Hoffe siegt im Geißbockheim

0:3

Das ist zwar geographisch ähnlich falsch wie zu sagen, jemand gewänne ein Spiel in Hoffenheim. Aber das Aufeinandertreffen der beiden gegensätzlichen Europapokal-Teilnehmer gestaltete sich dennoch richtungsweisend.


Grundformationen Köln versus Hoffenheim

Grundformationen (nach Positionstausch Osako-Zoller)

Beim 1. FC Köln war nach dem furiosen 5:2-Sieg gegen BATE Borissow trotz lediglich zwei erspielten Bundesliga-Punkten so etwas wie Euphorie vernehmbar. Anders die Lage bei der TSG 1899 Hoffenheim, die nach gutem Bundesliga-Start in den letzten Wochen immer mehr Federn ließ und einige Spiele noch spät aus der Hand gab. So auch unter der Woche in Istanbul, als man in der Nachspielzeit noch den 1:1-Ausgleich gegen Basaksehir zuließ.

Beim Gastspiel in der Domstadt wechselte Julian Nagelsmann daraufhin nicht nur den ein oder anderen Spieler, sondern auch die Grundformation. Statt auf eine Ausrichtung mit Dreierkette zu setzen, wechselte der Fußballlehrer hin zu einer 4-3-3-Grundformation.

Vor Torhüter Baumann spielten Posch, Vogt, Akpoguma und Schulz in der neu zusammengesetzten Viererkette. Grillitsch gab den Solo-Sechser und wurde dabei sowohl von Demirbay als auch Geiger auf den Achterpositionen unterstützt. In vorderster Front liefen neben Nationalspieler Sandro Wagner der gebürtige Kölner Mark Uth und Nadiem Amiri auf.

Der Effzeh setzte demgegenüber auf eine 4-4-2-hafte Grundformation. Im Tor stand wie üblich Timo Horn. Die Abwehrreihe bestand aus Olkowski, Maroh, Heintz und Rausch. Kapitän Lehmann nahm neben Salih Özcan die Rolle des etwas tieferen Sechsers ein. Auf den nominellen Flügelpositionen begannen zunächst Bittencourt und Osako. Neben dem eher als Zielspieler eingesetzten Guirassy wurde zudem Simon Zoller als beweglicher Stürmer aufgeboten.

Kölns Krise. Oder: Mannorientierungen bestimmen das Bild

Es ist ein Trend in der Bundesliga (und nicht nur dort): Immer mehr Mannschaften setzen auf eine mannorientierte Spielweise gegen den Ball. Diese schlägt häufiger denn je in eine regelrechte Manndeckung um. Und das nicht nur bei Teams wie Hannover, Augsburg und Frankfurt, sondern eben auch bei Köln und Hoffenheim.

Beim Gastgeber offenbarten sich nicht bloß die erwartbaren Schwachstellen einer derartigen Spielweise. Sie kamen zusätzlich kaum einmal dazu, die Vorteile auszuspielen. Obwohl die Gegenspieler häufig genug im Zugriffsbereich eines Kölners den Ball erhielten, wurde vergleichsweise wenig Druck auf den Ballführenden ausgeübt. Dies lag zum einen natürlich an der geschickten und überaus dynamischen Spielweise Hoffenheims, kann aber auch paradigmatisch für die (spielerische Identitäts-) Krise des Effzeh herangezogen werden.

Das Team von Peter Stöger war bis vor einiger Zeit vornehmlich für eine Sache bekannt: Defensive Stabilität dank sauberer Mechanismen gegen den Ball. Diese waren nie wirklich besonders, aber stets enorm erfolgsstabil. Eine zweifelsohne hervorragende Leistung von Peter Stöger und seinem Trainerteam. Zusammen mit Martin Schmidts Mainzern galten die Kölner so für eine längere Zeit fast schon als DFB-Musterschüler.

Im Laufe seiner Tätigkeit machte sich der Österreicher allerdings zusätzlich daran, das Ballbesitzspiel seiner Mannschaft stetig zu verbessern. Auch hier ließen sich, angefeuert von passenden Spielertypen im Kader, zusehends Fortschritte erkennen. Zudem wurde die Mannschaft flexibler. In der erfolgreichen vergangenen Saison konnte man nahtlos von Formationen mit Viererkette auf eine Dreier-/Fünferkette wechseln. Doch als die Punkte von Woche zu Woche ausblieben, rückte wieder das etwas vergessene Streben nach Stabilität in den Vordergrund. Eine taktikpsychologisch schwierige Situation.

