Verfolger-Verfolger-Duell mit zweifachem Punktverlust

1:1

Das Verfolger-Verfolger-Duell an diesem Spieltag fand zwischen Bayer 04 Leverkusen und dem FC Schalke 04 statt. Die Leverkusener suchen nach Konstanz, die Schalker nach den Ergebnissen der ersten Wochen. Beide Mannschaften haben als Ziel die CL-Qualifikation, doch dafür benötigen sie dringend Punkte.

Kampl-Rolle scheitert an unpassenden Vertikalabständen

Grundformationen

Grundformationen

Roger Schmidts Ballbesitzspiel stand in den letzten Wochen und Monaten verstärkt in der Kritik. Zu viel Hau-Ruck-Fußball, zu ideenlos und zu unkreativ sei das System, außerdem zu sehr fokussiert auf Pressing, Gegenpressing und schnelle Umschaltangriffe. Allerdings sei dazu auch gesagt, dass Bayer in Form eine unglaublich starke Pressingmannschaft ist, die sich auch konstant gute Angriffe durch ihre Balleroberungen schaffen kann. Das Problem liegt primär an den Staffelungen im Aufbauspiel.

Bei Red Bull Salzburg wurde das Spiel häufig mit einem langen Ball von Hinteregger oder Ramalho begonnen, woraufhin vorne mit Soriano, Alan, Mané und Kampl diese Bälle behauptet/zurückerobert wurden und man mithilfe herausragender Kombinationen in engen Räumen zu Torchancen kam. Kampl ist nach wie vor bei Roger Schmidt, allerdings agiert er jetzt als Sechser und nicht als Zehner.

Gegen Schalke war eine der versuchten Verbesserungen im Spielaufbau klar ersichtlich. Kampl ließ sich immer wieder links neben Toprak zurückfallen und baute aus dem linken defensiven Halbraum das Spiel auf.

Das ist an sich eine gute Idee. Kampl besitzt die körperlichen Fähigkeiten, die Dynamik, die Dribbelstärke und die Spielintelligenz für diese Rolle, allerdings war er nicht ideal ins Kollektiv eingebunden. Tah fächerte bisweilen nicht weit genug nach rechts auf, Toprak hatte außer dem Querpass zu Kampl meist keine wirkliche Bedeutung im Spielaufbau und Kramer stand im Sechserraum gelegentlich zu isoliert. Die Offensivspieler positionierten nämlich sehr hoch, während Kramer versuchte, eine Verbindung zu den drei Spielern in einer Linie aufrechtzuerhalten.  Außerdem war auch das Zurückfallen Kramers (zwischen die Innenverteidiger) und Kampls (neben die Innenverteidiger) schlecht aufeinander ausgerichtet. Das Timing stimmte oft nicht.

Kampl wiederum agierte fast auf einer Linie mit Toprak und Tah, welche sich dadurch gegenseitig den Raum nahmen und die Mechanismen im Spielaufbau berechenbar machten. Es war von Beginn an klar, dass die Querpässe zu Kampl und die aufrückenden Bewegungen über links kommen würden. Stattdessen hätte Leverkusen mehr zirkulieren müssen, um Schalke zu längeren Intervallen im Verschieben zu zwingen, Tah und Toprak mehr Verantwortung geben, um besser aufbauen zu können, die Dreierreihe hätte sich eher in einem Dreieck anstatt einer Linie formieren sollen und die Offensivspieler Kramer im Mittelfeld besser unterstützen müssen.

Tiefer Aufbau Kampls mit schlechten Verbindungen, zu vielen Spielern in einer flachen Formation vorne.

Tiefer Aufbau Kampls mit schlechten Verbindungen, zu vielen Spielern in einer flachen Formation vorne.

Das war nämlich das Hauptproblem. Kurzzeitige 2-2-6- und 3-1-6-Staffelungen waren keine Seltenheit. Die Außenverteidiger standen extrem hoch, die Zehner und Mittelstürmer ebenso. Schalke musste nur wenig Raum pro Spieler abdecken und hatte wenige schwierige Entscheidungen im Defensivverhalten zu treffen. Dazu passte ihre Ausrichtung.

