Grande Inter zeigt defensive Brillanz im Finale von Wien

3:1

Internazionale Milano wollte es dem Stadtrivalen AC Milan gleich tun und im European Cup triumphieren. Die Nerazzurri konnten dabei auf Trainergenie Helenio Herrera bauen.

Nachdem Benfica aufgrund des Abgangs von Béla Guttmann die angedeutete Dominanz aus den Jahren 1961 und 1962 nicht fortführen konnte, übernahmen die beiden Mailänder Klubs das Kommando auf europäischem Parkett. 1963 gewann AC Milan das Finale des European Cup gegen Benfica im Londoner Wembley Stadium mit 2:1. Im darauffolgenden Jahr mussten sich die Rossoneri allerdings im Viertelfinale Real Madrid geschlagen geben. Die Blancos wollten nach der Finalniederlage 1962 sowie dem schmachvollen Ausscheiden gegen den RSC Anderlecht in der Qualifikationsrunde der Saison 1962/63 endlich wieder an die Spitze Europas zurückkehren.

Doch sie bekamen es dabei mit Milans Stadtrivalen Internazionale zu tun. Deren Cheftrainer Helenio Herrera war für die Madrilenen ein alter Bekannter. Denn er hatte bis zum Sommer 1960 den FC Barcelona trainiert. Damals war er allerdings im Halbfinale des European Cup gegen Real Madrid ausgeschieden – und hatte Starstürmer László Kubala nicht aufgestellt. Das zwang schlussendlich Herrera zum Abgang. Der Argentinier heuerte daraufhin umgehend bei Internazionale an. Sein Spielmacher Luis Suárez folgte ein Jahr später. Dafür überwiesen die Mailänder die Rekordsumme von 250 Millionen Lira an Barça.

Auf dem Weg ins 1964er Finale hatte Herreras Mannschaft einige Hürden zu überwinden. Sie schalteten im Viertelfinale FK Partizan aus und bezwangen eine Runde später Borussia Dortmund. Nach einem 2:2 im Stadion Rote Erde waren es Treffer von Sandro Mazzola und Jair da Costa, die im heimischen San Siro den Weg zum Endspiel ebneten.

Real Madrid hatte im Halbfinale hingegen weniger Sorgen. Sie bekamen es mit dem FC Zürich zu tun, der nach einem 1:2 im Letzigrund mit 0:6 im Estadio Santiago Bernabéu unterging. Zuvor konnten die Madrilenen den AC Milan ausschalten. Nach einem klaren 4:1 im eigenen Stadion brachten sie den Vorsprung im San Siro über die Zeit, da Milan nur zwei Tore verbuchen konnte. Es war ein erstes größeres Ausrufezeichen nach der Blamage im Vorjahr. Das legendäre Team um die Altmeister Alfredo Di Stéfano und Ferenc Puskás, der mit sieben Treffern zu den Top-Torschützen des Wettbewerbs gehörte, war anscheinend noch nicht am Ende.

Inters Mauer unüberwindbar

Internazionale trat im Finale erwartungsgemäß in ihrem berühmten 1-3-3-3-System an. Armando Picchi fungierte dabei als Libero hinter den drei Verteidigern, wobei sich beide Außenspieler im Verlaufe der Partie immer wieder nach vorn begaben. Anfangs bewegte sich auch noch der defensive Mittelfeldakteur Carlo Tagnin neben Zentralverteidiger Aristide Guarneri, wodurch eine Viererreihe vor Picchi entstand. Aber nach der Anfangsphase trieb Tagnin die Angriffe oftmals aus der Tiefe heraus an und sicherte zudem mit Luis Suárez vor der Abwehr ab.

2015-11-26_realmadrid-inter_1964-grundformationenAuf Seiten von Real Madrid setzte Trainer Miguel Muñoz einmal mehr auf die 3-2-5-Grundformation, die von der Interpretation der drei offensiven Zentralspieler lebte. Der 37-jährige Di Stéfano, der in dieser Partie keine sonderlich prägende Rolle spielte und am Ende der Saison die Blancos verließ, hielt sich zunächst in der Sturmspitze auf, während Puskás sowie Felo aus der Tiefe agierten.

