Das beste Spiel aller Zeiten: Palestino gegen Nacional

1:0

Das beste Spiel aller Zeiten fand in der Nacht zum Freitag in Santhiago de Chile statt. CD Palestino empfing Nacional. Für Palestino war es das Debüt in der Copa Libertadores und sie trafen ausgerechnet auf Nacional, der Rekordmannschaft dieses Wettbewerbs. Auf dem Papier mag das wohl wie eine simple Angelegenheit wirken, doch Palestino ist eine der interessantesten Mannschaften der Welt in ihren Offensivstrukturen; Nacional wiederum hat eine phänomenale Defensivbandbreite.

Pablo Guede presents: El Juego de Posición

Grundformationen

Grundformationen

Das konzeptionelle Positionsspiel ist eine der komplexesten und interessantesten Spielideen für die Offensive. Nur wenige Mannschaften und Trainer weltweit spielen sie; u.a. Paco Jemez, Michael Laudrup und Pep Guardiola. Und natürlich Pablo Guede. CD Palestino ist eigentlich nur eine Randnotiz im chilenischen Fußball, sorgen aber in letzter Zeit durch die Arbeit ihres Trainers und die strategisch-taktische Überlegenheit ihrer Mannschaft für Furore.

Gegen Nacional war schon von Beginn an erkennbar, wieso. Palestino begann in einem 3-2-4-1haften System, welches in der Arbeit gegen den Ball zu einem 3-4-3 wurde. Im Pressing selbst waren sie klassisch chilenisch: Einzelne situative Mannorientierungen, betont hohes Pressing, interessantes Zurückziehen, sehr gutes Gegenpressing und teilweise sehr riskante, druckvolle Staffelungen.

Das Hauptaugenmerk dieser Analyse soll aber auf der Offensive bzw. dem Aufbauspiel Palestinos liegen. Die Dreierkette fächert in eigenem Ballbesitz breit auf, die Halbverteidiger stehen nahe an der Auslinie. Zu dritt besetzen sie somit die gesamte Spielfeldbreite in der ersten Abwehrlinie.  Die beiden Sechser davor standen wiederum relativ eng zueinander. Sie standen somit vor den Schnittstellen zwischen Innen- und Halbverteidigern, was eine gute Verbindung durch die Dreiecke für die erste Aufbauphase gab.

Die Flügelverteidiger schoben an den Seiten weit nach vorne, die Flügelstürmer wiederum ließen sich zurückfallen und besetzten die offensiven Halbräume. Besonders Rechtsaußen Vidangossy kam oft tiefer und orientierte sich in den Zehnerraum. Solche 3-2-4-1-Staffelungen sind sehr unorthodox, doch die wirkliche Stärke Palestinos liegt in ihrem enorm aktiven Bewegungsspiel. Die Sechser agieren wie in einer Kette gemeinsam und verschieben flexibel hin und her.

Nominell war Farias der tiefere Sechser, aber immer wieder sprintete er vor, woraufhin Rosende den Spielaufbau übernahm, etwas zentraler agierte und tiefer kam. In einigen Situationen tauschten sie auch die Position, indem Farias einen großen Bogen lief und die (vorherige) Position Rosendes besetzte. Außerdem kippten sie wechselnd nach hinten ab oder verschoben im Verbund zur Seite. Der ballnahe Sechser positionierte sich im Halbraum, der zweite Sechser übernahm logischerweise die Mitte.

Insgesamt war ihr „Juego de Posición“ sehr auf das schnelle Besetzen der unterschiedlichen Zonen ausgelegt, was ihre Bewegung sehr intensiv und aktiv machte, wobei sie ihre Überladungen etwas sauberer, freier und weiträumiger hätten machen können. Viele Spielzüge waren somit sehr dynamisch und auch funktionierend, aber nicht optimal in puncto Anpassung an die gegnerische Staffelung. So schob Valencia zu Spielbeginn häufiger von rechts diagonal nach vorne, der rechte Sechser wiederum rückte in Richtung Flügel und nach vorne, woraufhin der rechte Halbverteidiger in das entstandene Loch schob.

