Islands Risikovermeidung verpasst den Sieg

1:1

In einem unsauberen Spiel baut Ungarn geordneter auf und hat einzelne Momente gegen isländische Probleme in der Rückzugsbewegung. Die Nordeuropäer finden schwer ins Spiel, können ihrerseits aber von ungarischen Schwächen profitieren. Letztlich fand die Partie mit dem späten 1:1 ein dramatisches Ende.

  • Ungarn hatte viel vom Spiel, baute durch Nagys Zurückfallen zu den breiten Innenverteidigern oft in einer Dreierkette auf. Gera und Kleinheisler agierten recht aufgerückt in den Halbräumen. Die isländische Mittelfeldlinie überwand Ungarn eher über lange Bälle, etwa auf den ausweichenden Prisikin. In der Folge konnten sie gegen die suboptimale Rückzugsbewegung Islands Raum im Mittelfeld finden. Einige gute Ansätze mit Rochaden und Flügel-Einrücken spielten sie aber nicht gut aus.
  • Island kam nicht so gut ins Spiel, wirkte hektisch und stellte die Risikovermeidung ins Zentrum. Sie spielten viele lange Bälle, rückten aber kaum nach und gewannen entsprechend wenig Abpraller. Allerdings konnten sie von einzelnen ungarischen Unsauberkeiten nach Mannorientierungen und Absicherungsproblemen innerhalb des Mittelfelds profitieren.
  • Nach der isländischen Führung hatten die Nordeuropäer mit einer tieferen Ausrichtung den besseren Start in Halbzeit zwei. Nach etwa 20 Minuten machte Ungarn aber mehr Druck und konnte, über häufigeres Nagy-Nachrücken, einige Ansätze verbuchen. Island ließ sich zu spät zurückdrängen, spielte Mittelfeldräume schwach aus und gab den Sieg spät noch aus der Hand.

Es scheint, dass Neuling und Außenseiter Island, mit seinem Trainerduo Lagerbäck-Hallgrímsson, sich für das gesamte Turnier auf eine vorsichtige, zurückhaltende Vorgehensweise ausgerichtet hat. In der Partie gegen Ungarn war ihr Spiel von einer teils sehr konservativen Risikovermeidung geprägt, die an erster Stelle stand. Die Isländer bauten auf ihre Defensivarbeit, betonten dann bei eigenem Ballbesitz ihre Standardgefahr und fokussierten phasenweise erneut die Nutzung langer Einwürfe durch Gunnarsson. Insgesamt war es etwas zu viel von der zurückhaltenden, konservativen Art. So machten sie sich selbst spielerische Einschränkungen und hatten Schwierigkeiten, ausreichend Vorwärtspräsenz am Ball aufzubauen. Das späte Ausgleichstor war in gewisser Weise auch eine Strafe dafür.

Ungarn mit dominantem, geordnetem Aufbauspiel

isl-hunDie mit Feldvorteilen spielbestimmende und optisch überlegene Mannschaft waren die aktiveren Ungarn von Bernd Storck. Sie kamen etwas besser in die Partie, erarbeiteten sich ein deutliches Ballbesitzübergewicht und entwickelten mehr Präsenz in die vorderen Zonen. Das ungarische Aufbauspiel stand auf einer klar sortierten Ordnung: Als tiefster Mittelfeldspieler der 4-2-3-1/4-1-4-1-Grundformation agierte Nagy abkippend sehr tief vor oder zwischen den Innenverteidigern. Diese positionierten sich sehr breit, die Außenverteidiger rückten auf. Auch die beiden anderen Mittelfeldakteure bewegten sich vergleichsweise hoch, so dass die Ungarn recht viel Personal vorschoben.

