Schalke, Hamburg und trotzdem Spielaufbau

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Zwei langjährige Ballbesitz-Krisenklubs beschmeißen sich gegenseitig mit guten Ansätzen ohne die letzte Konsequenz.

Bruno Labbadia ist ja Offensiv-Coach, kann das sein? André Breitenreiter auch so ein bisschen wenigstens? Jedenfalls stecken ihre Mannschaften gerade in ähnlichen Situationen. Nachdem beide Vereine in den letzten Jahren bei jedem Ansatz von eigenem Ballbesitz ständig auf’s Gesicht bekamen, entwickelt sich in den letzten Monaten so langsam eine Basis für Offensivfußball mit Spielaufbau. Gehen wir ins Spiel.

Schalke im beweglichen 3-1-5-1-Aufbau

Hamburg - SchalkeNachdem Schalke bereits gegen Stuttgart den entscheidenden Konter durch die Umstellung auf das 4-2-3-1 setzte, ließ André Breitenreiter dieses Mal von Beginn an mit Zehner spielen. Max Meyer startete zwischen Sané und Choupo-Moting, Huntelaar blieb auf der Bank. Naturgemäß gab es dadurch bedeutend mehr Verbindungen innerhalb der Offensive als im 4-4-2.

Die restliche Offensivstruktur blieb wie im 4-4-2, doch wurde durch den zusätzlichen Zentrumsspieler merklich belebt. Geis kippte häufig ab, die Außenverteidiger schoben weit nach oben. Goretzka agierte wieder einmal als zentraler Verbindungspunkt zwischen den Mannschaftsteilen. Gelegentlich war das zu wenig und Schalke musste aus der Aufbau-Dreierkette früh auf den Flügel verlagern. In einigen Situationen konnte Meyer aber durch seine Bewegungen geschickt die Hamburger Sechser binden und öffnete das Zentrum dadurch.

Generell überzeugte Schalke mit einer deutlich beweglicheren Ausrichtung als zuletzt. Sané und Choupo-Moting rückten ballnah in den Halbraum ein und schufen dort mit Meyer Überladungen. Aogo rückte mit Ball zuweilen weit ein, wenn die Hamburger Mittelfeldlinie von Choupo-Moting und Meyer nach hinten gedrückt wurde. Goretzka hatte im Verlauf der Spielzüge auch mehr Freiheiten.

Letztlich konnten die Schalker aus dieser Ausrichtung aber noch nicht wirklich Effektivität erzeugen. Di Santo band sich nicht gut ein, die Überladungen wurden nur selten mit Kombinationen ausgespielt und der Ball wurde innerhalb des Mittelfelds zu wenig zirkuliert. Hier fehlte wiederum der abgekippte Geis. So blieb die Hamburger Abwehrreihe meist stabil und hatte hauptsächlich in Umschaltmomenten Probleme. Dennoch war die Schalker Struktur als Fundament gut und zeigte sich auch stabil nach Ballverlusten.

Díaz im toten Raum

Bei Hamburg rückte Marcelo Diaz in die Startelf und bildete mit Ekdal das zentrale Mittelfeld hinter Holtby. Diese Konstellation im Zentrum ist nicht nur personell sehr vielversprechend, sondern sah in der Anfangsphase auch auf dem Rasen ziemlich gut aus. Nach 10 Minuten stand die Passquote bei 90%. Diaz blieb bis zur Halbzeitpause ohne Fehlpass; das nützte aber nicht so arg viel, da er beispielsweise zwischen der 30. und 40. Minute kein einziges Mal an den Ball kam.

Im späteren Verlauf des ersten Durchgangs verlor Hamburg nämlich die Kontrolle über die Ballzirkulation, da Schalke etwas aggressiver presste und schon den Übergang auf die Sechser häufig unterbinden konnte. Ekdal bewegte sich etwas zu vertikal, stand zu hoch, Diaz füllte das defensive Mittelfeld dann allein. Di Santo und Meyer formierten sich eng vor ihm, verhinderten den Pass, liefen dann die Innenverteidiger an, erzwangen den Rückpass und Drobny musste lange Hölzer verteilen. Beim Kampf um die zweiten Bälle fehlte es den Hamburgern dann an körperlicher Präsenz und kompakten Staffelungen hinter Lasogga und Holtby.