An sich ist das ein toller Spielzug – nur gegen Nacional war er zu riskant, weswegen es ihn wohl später seltener zu sehen gab. Ähnliches war bei den Positionswechseln zwischen Innenverteidigern und Sechsern der Fall. In der Anfangsphase fiel einer der Sechser gelegentlich bogenartig zurück (meist Rosende), woraufhin der zentrale Innenverteidiger nach vorne schob und die Sechserposition übernahm.

Insgesamt hatten sie zwar kleinere Instabilitäten in ihrem Spiel, zeigten aber auch, dass sie schlichtweg eine tolle Mannschaft sind. Oder, um den unglaublich amüsanten und gleichzeitig durchaus kompetenten Kommentator zu zitieren:

„He [Guede] showed when you play offensive, you can have chances to win the game!“

Eine Lektion, die Jürgen Klopp erst lernen muss. Desweiteren ist zu beachten, dass Palestinos Instabilität in einzelnen Mechanismen wegen des hochinteressanten Defensivsystems Nacionals überhaupt erst entstand.

Nacionals rhythmisches und aggressives 4-1-2-3/4-2-1-3

Eingangszitat vom (nicht in perfektem Englisch sprechenden) Kommentator:

„They are playing football in a plan. A plan that was started by the coach. And the players respect it.“

Die Mannschaft von Alvaro Gutierrez startete zu Beginn in einem 4-1-2-3, welches in einem hohen Mittelfeldpressing relativ druckvoll interpretiert wurde. Die zwei Achter orientierten sich an den Sechsern Palestinos, die Flügelstürmer von Nacional versuchten die Flügelverteidiger des Gegners in den Deckungsschatten zu nehmen und situativ auf die Halbverteidiger der Chilenen zu pressen und der Mittelstürmer stellte den zentralen Innenverteidiger zu. Insgesamt gab es also viele Mannorientierungen.

Palestino war aber sehr fokussiert auf ein konstruktives Aufbauspiel, hatte eine sehr gute Torwartnutzung und agierte in der Anfangsphase mit einem vorsichtigen Aufbau in der ersten Linie. Sogar unter hohem Druck versuchten sie mithilfe des Torwarts nahe am eigenen Strafraum den Ball laufen zu lassen und griffen kaum auf lange Bälle zurück. Dieses Locken wurde von Nacional jedoch nicht akzeptiert; die Urus zogen sich zurück und stellten auf ein 4-2-4 um.

Das 4-2-4-0 funktioniert gut

Um nicht nach vorne gelockt und dadurch unkompakter zu werden, wurde aus dem 4-1-2-3 ein 4-2-4-0. Das entstand durch eine Veränderung der Mannorientierungen. Der Mittelstürmer Nacionals wurde auf den linken, tieferen Sechser Palestinos zurückgezogen. Prieto, zuvor als rechter Achter unterwegs, spielte nun als Zehner manndeckend auf Rosende. Die Flügelstürmer standen auf einer Höhe mit den beiden zentralen Akteuren und manndeckten prinzipiell die Flügelverteidiger, pressten aber immer wieder aggressiv auf die Halbverteidiger und standen dann höher als die beiden zentralen Akteure; ebenfalls ein unorthodoxer Anblick.

Nacional verfolgte die Sechser sehr gut beim Zurückfallen in die Schnittstellen, übergab rechtzeitig in den Raum und zog sich in eine positionsorientierte Spielweise zurück. Bei den Gästen gab es insgesamt sehr viel Herausrücken und Übergeben, wodurch sie sehr variabel im defensiven Bewegungsspiel waren. Das 4-2-4(-0) sorgte für eine kurzzeitige komplette Isolation der Abwehrreihe Palestinos von der Offensive, trotz der enormen Bewegung. Dieser Zustand dauerte allerdings nicht lange.