Schalke mit 4-4-1-1/4-4-2 gegen den Ball

Eigentlich machte Schalke nichts Besonderes in der Partie gegen den Ball. Es war ihre übliche Ausrichtung. Formativ war es ein 4-4-2, wobei Meyer im Vergleich zu Huntelaar öfter in tiefen Zonen aushalf und ein 4-4-1-1 herstellte. Auffällig waren aber die vielen Mannorientierungen. Wegen der enormen Vertikalabstände bei Bayer mussten sich die Offensivspieler Leverkusens für Anspiele zurückfallen lassen. Dadurch waren sie bereits in einer unangenehmen Dynamik (Sprint zum Ball) bei der Ballannahme, wegen der Mannorientierungen Schalkes standen sie dabei auch noch unter Druck.

Die Mannorientierungen von Schalkes Flügelstürmer stellten außerdem viele Fünfer- und Sechserreihen in der letzten Linie her. Zwar konnte Leverkusen darum über Kampl nach vorne aufrücken, aber es öffneten sich kaum Lücken in der Mitte und spätestens im letzten Spielfelddrittel befand sich jeder Akteur Leverkusens im Zugriffsradius eines Schalker Spielers.

Aus Leverkusener Sicht war ihr Fokus auf Flügelangriffe, eben durch Kampl auf links, nachteilig. Schalkes zwei Sechser und zwei Stürmer stellten die Optionen in der Mitte gut zu, woraufhin sich Leverkusen selbst öfters auf dem Flügel isolierte. Die Abschlussfindung aus Spielzügen im Ballbesitzspiel funktionierte bei Leverkusen kaum. Dies war aber bei den Schalkern auch nicht viel besser.

Einzelaktionen und Unterzahlangriffe bei Schalke scheitern

Dass Leverkusen allerdings weiterhin sehr gut verteidigen kann (bei Anpfiff nur drei Ligateams mit weniger Gegentoren), spürten die Schalker ebenfalls. Zur Halbzeit gab es ein Schussverhältnis von 11:3 für Leverkusen und Schalkes Angriffe versandeten oft im Nirgendwo. Dabei war auch die Schalker Angriffsstruktur nicht besonders effektiv ausgelegt. Vielfach sollten Einzelaktionen zum Ziel führen; die beste Chance durch Meyer entstand aus einem isolierten Dribbling gegen mehrere Gegenspieler.

Meistens hatte Schalke nur drei bis fünf Spieler in den vordersten Zonen. Oftmals wirkte es wie ein 4-2-4, in welchem die Sechser sich zurückhielten und die Außenverteidiger relativ spät nach vorne aufrückten. Allerdings besitzt Schalke auch Spieler, welche gegen viele Teams dennoch Torchancen erzeugen können.

Choupo-Moting auf der linken Seite ist ein hervorragender Dribbler, Sané auf der rechten Seite ohnehin. Dazu können sie auch nicht nur gegen einen Gegenspieler den Ball behaupten, sondern sich auch an zwei oder drei durchsetzen und dann einen Pass oder Abschluss finden. Besonders bei Sané ist an guten Tagen diese Fähigkeit enorm ausgeprägt. Auch Meyer als Zehner ist ein sehr guter Dribbler, der zusätzlich noch den Ball strategisch intelligent und technisch sauber verteilen kann, während Huntelaar für diese drei einen Referenzpunkt im Angriffe geben und das Sturmzentrum besetzen sollte.

Leverkusen schaffte es aber, dass sie mit ihrem 4-2-2-2 im höheren Pressing und dem kompakten 4-4-2 im tieferen Pressing diese individuellen Stärken Schalkes eindämmen und voneinander trennen konnten. Häufig gingen die Einzelaktionen ins Leere und die situativen Vorstöße der Außenverteidiger (oder auch im Sechserraum) kamen gar nicht zustande oder waren nicht anspielbar.

