Kontrolliertes Wales bringt sein Spiel durch

2:1

Im Aufeinandertreffen von Wales´ speziellem Stil mit der profillos guten Gleichförmigkeit der Slowakei entwickelte sich ein ansehnliches Match-Up ohne große Torchancen. Das änderte sich mit der plötzlichen slowakischen Angriffswucht nach der Pause, die den Ausgleich brachte, am Ende aber auch hinten die Lücke zum walisischen Siegtor ließ.

  • Wales´ stabile Defensive im 5-2-3 überzeugte. Gerade die wichtigen gegnerischen Achter konnten klug versperrt werden. Auf den Flügeln rückten die Außenspieler im Pressing heraus und blockierten Vorwärtswege. Allein einzelne Mannorientierungen der Halbverteidiger waren etwas anfällig.
  • Bei Ballbesitz hatte Wales gegen das 4-1-4-1 der Slowakei viel Kontrolle. Das Leder lief harmonisch, aus den Offensivzonen gab es verschiedene Zurückfallbewegungen. Gelegentlich wurden um Ramsey nette Schnellangriffe durch die Mitte gestartet. Gefahr strahlten die Waliser aber kaum aus, die frühe Führung per Freistoß kam ihrem kontrollierenden Stil entgegen.
  • Schon vor der Pause hatte die Slowakei einzelne interessante Offensivideen gezeigt. Effekt entwickelten sie aber erst in Halbzeit zwei: Wales verteidigte weniger geschlossen, die Slowakei fokussierte den Raum halbrechts neben deren Formation und drang von dort in die Mitte ein. Es gab einige attackierende Kombinationsansätze und das 1:1 als Belohnung. Nach offensiven Wechseln verteidigten sie später aber das defensive Mittelfeld nicht mehr so gut, was Wales beim 2:1 nutzte.

wal-svkEine Halbzeit lang kontrollierte Wales das Spiel in Führung, ohne großartige Chancen zu haben. Sie brachten ihre ruhigen Momente im Mittelfeldspiel ein und vor allem ihre Defensivstärke, bei der sie abermals ihre Anpassungsfähigkeit demonstrierten. In der 5-2-3/5-2-2-1-Formation mit 5-4-1- und einzelnen Asymmetrie-Momenten besetzten Ramsey, der überraschend startende Jonathan Williams und Bale die vorderste Linie, Letzterer meistens zentral. Dabei bewegte er sich zunächst im Umkreis des gegnerischen Sechsers bzw. versperrte die direkte Einbindung dessen. Die eigenen Sechser Allen und Edwards sicherten umsichtig den Raum, hatten potentiell lose Nähe zu den wichtigen slowakischen Achtern.

Wales steht (fast immer) stabil

Zudem konzentrierten sich die etwas eingerückt agierenden Halb-Zehner der Waliser geschickt darauf, die direkten Passwege auf Hamsik und Kucka zu versperren. Diese mussten sich daher oft nach außen freilaufen, zurückfallen oder konnten nicht angespielt werden. Zwar hatten die Slowaken in den genauen Aufbaustaffelungen des Mittelfelds vielfältige Anordnungen und versuchten das Spiel aus unterschiedlichen Zonen anzukurbeln, kamen so aber kaum zum Zuge. Auch über die Außenpositionen wurden sie früh unter Druck gesetzt, da die walisischen Flügelläufer Gunter und Taylor jeweils ballnah auf das Bundesliga-Außenverteidiger-Duo Pekarík-Svento herauspressten.

Gelegentlich gab es einzelne Einrückbewegungen der nominellen slowakischen Flügelstürmer, allerdings geschahen diese in der ersten Halbzeit oftmals nur in tiefen Zonen und waren auch nicht dynamisch miteinander verbunden. Der andere Außenspieler blieb dann meist simpel breit, gemeinsame Überladungen gab es selten. Alles in allem hatte Wales die Angriffsbemühungen des Gegners daher im Griff, stand – mit guter Endverteidigung wie Anpassungsfähigkeit – am Strafraum stabil und nutzte die Dreierkette gut für Herausrückbewegungen, die auch einige starke Balleroberungen brachten. An dieser Stelle gab es mit den losen Mannorientierungen der Halbverteidiger aber doch einen kleinen Schwachpunkt. Dadurch hatten sie in einzelnen Szenen suboptimale Abstände oder gerieten etwas in Unruhe.

