Hoffenheim – Hertha 2:3 | Die Voreinstellungen der Trainer

Ein Artikel darüber, wie sich die zwei Trainer auf ihre Gegner einstellten.

Markus Gisdol und Jos Luhukay stehen nur selten im Fokus der Medien. Wird von den Taktikfüchsen der Liga gesprochen, beschränkt sich Diskussion meist auf andere, wenige Namen. Dabei sind diese beiden ebenfalls einen genauen Blick wert. In diesem kurzen Artikel wollen wir uns darum nicht auf das Spiel konzentrieren, sondern auf die taktische Voreinstellung der beiden Mannschaften auf den Gegner.

Beginnen wollen wir mit Markus Gisdol und den Hoffenheimern.

Hoffenheims Plan

Die Hertha verfügt bekanntlich über ein sehr sauberes Aufbauspiel, eine gute Bewegung im Offensivspiel und erzeugt durch hervorragendes Umschalten Gefahr. Hoffenheims Ausrichtung musste diese Aspekte berücksichtigen – und tat sie auch. Die Gastgeber begannen in einem interessanten 4-2-3-1 mit situativen Mannorientierungen. Dies ist eine unübliche Formation im Pressing, denn die Hoffenheimer machten daraus kein 4-4-2, sondern blieben zumeist im 4-2-3-1.

Es gab eine weitere interessante Anpassung dabei: Die Flügelstürmer agierten seltener als Manndecker als die zentralen Akteure. Immer wieder gewährten sie den Außenverteidigern im Aufrücken kurz offene Räume und standen beim hohen Pressing nahe am Zehner. Dafür kann es drei große Gründe geben:

  • Die Außenverteidiger sollten in eine Falle gelockt werden.
  • Man wollte diagonale Passwege in die Mitte versperren.
  • Die Außenstürmer sollten Zugriff in die Mitte behalten.

Im Spielgeschehen wirkte es, als ob der dritte Grund der Ausschlaggebende gewesen sein dürfte bzw. dessen Konsequenzen die erwünschten und forcierten waren. Die Flügelstürmer konnten durch ihre Positionsorientierung in bestimmten Szenen ballfern einrücken und in den Sechserraum gehen,  um dort zu unterstützen.

Grundformationen zu Beginn

Grundformationen zu Beginn

So hatten Volland und Elyounoussi einige Zweikämpfe in den Halbräumen und konnten Firmino im Pressing gegen das saubere Aufbauspiel der Hertha im Sechserraum unterstützen, wodurch dieses weniger zum Tragen kam. Hajime Hosogai, der eine sehr gute Saison zeigt, kam auf nur 31 Ballberührungen und hatte eine Passquote von 76%. Hertha landete im Kollektiv auf unter 70%, was neben der Führung und vielen langen Bälle eben auch an den extremen lokalen Kompaktheiten in der Mitte und den Halbräumen bei Hoffenheim zustande kam.

Generell agierten die Hoffenheimer wie üblich enorm aggressiv im Pressing, waren sehr beweglich und versuchten das Aufbauspiel der Hertha zu zerstören. Diese hatten in den Mittelfeldräumen dadurch kaum Zugriff, ihre Tore aus dem Spiel heraus fielen beide Male aus Angriffen über die Flügel: Einmal war es Ramos Ausweichen auf den Flügel und eine perfekte Flanke auf den eingerückten Ben-Hatira, beim 3:2 war es eine zu enge Positionierung des Linksaußens, Roberto Firmino in dieser Situation, die im Umschaltspiel durch die Hertha bestraft wurde.

