Liverpool FC – Chelsea FC 2:2

4 kleine taktische Lehren zum Klassiker zwischen dem Liverpool FC und dem Chelsea FC.

In einem Duell vieler ehemaliger Bekannter kehrte Noch-Chelsea-Coach Rafa Benitez zurück an die alte Wirkungsstätte. Während der Spanier die Champions-League-Qualifikation für die „Blues“ sichern muss, hatten Liverpool und Brendan Rodgers die Möglichkeit, mit einem Sieg bis auf drei Punkte an Lokalrivale Everton auf dem EL-Platz heranzurücken.

liverpool-chelseaLiverpool begann in der bekannten 4-3-3-Formation mit Gerrard und Henderson als Achter vor dem etwas defensiveren Lucas. Neben dem beweglichen Starstürmer Suárez wurde der Angriff von Stewart Downing auf rechts in einer recht normalen Flügelrolle sowie dem wendigen, tieferen und eingerückten Coutinho auf links gebildet. Auf der Gegenseite stützte sich Chelsea besonders auf seine enorm kreative und spielstarke offensive Dreierreihe aus Mata, Hazard und Oscar, die vom mitspielenden und Räume öffnenden Ex-Liverpool-Stürmer Torres sowie dem aufrückenden Ramires als Achter neben Mikel ergänzt wurden.

1. Liverpool und das Aufrücken

Schon einige Male hat es in dieser Saison Kritik an Liverpools fehlender Durchschlagskraft im letzten Drittel und ihrer Abhängigkeit von Torjäger Suárez gegeben. Dabei muss man allerdings auch betrachten, dass sie trotz hoher Ballbesitzwerte bereits ein Problem haben, konstant in das letzte Drittel hinein zu kommen.

Auch in dieser Partie hatten die „Reds“ einige Schwierigkeiten beim Aufrücken. Wieder einmal konnte beispielsweise Gerrard nur wenige Akzente nach vorne setzen, brachte seine Gefährlichkeit und seine Vorstöße im letzten Drittel selten ein, sondern wurde vermehrt in verschiedenen abkippenden Rollen in tieferen Zonen „verschwendet“. Seine defensiven Kollegen aus der Abwehrreihe verpassten es dann allerdings, dafür nach vorne aufzurücken und beispielsweise Räume für den Kapitän freizuschieben.

Wenn Liverpool die eigenen Angriffe also nach vorne trug, fehlte es ihnen dort an Präsenz und an Optionen. Da Chelsea in manchen Phasen und gerade in zentralen Bereichen, immer mal wieder allerdings auch auf dem Flügel, mit situativen Mannorientierungen agierte, hatten die in Unterzahl stehenden Offensivspieler der Hausherren Probleme, die Bälle zu halten. Gegen einen passiveren Gegner ist diese erste Übergangsphase des Angriffsspiels einfacher zu bewältigen, weil die Offensivkräfte in freien Zwischenräumen „warten“ können. Solange sie daraus nichts Gefährliches einleiten können und numerisch ohnehin eher unterlegen sind, wird der Gegner dies zulassen.

Ein körperbetonterer und aggressiver Gegner, der enger am Mann ist, macht es dann allerdings schwierig, die Bälle für nachrückende Kollegen zu sichern. So hatte Liverpool trotz einiger längerer Ballbesitzphasen Schwierigkeiten, diese Dominanz und Ballkontrolle auch in die höheren Zonen hineinzutragen, und kam lange Zeit nur knapp über 50 % Ballbesitz. Das große Hauptproblem ihrer Saison griff dann erst später.

2. Liverpools Probleme mit der Durchschlagskraft dauern an

Erst wenn das Aufrücken nach ganz vorne gelungen war, zeigte sich die zentrale Schwäche der Mannen von der Merseyside, die in dieser Spielzeit bereits einige Male zu torlosen Remis trotz viel Ballbesitz und vieler Abschlussversuche geführt hat. Die meisten dieser Schüsse werden dabei aber aus ungünstigen Positionen und Winkeln abgegeben, weshalb nur ein Bruchteil davon auch auf das Tor geht – geringe Chancenqualität als Indiz für die fehlende Durchschlagskraft.

Ein entscheidender Grund für dieses Problem liegt auch in den Spielertypen der Mannschaft begründet. Wenn Suárez sich als kompletter Neuner zurückfallen lässt, Bälle in den Halbräumen hält und das Zusammenspiel im Mittelfeld und auf den Flügeln unterstützt, fehlt es an der Nutzung der dadurch geschaffenen Räume. Weder von den Achtern noch von den beiden anderen äußeren Stürmern kommen raumnutzende Vertikalsprints wie sie beispielsweise der einlaufende Pedro bei Barcelona zeigt.