Das trat etwa im Vorlauf der einzigen ernsthaften slowakischen Torchance der ersten Halbzeit zutage, als vor Hamsik schon eine Halbraumeröffnung samt gegenläufigen Stürmerbewegungen fast durchgekommen wäre. Zudem sorgten diese Mannorientierungen dafür, dass die Slowaken doch zumindest recht regelmäßig ins Angriffsdrittel aufrücken konnten. Mit einzelnen langen Bällen fanden sie äußere Ausweichräume, alternativ konnten sie das Leder – gerade in passiveren Waliser Phasen – über kleinere Lücken vorantreiben. Speziell gegen Ende der ersten Halbzeit versuchte sich die Slowakei im Anschluss plötzlich mit Achtern und den dann auch einrückenden Flügeln wild und aggressiv zentral durch zu kombinieren. Diese unsaubere, übervertikale Wucht fing die präsente, vielbeinige Wales-Defensive aber ebenso auf.

Kontrolliertes, vielseitiges Mittelfeldspiel mit punktueller Rasanz

Im Grunde genommen handelte es sich in beide Richtungen um ein Spiel ohne Torchancen, in dem Wales in Halbzeit eins aber fast die ganze Zeit führte – durch Bales Freistoß. Die Waliser legten einen gewohnt kontrollierten, recht harmonischen Ballvortrag an den Tag, ohne daraus viel Gefahr zu erzwingen. Mit der Dreierkette konnten sie den Ball gut laufen lassen, zumal die slowakische 4-1-4-1-hafte Defensive sich durch eine durchgehende, unspezifisch-allgemeine Solidität auszeichnet, aber kaum mal wirklich in höhere Pressingphasen übergeht. Sie bewegten sich einfach fast immer etwa auf Mittelfeldhöhe, in typischer Manier, ausgewogen durchschnittlich, strukturiert kantenlos.

Die offensiven Flügelspieler formierten sich sichelförmig eingerückt und sicherten prinzipiell eher die Vorstöße der gegnerischen Außen ab statt zu weit aufzurücken, teilweise orientierten sich die Achter kurzzeitig mal enger auf Allen und Edwards. Bei Wales fiel zwischendurch mal einer der Offensivspieler in die Aufbauzonen zurück, gerade Ramsey in die Achterräume. Teilweise bewegten sich auch zwei Akteure ballnah nach hinten, wofür Andrews dann halbrechts eine Linie vorschob. Punktuell suchte Wales dann die kleinräumige Beschleunigung mit wenig Mann nach vorne:  Über ansehnliche Kombinationsansätze und insbesondere Ramseys Hackenaktionen konnten sie damit auch einige Male gefällig die slowakische Mittelfeldlinie überspielen.

Wenig klare Chancen auch für Wales

Anschließend war aber immer noch viel Distanz zum Tor sowie die letzte gegnerische Reihe zu überwinden, ohne dass man viele Unterstützungsoptionen gehabt hätte. Diese Ansätze konnten also kaum durchgebracht werden. Alternativ operierte das Team von Chris Coleman mit weiten Diagonalbällen aus der Aufbaulinie zu den weit aufrückenden Flügelläufern. Gerade mit Verlagerungen auf Gunter ergab sich Raumgewinn zum Aufrücken. Überhaupt versuchte Wales sich einige Male an diesem rechten Flügel vorzuarbeiten. Über Chester oder Allen visierten sie die Schnittstelle zwischen Hamsik und Weiss an, um direkt dort hindurch zu spielen oder nach kurzen Ablagen sich weiter nach vorne schieben zu können.

Innerhalb der Rückzugsbewegung verlor die Mittelfeldlinie bei der Slowakei gelegentlich doch mal an Kohärenz, einzelne Spieler machten die Wege nur etwas unintensiv. Hatte Wales sich im letzten Drittel auf rechts festgesetzt, zeigten die Slowaken aber wiederum einzelne gute Anpassungen: Teilweise blieb Weiss etwas höher und orientierte sich eher am ballnahen gegnerischen Sechser als Rückpassoption, während Hamsik in der Linie dahinter stärker zum Flügel nachschob. Zwar versuchte Wales mit kleineren Rochaden und flexiblen Bewegungen diese Szenen aufzulösen, allerdings hatten sie nicht wirklich ausreichend Präsenz, zumal bei der Slowakei häufig noch Hrosovsky als Sicherungsspieler blieb, der teilweise weiträumig nach außen nachschob.

