wird.

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osch@d 11. März 2021 um 13:44

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort.

Uncle Jack 12. März 2021 um 02:29

Auch von mir ganz herzlichen Dank für die beiden langen Beiträge von WVQ. Fundiert und (trotzdem) nachvollziehbar. Bitte mehr davon!


Joakina 8. März 2021 um 02:00

Danke für den TEXT!

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