Türchen 14: Petar Radenković

Neben Lew Yashin gelten Gyula Grosics in Europa und Amadeo Carrizo in Südamerika als jene Torhüter, welche den mitspielenden Torhüter propagierten. Beide waren auf dem Zenit ihrer Karriere in den fünfziger Jahren und sollten als Vorbilder für die kommenden Generationen dienen. Doch ein andere war noch extremer als sie und wurde nicht zum Vorbild: Petar Radenković. 

Beim 6:3 der Ungarn im Wembley-Stadion spielte Grosics situativ mit, klärte Angriffe per Volley oder suchte direkt nach Kontermöglichkeiten. Für viele damals eine Innovation! Dabei hatte schon Jahre zuvor Willibald Kreß noch stärker mitgespielt, als der ungarische Nationaltorhüter. Und in dieser und der nächsten Dekade sollte Petar Radenković deutlich noch den einen anderen Schritt weitergehen – im Herausrücken und in der Innovation. Sein skurriles Leben und sein Legionärsdasein in Deutschland sollten seinen Einfluss auf die nächsten Generationen einschränken.

Es waren Grosics und Yashin, an denen sich in den folgenden Jahren die meisten modernen Torhüter orientierten; insbesondere die niederländische Torwartschule mit Heinz Stuy, Jan Jongbloed oder auch Bruce Gobbelaar und Stan Menzo in den 80ern sowie natürlich Edwin van der Sar in den 90ern und 2000ern galten als stärkste Vertreter diese Strömung, die sich spätestens seit der Veränderung der Rückpassregel massiv durchsetzte.

Doch in Zeiten von Manuel Neuer und Marc-Andre Ter Stegen erinnern wir an einen der Prototypen dieses Torwartspiels.

Aufstieg trotz Wirren

Petar Radenkovic wurde 1934 im Königreich Jugoslawien geboren. Seine Geschichte ist fast so illuster wie seine spätere Spielweise. Wegen der Kriegswirren der 40er konnte sein Vater, ein Folkloresänger, nicht von einer USA-Tournee zurückkehren, weswegen Radenkovic zeitweise von seinen Großeltern aufgezogen wurde. Mit 15 Jahren spielte Radenkovic beim FK Sumadija noch als Feldspieler, bevor er ins Tor wechselte. Bereits drei Jahre später unterschrieb er beim OFK Belgrad, wo er in den nächsten Jahren zwei Mal den Pokal gewinnen konnte. Radenkovic kam in die Olympiamannschaft Jugoslawiens, doch viel mehr  Einsätze sollten ihm verwehrt bleiben.

Militärdienst, ein von oben verbotener Wechsel innerhalb des Landes und letztlich der Wechsel nach Deutschland verhinderten, dass Radenkovic das Tor Jugoslawiens hütete. Stattdessen wurde er zu einer Legende bei 1860 München. Nach einem Jahr bei Wormatia Worms (acht Siege, drei Unentschieden in 13 Einsätzen) wechselte er nach München und war mitverantwortlich, dass die Sechziger die Oberliga-Süd für sich entschieden – das war unter anderem der Grund, wieso die Bayern kein Gründungsmitglied der im folgenden Jahr gegründeten Bundesliga waren.

Bin i Radi, bin i König!

Als einer von nur vier Ausländern wurde Radi beim Kicker zum neuntbesten Spieler der Saison gewählt – und zum besten Löwen. 1964 holte man den DFB-Pokal und wurde 1966 sogar Meister. Im Buch Die letzten Männer beschrieb Bausenwein Radenkovic gar als den „berühmtesten Torwart-Feldspieler in Deutschland“.

Neben seiner Arbeit als Legionär waren es aber auch diese Ausflüge, die Radenkovic trotz herausragender Leistungen auf der Linie davon abhielten in den Dunstkreis der jugoslawischen Nationalmannschaft zu kommen, die damals zu den besten Europas gehörte. Das Erbe des legendären Vladimir Beara trat nämlich nicht Radenkovic, sondern Milutin Soskic an. In den Folgejahren wurde Radenkovic dennoch berühmt. Nicht nur seine herausragenden Qualitäten, sondern seine Humor und seine Gesangskünste sorgten dafür. Bis heute dürfte Radenkovic eher für den Schlager „Bin i Radi, bin i König“ der breiten Masse bekannt sein.

Radi fängt den Ball ab und legt sich den Ball am Gegenspieler vorbei.

