Pressingduell im Stadtderby von Lissabon

1:1

Hohe Intensität und viele Situationen unter Druck kennzeichneten die Begegnung zwischen Sporting CP und Benfica. In den dramatischen Schlussminuten fielen zwei erzwungene Tore.

Es ging um die Tabellenführung und die Meisterschaft in Portugal, wo Titelverteidiger Benfica – vier Punkte vor Porto und sieben vor Stadtrivale Sporting liegend – bei Letztgenannten zum Derby gastierte. Die Hausherren setzten auf ein 4-2-3-1/4-1-4-1 mit variablem Mittelfeld und den schnellen Außenstürmern Carillo und Nani, während Benfica das typische 4-4-2 durch die etwas konservativere Aufstellung von André Almeida nur vereinzelt als ihr typisches 4-1-3-2 ausführte.

sporting-benfica-2015Sporting leicht überlegen im Pressingduell

Es entwickelte sich gerade in der ersten Halbzeit ein äußerst intensives Pressingduell mit vielen unangenehmen Engen und zahlreichen Umschaltszenen. Keine der Mannschaften konnte sich entscheidend durchsetzen, wenngleich Sporting die etwas besseren Momente hatte, und immer wieder hingen die Teams in gegnerischen Defensivaktionen fest. Nach einigen personellen Schwächungen ist das lobenswerte Benfica von Jorge Jesus zuletzt etwas simpler geworden, doch zumindest ihr Pressing wusste in dieser Partie zu überzeugen. In einer 4-4-2-Formation gegen den Ball gingen sie frühzeitig auf die Viererkette und leiteten sie nach außen, wo der Flügelspieler herausrückte, seinen Gegenspieler attackierte und das Kollektiv engagiert nachschob. Der ballferne Außen bewegte sich weit ins Zentrum und übernahm absichernde Aufgaben im Halbraum bzw. den vakanten Bereichen der Mittelfeldlinie.

Gelegentlich zeigte Sporting etwas unverbundene, aber individuell interessante Herauskippbewegungen von William Carvalho oder auch mal Adrien Silva, die Benfica mit einzelnen Mannorientierungen oder durch die Außenstürmer bekämpfte. Diese attackierten also nicht nur vereinzelt diagonal die Innenverteidiger, sondern übernahmen und pressten in solchen Szenen auch seitliche Positionierungen der Sechser. Sporting konnte sich zwar selten weiträumig lösen und nur durch zentrales Zurückfallen des Sechsers oder eine etwas höhere Torwarteinbindung ein wenig ruhigere Phasen erzeugen. Aber mit ihrem sehr direkten und flügelfokussierten Spiel hatten sie gegenüber den andererseits teils instabilen Ballbesitzbemühungen Benficas die etwas besseren Karten. Auf der rechten Seite gab es zahlreiche frühzeitige Flügellinienpässe von Cédric auf Carillo und dazu gehörten weite Verlagerungen auf Nani zu den wichtigsten Offensivmitteln.

Der vielleicht interessanteste Punkt an ihrer recht simplen Spielweise war die Tatsache, dass sich Mittelstürmer Montero schon zu Beginn des eigenen Aufbauspiels sehr deutlich im Abseits positionierte. Damit wollte er bei möglichen dynamischen Flügeldurchbrüchen hinter die Abwehr Unruhe gegen Benficas Rückzugsbewegung stiften, sich nachhaltig von seinen Gegnern loslösen und im besten Falle einfach „vor“ diesen beim Tor ankommen, um dann Querpässe der Außenstürmer leicht verwerten zu können. Aufgrund weitgehend starker Arbeit der Viererkette der Gäste kam es aber kaum zu solchen Szenen. Insgesamt war Sporting aufgrund dieser Aspekte etwas überlegen, konnte daraus aber nicht so viel machen und dies nur inkonstant in ein Chancenplus übersetzen. Auch nach dem Aufrücken suchten sie in vielen Phasen sehr klar die Flügel und brachten dort zahlreiche – also zu viele – Flanken.  Kleinere spielerische Überladungsansätze im rechten Halbraum um João Mário traten auch nur sporadisch auf.

Absperren von Samaris

Dass die Mannen von Trainer Marco Silva aber die leicht überlegene Truppe mit etwas mehr Zugriff auf das Geschehen waren, lag zudem auch an der guten Arbeit ihres flexiblen Dreiermittelfelds und der Tatsache, dass sie im Pressing noch etwas systematischer die gegnerischen Ansätze ersticken konnten. Für Benfica war dies natürlich schwerwiegender, da sie dann häufig auf frühzeitige lange Bälle setzen mussten, die ihnen nur sehr bedingt liegen. Zentraler Bestandteil der Pressingstrategie Sportings war eine leichte Asymmetrie mit guter Nutzung der 4-1-4-1-Struktur. Aus dieser etwas verschobenen Grundposition mit leicht höherem João Mário war es dann häufig stattdessen Adrien Silva, der halblinks mit zu Montero in die vorderste Pressinglinie nachrückte. Dadurch wurde die rechte Seite Benficas besonders geblockt und ihr im zweiten Drittel wichtigster spielerischer Akteur, Andreas Samaris, abgesperrt. Gerade in der ersten halben Stunde fand er in seinem Grundraum kaum ins Spiel und konnte sich höchstens mit weiträumigem Ausweichen oder eben im Kampf um zweite Bälle einbinden.