Während Downing nicht der Typ dafür ist, sucht Coutinho, der sich insgesamt als deutliche Bereicherung entpuppt hat, eher den Weg des kombinativen Durchbruchs, wobei er aber dann aber aufgrund des zu geringen Aufrückens nicht genügend Spielpartner hat. Passenderweise war es ein diagonaler Vorstoß von Rechtsverteidiger Glen Johnson, der in einer Szene die raumöffnenden Bewegungen Suárez´ im ersten Durchgang am besten ausnutzte, als er nach Weiterleitungen von selbigem sowie von Henderson frei vor Cech auftauchte. Es ist nicht das erste Mal, dass Johnson mit diesen diagonalen Läufen auffällt. Insgesamt liegt hier noch großes Potential für Liverpool, das ausgeschöpft werden kann – aber eher für den Spielaufbau und das Knacken von Pressingstrukturen und nur in zweiter Instanz für den endgültigen Durchbruch zum Tor. Primär sind dafür noch die Offensivspieler hauptverantwortlich.

Genau dies ist der Mehrwert von Daniel Sturridge, der im Winter von der Stamford Bridge nach Liverpool kam und sich bereits als effektiver Neuzugang erwiesen hat – auch in dieser Partie demonstrierte er dies mit dem wichtigen 1:1-Ausgleichstor kurz nach seiner Einwechslung zur zweiten Halbzeit. Als gelernter Stürmer kann Sturridge einerseits die Schnittstellen attackieren und tödliche Räume anbieten, aber mit seinem starken Abschluss aus der Distanz überdies die Probleme der fehlenden Durchschlagskraft kaschieren, da er auch aus dem Zehnerraum treffen kann, ohne dass man die letzte Linie überspielt bekommt.

3. Chelseas Verbesserungen im Gegenpressing

Schon einige Punktverluste mussten die Londoner in dieser Spielzeit aufgrund schwacher Defensivarbeit ihres Offensivtrios hinnehmen, die nicht kompakt mit nach hinten arbeiteten und dadurch den Rückraum entblößten – sei es im Finale der Klub-WM gegen die Corinthians oder bei der Derby-Niederlage gegen West Ham.

In dieser Begegnung zeigten Hazard, Oscar und Co. allerdings deutliche Fortschritte und eroberten immer wieder Bälle in sehr engagiertem Gegenpressing, wenn Liverpool im Umschaltmoment nach vorne spielen wollte. Dabei antizipierten sie bei ihren Bewegungen die bevorzugten Passwege von Lucas, Gerrard und Henderson sehr geschickt, die den Ball normalerweise immer wieder auf die Flügelspieler tragen, welche dann das Spiel wieder ins Zentrum bringen sollen. Darauf schienen Chelseas Offensivspieler vorbereitet und fingen die Zuspiele einige Male ab.

4. Noch nicht ganz überwundene Zweiteilung bei den „Blues“

Offensiv zeigten sie natürlich ebenfalls gute Leistungen und einige nett anzuschauende Kombinationen, hätten in der Phase vor dem Halbzeitpfiff sogar auf 0:2 erhöhen können. Mit einer tiefstehenden Abwehrkette und Carraghers Geschwindigkeitsproblemen musste Liverpool einige Freiheiten im Zwischenlinienraum gewähren, was Chelsea entgegen kam. Dennoch waren die Spielzüge nicht vollends ausgereift und es kam oft noch irgendwo ein Fuß dazwischen oder zu Ungenauigkeiten beim letzten Pass

Dies rührte teilweise auch daher, dass die defensiveren Spieler nach Ballgewinnen und schnelleren Angriffen nicht gut genug nachschoben, weshalb es den Offensivkräften dann an Unterstützung fehlte. Gerade die beiden Außenverteidiger lieferten nur durchschnittlichen Support und konnten nicht effektiv genug für Breite sorgen, so dass Liverpool sich einfacher zusammenziehen konnte. Falls es nach eigenem Ballgewinn durch Pressing oder Gegenpressing im folgenden Angriff zu einem Ballverlust kam, gab es überdies Lücken im Mittelfeld und das erneute Gegenpressing war in der nun höheren Ballposition nicht mehr ganz so kompakt.

In diesem Punkt liegt also auch aus defensiver Hinsicht noch Verbesserungspotential für die „Blues“ – auch bei Schnellangriffen nach eigenen Ballgewinnen müssen sie als Block noch schneller nachschieben und die Kompaktheit erhalten. Wenn sie dann phasenweise auch sehr hoch und kollektiv ins Gegenpressing gingen, war ihre Spielanlage als Ganzes wesentlich stabiler und effektiver.