Mit der Führung im Rücken waren die Waliser aber auch nicht immer auf die letzte Durchschlagskraft angewiesen. Im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit wechselten sie zwischenzeitlich vermehrt auf lange Bälle, für die sich das Offensivtrio in einem Halbraum eng zusammenzog und auf Abpraller spekulierte. Gegen die defensive Physis des Gegners ging das selten auf, war aber auch praktisch gar kein Risiko, zumal viele Spieler noch hinter der Ballungszone absicherten. Letztlich ging Wales nach kontrolliertem, unaufgeregtem, punktuell kurz glänzenden Auftritt mit einer nicht folgerichtigen, aber dennoch nicht unverdienten Führung in die Kabine.

Slowakische Attacke nach der Pause

Etwas unerwartet gelang es den Slowaken, zum Start des zweiten Durchgangs direkt für eine große Menge an Schwung zu sorgen. Sie stellten ihre Aufbau- und Angriffsstruktur ein wenig um und bedrängten Wales mit einer aggressiven, attackierenden Ausrichtung. Ein erster Warnschuss war die Chance des diagonal einlaufenden Mak, die die Problematik des mannorientiert herausrückenden Halbverteidigers verdeutlichte – ein Loch in der letzten Linie ging auf. Entscheidend war aber vor allem, dass die Slowakei nun halbrechts den Raum neben der walisischen Formation fokussierte, von dort konsequent und vertikal ankurbelte sowie ausreichend Folgeoptionen bereitstellte. Es gelang nun, auch mal von außen in die Formation einzudringen.

Anfangs bewegte sich gerade Hrosovsky von der Sechserposition nach rechts hinaus, forderte die Bälle und verteilte sie zielstrebig nach vorne. Das ging damit zusammen, dass bei Wales Intensität und Geschlossenheit nachließen. Insbesondere die vertikale Anbindung zwischen erster Pressinglinie und Doppel-Sechs baute im ersten Teil des zweiten Durchgangs ab. Zudem banden sich Pekarík und Svento kaum noch in die slowakische Zirkulation ein, sondern konnten aufrückend zunehmend die passivere Fünferkette der Waliser hinten binden, was weitere Räume gab. In dieser großflächigen Situation lief Ramsey einige Male etwas unklug an, während Williams halbrechts sich vereinzelt zu sehr ballfern – etwa am dortigen Achter – orientierte.

Dadurch mussten die Sechser zu große Räume abdecken, wobei Edwards zwischenzeitlich angeschlagen schien – mit Ledley kam dann später etwas Abhilfe. Die Slowaken zogen das Spiel nun an sich und konnten mit mehr Präsenz die gegnerischen Sechser stärker von deren Kollegen isolieren, so dass einzelne Überladungen möglich waren. Von links rückte Weiss mit herüber, Mak wurde verstärkt balltreibend und als Movementgeber eingesetzt, die Achter suchten kleinere raumblockende Ballungen. Über Weiterleitungen des mit nach halbrechts gehenden Hamsik entstanden einzelne gute Gruppentaktik-Abläufe, die für Vorwärtsdynamik sorgten. So geriet Wales zumindest in Unordnung, ließ einzelne Distanzschüsse zu und die Endverteidigung musste häufiger eingreifen. Auch wenn die großen Chancen fehlten, war diese Steigerung der Slowaken aber schon beachtlich.

Offensivere Besetzung bringt mehr Punch – letztlich in beide Richtungen

In Folge eines Doppelwechsels nach etwa einer Stunde fiel dann umgehend der Ausgleich: Mit Duda statt Hrosovsky gab es eine Art 4-2-1-3/4-2-3-1, in der der neue Mann aktiv hinter dem ebenfalls eingewechselten Stoßstürmer Nemec nachrücken konnte, aber auch viel nach hinten pendelte. Die von halbrechts aus der Tiefe antreibende Rolle übernahm nun häufig Robert Mak – so auch beim Tor. In einem Moment sehr geringer Intensität schlugen zu viele Sicherungsmechanismen bei Wales fehl, so dass am Ende der Kette der Zugriff nicht mehr wiedererlangt und der Raum nicht mehr zugeschoben werden konnte. Ramsey und Edwards wurden von außen überspielt, der Rückwärtsweg für Allen war zu lang und Gunter rückte nicht mehr schnell genug ein: Diese Lücke nutzte der aus dem Schatten kommende Duda.