Anfangs wirkte die Partie darum wie eine mögliche Nullnummer, doch die Hausherren verbesserten sich im Laufe der ersten Halbzeit.

Leverkusen steigert sich

Mit fortschreitendem Spielverlauf begannen die Leverkusener vermehrt schnelle Kombinationen zu spielen, geduldiger nach vorne zu kommen und die Mannorientierungen Schalkes zu bespielen. So gab es einzelne zurückfallende Bewegungen, die mit ausweichenden Läufen in der nächsten höheren Linie verbunden waren.

Unter anderem Bellarabi konnte dadurch ein paar Mal den Ball im Lauf mit mehr Raum erhalten und für potenziell gefährliche Situationen sorgen. Kampl nutzte seine Läufe außerdem stärker als lockendes Element und spielte dann schnelle Doppelpässe, um die entstehenden Lücken auszunutzen. Kramer schob höher nach vorne und ein paar gute Verlagerungen vom ballnahen in den ballfernen Halbraum nutzten die geringe Mittelfeldstaffelung Schalkes. In dieser Phase wirkte Schalke anfällig und ihre Defensivstruktur brüchig, doch Leverkusen konnte kein Tor erzielen.

Unerwartet kommt oft

Schalke erzielte wenige Minuten nach der Pause die überraschende und nicht ganz verdiente Führung. Nach einer guten Chance für Leverkusen war es ein Einwurf, welchen Schalke hervorragend bespielte. Eine Drehung und ein Lupfer über den Gegenspieler sorgten für einen Seitenwechsel gegen eine Leverkusener Mannschaft, die sich aggressiv zum Einwurf positioniert hatte. Die ballferne Seite war komplett offen und Goretzka spielte den von links diagonal startenden Choupo-Moting für eine tolle Chance frei.

Misskommunikation: Sowohl Kramer als auch Kampl kippen ab. Das gab es später seltener.

Misskommunikation: Sowohl Kramer als auch Kampl kippen ab. Das gab es später seltener.

Daraufhin musste Roger Schmidt reagieren. Er hatte zur Halbzeit bereits Brandt für Calhanoglu gebracht, nach dem Gegentor wurde mit Kießling ein körperlich rustikalerer und kopfballstärkerer Akteur als Partner für Chicharito statt Mehmedi eingewechselt. In dieser Phase wirkte die Rollenverteilung bei eigenem Ballbesitz wie ein 4-3-3; Brandt ließ sich auf halblinks etwas zurückfallen, Kampl ging auf halbrechts und Kramer spielte als zentraler, abkippender Sechser.

Schalkes etwas aktiveres Pressing und Offensivspiel verhinderte aber, dass Leverkusen die Staffelungen aus dem Ende der ersten Halbzeit wieder konstant generieren konnte. Dadurch entwickelte sich nach dem 0:1 – und sicherlich auch aus psychologischen Gründen – eine offenere Partie, die nicht mehr klar zu Leverkusens Gunsten ging.

Letztlich war es ein glücklicher Ausgleich nach einer Hereingabe, die als Abpraller von Riethers Gesicht zum 1:1 verwertet wurde. In der Endphase war Leverkusen wieder stärker und hätte sich den Sieg verdient gehabt, doch es blieb beim 1:1.

Fazit

In diesem Aufeinandertreffen hatten die Schalker zwar anfangs eine stabile Abwehr, doch Bayer kam immer besser ins Spiel und war die überlegene Mannschaft. Gegen Ende der ersten Halbzeit wirkte es, als wäre der Führungstreffer der Leverkusener nur eine Frage der Zeit. Doch Schalkes Führungstreffer kurz nach dem Seitenwechsel führte zu einem offeneren Spiel und schwächeren Leverkusener. Diese fanden später wieder besser in die Partie, Roger Schmidt stellte ein paar Mal personell und in einzelnen Abläufen um (im Text nicht erwähnt: tiefere Außenverteidiger), was in der Schlussphase wieder für mehr Überlegenheit sorgte. Der Ausgleich war glücklich, aber überaus verdient.