Antreiber war aber der Elsässer Lucien Muller, der an der Seite von Defensivspezialist Ignacio Zoco viele Wege nach vorn ging und den Ball in höhere Zonen schleppte. Anfangs zog es Muller häufiger auf die rechte Seite. Zoco hingegen blieb in der ersten Halbzeit meist Mazzola auf den Fersen.

Die ersten Minuten im Finale bestimmte Internazionale. Suárez verhielt sich sehr präsent vor der eigenen Abwehr und leitete mehrfach Konterangriffe ein, indem er nach Ballgewinnen direkt steil auf Mazzola passte. Zu Beginn zog Jair zur Unterstützung in die Mitte und überlud dort die Räume, während Linksaußen Mario Corso zunächst Außenverteidiger Giacinto Facchetti dabei half, die Angriffe der Madrilenen über diesen Flügel abzuwehren.

Im weiteren Verlauf des Spiels sollte jedoch Corso zum wichtigen Faktor im zentralen Mittelfeld werden. Jair hingegen beschränkte sich zunehmend auf seine Dribblings an der Seitenlinie. Der Brasilianer empfing mehrfach den Ball recht tief und nahm Tempo auf, sodass ihn Pachín nur äußerst schwer stoppen konnte. Jair war nicht unbedingt darauf fokussiert, Flanken in den Sechzehner zu schlagen, sondern selbst in den Strafraum der Madrilenen einzudringen.

Einen signifikanten Unterschied zwischen beiden Mannschaften stellte der defensive Laufaufwand, den sie betrieben, dar. Internazionale war für seine defensive Stabilität bekannt, was unter anderem am hohen Verständnis der nominellen Angreifer für Defensivaufgaben lag. Nahezu alle Italiener arbeiteten nach hinten. Die Außenverteidiger verfolgten ihre direkten Gegenspieler im letzten Drittel, während beispielsweise Tagnin die Löcher stopfte. Bei Real Madrid hingegen blieben die vorderen Stürmer nach Ballverlusten häufig stehen und überließen den sechs defensiveren Akteuren die Arbeit. Dies wurde umso problematischer, da ständig Verteidiger von Internazionale bei Angriffen nachstießen und damit Überzahlsituationen herstellten.

In der neunten Minute wurde die Partie kurz für einen Moment des Schweigens unterbrochen. Man gedachte den hunderten Toten bei einer Katastrophe im Estadio Nacional von Lima, die sich 1964 während des Länderspiels zwischen Peru und Argentinien ereignete.

Nach der Anfangsviertelstunde nahm das Tempo merklich ab. Internazionale variierte den Spielaufbau, indem sie entweder über die Außenverteidiger eröffneten oder Libero Picchi einen langen Ball nach vorn schlug. Ihre offensive Durchschlagskraft ließ trotz ansehnlicher Aktionen von Jair und Mazzola zunächst zu wünschen übrig.

Real Madrid wiederum erhöhte das Gefahrenpotenzial der eigenen Angriffe. Nach der anfänglichen Zurückhaltung ließ sich Di Stéfano nun stärker zurückfallen, was wiederum Muller entlastete und Räume für die Nebenmänner in der Offensive öffnete. Gento probierte es in der für ihn typischen Art mit linearen Tempovorstößen über die Außenbahn. Sein Pendant auf der anderen Seite, Amancio Amaro, unternahm derweil diagonale Dribblings nach innen, um Facchetti abzuschütteln.

Bei längeren Ballbesitzphasen war es den Madrilenen sogar möglich, sich geordnet mit dem Großteil der Mannschaft bis an den Strafraum der Italiener zu kombinieren. Allerdings stand ihnen dann eine Mauer entgegen, die Schnittstellen derart stark verdichtete, dass die Blancos quasi nur zu Fernschüssen oder Verzweiflungsflanken kamen.

