Diego „Cholo“ Simeone – Der Leidenschaftliche | Teil 1

Die Welttrainerwahl steht an und der Nachfolger von Jupp Heynckes wird ausgezeichnet. Carlo Ancelotti wurde bei uns bereits porträtiert. Ein guter Zeitpunkt, um nun ein Porträt von Diego Pablo Simeone zu starten. 

„Wenn du dich mit Cholo Simeone unterhältst, dann sagt er dir […]: ‚Als Fußballspieler habe ich das Maximum aus meinen begrenzten Möglichkeiten herausgeholt. Und weißt du, warum? Weil ich Leidenschaft habe. Wie hätte ich bei meinem Spielniveau hundert Spiele für Argentinien machen können! Als Spieler war ich Mittelmaß. Alles, was ich erreicht habe, verdanke ich meiner Leidenschaft.'“ (Lorenzo Buenaventura, Fitnesstrainer des FC Bayern, zitiert nach: Martí Perarnau, Herr Guardiola. Das erste Jahr mit Bayern München, aus dem Spanischen von Lea Rachwitz und Hans-Joachim Hartstein, 2014.)

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WM-Finale 1978, Argentinien – Niederlande 3:1 n.V:

Das Vorbild

Die frühe Nachkriegszeit war für den argentinischen Fußball keine erfolgreiche. Die Albiceleste qualifizierte sich entweder gar nicht erst, wie 1970 oder schied mehrmals in der Vorrunde aus. Obwohl zumindest Klubs wie CA Independiente, Estudiantes de La Plata und Boca Juniors in den 1960er und 1970er Jahren reihenweise die Copa Libertadores gewannen, war der argentinischen Militärjunta daran gelegen, die Weltmeisterschaft 1978 im eigenen Land erfolgreich zu gestalten. Bis heute wird dieses Nationenturnier enorm kritisch gesehen. Vor allem mit dem 6:0-Sieg über Peru, als der gebürtige Argentinier Ramón Quiroga im peruanischen Tor eine unglückliche Figur abgab und sich das Gastgeberteam in der Gruppe doch noch an Brasilien vorbeischob, werden häufig Bestechungsvorwürfe verbunden. 35000 Tonnen Weizen sollen an Peru geliefert worden sein. Doch von all dem abgesehen, hatte Argentinien eine starke Mannschaft zusammen. Neben Mario Kempes stach vor allem „El gran Capitan“ Daniel Passarella hervor. Der damals achtjährige Simeone bewunderte den offensiven Verteidiger, der mit seiner Dynamik in die Mittelfeldzonen vorstieß und die gegnerischen Mittelfeldreihen vor große Herausforderungen stellte, da er Kempes und Co. mehr Freiräume ermöglichte.

„Ich war auf alles fixiert. Die Gesichter der Spieler. Auf jedes Detail. […] Ich mochte vor allem Passarella, weil ich immer Menschen mit Persönlichkeit bewundere und mag. Du kannst einen Anführer daran erkennen, wie er geht. Du kannst es darin sehen, wie er sich bewegt. Diese Bilder von Passarella 1978, dem Kapitän, als er aus dem Spielertunnel kam und es Konfetti regnete.“ (Diego Simeone)

Doch so sehr der junge Simeone von Passarella begeistert war. Er entwickelte sich später doch mehr zu einem Osvaldo Ardilles. Zwanzig Jahre nach der WM im eigenen Land sollten Passarella und Simeone zusammenkommen. Beim Turnier 1998 in Frankreich war das Vorbild Nationaltrainer der Albiceleste und der Mittelfeldmotor im besten Alter war sein Kapitän. Bei dieser WM sollte Simeone nicht nur durch sportliche Leistungen auf sich aufmerksam machen. Die Auseinandersetzung mit David Beckham im Achtelfinale führte zur Roten Karte für den Jungstar von Manchester United, der schwere Kritik in England einstecken musste. Im Viertelfinale verletzte sich Simeone. Argentinien schied aus.