Letzteres Problem entschied dann sogar das Spiel. Ein Abstoß von Drobny landete direkt im Fuß von Goretzka. Die vier Offensivspieler waren sofort aus dem Spiel, Diaz fehlte die Reichweite um den Raum vor Goretzka zu schließen. So konnte dieser ungestört auf die Abwehr zumarschieren und setzte Sané ein, der mit Geschwindigkeitsüberschuss hinter die letzte Linie ging und den unheimlich simplen Angriff sauber abschloss.

Verstärktes Herauskippen im zweiten Durchgang

Im zweiten Durchgang konnten die Hamburger dann wieder stärker ihre spielerischen Qualitäten einbringen. Die Außenverteidiger positionierten sich nun etwas höher und Ekdals Bewegungen passten besser. Statt frühzeitig nach vorne zu schieben, pendelte er eher mit Diaz um die beiden Innenverteidiger. Einer der beiden kippte frühzeitig nach außen und schuf damit die zusätzliche Anspielstation gegen die Doppelspitze des Schalker Pressings.

In dieser Phase passte auch der Rhythmus der Hamburger in den Folgeaktionen gut. Sie nutzten das etwas undisziplinierte Rückzugsverhalten der Schalker, um den Ball im Mittelfeld laufen zu lassen und in den herausgekippten zweiten Sechser wieder nach vorne zu ziehen. So wurden sie trotz recht hoher Präsenz kaum konteranfällig.

Schalke offenbarte hier erneut seine Kompaktheitsprobleme im Pressing. Vor allem zwischen der ersten und zweiten Linie gibt es häufig keine Verbindung. Auch an die Flügelspieler ist die Doppelsechs nicht gut angebunden. Das erschwert auch Konterangriffe aus tieferen Zonen heraus, die früher eine der größten Schalker Stärken waren.

Schrödingers Raute

Trotz viel größerer Spielanteile hielten sich die Chancen der Hamburger weiterhin in Grenzen. Das Angriffsspiel aus den Mittelfeldräumen heraus wirkte unklar und wenig zwingend. Zum einen schoben die Flügelspieler etwas zu früh in die Spitze und brachten dann, als es nötig wurde, kaum noch Bewegung ein. Überhaupt bewegten sich die Hamburger Offensivspieler ziemlich linear und dadurch doch ziemlich vorhersehbar.

Zum anderen waren diese Bewegungsschwächen in einen seltsamen Angriffsrhythmus eingebettet. Hamburg versuchte unterschiedliche Mittel zu nutzen, drückte aber keines konsequent durch. Kleinräumige Angriffe durch den Zwischenlinienraum wurden nicht mit Läufen forciert, Dribblings wurden nicht unterstützt und Flankenangriffe wirkten meist wie Verlegenheitsversuche. Die Mischung aus kreativen und physischen Offensivspielern bringt somit keine Synergie, sondern ist eher so ein „weder Fisch, noch Fleisch“-Ding. Ist Hamburg kreativ oder brachial? Man weiß es nicht, bis sie mal ein Tor erzielen.

Strafraumverteidigung à la Schalke

Der Quantenzustand der Raute blieb in diesem Spiel auch ungeklärt, weil Schalke mal wieder in der mittlerweile wohl klassischsten aller Schalker Paradedisziplinen glänzte: Die Stafraumverteidigung überzeugte vollends. Neustädter und Matip bewegten sich in und vor der Box sehr sauber, die Außenverteidiger rückten diszipliniert ein, die Doppelsechs kontrollierte den Rückraum. Flanken wurden sauber geklärt, Zweikämpfe stabil abgesichert. Irgendwie können die das immer auf Schalke, fast egal, wer spielt.