Die Folge: Der 1. FC Köln spielt momentan ein wenig in einem Graubereich. Die Klarheit, über die man sich lange definierte, ist abhandengekommen. Auch wenn man in der Anfangsphase Hoffenheim durchaus effektiv hoch anlaufen konnte, deckte der Gegner zunehmend Lücken in der Ausrichtung auf.

Angeführt vom überragenden Florian Grillitsch kam man gegen das 4-4-2 dank offensichtlicher 3 gegen 2 Überzahl im Zentrum und damit verbundenen Zuordnungsschwierigkeiten immer wieder in die Bereiche vor dem Mittelfeld der Kölner.

Später, etwa ab der 20. Minute beginnend, tauschten Osako und Zoller die Positionen. Dies hatte gegen den Ball vermehrte 4-1-4-1-Staffelungen und damit theoretisch eine Gleichzahl in diesen Zonen zur Folge. Doch dadurch wurden die Halbräume neben Lehmann, der seinerseits häufig verschiedene Gegenspieler verfolgte, zunehmend anfälliger für Hoffenheimer Angriffe.

Die Gäste agierten ihrerseits in einer 4-1-4-1-Ausrichtung gegen den Ball. Besonders die Flügelspieler orientierten sich dabei leicht eingerückt eher passiv an den Passwegen zu den Außenverteidigern und gerade ballfern auch gerne direkt an diesen. Einer der zentralen Mittelfeldspieler schob häufig gegen ballbesitzende Kölner Spieler neben Sandro Wagner vor. Die beiden verbliebenen Zentrumsspieler übernahmen Gegenspieler. Die Außenverteidiger konnten zusätzlich zur Mitte hin auffüllen. Dennoch waren diese Bereiche nicht optimal gesichert.

Angriffsrouten des Effzeh: Viele Flügelangriffe, ein bisschen Guirassy und immer mehr Osako

Zudem fehlte einige Male, gerade nach Verlagerungen, der Zugriff auf dem Flügel. Hier schoben die Außenverteidiger der Kölner oft weit vor. Da die Hoffenheimer sich immer wieder mit zum Zentrum hin orientierten, war der Richtungswechsel nach entsprechenden Pässen von einer Seite zur anderen nicht so einfach durchzuführen. Daraus folgten kurzzeitige 2 gegen 1-Situationen auf Außen.

Köln hatte hier zudem Ansätze nicht nur linear herunterzuspielen. Im Dreieck zwischen Flügelspieler, Außenverteidiger und Stürmer oder Sechser konnten die Positionen aus der Bewegung heraus getauscht werden. Dabei tat sich vor allem Leonardo Bittencourt positiv hervor und sorgte individuell für Gefahrenmomente. Erst nach der Halbzeit wurde Hoffenheim mit vermehrter 4-5-1-Tendenz etwas sauberer im Pressing und konnte die Flügel effektiver verteidigen.

Interessante Angriffsvariante mit einrückendem Rausch und zurückfallendem Bittencourt. Der ist gut genug, sich auch unter Druck zu drehen. Die Folge: Große Lücken in der Kette Hoffenheims, zumal ballfern zunächst das 2 gegen 1 gehalten wird.

Interessante Angriffsvariante mit einrückendem Rausch und zurückfallendem Bittencourt. Der ist gut genug, sich auch unter Druck zu drehen. Die Folge: Große Lücken in der Kette Hoffenheims, zumal ballfern zunächst das 2 gegen 1 gehalten wird.

Ein weiterer Angriffsweg bestand aus Zuspielen zu Zielspieler Guirassy. Manchmal, insbesondere in der zweiten Halbzeit, geschah dies flach und wurde mit geplanten Halbraumüberladungen verbunden. Doch zumeist gab es lange Bälle, häufig nach Abstößen und häufig nach rechts geschlagen. Aus dem Spiel heraus staffelten sich die Gastgeber hier allerdings zu flach und kamen kaum in gute Ausgangssituationen für zweite Bälle.

Vielmehr konnte Hoffenheim durch die strukturellen Mängel oftmals scheinbar zufällige Situationen nach Abprallern für sich entscheiden. Sandro Wagner zeigte sich dabei überaus effektiv im Sichern sowie unkonventionellen Weiterleiten. Aus einer solchen Situation sollte schließlich auch der Elfmeter zum zwischenzeitlichen 0:2 resultieren.