Nacional explodiert

Nach dem hohen Mittelfeldpressing und der darauffolgenden Phase eines tieferen, zurückhaltenden Pressings im 4-2-4(-0) schaltete Nacional plötzlich auf ein extrem aggressives 4-1-2-3 um, wo jeder einzelne Gegenspieler durchgehend manngedeckt wurde. Jeder einzelne Gegenspieler wurde manngedeckt! Diese extreme Manndeckung wurde mit einem Angriffspressing verbunden, wodurch Palestinos Torwart keine Anspielstationen hatte. Zitat meines neuen Lieblingskommentators:

„They don’t know what to do with the ball. They don’t know what to do with the ball. They don’t know what to do with the ball.“

Dies wurde nicht durchgehend so aggressiv gespielt, aber es blieb einige Zeit lang bei einem aggressiven und hohen Pressing im 4-1-2-3. Die Außenstürmer standen in ihrer Initialposition zwischen den gegnerischen Halbverteidigern und Flügelverteidigern, schoben aber sofort auf die Halbverteidiger heraus. Die Achter übernahmen teilweise die Manndeckung des Flügelverteidigers, wenn Palestino am Flügel blieb, auch die Außenverteidiger rückten aus der Kette heraus und pressten, wodurch zwar einzelne Spieler geöffnet wurden, aber diese meist ballfern standen oder schnell von anderen Spielern übernommen wurden.

In tieferen Szenen, wenn sich Palestino befreien konnte, wurden sie wiederum zu einem 4-1-4-1 mit mehr Positionsorientierungen und eher zonalen, situativen Manndeckungen. Nacionals Viererkette war als einziges nicht weiträumig ballfern mannorientiert, wodurch Palestino nach schneller Zirkulation auf den Flügeln frei werden konnte.  Palestino tauscht Riquelme und Valencia später, bespielt auch die Halbräume besser und danach ging Valenzuela im Tausch für Valencia auf die andere Seite und Riquelme übernahm wieder seine eigentliche Position.

In diese Phase fiel der Platzverweis für Nacional.

Rote Karte tötet das Spiel

Innenverteidiger Polenta erhielt eine rote Karte, woraufhin Nacional umstellen musste. Jetzt kommt der Wahnsinn: Alles, was bisher im Artikel beschrieben wurde, spielte sich in der ersten halben Stunde ab. Die rote Karte kam nämlich kurz danach und war die Ursache für den restlichen Spielverlauf. Der brillante Kommentator sagte darauf folgendes:

“They have to change the tactic, maybe not the strategy but the tactic!”

Nacional spielte in einem tiefen 4-4-1. Sie standen kompakt und passiv, womit sich Palestino schwer tat. Nacional verschob sehr gut und konterte wie zuvor extrem vertikal und schnell, wodurch es Chancen auf beiden Seiten gab. Palestino machte das Spiel breit, nutzte die Ballzirkulation zur Raumöffnung und erzielte dadurch die Führung. Nacional begann die Flügelstürmer ballfern zocken zu lassen, um besser umschalten zu können, nach dem Rückstand stellten sie aber auf ein 4-3-2 um. Palestino beendete das Spiel dennoch mit einem Sieg.

Fazit

Ich denke, die Analyse sagt alles. Ein Abschlusszitat vom Kommentator:

Very interesting to study the game, the tactics and strategy of the two coaches. I love to be commentating this game!

Videos zu Palestino gibt es hier und hier.

Vanye 7. Februar 2015 um 17:47

Ich haette zwei Fragen:
Wie unterscheidet sich das Positional Play from Totalfoetball der Hollaender? In beiden werden die Positionen staendig veraendert, um Dreiecke fuer Anspielstationen zu finden und jeder Spieler kann je nach Situation verschiedene Positionen einnehmen, unabhaengig von der Originalposition. Ist der Fokus beim Positional Play mehr auf der Zonenbesetzung?
Soweit ich gelernt habe ist doch gerade das Positional Play ideal dafuer geeignet, Manndeckungen auszuhebeln, weil durch die Verschiebungen riesige Loecher gerissen werden koennen. Warum hat das in diesem Spiel nicht funktioniert, als Nacional auf Volldeckung umgestellt hat?

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vanGaalsNase 7. Februar 2015 um 18:26

Im Totaalvoetbal bleiben die zu besetzenden Positionen gleich. Verlässt ein Spieler seine Position, wird sie von einem anderen Spieler neu besetzt. Das setzt natürlich eine Grundformation voraus. Das kann ziemlich dogmatisch sein.

