Türchen 19: Filipe Luís Kasmirski

Nach außen ein ruhiger Familienmensch, doch auf dem Platz zerstört er seine Gegenspieler reihenweise. Selbst Neymar hat er schon getunnelt. Dabei ist seine größte Stärke eher gruppentaktischer Natur – Filipe Luis ist schon ein krasser Typ!

Wir blicken zurück in das Jahr 2003. Ein Scout von Ajax Amsterdam sitzt in einem kleinen Stadion der zweiten brasilianischen Liga. Er ist gekommen, um einen aufstrebenden Flügelspieler vor Ort zu scouten. Doch an diesem Abend soll sich der Gegenspieler des eigentlich Beobachteten in den Fokus spielen – der 18-jährige Linksverteidiger Filipe Luís Kasmirski.

We were looking for a right winger. The Brazilian player we came to see, had Filipe as his opponent. Filipe defended the guy so well, that we asked to see video tapes of him. You always have to keep your eye open for talent. He comes to us first on loan, but we have already reached agreement with his club for when he succeeds here. That is not only about his football habilities. He has to adjust to the Dutch culture and the Ajax culture.
Louis van Gaal während seiner Zeit als technischer Direktor von Ajax Amsterdam

Zur nächsten Saison 2004/2005 kam der junge Filipe also auf Leihbasis von seinem Heimatverein Figueirense Futebol Clube in Brasilien zu Ajax Amsterdam ins ferne Europa. In der Zwischenzeit hatte er bei seinen Einsätzen für die brasilianische U-20 beim Mediteraneo Cup 2004, in welchem er 5 Tore erzielte, und dem anschließenden Toulon Cup bereits größere Aufmerksamkeit geweckt. Obwohl er bei seiner Vorstellung auch charakterlich einen sehr positiven Eindruck machte, schaffte er es nicht ins erste Team. Nach seiner Ausleihe wurde er nicht weiterverpflichtet. Doch anstatt zurück nach Brasilien zu gehen, setzte Filipe seinen Weg in Spanien fort.

I joined Ajax when I was really young and I learned a lot there. It’s a great school to learn about football. In Holland tactics are very important and, even though I didn’t actually have the chance to play a first team match there, I learned a lot about the tactical side of the game.
Filipe Luis

Er unterschrieb einen Fünfjahresvertrag bei Real Madrid, wo er jedoch zunächst im B-Team eingesetzt wurde. Obwohl auch Real ihn nicht im Profiteam einsetzte, wurde Spanien seine sportliche Heimat. Der Durchbruch gelang ihm schließlich bei Deportivo de La Coruña, wo er von 2006-2010 spielte. Zu internationalen Ehren kam er jedoch erst bei Atlético Madrid, die ihn 2010 unter Vertrag nahmen.

Der Alleskönner auf der linken Seite

GoalImpact-Chart von Filipe Luis. Der Simeone-Boost ist klar zu erkennen.

GoalImpact-Chart von Filipe Luis. Der Simeone-Boost seit 2012 ist klar zu erkennen. Mit dem Wechsel zum Chelsea FC wurde der Aufwärtstrend (vorerst) gestoppt.

Filipe Luís Kasmirski liefert individuell alle Eigenschaften, die sich ein Trainer wünschen kann. Er ist dynamisch, technisch versiert, ballsicher und zweikampfstark. Seine wahre Qualität zeigt sich jedoch in seiner Vielseitigkeit, welche durch eine enorme Wahrnehmung seines gruppentaktischen Umfelds geprägt ist.

In seiner defensiven Rolle als Außenverteidiger sucht er fast wie ein Halbverteidiger die Anbindung an den benachbarten Innenverteidiger, um diesen beim Herausrücken zu balancieren und die zentrale Kompaktheit zu halten. Bei Verlagerungen zum Flügel nutzt er seine Dynamik sowie die gut abgestimmte Wahl von Laufweg und Intensität, um auch über größere Distanzen sicher Zugriff zu erzeugen. Diese Eigenschaften wurden von Diego Simeone im 4-4-2 mit engem Mittelfeldband und situativ herausrückenden Außenverteidigern forciert und weiter vollendet.

Spannend wird Filipe jedoch im Offensivspiel. Anders als viele Außenverteidigerkollegen ist er nicht auf eine vertikale Rolle entlang der Außenlinie beschränkt. Immer wieder sucht er den Weg in den Halbraum, um dort Kombinationen anzuschieben und balancierend abzusichern. Im zweiten Drittel verhält er sich somit eher wie ein linker Achter.