Eine effektivere Methode näher zum Hoffenheimer Tor zu gelangen bestand nach dem festen Positionswechsel mit Zoller schlichtweg darin, Osako mit Rücken zum Tor anzuspielen. Der Japaner zeigte sich überaus agil und pressingresistent in solchen Situationen und verteilte den Ball im Anschluss sinnvoll. So spielte der Effzeh sich beispielsweise dann auch die größte Chance des Spiels heraus, als Baumann Jojics Schuss aus wenigen Metern spektakulär parierte.

Osako dreht sich vom weit herausrückenden Akpoguma weg. Wiederum große Lücken in der Kette Hoffenheims. Vogt muss durchschieben. Der Laufweg für Jojic zum zweiten Pfosten ist frei.

Osako dreht sich vom weit herausrückenden Akpoguma weg. Wiederum große Lücken in der Kette Hoffenheims. Vogt muss durchschieben. Der Laufweg für Jojic zum zweiten Pfosten ist frei.

Positionsspiel mit Viererkette Kraichgauer Art

Die Vielzahl vielversprechender Angriffe entstand jedoch aus Situationen, in denen Hoffenheim den Ball bei Aufbauversuchen verlor. Wenn man sich das gesamte Spiel anschaut, geschah das gar nicht so selten. Julian Nagelsmann hat das Aufbauspiel unter hohem Druck zu einem Teil der DNA seiner Mannschaft gemacht. Dass dabei Fehler passieren nimmt man bewusst in Kauf.

Auch die Restverteidigung beziehungsweise Absicherung bei derlei Angriffen ist riskanter als bei anderen Teams: Häufig blieben die Innenverteidiger im 2 gegen 2 mit den Stürmern. Ein Außenverteidiger oder Grillitsch hielten sich zwar durchaus tiefer. Sie verhielten sich aber eher wie ein „schwimmender“, „halber“ oder wie-auch-immer-man-das-nennen-will Spieler, der für Anschlussaktionen schnell zurückeilen konnte, weil er doch nah genug dran stand. Doch war es vor allem an Vogt und Akpoguma die erste Angriffswelle zu verzögern und keine Drehung des Gegenspielers zu erlauben.

Selbst nach unsicher wirkenden Phasen greift Hoffenheim nicht vorschnell zum langen Ball, sondern spielt im Zweifelsfall noch einmal einen flachen Pass. Erst wenn Sandro Wagner sich in passender Ausgangsposition befindet und der Gegner herausgelockt wurde, greift man zum alternativen Mittel – jedoch selten aus Verlegenheit, sondern in der Regel systematisch.

High risk, high reward: Der Aufbau vor dem 0:3 begann damit, dass Torhüter Baumann mit Grillitsch und Akpoguma gemeinsam „Rondo“ spielte, ehe Schulz nach innen dribbelte und den Ball diagonal auf die andere Seite zu Kramaric brachte. Auf einer Seite tief überladen, durchs Zentrum auf die andere Seite spielen und auf die ursprüngliche Seite zurück flanken (zweiter Pfosten) – ein wiederkehrendes Muster bei der TSG.

Überhaupt lässt sich die Diagonalität des Teams von Julian Nagelsmann in der 4-3-3-Ausrichtung nochmals hervorheben. Bei Ballbesitz am Flügel gibt es immer wieder Optionen zum Zentrum. Hierfür ist vor allem konstante Dreiecksbildung ein Schlüssel. Ballfern rücken die Spieler weit mit ein, um direkte Anspieloptionen für das schnelle Kombinationsspiel zu schaffen. Nur wenn sie sich dynamisch für eine Verlagerung anbieten, gehen einzelne Spieler über die Breite des Strafraums hinaus. Im Anlaufen freier Räume zeigt sich die Mannschaft in allen Spielphasen stark.

Diagonale Positionsstruktur

Diagonale Positionsstruktur mit vielen Verbindungen und Zentrumsfokus

Ein weiteres Mittel mit Viererkette waren in diesem Spiel zudem Dribblings der Außenverteidiger nach innen. Diese wurde von entsprechenden Bewegungen der Achter sowie von Grillitsch unterstützt. Erstere zogen Gegenspieler mit Läufen weg, letzterer band selbige durch seine Positionierung. In einer Szene dribbelte und kombinierte Posch so von seiner Position als Rechtsverteidiger bis auf die andere Seite, wo er eine Überladung unterstütze und den Angriff mit einem etwas zu weiten Chipball auf Schulz abschloss.