Herthas Plan

Luhukay hatte vor dem Spiel wohl ähnliche Überlegungen wie Gisdol angestellt: Was kann der Gegner, wie werden sie gefährlich? Die Hoffenheimer sind beispielsweise enorm stark beim Bespielen von Räumen mit dynamischen Aktionen, sie überladen die Mitte durch das Einrücken von Volland und öffnen Räume für diesen, indem sich Modeste immer wieder kurzzeitig mit schnellen Sprints in den Zwischenlinienraum oder nach Außen zurückfallen lässt. Er ist dabei mit Anspielen sämtlicher Art anspielbar, ob hoch, halbhoch oder flach. Zusätzlich gibt es mit Elyounoussi auf links und Roberto Firmino auf der Zehn passende Akteure für diese Spielweise, desweiteren haben sie mit Volland und Firmino zwei sehr kreative und individuell hervorragende Einzelspieler, die in vielen Situationen in engen Räumen Gefahr erzeugen können.

Vermutlich hat sich Luhukay in Anbetracht dieser unterstellten Überlegungen für seine Ausrichtung gegen Hoffenheim entschieden. Die Berliner begannen nämlich mit einem 4-1-4-1, welches überaus interessant praktiziert wurde. In der Viererkette wurde eine Art mannorientierte Raumdeckung gespielt. Die Verteidiger blieben zwar auf ihren Positionen, verschoben aber mit den Bewegungen ihrer Gegenspieler mit und konnten dann – wenn die Möglichkeit für einen Pass bestand – eine Manndeckung einnehmen und rückten teilweise sehr aggressiv auf ihre Gegenspieler.

Damit konnten unter anderem Vollands Drehschüsse und Firminos Dribblings gut verhindert werden. Noch interessanter war aber die Anordnung davor.

Szene 1 aus der dritten Minute: Herthas Manndeckungen. Ramos Positionierung ist besonders interessant.

Szene 1 aus der dritten Minute: Herthas Manndeckungen. Ramos Positionierung ist besonders interessant.

Das Mittelfeld agierte in einer 1-4-Formation in der Defensive, da sich sämtliche Mittelfeldspieler mannorientiert verhielten und fast schon eine klassische Manndeckung spielten. Weil der Gegner nämlich mit einem 2-3 spielte, also zwei Flügelstürmern, einem Zehner und einer Doppelsechs, entstand bei der Hertha die Spiegelung dieser Anordnung. Mit dem 1-4 konnte jeder Spieler durchgehend eng gedeckt werden, Hoffenheim hatte dadurch nie freie Passoptionen im Mittelfeld und wurde immer unter Druck gehalten. Gleichzeitig verhinderte man durch die Manndeckung und ihre Struktur, dass ein extrem chaotisches Spiel bei gegnerischem Ballbesitz entstand, was vermutlich den Hoffenheimern mit ihrer Dynamik in die Karten gespielt hätte.

Durch die Manndeckungen hatten sie Probleme sich zu drehen und mussten viele Angriffe über die Flügel oder lang aufbauen. Zusätzlich orientierte sich Ramos am rechten Innenverteidiger Hoffeheims, nämlich Abraham, und stand mehrmals einfach im linken offensiven Halbraum. Damit leiteten sie das Spiel von der rechten Seite mit Kevin Volland und Andreas Beck weg, sie lockten Hoffenheim auf die linke Seite mit Niklas Süle als aufbauendem Innenverteidiger, Sejad Salihovic als linkem Außenverteidiger und Elyounoussi auf dem offensiven Flügel; die individuell zumindest weniger dynamische und durchschlagskräftigere Seite.

Szene 2: Das Abkippen Polanskis wird verfolgt.

Szene 2: Das Abkippen Polanskis wird verfolgt.

Interessant ist auch, dass ein Tor der Hertha nach einer einrückenden Bewegung des Hoffenheimer Rechtsaußen und Modestes Ausweichen in den Zwischenlinienraum sowie die Wechselwirkung mit der Manndeckung entstand. Modeste wurde verfolgt, Volland ebenfalls. Der lange Ball – der wiederum durch eine Manndeckung auf Strobl überhaupt erst entstand – wurde abgefangen, nach vorne geköpft und führte zum 1:0.

Fazit

Ich habe absolut keine Ahnung, ob die Trainer das wirklich bewusst so gemacht haben oder ob ich es überhaupt richtig gesehen habe.