Halbrechts pendelte Gera vertikal im Halbraum, bot sich gelegentlich kurz vor der isländischen Mittelfeldkette an, suchte häufig aber auch den Raum hinter Gylfi Sigurdsson. Dieser sperrte ihn allerdings recht gut ab. Vorne zeigte sich Kleinheisler sehr umtriebig – in der Regel im Zwischenlinienraum – und auch die beiden dribbelstarken Flügelstürmer rückten abwechselnd in die Halbräume ein. Durch das Mittelfeld hindurch konnten die Ungarn dieses Potential zwischen den Linien kaum direkt bedienen, sondern mussten oft mit langen Bällen der Abwehrspieler eröffnen. Dafür war der ausweichende Mittelstürmer Prisikin ein wichtiges Ziel. Auch aufgrund von Unsauberkeiten durch die ungewohnt mannorientierte Viererkette Islands gelangen ihm nach vielen Zuspielen Ballsicherungen in seitlichen Zonen.

Lücken in der Rückzugsbewegung inkonsequent genutzt

In der Folge hatte die isländische Rückzugsbewegung Probleme mit der Kohärenz, so dass Ungarn dann im Anschluss an die langen Bälle Raum für das eigene Mittelfeld fand. Durch die vereinzelt einrückenden Flügel hatten sie in diesen Momenten Überzahl gegen die Doppel-Sechs Islands. Das Zurückfallen Bödvarssons konnte diesen Effekt nicht ausreichend entkräften. Island agierte auch horizontal etwas zu gestreckt. Die beiden Außenstürmer hatten zu wenig Bindung an die Doppel-Sechs und hingen über weite Strecken des ersten Durchgangs etwas ineffektiv im Halbraum in der Luft. So konnte Island über diese Positionen nicht gut genug ins Zentrum hinein unterstützen, um die Ungarn dort zu kontrollieren.

Mit guten Rochaden zwischen Flügelspielern und Achtern leiteten diese zwischendurch offene Szenen ein. Beispielsweise gab es rechts diagonale Weiterleitungen von außen hinter den herausrückenden Skúlason auf den vorstoßenden Gera. Island hatte bei Pässen zum Flügel manchmal Zugriffsprobleme, da die Stürmer aggressiv die Rückwärtswege zumachten und in der Folge Lücken in der Kompaktheit aufgehen konnten. Ihre vielversprechenden Momente nach guter Raumöffnung spielten die Ungarn aber schlecht aus, mit vielen simplen und überhasteten Entscheidungen. Auch wirkten die Bewegungsmuster eher improvisiert. Überhaupt war die gesamte Begegnung im mannschafts- und gruppentaktischen Bereich von einer gewissen Unsauberkeit geprägt.

Vorsichtiges Nachrücken auf viele lange Bälle

Zum Auftakt gegen Portugal war Island kaum zu Ballbesitzszenen gekommen. Gegen das ungarische Team änderte sich dies nicht so deutlich, wie es zu erwarten gewesen wäre. In den Momenten, in denen Island nach vorne hätte gestalten können, herrschte eher konservative, teilweise leider ambitionslose Zurückhaltung. Sie gingen kaum Risiko und suchten – auch wenn Ungarn nicht intensiv presste – lange Bälle. Durch das geringe, vorsichtige Nachrücken war das kaum erfolgsstabil, oft ballten sich nur die Stürmer und einer der Flügelspieler um den Ball. So konnten Abpraller nicht sauber kontrolliert werden. Generell wurden unter Druck kaum spielerische Lösungen gesucht, sondern Rückpässe, Einzelaktionen in abgesicherten Räumen oder Vertikalpässe nach außen vorgezogen.

Die Risikovermeidung führte zu vielen hektischen Aktionen, gerade die eigentlich interessanten Außenverteidiger – als mögliche Unterstützungsspieler – interpretierten ihre Rollen konventioneller als sonst. Dabei war Ungarn keinesfalls unverwundbar. Deren mannorientierte Spielweise verursachte im Abwehrdrittel manche unausgewogene Abstände. Es schien auch, als wolle Island dies mit viel Bewegung zwischen den Angriffsspielern ausnutzen, allerdings waren einzelne Rochaden und Ausweichbewegungen oft chaotisch und unverbunden. Dass vereinzelt größere Räume vor der Abwehr aufgingen, trat nur vereinzelt nach langen Bällen auf, etwa vor der Großchance für Gudmundsson.