Gelangt Filipe über Kombinationen mit den Achtern und Flügelspielern ins letzte Drittel, sucht er selten direkt die Flanke ins Zentrum. Dies war mit seinem starken linken Fuß sowie dem extremen Schnitt, den er dem Ball damit verpassen kann, bereits bei Deportivo eine Waffe, welche vom Brasilianer jedoch in den letzten Jahren nur noch bei passender Einlauf- und Staffelungsdynamik im Zentrum eingesetzt. Viel mehr versucht er wie ein Flügeldribbler entlang der Linie in aussichtsreichere Positionen für Ablagen oder kurze Flanken zu kommen. Dabei ist sein Zielbereich die Ecke zum Fünfmeterraum. Um diesen zu erreichen, kann er seine Dynamik sowie seine Technik nutzen. Kaum jemand spielt eine Croquetta in einem Tempo wie Filipe. Doch auch Hackenablagen, Tunnel sowie angedeutete Pässe, bei denen er den Ball liegen lässt, um Dynamiken zu erzeugen, die er mit einem Folgedribbling nutzen kann, gehören zu seinem Repertoire. In dieser Hinsicht entspricht Filipe dem Klischee eines Brasilianers, der seine Tänzchen mit den Verteidigern aufführt. Anders als viele seiner Landsmänner setzt er diese Tricks außerhalb des Trainings jedoch niemals zu Showzwecken ein, sondern verfolgt immer einen klaren Plan.

Gruppentaktikgenie

Trotz seiner individuellen Fähigkeiten ist die größte Stärke des Brasilianers sein Gespür für gruppentaktische Dynamik. Er erkennt intuitiv die Räume, die seine Kollegen ansteuern und öffnen. Dieses Wissen nutzt er für Blitzkombinationen und seine Dribblings. Dabei ist er so gut wie immer im hohen Tempo unterwegs. Da er die Dynamik vorausplant, kommt er nicht in die Verlegenheit abstoppen oder neu überlegen zu müssen. Nach Pässen nimmt er sofort Positionen ein, um das Tempo aufrechterhalten zu können.

I’m going to give my best in all the games. You are never going to see Filipe walking on the field, always running.
Filipe Luis während seiner Vorstellung beim Chelsea FC

Entstehung des 2:0 im Hinspiel gegen Betis Sevilla (Saison 2013/14). Nach einer Verlagerung von Juanfran wählt Filipe nicht den linearen Weg die Linie entlang. Der Verteidiger ist davon so überrascht, das er den Passweg zu Koke öffnet. Filipe nimmt Tempo auf und bereitet das 2:0 von Villa mit einer Maßflanke aus kurzer Distanz vor.

Entstehung des 2:0 im Hinspiel gegen Betis Sevilla (Saison 2013/14). Nach einer Verlagerung von Juanfran wählt Filipe nicht den linearen Weg die Linie entlang, sondern nutzt die gegnerische Dynamik. Der Verteidiger, der sich bereits für das Laufduell positioniert, ist davon so überrascht, dass er den Passweg zu Koke öffnet. Filipe sucht den Doppelpass, nimmt Tempo auf und bereitet das 2:0 von Villa mit einer Maßflanke aus kurzer Distanz vor.

In der Gruppentaktikmaschinerie von Atlético Madrid waren seine Eigenschaften nahezu perfekt eingebunden. Durch die extrem breite oder komplett zentrale Stellung der Außenspieler sowie das Herauskippen der Sechser konnte Filipe die offenen Halbräume nutzen, um aus seiner Grundposition als linker Außenverteidiger Tempo aufzunehmen. Im Umfeld von Koke, Arda Turan und Diego Costa boten sich anschließend zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten, die Filipe gern und häufig nutzte. Diego Costa wich als ballschleppender Akteur tendenziell mehr nach links aus und suchte dort die Anbindung. Während Koke häufiger in Richtung Zehnerraum zog, bot sich Filipe aufgrund seines laufintensiven Aufrückens als diagonale Ablagestation an. Costa konnte auf vergleichsweise kurzem Weg das Spielgerät zum Außenverteidiger bringen und gleichzeitig die Verteidiger in seiner Umgebung leicht zum Flügel hinausziehen, was ihm und Filipe in den Anschlussaktionen zusätzlichen Raum schaffte. Insbesondere Koke schien ein Seelenverwandter des Brasilianers zu sein. Da dieser ebenfalls diagonale Aktionen sucht, die nach Belieben vom Zentrum Richtung Flügel und umgekehrt gerichtet sein können, gelang es den beiden sehr häufig, sich gegenseitig Räume zu schaffen und die Schnittstellen ihrer Läufe für Ablagen und kurze Kombinationen zu nutzen.

Zu intelligent für die Premier League?

In dieser Saison wechselte Filipe zusammen mit Diego Costa und Thibaut Courtois von Atlético Madrid zum Chelsea FC nach London. Nachdem er seine gesamte Karriere in den europäischen Hochburgen der taktischen Entwicklung verbracht hat, führte ihn der Weg also in die Premier League – viel Geld, viel Aufmerksamkeit und sehr viel Raum.

Sein erstes Halbjahr dort war sicherlich nicht zufriedenstellend. Während er in der Champions League regelmäßig gute Leistungen ablieferte, musste er in der Liga meist auf der Bank Platz nehmen. In diesen Spielen setzte José Mourinho lieber auf seinen Konkurrenten César Azpilicueta. Der Grund für diese Entscheidung scheint auch in gruppentaktischen Abstimmungsproblemen mit seinen neuen Kollegen zu liegen. Erlauben ihm die Räume noch, offensiv auf seine individuellen Qualitäten zu setzen, so kommen die Probleme insbesondere in der Defensive zu tragen.