Radi fängt den Ball ab und legt sich den Ball am Gegenspieler vorbei.

Ein Extrembeispiel

Radenkovic ist damit auch das beste Beispiel dafür, dass viel Spektakel und Innovation auf dem Fußball neben etwas Spektakel neben dem Platz untergehen. An Radenkovic hätte sich ohne seine Schallplatte wohl nur der eine oder andere ältere 60er-Fan erinnert, obwohl seine Torwartkünste einmalig waren. Im Vergleich zu Grosics spielte Radenkovic nämlich die Spielweise des „Torwart-Feldspielers“ deutlich extremer.

Der jugoslawische Star beschränkte sich nämlich nicht auf das Klären des Balles außerhalb des Strafraums oder das Anbieten für Kurzpässe innerhalb. Bei Radi gab es viele direkt eingeleitete Konterangriffe mit schnellen Abstößen und Abschlägen – und gelegentlich nicht nur mit Auswürfen oder langen Pässen, sondern Dribblings.

Erkannte Radi offene Räume auf einer Spielfeldseite und die Möglichkeit aufzurücken, ließ er den Ball durchaus gerne auf den Boden fallen und startete einen Sprint. Aus diesen höheren Zonen konnte Radenkovic dann das gegnerische Pressing anlocken und Bälle verteilen. Bei höheren Führungen spielte er dann nicht nur den Pass, sondern setzte seine Läufe fort, dribbelte und holte Fouls nahe der Mittellinie heraus. Auffällig: Radi war recht beidseitig in seinen Läufen, er war geschickt im Ausweichen von gegnerischen Pressingversuchen und kreativ im Passspiel.

Nadelspieler und Torhüter: Eine seltene MIschung. Radi unter Dreifachbeschuss.

Nadelspieler und Torhüter: Eine seltene Mischung. Radi unter Dreifachbeschuss.

In jener Zeit der sehr passiven Raumdeckung und der fortschreitenden Etablierung der Manndeckung in Deutschland waren diese Ausflüge sogar durchaus ein sicheres Mittel. Die Gegenspieler rückten nicht kollektiv auf Radi heraus, sondern ließen ihn aufrücken und gingen dann vereinzelt mit Dynamiknachteilen in Zweikämpfe mit dem heranstürmenden Torwart. Wenn jemand auf ihn herausrückte, konnte Radenkovic darum auch geschickt und ohne große Müh‘ die entstandenen Räume bzw. Mitspieler bespielen.

Radi startet seinen Lauf ...

Radi startet seinen Lauf …

... und beendet ihn hier mit einem Laufpass.

… und beendet ihn hier mit einem Laufpass.

Allerdings war die starke Technik am Ball und gute Entscheidungsfindung nicht die einzige Stärke Radenkovics. Er konnte eben wie ein Ausputzer die Räume hinter seiner Mannschaft abdecken, die (langen) Bälle des Gegners jedoch nicht nur per Kopf oder Volley klären, sondern den Ball stoppen, unter Kontrolle bringen und das Spiel neu aufbauen; auch wenn es natürlich oft riskant war.Aber Radenkovic war mit seinen 1.87m und guten Sprungkraft stark beim Abfangen von langen, hohen Bällen und auch bei Flanken.

Letzteres ist bereits ein Indiz, dass die Sechziger-Legende auch in den klassischen Torwartfähigkeiten hervorragend war. Seine Größe und seine Antizipation halfen ihm beim Verteidigen von Distanzschüssen. Er hatte eine enorme Reichweite auf der Linie, die gepaart mit seiner herausragenden Reaktion zu einem hohen Niveau im klassischen Torwartspiel führte.

Es ist in gewisser Weise ein Zeugnis der deutschen Fußballkultur, dass nur die skurrilen Aspekte Radenkovics Spielweise und seines Privatlebens ihre Zeit überlebt haben – und die taktischen Implikationen quasi ignoriert wurden. Dabei war Radenkovic nicht nur überaus intelligent und talentiert, sondern verstand Fußball auch als Kunst- und Unterhaltungssport. Fast schon paradoxerweise ist es ausgerechnet das Lied „Bin i Radi, bin i König“, wo diese Meinung von Radenkovic selbst geäußert wurde – und wo er sich fast schon besser beschrieb, als es in vielen Berichten über ihn seither der Fall war:

Steh ich so im Tor

Kommt mir machmal vor

Leute nehmen Spiel zu ernst

Haben nicht Humor

Ball kommt wie der Blitz

Das sieht manchmal spitz

Doch ich fang fast alle

Mit Humor und Witz

(…)

Manchmal schimpft sogar

Eigne Spielerschar

Wenn ich hab zu viel riskiert

Und nur komisch war

Das macht mir nicht viel

Spiel ist für mich Spiel

Doch wenn es drauf ankommt

Weiss ich was ich will

Die Spielweise Radenkovics gibt es in einem der wenigen Ausschnitte übrigens hier zu sehen.