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WM-Viertelfinale 1998, Argentinien – Niederlande 1:2

Bis jedoch der in Buenos Aires gebürtige solch eine wichtige Rolle für das Heimatland einnehmen konnte, war es ein weiter Weg, der von der Obsession für den Fußball geprägt war. Simeone beschreibt sich selbst als Jugendlicher, der keinen Plan B hatte, der stets Fußballer werden wollte. Wie bei vielen anderen ging es schon in jungen Jahren sofort nach der Schule auf den Platz – sprich auf einen Hof, wo Bäume die Tore und die Regeln unbekannt waren.

Die Laufbahn

Allerdings war der harte Straßenfußball nur eine prägende Komponente. Denn Simeone hatte Talent, genügend Talent, um bei den Jugendmannschaften von Vélez Sársfield, der in Liniers im Westen von Buenos Aires angesiedelt ist, unterzukommen. Das erste Ziel war es, im El Fortín, dem Tempel von Vélez Sársfield aufzulaufen. Simeone trainierte beispielsweise unter dem legendären Victorio Spinetto, der ihm den bis heute bekannten Spitznamen „Cholo“ verpasste. Denn Diego Simeone erinnerte an die aggressive Verteidigerlegende von Vélez Sársfield der 1950er Jahre Carmelo Simeone, der ebenfalls „Cholo“ genannt wurde. Spinetto hatte großen Einfluss auf die frühen Jahre von Diego Simeone. Er starb 1990. Im selben Jahr verließ sein ehemaliger Schüler Argentinien und versuchte sein Glück in der Serie A bei Pisa. Der italienische Erstligist gab Simeone nachdem das Angebot übermittelt wurde, lediglich eine Dreiviertelstunde zum Überlegen. Seine Eltern waren im Urlaub, sein Berater nicht anwesend. Cholo ergriff die Möglichkeit. Wie das große Vorbild Passarella führte der Weg in die italienische Liga und Simeone sollte während der 1990er und 2000er Jahre vermehrt zwischen Primera Division und Serie A pendeln, inklusive zweier Engagements bei seinem heutigen Klub Atlético Madrid.

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Goalimpact Chart (anklicken zum Vergrößern)

Es wäre nun müßig, alle Stationen im Einzelnen zu analysieren. Der Double-Gewinn mit Atlético, der UEFA-Cup-Sieg mit Internazionale und der Scudetto mit Lazio waren große Meilensteine. Am meisten beeinflusst hat ihn aber wohl ein Landsmann. Carlos Bilardo trainierte den FC Sevilla Anfang der Neunziger, als Simeone aus Pisa nach Andalusien wechselte. Doch auch Trainer wie Luis Aragones und Marcelo Bielsa nahmen mehr oder weniger Einfluss.

Der Spielertyp

Die Neunziger Jahre waren eine Zeit als große Strategen und beinharte Anführer des Öfteren in einer Person vereint wurden. Stefan Effenberg und Roy Keane waren zwei prominente Beispiele. Diego Simeone wird häufig auf seine Leidenschaft, seine Aggressivität, seine Kampfmentalität reduziert. Doch dabei wird gerne übersehen, was für technische Qualitäten Simeone besaß, welche Übersicht er hatte und mit welcher taktischen Intelligenz er gesegnet war. Er entwickelte sich in den meisten Mannschaften, inklusive der argentinischen Nationalmannschaft, mit der er immerhin zweimal die Copa América gewann und eine olympische Silbermedaille in Atlanta errang, zum essentiellen Knotenpunkt. Wie bereits erwähnt, Simeone hatte Passarella als Vorbild, aber er war Ardilles ähnlicher, wenn man einen Vergleich zur 1978er-Mannschaft ziehen möchte. Eine Reihe hinter den Kempes, oder im Falle Simeones eine Reihe hinter den Djorkaeffs und Nedvěd, sorgten Ardilles und Cholo für die Strukturierung des Spiels in Kombination mit einer enormen Laufleistung. Im heutigen Atlético-Kader bestehen sicherlich die größten Ähnlichkeiten mit Tiago und Gabi, aber auch ein Stück weit mit Jungtalent Saúl Ñíguez.