Im Positionsspiel (nach spanischem Verständnis) hingegen gibt es keine klare Grundformation. Dort wo der Ball ist, wird sich entsprechend strategischer Vorgaben organisiert. Diese Vorgaben können unterschiedlich sein: Dreiecke und Rauten in Ballnähe erzeugen, um Überzahl oder gar Überladungen zu kreieren. Auf ballferner Seite für einen Wechselpass bereitstehen. Für den Fall eines Ballverlustes müssen entsprechende Absicherungen vorgenommen werden, sodass man schnell ins Gegenpressing gehen kann.

Eigentlich ist eher der Totaalvoetbal raumorientiert, währen das Positionsspiel ball- und strategieorientiert ist.

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Simon 6. Februar 2015 um 14:20

Wo kann man die Copa Libertadores in Deutschland/ im Internet empfangen?

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HansPeter 6. Februar 2015 um 16:07

Google mal nach livetv oder rojadirecta, die ersten Ergebnisse sind dann die richtigen. Da sollten die meisten Spiele übertragen werden. Die beste Streaming Seite musste ja leider Anfang des Jahres schließen :<

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Eduard Schmidt 6. Februar 2015 um 09:54

Wegen solcher Analysen liebe ich euch einfach. Sehr geil. Danke.
Südamerikanischen Fußball sollte man ohnehin mal öfter gucken. Wo macht man das am besten? Gibt es da besonders gute Quellen?

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rotundblau 6. Februar 2015 um 15:18

also aus der argentinischen Liga werden alle Spiele vom Verband auf Youtube gestreamt. aber glaub dort ist nicht viel Spektakuläres dabei derzeit. Ansonsten zur Copa Libertadores muss man wohl immer anders schauen wie man sich durchschlägt und wo im Internet man was findet

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Dr. Acula 6. Februar 2015 um 09:51

wie geil ist das denn?? Cool dass ihr ein Spiel aus unbekannten Ligen analysiert habt! Aber wie seid ihr drauf gekommen? Schaut ihr euch die Spiele eh an weil ihr wisst das sie interessant sind oder habt ihrs sozusagen nachgeschaut?
Das werde ich übrigens jetzt auch tun, es gibt für mich nichts geileres als ein sehr hohes Angriffspressing, das gut geplant ist.. So wie Atlético teilweise gg chelsea im CL HF Rückspiel..
PS: solche Kommentatoren, die den Unterschied zwischen strategisch und taktisch Kennen, bräuchte der deutsche Fußbal auch!

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MR 6. Februar 2015 um 23:04

Ich schau ab und zu mal Tabellen durch und checke Teams mit auffälligen Statistiken. Nacional hatte in der vergangenen Saison nur 7 Gegentore mit neuem Trainer und stellten sich beim Schauen als interessantes Herausrück-Team heraus.

Rene hatte unabhängig davon Palestino auf’m Schirm, weiß aber nicht wieso.

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Tery Whenett 6. Februar 2015 um 08:28

Klasse Analyse weit über meinen fußballerischen Tellerrand hinaus.

Und der Kommentator ist ja der helle Wahnsinn. Sowas gibt’s also auch, den werde ich von nun an bei allen leidlichen Diskussionen um Kommentatoren ins Feld führen.

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Daniel 6. Februar 2015 um 05:23

Es gibt offenbar auch das ganze Spiel zu sehen (http://youtu.be/MTZMihOQWE8?t=11m11s), allerdings mit spanischem Kommentar.

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rotundblau 6. Februar 2015 um 15:39

Die Qualität lässt leider stark zu Wünschen übrig… aber ist es dennoch Wert, nachdem was ich bisher so sehe

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H3rby 6. Februar 2015 um 03:59

Sie spielten in einem tiefen 4-4-1-1 zu Zehnt?

Das klingt taktisch enorm aufwendig, das wäre interessant zu sehen gewesen, wie es über 90 Minuten durchgehalten hätte werden können. Kleinste Ermüdungserscheinungen führen bei solchen Systemen häufig zu großen Lücken und Instabilität.
Und der Kommentator sollte schleunigst Deutsch lernen und die Bundesliga kommentieren!

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