Schorsch 14. Dezember 2015 um 14:22

Ergänzung: Habe mich über die Erwähnung von Willibald Kreß als Pionier des ‚mitspielenden Torhüters‘ sehr gefreut. Danke!

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Ein Zuschauer 14. Dezember 2015 um 12:59

War Radi ein omnipotenter Omnivor? Um mal RMs schöne Begriffe zu benutzen.

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HK 14. Dezember 2015 um 11:49

Um den Beitrag fachlich entscheidend zu korrigieren. Es heißt im Text von Radis Hymne:
„Ball kommt wie der Blitz, dass ich manchmal schwitz…“
Das hab ich als Kind so was von rauf und runter gehört, da tut alles andere meinen Ohren weh (-;

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Schorsch 14. Dezember 2015 um 14:14

Absolut richtig. Ist mir beim schnellen Überfliegen der Zeilen völlig durchgegangen. Man sollte doch wirklich alles gründlich lesen…

„Das sieht manchmal spitz“ macht überdies für mich überhaupt keinen Sinn. Scheint wohl kopiertechnisch oder so hineingerutscht zu sein. Was aber trotz dieses ‚fachlichen‘ faux-pas die Qualität dieses schönen Artikels nicht mindert. 🙂

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Schorsch 14. Dezember 2015 um 11:23

Klasse, es ist der Radi!

Kleine persönliche Anmerkung zum Artikel: Ich gehöre zu denjenigen, die sich sowohl sehr gut an Radi als Torhüter der Sechzger u n d an ihn als ‚Sänger‘ erinnern, und das obwohl ich n i e ein Anhänger der Löwen war! Besagte Schallplatte habe ich sogar besessen; ich hatte es in irgendeinem Kommentar auch erwähnt. Übrigens war es in den 60ern durchaus üblich, dass bekannte Sportler in Deutschland Schallplatten besungen haben. Die Bedeutung Deutschlands als Kulturnation haben diese Werke eher weniger gefördert, eine Gaudi waren sie aber meistens schon. Manche absichtlich (siehe Radi), manche unabsichtlich (Müller Gerd, Der Kaiser, et al.).

Radi erfreute sich bei uns einer großen Beliebtheit, unabhängig davon, ob man Anhänger der Löwe, der Roten, des Glubbs oder eines anderen Vereins war. Gerade wegen seiner ‚Ausflüge‘. In der Sportpresse wurde Radi gerne als ‚leicht verrückt‘ dargestellt, der seine ‚Ausflüge‘ mehr als clowneske Einlagen seines Torwartspiels verstand. Das war allerdings die pure Ignoranz, denn Radi hat durchaus ernsthaft die Sinnhaftigkeit seines Spiels erläutern können. Die große Mehrheit der deutschen Sportjournalisten seinerzeit konnte damit aber wenig anfangen. Da kann ich den entsprechenden Aussagen im Artikel nur zustimmen.

Da der Artikel den Songtext von ‚Bin i Radi, bin i König‘ aufgreift, hier noch eine kleine Ergänzung: Im Refrain heißt es u.a. „…denn das Spielfeld ist mein Königreich“. Also nicht die Torlinie, der Fünfmeter- oder der Sechzehnmeterraum – nein, das S p i e l f e l d. Was das Selbstverständnis und die andere Verständnis Radis vom Torwartspiel im Vergleich zu den allermeisten seiner damaligen Keeperkollegen auf den Punkt bringt. Der Radi war halt kein Theodor… 😉

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LB 14. Dezember 2015 um 21:38

„Der Radi war halt kein Theodor…“

Perfekte Zusammenfassung! Damit es auch jeder versteht: https://youtu.be/4SGCB-zp4wE

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Ein Zuschauer 14. Dezember 2015 um 01:08

https://www.youtube.com/watch?v=EPDIwlUxbzo Für die entsprechende musikalische Untermalung. Wobei RM im Artikel ja auch schon drauf verweist.

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