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UEFA-Cup-Finale 1998, Internazionale – Lazio 3:0

Simeone ist unter 1,80 Meter groß und war infolgedessen trotz seines teils physischen Spiels in Luftzweikämpfen eher unterlegen. Deshalb neigte der Argentinier auch dazu, halbhohe Bälle so oft wie möglich herunter zu nehmen. Diese Bewegungen am Ball ließen ihn sehr ruhig erscheinen. Und in der Tat, der Argentinier sorgte mit seinen Aktionen oftmals für leichte Verzögerung. Das lag weniger an einer schlechten Ballverarbeitung. Simeone hatte ganz im Gegenteil eine elegante Art und Weise, wie er sich selbst in verdichteten Zonen noch geschmeidig das Spielgerät zurechtlegte. Doch er konnte keinesfalls mit Ball am Fuß enorm beschleunigen. Diese mangelnde Weiträumigkeit machte er wiederum mit langen, empathischen Diagonal- und Vertikalzuspielen wett. Aus diesem Grund suchte Simeone nicht selten zunächst die passenden Kanäle und offenen Räume. Diese wenigen Zehntelsekunden an Verzögerungen konnten wiederum die Mitspieler nutzen, um bereits in den entsprechenden Zielbereich des dann erfolgenden Passes zu laufen.

Da das Mittelfeldpressing vor allem um die Jahrtausendwende herum, oftmals wenig intensiv war oder komplett darauf verzichtet wurde, hatte Simeone an der Seite eines weiteren spielstarken Akteurs in der Regel genügend Zeit, um als Ballverteiler entscheidenden Einfluss auf die Fortführung des Angriffs oder, nach einer seiner zahllosen Balleroberungen, auf die Entstehung des Angriffs Einfluss zu nehmen.

Problematischer waren im Gegensatz dazu zwei andere Facetten. Wurde Simeone zu Engendribblings gedrängt, war er vergleichsweise leicht vom Ball zu trennen. Dies galt nicht unbedingt dafür, wenn er direkt attackiert wurde, sondern vielmehr wenn er sich mit dem Spielgerät nach vorn bewegte. Aufgrund eines gewissen Mangels an Dynamik wurden seine Dribblings oftmals unsauber, so komisch es klingen mag. Er versuchte Geschwindigkeit aufzunehmen, verlor aber dadurch ein Stück weit seine enge Ballführung. Zudem war Cholo nie ein Meister von großartigen Tricks und Finten.

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Doublesieger-Mannschaft von Atlético 1996 – Irgendwie kommt das doch bekannt vor…

Eine weitere kleine Schwäche, wobei wir hier auf hohem Niveau kritisieren, ergab sich in vermeintlich ungefährlichen Situationen am Sechserraum. Simeone tendierte dabei vereinzelt zu schwachen Querpässen, die genau in die Fallen des Gegners geraten konnten. Er war interessanterweise im weiträumigen Passspiel um einiges sauberer, als wenn es zum Beispiel um eine kurze Verlagerung von halblinks auf halbrechts ging. Das galt wiederum nicht für Ablagen. In seinen Rollen bei Inter und auch in der Albiceleste, wobei er häufiger als halblinker Sechser/Achter oder sogar als eine Art Flügelläufer agierte, konnte Cholo immer wieder effektiv seine Nebenspieler einbinden, da er im Halbraum ohne Gegenspieler war und deshalb vermehrt nach vorn rücken konnte. In diesen engen Zonen war er für kurze Ablagen sehr passabel zu gebrauchen. Im Gegensatz zu Internazionale war Simeone übrigens bei Atlético oder Lazio meist in einem 4-4-2-System stärker als Schaltzentrale, Durchlaufstation und Taktgeber gefordert, als das beispielsweise in Mailand an der Seite von Zé Elias der Fall war.

Gleichzeitig zeichnete sich der verbissene, laufstarke Argentinier durch seine exzellenten individuellen Gegenpressingfähigkeiten aus. In hohen Räumen hatte er stets die Möglichkeit nach Ballverlust sofort wieder den Umschaltmoment durch gezielte Attacken umzukehren. Dass Simeone mit dem Messer zwischen den Zähnen über das Feld lief, ist nur die halbe Wahrheit. Er erinnerte in vielen Partien an einen strategisch intelligenten und ruhigen Spielmacher, wobei er selten in seiner Karriere auf einer Soloposition im Mittelfeldzentrum agierte, sondern meist mit einem Nebenmann gutes gruppentaktisches Verständnis zeigte.