Die Stabilität der Viererkette wurde in der Endphase noch dadurch verstärkt, dass oftmals einer der beiden Schalker Flügelsspieler neben die Abwehr zurückfiel. So konnten sich die Außenverteidiger auf die Verengung des Raumes vor dem Strafraum konzentrieren und die Kette musste weniger nach außen schieben. Das brachte zwar noch mehr Hamburger Offensivpräsenz, aber in der Endphase nutzten die Hanseaten die – nun noch offeneren – Mittelfeldräume sowieso kaum noch.

Die gefährlichsten Szenen der Hamburger waren letztlich auch Standardsituationen – das übliche, wenn eine Mannschaft Offensivpräsenz aber wenig Ideen hat. Mit etwas Pech genügten diese Szenen nicht zum Ausgleichstor.

Fazit

Ganz nette Ansätze auf beiden Seiten, viele technisch gute, kreative Spieler – ein gutes Fundament für die weitere Entwicklung. Was übrigens auf beiden Seiten auch schon eine Entwicklung darstellt, verglichen mit dem Saisonbeginn. Das Angriffsspiel muss nun noch fokussierter und strukturierter werden und eine Verfeinerung und Stabilisierung der Ansätze im Aufbauspiel kann auch beiden Teams nicht schaden.

Defensiv kann man aber beide Mannschaften durchaus kritisieren. Die Kompaktheit und Sauberkeit in Richtung Strafraum war zwar gut, aber auf beiden Seiten wirkte die Doppelsechs in der Mitte des Defensivblocks ziemlich verloren. Die Flügelspieler fokussierten sich etwas zu sehr auf die Außenbahnen, Zehner und Stürmer pressten etwas isoliert. Das scheint übrigens ein Bundesliga-Trend zu werden – wäre eher nicht so gut.

Willibert 19. Oktober 2015 um 14:20

Ein Glück, daß Draxler weg ist. Der war dauernd verletzt, kriegte viel Geld und wär wahrscheinlich mit 30 noch immer Talent gewesen. Und auch noch 35 Mio. bekommen. Optimal !!!!!!! Und noch eins zu Boateng, der nahm ständig anderen (besseren) Spielern den Platz weg, wenn er nicht gerade verletzt war.

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ES 28. September 2015 um 12:32

Ich glaube, dass den Schalkern der Weggang von Draxler in gewisser Weise gut getan hat, und zwar aus zwei Gründen: 1) Ich hatte den Eindruck, dass Breitenreiter mit Geis und Draxler ein sehr weiträumiges Spiel bevorzugt hat mit vielen langen Bällen, wobei Draxler gerne die diagonalen Bälle von links auf rechts (gerne auf Choupo) gespielt hat. Teilweise unter kompletter Aufgabe des zentralen Mittelfelds. Spieler wie Meyer (und teilweise Goretzka), die eher auf kleinteiligere Verbindungen aus sind), wurden damit größtenteils überspielt. Was bei der Qualität von Meyer bekanntlich schade ist. Breitenreiter scheint hier entsprechend seinen Spielern angepasst zu haben 2) Ich hatte immer den Eindruck, dass der Spielaufbau bei Draxler immer einen gewissen Abbruch erleidet. Er macht dann zwar oft was Gutes (z.B. Vorstoß in die Mitte oder weiträumiger Pass), aber es ist dann oft ein neuer Ansatz, Bei Meyer und Goretzka ist das alles mehr durchläufiger. Das macht den ganzen Spielaufbau homogener, mannschaftlich geschlossener, und im Endeffekt schneller. Liege ich da falsch?