Situative Sechserkette von Chelsea im CL-Halbfinale gegen Atlético. Das Schicksal von Cole musste Filipe nun teilen.

Situative Sechserkette von Chelsea im Champions League Halbfinale gegen Atlético Madrid. Das Schicksal von Cole muss Filipe nun teilen. Er hätte es ahnen können…

Während Atlético Madrid auf einen extrem kompakten, mannschaftlichen Ansatz setzt, basiert Mourinhos Defensivmauer auf situativen Mannorientierungen, besonders auf den Außenbahnen, und einer tiefen, statischen Defensivformation. Diese Ausrichtung liegt Filipe gar nicht. Er war es gewohnt, dass einrückende Bewegungen der Flügelstürmer von der Kompaktheit aufgefangen wurden, während er selbst mit seiner Dynamik den gesamten Flügel sicherte. Aufgrund der statischen Stellung und den Mannorientierungen der offensiven Flügelspieler Chelseas ist Filipe nun in der Halbposition der bei einem Aufrücken der gegnerischen Außenverteidiger entstehenden Sechserkette gefangen, in welcher auf die Endverteidigung reduziert wird. Seine Stärken kommen nicht zur Geltung, während seine Schwächen im Kopfspiel und kleinräumigen Tackling forciert werden.

In manchen Situationen versucht Filipe das Beste aus diesen Situationen zu machen, indem er noch weiter ins Zentrum schiebt. Dies erlaubt ihm, die Kompakt zu erhöhen, und somit balancierend für die Innenverteidiger John Terry und Garry Cahill zu arbeiten, um diese in die Kopfbälle und Tacklings zu schicken. Die geöffneten Räume zwischen den Flügelspielern und dem kompakten Zentrumsblock könnte er analog zu seiner Rolle bei Atlético mit seiner Dynamik zulaufen. Dieses Szenario tritt jedoch bisher nicht ein. Seine Einrückversuche werden von Nebenmann Terry weitgehend ignoriert. Er verharrt in der für die Premier League üblichen horizontalen Gleichverteilung über das Spielfeld und hält den Abstand zu Innenverteidigerkollege Cahill.

Es wird spannend bleiben, ob Filipe Luis und der Chelsea FC sich noch finden. Zuletzt bekam er mehr Einsätze, so dass die Hoffnung besteht, dass Mourinho seine Talente ähnlich wie damals Simeone über seine Taktik forciert. Es wäre ihm sehr zu gönnen.

blub 19. Dezember 2014 um 08:37

toller Spieler.
Zu seinen Probleme ist zu sagen, das es häufig zum heulen ist was die PL aus solchen Spielern macht.
In der Graphik oben steht ja Willian auf dem Platz, mit dem könnte er sicherlich ein pärchen bilden wie vorher mit Koke, aber sonst spielt da meist Eden Hazard und der hat glaube ich in seinem Leben noch keine Kompaktheit hergestellt.

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TW 19. Dezember 2014 um 15:12

Das mit der Kompaktheit und Filipe ist so ein Ding. Bei Chelsea ist das Problem ja eher, dass bestimmte Räume zu kompakt sind, während andere geöffnet sind. Filipe ist ja eher ein weiträumiger Typ, der große Räume kontrollieren kann. Wichtiger ist jedoch, dass die Ausweichräume für die von Filipe weiträumig attackierten Spieler dann zu sind (Zentrum und Rückraum). In diesem Loch zwischen zurückgezogenem Flügelspieler, Sechser und IV wird er auf kleinräumige, klärende Aktionen beschränkt. Das passt ihm nicht.

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blub 19. Dezember 2014 um 15:48

Wenn man einige Räume dezidiert verdichtet werden anderswo welche geöffnet (Wenn mans richtig macht: Strategisch unwichtigere) Soweit so offensichtlich.
Man könnte ja einfach die Rollen den spielern anpassen und z.B. rechts klassich englisch spielen, dagegen links im halbraum die kompaktheit erhöhen und Felipe den raum auf außen übergeben, was er großartig kann.
Hazard kann halt weder einen Mann tracken, noch passend kompaktheit herstellen.
Dann entsteht eben so ein passiver, individualfokussierter mischmasch. #dennwirhassenfussball # MRStyle

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Rurane 19. Dezember 2014 um 21:23

Da stellt sich doch die Frage, warum nun Chelsea? So richtig passt das (noch) nicht. Ich bin doch eher skeptisch, ob er noch sein Glück in London finden wird. Schade für so einen Weltklassemann.

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BD 22. Dezember 2014 um 18:27

Du schreibst immer Müll, weißt du das?

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blub 22. Dezember 2014 um 18:43

Was ich? hä, wiso? bist du in die falsche reihe gerutscht? kannst du das mal erklären?

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Erkinho 19. Dezember 2014 um 08:19

F. Luis Kasmirski ftw

beeindruckende Dynamik, erstaunliche Technik, irrsinnige Spielintelligenz und vor allem pure Diagonalität…’n geiler Typ..einfach ’n geiler Typ…

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