Unsauberkeiten und Absicherungsrisiko

Solche gelegentlich unübersichtlichen Strukturen wurden durch die verschiedenen ungarischen Pressingstaffelungen begünstigt, die sich nach langen Bällen in die Folgeaktionen durchzogen. Von der nominellen Zehnerposition pendelte Kleinheisler zwischen verschiedenen Anordnungen. In der Anfangsphase wirkte es 4-1-3-1-1-haft mit losen Mannorientierungen und einem tief zurückfallenden Sechser, der die Abwehr gegen lange Bälle unterstützen sollte. Das funktionierte in erster Instanz gut. Es gelang den Ungarn, frühzeitig Druck auf die Isländer aufzubauen. Sie zeigten einige interessante Bewegungen im Anlaufen und machten es den Nordeuropäern auch schwer, mit geordnetem Aufbau über mehrere Stationen die langen Pässe vorzubereiten.

Für die Folgeszenen konnten die verschiedenen Staffelungen aber leichte Zuordnungsschwierigkeiten hervorrufen. Diese Ambivalenz galt auch für andere Phasen. In manchen Momenten bewegte sich ein Flügelstürmer der Ungarn tiefer und Kleinheisler rückte seitlich nach außen, was asymmetrische 4-3-3-Staffelungen zur Folge hatte. Insgesamt herrschten bei isländischen Offensivmomenten beiderseits strukturelle Unsauberkeiten und Unruhe. Viele Szenen versandeten, die Ausnahmen wurden oft unorthodox und plötzlich gefährlich. Dafür spielte schließlich eher das Umschalten eine Rolle:

Erst in der letzten Phase des ersten Durchgangs wurde deutlich, dass Ungarn durch die vertikale Streckung ihrer Mittelfeldakteure bei eigenem Ballbesitz anfällig sein konnte. Versuchten sie im Aufbau ambitionierter durch das Mittelfeld zu spielen, barg die teils hohe Einbindung der Achter die Gefahr von einzelnen frühen Ballverlusten mit schwacher Absicherung. Dieses Risiko zeigte sich etwa bei dem schnell und kurz ausgeführten Abstoß, der Sigthórssons Großchance und damit der Ecke vor dem Elfmeter vorausging. Auch in höheren Momenten waren die Vorwärtsabläufe der Ungarn etwas zu vertikal und nicht optimal abgesichert. Prinzipiell bestand ebenso leichte Kontergefahr, die Island lange nicht aufdecken konnte.

Islands beste Phase um die Halbzeitpause

In der gefährlichsten Phase der Blauen kurz vor der Pause – im Umkreise des Führungstreffers – gab es aber einige offene Dribblingszenen im Umschalten, u.a. einmal für Bödvarsson. Überhaupt hatte Island zum Ende der ersten Halbzeit etwas mehr Zugriff gewonnen. So antworteten sie auf die ungarischen Abläufe mit vorrückendem Gera am rechten Flügel durch  eine zurückgezogene, lückenstopfende Rolle Bjarnasons. Das war eine Entwicklung, die sich zu Beginn des zweiten Durchgangs zunächst fortsetzte. Island formierte sich nach Wiederbeginn deutlich tiefer im Abwehrpressing, hatte in den ersten 15 bis 20 Minuten aber ihre beste Phase.

Sie hatten dadurch bessere Abstände, schoben die Flügelspieler eng und absichernd nach hinten und die Stürmer zeigten sich vermehrt im Rückwärtspressing. Dagegen fokussierte Ungarn klarer und frühzeitiger den Flügel, rannte sich dort nun aber in Unterzahl fest. Teilweise gab es Szenen, wo beispielsweise Kleinheisler breit unterstützte, aber zu den ballfernen Offensivkollegen und Gera große Lücken blieben. Umgekehrt zeigte sich Island nun etwas häufiger vorne, rückte zwischenzeitlich präsenter in die strafraumnahen Zonen auf. Sie fuhren klare Flügelangriffe mit simplen Bewegungsmustern in den Sechzehner und Halbraumunterstützung von Gylfi Sigurdsson. Bei den Ungarn war die in dieser Phase die suboptimale Gesamtorganisation hinderlich, besonders viel Gefahr konnte Island aber nicht erzeugen.