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FAB 28. September 2015 um 13:44

Ich glaube das v.a Goretzka ein unglaublicher Glücksfall für das Schalker Spiel ist (endlich verletzungsfrei und mit dem vertrauen des Trainers). In früheren Zeiten gab es da immer „nur“ein Draxler ein Kevin-Prince, ein Jermain Jones. Alles Spieler die mit Dynamik und Einzelaktionen etwas bewirken wollten. Mit Goretzka ist nun endlich ein Spieler da, der Verbindungen sucht. Das ist etwas neues, denn genau daran krankt das Schalker Spiel seit Jahren, kommt ja auch in der MR Analyse raus. Zwar gab es defensiv immer viel Stabilität, aber Offensiv hat Schalke eigentlich immer nur von Einzelaktionen gelebt. Ich bin gespannt was sich daraus entwickelt, zumal auch mit Meyer und Sane viel Potential da ist. Nur schade dass Thilo Kehrer nach dem Wdechselhickhack im Sommer nicht den Sprung in den Kader geschafft hat, er hat in meinen Augen eine überragende U19 EM gespielt und verfügt über ein ähnliches Potential wie Weigl oder Kimmich.
Zu Breitenreiter: Immerhin schenkt er Goretzka und einigen anderen jungen Akteuren das Vertrauen, aber so eine richtige Handschrift läßt sich tatsächlich noch nicht erkennen. Wenn er es nun aber schafft, die unterschiedlichen Charaktere Verbindungsspieler / Einzelgänger besser zu vereinen, dann könnte er auf Schalke etwas größeres schaffen.

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Rjonathan 19. Oktober 2015 um 12:23

Gute Nachricht: Kehrer ist begnadigt und ab sofort wieder im Kader. Vielleicht sehen wir ihn ja diese Saison doch noch im blauen Trikot.

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TS 28. September 2015 um 09:28

Ich glaube nicht, dass bei einem funktionierenden Mittelfeld aus Holtby, Diaz, und oder Ekdal die Physis fehlt, da es sich um 3 sehr spielstarke und passsichere Spieler halten, die eigentlich auch über gute Zweikampfwerte verfügen.
Ich glaube, dass der HSV sich in einer guten Entwicklungsphase befindet, in der durchaus noch einige Hakler unf Wackler drin sind, die aber meiner Meinung nach deutlich weniger werden. Tendenz nach oben zeigend.
Ansonsten toller sehr schneller Artikel!!! Daumen hoch!!!

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LuckyLuke 28. September 2015 um 10:19

Und das Schalker Mittelfeld, also die „direkten“ Gegenspieler, war jetzt auch nicht mit lauter Schwarzeneggers besetzt…

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MR 28. September 2015 um 15:35

Naja, Goretzka ist halt ca doppelt so schnell wie Díaz, was vor dem Tor letztlich auch spielentscheidend war.

Ging mir darüber hinaus auch darum, dass die Flügelspieler nicht auf den zweiten Ball gingen, sondern meist in der letzten Linie warteten.

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Rjonathan 28. September 2015 um 08:30

Danke für die interessante und in meinen Augen sehr treffende Analyse. Eine Frage habe ich zu einer Randbemerkung:
„Das erschwert auch Konterangriffe aus tieferen Zonen heraus, die früher eine der größten Schalker Stärken waren“
Ich habe mich gefragt welches frühere Schalke du damit meinst. Kontert waren unter den letzten Trainern doch immer grauenhaft. Insofern empfinde ich sogar das mittelmäßige Konterspiel derzeit als einen großen Fortschritt.

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SM 28. September 2015 um 02:06

Ich habe die Hamburger Aufstellung nicht verstanden – Ohne Ilicevic und Mueller fehlt es IMHO vorne an Dynamik und Kreativitaet, und einem Mittelfeld Holtby – Diaz/Ekdal mangelt es etwas an physischer Praesenz.

Was ist eigentlich Gregoritsch’s beste Position? Gregoritsch auf Aussen scheint nicht ideal zu sein, nicht antrittsschnell/dribbelstark genug? IIRC hatte er in den vergangenen Spielen in der Mitte gelegentlich gute Szenen wo er den Ball gut verteilte und auch per Fernschuss gefaehrlich sein kann.

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