Anschließend versuchte die Slowakei die Vorwärtswucht weiter zu intensivieren, wurde aber etwas zielloser und verlor die Klarheit der Abläufe aus dem Fokus. Etwas zu häufig traten nun einfache Flügelüberladungen oder individuelle Dribblings auf. Dafür fand Wales wieder zu mehr Stabilität zwischen den Reihen, sicher auch mental bedingt und konditionell nach den Auswechslungen. In der Endphase sollte das Pendel dann noch einmal in Richtung der Briten ausschlagen, die nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich ihre Ballbesitzmomente wieder verstärkten. Der Siegtreffer durch den als Mittelstürmer eingewechselten Robson-Kanu war letztlich ein Beispiel dafür, wie die offensivere Besetzung bei der Slowakei auf lange Sicht eine Schattenseite hatte.

Hinter Hamsik und Kucka fehlte Hrosovsky als Staubsauger, was diese nicht konstant auffangen konnten. Punktuell gab das Team von Ján Kozák den Sechserraum zu sehr frei und beim 2:1 fand sich dort Ramsey in dieser Lücke. Die Waliser bereiteten die Situation mit ihrer Ballkontrolle gut vor, nutzten die drei Verteidiger über den Halbraum geschickt und konnten dann mit Ledleys Pass zwischen die Linien eindringen. Auf einmal fanden sich zwei Offensivakteure an der Strafraumgrenze, Robson-Kanu verwandelte aus der entstehenden Hektik gegen die slowakischen Innenverteidiger etwas glücklich.

Fazit

Diese Begegnung brachte einfach ein sehr gutes EM-Spiel, mit fast immer interessanten Wechselwirkungen zwischen den Teams. Wales zeigte in der ersten Halbzeit eine sehr schöne Leistung, nach dem Seitenwechsel klotzten die Slowaken dann aggressiv einige gute Spielzüge aufs Feld. Letztlich hatte aber doch das Hipster-Team das bessere Ende, als die Slowakei beim entscheidenden Tor den Sechserraum nicht mehr gut besetzte.

Atütata 12. Juni 2016 um 22:19

Ja ich hab damit auch nur vereinzelte 4-4-2-hafte kurzzeitige Staffelungen erkannt (wenn ich nicht blind bin ;-))

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Atütata 12. Juni 2016 um 10:02

Kann es sein, dass die Waliser auch vereinzelt im 4-4-2 verteidigt haben oder waren die Herausrückbewegungen manchmal so extrem, dass es wie ein 4-4-2 wirkte?

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radicaled 12. Juni 2016 um 12:26

Also wenn ich das richtig gesehen habe, war es eher so, dass die Halbverteidiger gelegentlich auf die Höhe von Allen vorgestoßen sind um Bälle zu erorbern, aber ein 4-4-2 konnte ich zumindest nicht wirklich erkennen.

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radicaled 12. Juni 2016 um 08:17

Eine weitere sehr treffliche Analyse, habe das Spiel praktisch genauso gesehen, man hätte vielleicht nochmal hervorheben wie extrem gut Joe Allen sowohl kombinativ in der Vorwärtsbewegung als auch in der Balleroberung und Raumsicherung ist.

Gehört hier vielleicht nur bedingt hin, aber die Berichterstattung vor dem Spiel mit diesen idiotischen „Wales ist Bale, Bale ist Wales“ Beiträgen. Ganz unbestritten ist er der individuell herausragende Spieler und extrem wichtig, vor allem weil er mit Einzelaktionen die relativ geringe Durchschlagskraft der Waliser ausgleicht, aber das ein Spieler keine Spiele gewinnt hat CR7 schon oft genug bei Portugal gemerkt. Außerdem hat Wales einige andere interessante Spielertypen (Ramsey, Allen, Ledley, Williams auch Robson Kanu).
Auch die Slowaken wurde relativ einseitig auf Hamsik eingedampft, aber da schien der Respekt zumindest aufgrund des 3-1 gegen Deutschland etwas größer.

Angenehm zurückhaltend dagegen Claudia Neumann nach ein paar anfänglichen Nervositätsversprechern.

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