Gegen den Deckungsschatten Adrien Silvas, das Herüberschieben des höheren Achters und die entstehende Zugriffspräsenz Sportings musste Benfica also wieder zurück nach links spielen oder lange Bälle schlagen. Wenn sie vorne waren, handelte es sich also meist um etwas chaotische und unruhige Szenen, mit denen sie in ihrer etwas simpleren Struktur nicht so gut zurechtkamen, wie es schon einmal der Fall war. Zudem war in dieser Begegnung die Flügelbesetzung etwas zu dribbelnd ausgelegt und Jonas fand nur selten spielerische Anbindung. Die beiden Angreifer waren zwar ständig in Bewegung und drifteten durch diverse Bereiche, doch über diese positionelle Fluidität hinaus war die Offensivstruktur des Teams etwas simpler als gewohnt. Kleinere Flügelüberladungen mit dem nach links ausweichenden Lima blieben lange die einzigen klareren Ansätze. Erst zum Ende der ersten Halbzeit gewannen die Gäste im Aufbau etwas mehr Kontrolle und konnten dann in der Folge die vorderen Ansätze auch mal ruhiger bedienen statt sie nur aus Kampfszenen nach zweiten Bällen entstehen zu lassen.

Zweite Halbzeit

In der zweiten Halbzeit versuchte es Sporting mit einer leichten Anpassung in der offensiven Ausrichtung. Sie forcierten nun etwas häufiger die Überladungen auf der linken Seite, wo sich João Mário zusätzlich mit einschaltete. Vereinzelt rochierte er als Befreier für den invers dribbelnden Nani auf den Flügel, doch meistens suchte er das Zusammenspiel im Halbraum. Gegen diese ordentlichen, aber eher flügelorientierten Mechanismen der Hausherren verteidigte Benfica durchaus geschickt und konnte die Abläufe damit einige Male abbremsen. Auf den Flügeln nahmen sie passive Mannorientierungen ein und zeigten sich in diesen sehr reaktiv, was durch einen in den äußeren Halbraum geschobenen und dort die Ansätze abblockenden Sechser ergänzt und abgesichert wurde. Nur bei einzelnen Szenen kam Sporting durch, wie beispielsweise dem guten Kombinationsansatz João Mários der in den schwungvollen Minuten nach Wiederbeginn eine Freistoßmöglichkeit minimal vor der Strafraumgrenze einbrachte. Ansonsten änderte sich aber wenig an der grundsätzlichen Spielbalance, wenngleich das Pressinglevel auf beiden Seiten in Sachen Intensität etwas heruntergefahren wurde.

Dennoch zeigten die Teams auch in späteren Phasen der Begegnung noch kleinere Anpassungen und Variationen in dieser Hinsicht. Sporting interpretierte das 4-1-4-1 beispielsweise über Phasen so, dass João Mário mannorientiert gegen André Almeida einen Ankerpunkt bildete, Adrien Silva dahinter balancierte und William Carvalho in der Tiefe immer sehr weit zum jeweiligen Flügel schob, um dort auch besonders die Räume für Jonas´ zunehmendes Ausweichen zu verknappen. Wollte man mehr Druck machen, gab es anpassende Übernahmen der Mannorientierungen auf die gegnerischen Sechser zwischen den eigenen Achtern. Diese Zuordnungen waren ebenso ein Merkmal in später nochmals passiveren, symmetrischeren 4-1-4-1-Stellungen. Auf der anderen Seite setzte Benfica zunehmend auf ein 4-4-2 mit tieferen Außen und daher leicht verschobenen, aber teils etwas zu isolierten Stürmern. Die Angreifer versuchten William Carvalho zwischen sich zu isolieren oder im Verschieben auf den Innenverteidiger durch eine tiefere Positionierung des von ihnen Ballfernen abzudecken. Dahinter sicherten die Sechser mit situativen Mannorientierungen auf die Achter ab, wobei einer gelegentlich auf William Carvalho nachrücken konnte, was dann in breiten Rauten resultierte.

Abschluss: Tore im Endspurt

Bis kurz vor Schluss blieb es bei leichten Chancenvorteilen für die Gastgeber beim torlosen Remis, ehe in der 87. Minute doch noch die Führung für Sporting fiel. Nach einer der etwas forcierten Überladungen des linken Halbraums – wenngleich hier tiefer stattfindend – kam der Ball etwas glücklich hinter die Abwehr auf Montero, der erst am Keeper scheiterte, ehe der nachgerückte Jefferson den Abpraller ins Netz bugsierte. So schien der Verfolger den Vorsprung auf den Stadtrivalen verkürzen und das Meisterschaftsrennen komplett öffnen zu können – doch es kam noch anders. Auf den Rückstand reagierte Benfica mit der Einwechslung zweier zusätzlicher Stürmer und erzwang in der vierten Minute der Nachspielzeit über konsequentes Bolzen und Offensivpräsenz – zumindest halbwegs gut ausgeführt – den glücklichen Ausgleich.

Dass es hier erster Abschluss auf den gegnerischen Kasten war, illustrierte die Schwierigkeiten des Teams mit der ruhigen Kontrolle und Durchschlagskraft im letzten Drittel. Dieser Punkt ist für Benfica nun ganz entscheidend, um sich die Verfolger vom Leib zu halten und trotz einer etwas schwächeren Saison zumindest national überzeugen und einen weiteren Titel einfahren zu können. Bisher war dabei nicht mehr ganz so sehr ihr ansonsten herausstechendes Offensivspiel hauptverantwortlich, sondern ihre stabile Defensive. Diese Qualität konnten sie dieses Mal gegen einen dynamisch anlaufenden, eher simplen, aber durchaus interessanten Gegner – ebenso wie dieser selbst – trotz der insgesamt überschaubaren Leistung ein weiteres Mal unterstreichen. Abschlusseinordnung: Das portugiesische Topspiel, das „Derby de Lisboa“ war ein Pressingduell.

DG 10. Februar 2015 um 18:32

Toller Artikel!
Zu Benfica wollte ich noch fragen, wie ihr Hany Mukhtars Transfer dorthin seht?

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