Die nächste Generation

Beim Sieg gegen Real Madrid im Copa-del-Rey-Hinspiel in der vergangenen Woche wurde Simeone jubelnd mit einem Balljungen beobachtet. Schnell wurde bekannt, dass es sich um seinen zweitältesten Sohn Giuliano handelt. Alle drei Kinder sind genauso fußballversessen. Der älteste Sohn Giovanni spielt bereits für die erste Mannschaft von River Plate und kam vor einigen Wochen sogar im Halbfinale der Copa Sudamericana im legendären Superclásico gegen die Boca Juniors in der Startelf zum Einsatz. Seine ersten Tore konnte er seit seinem Profidebüt vor eineinhalb Jahren bereits erzielen. Doch ob Giovanni jemals unter Vater Simeone trainieren wird, ist eher unwahrscheinlich. Denn Diego gab schon zu, dass er seine Söhne niemals wie andere Spieler bewerten könnte. Selbst wenn man meint, dass Arda und Co. wie Cholos Kinder wirken, so ist die intensive Unterstützung seiner eigenen Kinder natürlich noch auf einem anderen Niveau.

Giovanni ist ein schneller Konterstürmer, ein Schnittstellenläufer, der sich mit Vorliebe in den Rücken der Abwehr schleicht und dann beidfüßig selbst aus spitzen Winkeln abschließen kann. Der „Hijo del Cholo“ lebt weniger von seiner Physis im Zweikampf. Dafür kann er gut beschleunigen und das Spielgerät unter hohem Tempo unter Kontrolle bringen, Umschaltangriffe nach dem Ballgewinn selbst fortführen oder an der letzten Linie gesucht werden. Giovanni gilt als eines der größten Stürmertalente in Argentinien, aber ob er, wie manchmal spekuliert wird, in absehbarer Zeit zu Atlético Madrid wechselt, das darf noch bezweifelt werden. In puncto Spielstil unterscheidet sich Giovanni jedenfalls signifikant von Vater Diego.

P.S.: In den nächsten Teilen wird man erfahren, warum Simeone seinen Flügelstürmer Arda nicht versteht, weshalb er Stiere mag und wer noch hinter dem Erfolg von Atlético steckt. Allerdings müssen sich die Leser dafür noch etwas gedulden.

Kaiser5 28. September 2016 um 23:47

Wieso gibt es keinen Link zum zweiten Teil?

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Gh 17. Januar 2015 um 12:59

Mal off-topic: hat sich mal jemand Sporting Gijon unter Abelardo angeschaut? Find die grad sehr spannend. Hipsteralarm!!

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CF 18. Januar 2015 um 00:25

Nope was machen die so?

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Gh 18. Januar 2015 um 09:31

sind sowas wie die colchoneros der zweiten liga

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woody10 28. Januar 2015 um 14:37

ich hab viel zu wenig gesehen, aber die sind doch viel mehr auf Ballbesitz- und Positionsspiel aus oder täusch ich mich da komplett? zusätzlich von der Grundhöhe ein höheres Pressing, schon klar, dass Atleti da viel wechselt.
ich finde Gijon ist eine ziemlich gute Mannschaft und kann mir durchaus vorstellen, dass die raufgehen.

btw: kann jemand was zu Betis unter Pepe Mel sagen? scheinen ergebnistechnisch ja sehr gut drauf zu sein. Ich muss mir die mal anschauen. und Gijon und las Palmas mal länger und wieder mehr Barca B und Real Castilla und und und

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Chris 12. Januar 2015 um 16:14

Als Spieler eine Wucht, auch als Trainer erfolgreich,
aber einfach unausstehlich.

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Valderrrama 28. Januar 2015 um 13:02

Warum? Ich finde seine Interviews sehr niveauvoll und er respektiert immer den Gegner.

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Dr. Acula 12. Januar 2015 um 14:21

freue mich auf die weitergehenden Teile

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yan 12. Januar 2015 um 13:10

Ich finde den Cholo-Sticker der WM 98 als Titelbild überragend.

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