HP_Lehnhoff 30. November 2015 um 14:52

Sowas passiert eben, wenn man sich mit 3 Spielern auf den Einwurfempfänger stürzt, ohne sich um das zu kümmern, was im Rücken passiert. Aber aus meiner sicht nur sinnbildlich für die Spielweise.

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Rjonathan 30. November 2015 um 08:43

@ES
Ja, vor allem Chuopo und Höjberg spielen oft den komplizierten statt dem einfachen und zielstrebigen Weg. Letzterer hatte in der zweiten Halbzeit eine Balleroberung auf der rechten Seite Mitte der Lev-Hälfte. Und anstatt geradeaus auf den mittig startenden Meyer eine fast sichere Torchance zu suchen, spielte er kompliziert rechts neben sich auf Huntelaar, der eng von drei Leverkusener umstellt war.

@RM
Was mir in der Analyser der zweiten Halbzeit etwas zu kurz kommt: 1. Schalke hatte in den ersten 20-25 Minuten das Spiel voll im Griff. Lag das nur am Pressing? 2. Die Rolle Kampls, der schon vor dem Tor wiederholt durch das Mittelfeld spazieren konnte, und dann in meinen Augen folgerichtig den tödlichen Pass durch die Kette für die Torvorlage spielen konnte.

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koom 30. November 2015 um 11:22

Das mit Huntelaar dürfte die alte Seuche vieler Spieler und Trainer sein: In Bedrängnis/Hektik haut man den Ball irgendwie auf den großen Mittelstürmer, der macht schon irgendwas. Das ist seit Jahrzehnten so und wird wohl immer so bleiben. Kaum ist ein großer Stürmer vorne, verringert sich die Paßqualität, weil man dauernd solche Idiotenbälle spielt.

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Rjonathan 1. Dezember 2015 um 08:44

Nein, die Situation war in diesem Fall sehr anders. Meyer stand zentral in „falsche neun“ Position, Huntelaar stand neben Höjberg zusammen mit Sané nicht unweit der Außenlinie.

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Rjonathan 1. Dezember 2015 um 08:49

PS: das Phänomen allgemein beschrieben ist denke ich eher: junger talentierter Spieler denkt intuitiv unter Druck, der komplizierte Weg ist der „geniale“ und bessere. Deswegen übersieht er den einfachen klären und zieelstrebigeren Weg. Das Problem hatte Meyer letztes Jahr sehr stark, hat sich aber gebessert.

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ES 29. November 2015 um 20:06

Der Ausgleich kurz nach dem Seitenwechsel (Fazit) war übrigens der Führunsgtreffer.

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ES 29. November 2015 um 20:03

Was ich beim Schalker Spiel immer wieder anstrengend finde ist, dass sie nach den Balleroberungen den Ball nicht sauber gesichert bekommen (nicht etwa, weil Leverkusen so gut gepresst hätte, das war ja heute nicht so Harakiri-mäßig), sondern weil statt der sicheren Anspielstation eine deutlich schlechtere Option gewählt wird. Oder wenn Choupo den Ball tief in der eignen Hälfte gewinnt, zwei Spieler aussteigen lässt, freien Raum hat, und dann statt den klaren Pass zu spielen ins nächste Dribbling geht. Resultat Ballverlust und offenes Feld für den Gegner. Wenn sie das mal sachlicher spielen würden, hätten sie mit so einem Gegner wie Leverkusen deutlich weniger Mühe.

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luckyluke 30. November 2015 um 11:50

Wenn eben das ganze Offensivspiel auf Einzelaktionen ausgelegt ist, wie im Artikel beschrieben, dann sehen die Spieler die einfache und ballsichernde Option vielleicht gar nicht. Vor allem wenn es Spieler wie Choupo sind, der/die gerne mal ins (aussichtslose) Dribbling gehen…

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Goalimpact 30. November 2015 um 13:54

Chupo erhöht mit den Dribblings aber seine Kennzahlen. Bei WhoScored war er Man-of-the-Match und hat es sogar ins Team der Woche geschafft.

https://twitter.com/WhoScored/status/671308987854270464

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