Die Art und Weise wie Hoffenheim aus der Viererkette heraus aufbaute war nicht nur in solchen Situationen besonders. In tieferen Zonen hielten sich die Außenverteidiger tief, sodass sich nahezu eine Linie bildete. Unter hohem Druck blieb Posch tiefer. Eine verschobene Dreierkette entstand.

Besonders interessant und unkonventionell wurde es allerdings vor allem, wenn sich verschiedene Spieler, inklusive Innenverteidiger aus der Kette herausbewegten. Entweder wie Vogt, um den Raum im Rücken der gegnerischen Stürmer dribbelnd zu attackieren oder um eine Raute aus beiden Innenverteidigern, Grillitsch und dem ballnahen Außenverteidiger zu bilden. Diese lud Köln zwar zum Pressing ein, das jedoch schwierig umzusetzen war. Dadurch entstanden große Räume vor der Abwehr des Effzeh. Die Mannschaft agierte weit gestreckt und konnte für den entscheidenden Durchbruch zurechtgelegt werden.

Unkonventionelle Aufbauraute. Demirbay kann im Halbraum freigespielt werden.

Unkonventionelle Aufbauraute. Demirbay kann im Halbraum freigespielt werden.

Hierzu sei abschließend noch ein Merkmal der Hoffenheimer hervorgehoben, das ausgeprägter denn je ist: Die Jungs bewegen sich einfach ganz schön viel in Ballbesitz. Teilweise überdrehen sie dabei zwar merklich, aber nur höchst selten wird das Ganze wirklich unstrukturiert. Insbesondere gegen Mannorientierungen absolut passend. Die Achter bewegten sich oft in die letzte Linie, Wagner fand gutes Timing beim Zurückfallen, die Flügelstürmer zogen manchmal überraschend sowie raumöffnend in die Mitte oder Grillitsch nahm aus tiefer Position Tempo auf.

Häufig kamen die Spieler so in wertvolle „Zwischenpositionen“ im Zugriffsbereich mehrerer Kölner. Das erschwerte die Kommunikation für die Defensive merklich und brachte das Kartenhaus der Mannorientierungen ein ums andere Mal zum Einsturz. In einzelnen Momenten wirkte Hoffenheim dadurch unaufhaltsam.

Beispiel für das Forcieren Kölner Entscheidungen zum Aushebeln der Mannorientierungen. Lehmann verfolgt zunächst Geiger und füllt die Kette auf. Als Demirbay zwischen den Linien frei ist, will er diesen aufnehmen. Genau im Moment seines Sprints in dessen RIchtung spielt Akpoguma zu Geiger in den freigewordenen Raum.

Beispiel für das Forcieren Kölner Entscheidungen zum Aushebeln der Mannorientierungen. Lehmann verfolgt zunächst Geiger und füllt die Kette auf. Als Demirbay zwischen den Linien frei ist, will er diesen aufnehmen. Genau im Moment seines Sprints in dessen RIchtung spielt Akpoguma zu Geiger in den freigewordenen Raum.

Fazit

Häufig musste Julian Nagelsmann in dieser Saison Spiele während sie liefen taktisch noch herumreißen, insbesondere als Hoffenheim vermehrt auf ein direkteres 3-4-3 setzte. Dies war gegen Köln nicht nötig, da der Plan von Beginn an aufging. Damit machte Hoffenheim sich auch wieder mehr daran, die Umsetzung der letztjährigen Herangehensweise weiterzuentwickeln.

Inwiefern dieser Weg in den nächsten Spielen fortgesetzt wird, bleibt spannend zu beobachten. Vor allem in Hinblick auf die Gesamtstabilität des Teams, hinter der durchaus ein Fragezeichen steht. Kalkuliertes Risiko zahlt sich im Fußball sichtlich aus.

Köln hingegen befindet sich tiefer in der Krise denn je. Es gibt genug Ansätze und Individuen die gut genug für eine Wende wären, aber momentan geht dem Team von Peter Stöger die (strategische) Kohärenz dabei ziemlich ab. So könnte es auch für den österreichischen Erfolgstrainer demnächst eng werden.

Alexander 7. November 2017 um 20:46

Sehr schön zu lesen!

Gibt’s vielleicht noch kurz ein Wort zum „überragenden“ Grillitsch, wurde ja von Nagelsmann auch gelobt?

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