Ungarn wird wieder stärker

Anschließend verschoben sich die Gewicht aber zu Gunsten der dominanter werdenden Ungarn, die Island hinten besser festdrücken konnten, so dass diesen die Entlastung abging. Strategisch variierten die Ungarn zudem ihren Fokus und hatten über die Mittelfeldspieler einzelne kleine Kombinationsaktionen im Halbraum. Wichtig war in dieser Phase das zunehmende Aufrücken von Nagy, der sich aus der Tiefe zusätzlich einband und mit feinfüßigen Aktionen oder überraschendem Timing unterstützen konnte. Auch spielten die Ungarn ihre vordersten Zielspieler aggressiver an, damit diese den Ball halten oder kurz ablegen sollten.

Auch wenn lange Zeit keine klare Torgelegenheiten, sondern Halbchancen und Standards heraussprangen, hatte Island doch manchen wackeligen Moment, in dem sich Ungarn fast durchgewühlt hätte. Daneben gab es noch einige Flügelangriffe, die einfach über Strafraumpräsenz und dauernde Tornähe brenzlig werden konnten, die Islands Viererkette und später Bjarnason als Sechser gut in der Endverteidigung entschärften. Spätestens nach dem ungarischen Doppel-Wechsel agierte Dzsudzsák als linker Flügelstürmer, Nikolic pendelte zwischen den Halbräumen und Kleinheisler ging zunehmend etwas nach rechts zur Seite heraus. Lange Zeit hielt Island die Null, konnte sich aber kaum mehr befreien.

Sie spielten Zwischenlücken und Ballgewinne schwach aus, hatten kaum Kontermechanismen und wussten mit dem geöffneten Mittelfeld wenig anzufangen. Gudjohnsens Einwechslung war sehr wertvoll, aber nicht genug. Das fiel ihnen am Ende auf die Füße, als der Druck bei einem der Flügelangriffe zum 1:1 zu groß wurde. In dieser Phase hatten die Ungarn mit Szalai als hohem Rechtsaußen auf eine Dreierkette sowie eine Art Dreiersturm mit zwei zusätzlichen Halbstürmern umgestellt. Ein großes Problem Islands bei der Entstehung des Tores lag – wie schon beim Gegentreffer gegen Portugal – in der Ausgewogenheit und Absicherung horizontaler Abstände in der letzten Linie, wo im Halbraum hier eine Lücke zwischen den Sigurdssons klaffte.

Peda 20. Juni 2016 um 19:18

Na das macht ja doch noch Hoffnung für Mittwoch Abend.

Hoffentlich findet das A Team endlich seine Form!

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mtotheaxmax 20. Juni 2016 um 13:56

Insgesamt waren die Auswechslungen Islands und den damit verbundenen Umstellungen eine deutliche Schwächung.
Durch den Wechseln von Bjarnason auf die Sechs hat der linke Flügel stark an defensiver und auch offensiver Stärke verloren. Speziell das 1:1 und seine Entstehung, indem Halfredson seinen Gegenspieler (zum wiederholten Male) aus den Augen lässt und das Gespür für den Pass in die Tiefe und die horizontale Absicherung missen lies.
Generell machte Halfredson keinen besonders starken Eindruck, viele Stellungsfehler, sowie deutliche technische Mängel haben die rechte Seite und diverse Kontermöglichkeiten im Keim ersticken lassen.
Außerdem versuchte er immer ins Konterspiel einzugreifen und dieses anzukurbeln. Durch seine Fehler wurde der rechte Flügel mehrmals entblößt und der Fokus von den Ungarn auf diesen größer. Dies wurde durch das 1:1 bestätigt.
Der Artikel ist wie so oft gut geschrieben und es ist schön, dass ihr euch auf die Mannschaften fokussiert die etwas „zu bieten“ haben auch wenn es dann nicht eintrifft.

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