Interessant sind aber die Zahlen, die eigentlich alle Thesen zu den taktischen Anpassungen untermauern scheinen:

  • Süle kam auf 112 Ballkontakte, sein Partner Abraham auf 14 in 28 Minuten und der eingewechselte Vestergaard auf 60 in 62 Minuten.
  • Elyounoussi hatte eine Passquote von gerademal 64%, der eingewechselte Johnson von 67%, Firmino nur 65% und Schipplock wie auch Modeste kamen auf unter 60%.
  • Keiner der Spieler der offensiven Dreierreihe Hoffenheims konnte einen Torabschluss vorbereiten.
  • Volland und Firmino verloren jeweils acht Bälle in der Partie, Elyounoussi vier in seinen 45 Minuten.
  • Zusätzlich foulte die Hertha 20mal, Hoffenheim mit ihrem Pressingwahnsinn 22mal.
  • Hosogai hatte die wenigsten Ballkontakte von allen Hertha-Spielern, die das Spiel begannen, obwohl er im Gegensatz zu drei seiner Vordermänner durchspielte.
  • Allagui kam auf 3 Defensivaktionen, Ben-Hatira auf keine. Weitere erwünschte Folge des gelenkten Aufbauspiels?
  • Unglaubliche 25% der Pässe der Hertha waren lange Bälle oder Flanken.  Die Hoffenheimer hatten zwar viele Kurzpässe und mehr Ballbesitz, aber dafür fand das Spiel auch zu 36% in ihrem Drittel statt – ein Indiz für mangelnde Optionen im Mittelfeld wegen Manndeckungen?

CF 18. November 2013 um 15:40

Was haltet ihr eigentlich von Süle? Ich fand ihn eigentlich immer sehr gut aber in deisem Spiel hat er mir gar nicht gefallen. Hat zu oft lange Bälle auf Modeste gespielt, obwohl Firminio und Elyounossi im Zentrum frei waren. Cigerci hat nämlich manchmal den hinter Salihovic abkippenden Strobl zu strak verfolgt. DAdurch hat er quasi indirekt Raum geöffnet für Firminio und Elyounossi. Süle hat es aber nur sehr selten geschafft diesen zu bespielen.

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fluxkompensator 14. November 2013 um 13:40

die anpassungen luhukays sind bemerkenswert und scheinen auch auf dortmund gut anwendbar.

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Vinnie 13. November 2013 um 22:13

Die Leute von „Immer Hertha“ haben offensichtlich viel von Spielverlagerung gelernt und sind richtig gut geworden.

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Tobias 13. November 2013 um 20:38

Sehr interessanter Artikel, würde ich gern in dieser Form häufiger lesen.

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Rayson 13. November 2013 um 18:56

„Ich habe absolut keine Ahnung, ob die Trainer das wirklich bewusst so gemacht haben oder ob ich es überhaupt richtig gesehen habe.“

Vielleicht ist dann auch die Analyse der „Taktiktafel“ des Hertha-Blogs der Berliner Morgenpost „Immer Hertha“ interessant: http://www.immerhertha.de/2013/11/11/hoffenheim-in-der-trichter-falle-von-luhukay-immerhertha-taktiktafel-zum-ersten-auswaertssieg/

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TW 14. November 2013 um 01:28

Es gibt eine hohe Überdeckung. Die Analyse ist auf einem sehr guten Niveau. Mein Respekt für Stephan Berg.

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Dirk45 18. November 2013 um 22:10

Beim Sportradio360 Podcast haben sie heute sinngemäß gesagt, durch spielverlagerung.de entwickeln die Deutschen die Liebe zur Taktik. Man sieht deutlich, dass der taktikorientierte Sportjournalismus gerade im Internet zunimmt.

Vieln Dank dafür.

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CF 19. November 2013 um 16:05

Leider nur im Internet. Bin aber gespannt ob es bald auch im Fernsehen zu nimmt.

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