Und zudem musste Real Madrid aufpassen, dass sie nicht von einem Konter der Nerazzurri überrumpelt wurden. Gerade Facchetti unternahm nach rund einer halben Stunde immer häufiger Vorstöße auf dem linken Flügel bis zum gegnerischen Strafraum, wodurch sich Corso innen als Anspielstation positionieren konnte. Unterstützung bekam Facchetti hingegen von Milani, der wiederum das Zentrum häufiger verließ und Bälle auf der linken Außenbahn aufnahm. All das stiftete zumindest zeitweilig Verwirrung in der Verteidigung von Real Madrid.

Es war am Ende auch Facchetti, der den Führungstreffer in der 43. Minute einleitete. Guarneri spielte zunächst einen langen Diagonalball in Richtung des linken Strafraumecks, wo der italienische Linksverteidiger bereits positioniert war. Sein eigentlicher Gegenspieler Amancio hatte die Verfolgung nur unzureichend aufgenommen. Facchetti konnte nach innen zu Mazolla legen, der aus der Distanz mit einem sehenswerten Schuss abschloss.

Madrid verzweifelte

Die Madrilenen kamen motiviert aus der Kabine. Es gab direkt nach Wiederanpfiff eine Großchance für Gento nach gutem Schnittstellenpass von Felo. Aber der Kapitän traf nur den Pfosten und Amancio setzte den Ball per Nachschuss neben das Tor. Wenige Augenblicke zuvor hatte sich Mazzola verletzt. Aber zur Erleichterung der Tifoso und unter großem Jubel im Praterstadion konnte der Offensivkünstler der Nerazzurri auf das Feld zurückkehren.

Real Madrid dominierte die erste Viertelstunde nach der Halbzeitpause. Doch dann kam der Schock für die Blancos. Ein simpler langer Ball über die linke Seite von Internazionale leitete das 2:0 ein. Mazzola konnte das Spielgerät gegen Isidro Sánchez behaupten und zu Milani spitzeln. Dieser zog nach innen und schloss mit einem Flachschuss ins lange Ecke ab. Der Ball sprang direkt vor Torhüter José Vicente auf, der ihn nicht um den Pfosten herumlenken konnte.

Noch während des Torjubels sprach Mazzola mit Kapitän Picchi über eine defensivere Ausrichtung ihrer Mannschaft. Internazionale hatte nun die Möglichkeit einen Zwei-Tore-Vorsprung zu verteidigen – eine Spezialität von Herreras Team. Doch in der 70. Minute, neun Zeigerumdrehungen nach dem 2:0, erzielte Real Madrid den Anschlusstreffer. Nach einem Eckstoß von Puskás rutschte die Kugel zu Felo durch, der mit einer seitlichen Volleyabnahme aus Nahdistanz verkürzte.

Nur sechs Minuten später stellte Internazionale den alten Abstand wieder her. Erneut war es ein langer Ball auf Mazzola, der sich in der zweiten Halbzeit und vor allem in der verstärkt defensiven Formation auf der linken Seite aufhielt. Milani hatte das Spielgerät aber eigentlich für Mazzola unerreichbar nach vorn gebolzt. Abwehrchef José Santamaría wollte mit dem Rücken zum Spielfeld den Ball über seinen Kopf herausschlagen, traf ihn aber nicht richtig. Mazzola stand direkt hinter Santamaría, nahm die Kugel mit der Brust an und lief auf José Vicente zu, der den Treffer nicht verhindern konnte.

Real Madrid war nach 1962 erneut geschlagen. Die „alte“ Generation schien ihren Zenit überschritten zu haben. Denn gerade in der Schlussphase des Finals hatten sie der jungen, energiegeladenen Mannschaft von Internazionale wenig entgegenzusetzen.

Helenio Herrera wurde für sein taktisches Verständnis und sein defensiv ausgeklügeltes System gelobt. Doch der argentinische Trainer hatte auch die passenden Spieler zur Verfügung, die nicht nur gewillt waren, gegen den Ball als Kollektiv mitzuarbeiten, sondern auch die wenigen Chancen – in der zweiten Halbzeit des Endspiels waren es nur zwei – auszunutzen. Im darauffolgenden Jahr sollten sie dies im Finale, das im heimischen San Siro stattfand, gegen Benfica nochmals unter Beweis stellen. Real Madrid musste zwei Jahre warten, bis sie vorerst zum letzten Mal ins Finale um den European Cup zurückkehren würden.

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