Fazit

Auch beim letzten Duell zwischen diesen Mannschaften in der Hinserie war das geringe Aufrücken beiderseits ein zentraler Kritikpunkt des 1:1-Remis. Dieses Problem begleitet die beiden Teams immer noch und vor allem Liverpool hat weiterhin einige offensive Schwierigkeiten, die sie seit Saisonbeginn herumschleppen. Dennoch ist einiges bereits verbessert worden – das Ballbesitzspiel und die Mannschaftszusammenstellung sind stabiler und konstanter, Sturridge hat sich bereits gut eingefügt und stellt eine deutliche Bereicherung dar. Auf Seiten von Chelsea hat sich das Offensivtrio weiterentwickelt und die Verbindungen zwischen den Mannschaftsteilen sind etwas sicherer, wenngleich noch nicht völlig stabil – damit dürfte Benitez seinem Nachfolger im Sommer eine ordentliche Basis liefern.

Für alle Interessenten gibt es in unserem bald erscheinen „E-Book“ einen detaillierten Artikel von RM über den Trainer Benitez und auch seine Chelsea-Zeit.

Izi 26. April 2013 um 08:34

Wie immer ein guter Artikel!!! 🙂

Eine individualtaktische Frage hätte ich noch: Wie beurteilt ihr Luis Suarez‘ Beißeinlage? Könnte das – gruppentaktisch ausgeführt – Pool die erhoffte Durchschlagskraft bringen? :-p

(Entschuldigung, als Fan der Toffees konnte ich mir diesen Seitenhieb nicht verkneifen. . .)

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Valentin 22. April 2013 um 18:49

endlich mal wieder ein Chelsea-Artikel, danke vielmals 🙂

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mananski 22. April 2013 um 17:00

Bin nicht so nah an Liverpool, deshalb frage ich: Warum spielt in letzter Zeit immer Carragher und nicht Skrtel, welcher doch eigentlich überlegen sein sollte?
Ich habe vor einiger Zeit mal einen 5:0 Sieg der Liverpooler gegen ein kleineres Team gesehen, bei dem Suarez hinter Sturridge gespielt hat, das sah extrem gut aus. War diese Aufstellung Rodgers von Beginn an zu offensiv gegen Chelsea?
Braucht Liverpool nicht noch einen gefährlichen Winger? (einen torgefährlicheren als Downing)
Coutinho sah schon ganz gut aus die paar Mal die ich ihn gesehen habe, wird aber auch nicht viele Tore machen.

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Wieso nicht 22. April 2013 um 18:30

Als Liverpool Anhänger kann ich dir nur zustimmen. Liverpool braucht dringend Verstärkung in der Offensive. Ich glaube, ein klassischer Mittelstürmertyp a la Huntelaar oder Higuain könnte die geschaffenen Räume effektivz nutzen.

Zudem würde ich Downing gerne mal als 8er sehen. Seine Qualitäten am Ball sind unbestritten, liegen aber aus meiner Sicht mehr im gestalterischen Bereich als auf dem Flügel.

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seils 22. April 2013 um 18:47

Sturridge ist doch ein klassischer Mittelstürmer.

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SV 23. April 2013 um 11:21

Ich dachte aufm Papier spielt Suarez quasi vor Sturridge, sodass der Beißer in erster Linie den Mittelstürmer gibt.

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seils 23. April 2013 um 13:13

Sturridge hält sich schon eher Box-nah auf, während Suarez viel ausweicht und sich zwischen den Linien positioniert.

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Wieso nicht 24. April 2013 um 13:19

Sturridge ist auch wenn er zur Zeit vornehmlich im Zentrum eingesetzt wird alles andere als ein Mittelstürmer.

Zur Erinnerung, bei den Blauen und im englischen Olympiateam wurde er stets auf dem rechten Flügel eingesetzt, um im Stile Robbens nach innen zu ziehen. Liverpool mangelt es nicht an solchen Spielern, sondern an denjenigen, die sich in der Box aufhalten und die Tiefe suchen.

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seils 26. April 2013 um 09:29

Ich habe zwar keine Ahnung auf welcher Position Sturridge für Englands Olympiateam gespielt hat, aber der Grund weshalb er bei Chelsea vornehmlich über die rechte Seite kam war die Konkurrenz im Zentrum. Er kann auch als Außenstürmer spielen – er ist schnell und dribbelstark -, allerdings habe ich schon das Gefühl, dass er mit dem Rücken zum Tor gewisse Qualitäten hat; überdies ist er auch physisch relativ robust und hat einen starken Abschluss. Wenn Mittelstürmer Synonym für ‚Luca Toni u.Ä.‘ ist, dann sicher nicht. Ein Strafraumstürmer modernerer Prägung ist er für mich aber schon. Vielleicht also kein klassischer Mittelstürmer, aber eben Mittelstürmer.

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der_bräter 22. April 2013 um 16:07

schöner Artikel, danke!

noch schöner: http://sphotos-d.ak.fbcdn.net/hphotos-ak-prn1/s480x480/32428_10201078270626729_1930972782_n.jpg

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AP 22. April 2013 um 15:51

Hey TR, du scheinst ja die Teams und die Lage zu beobachten.

Wenn Benitez es schafft, dass Chelsea stabiler wirkt und sich die Offensive besser ergänzt, warum muss er dann im Sommer gehen? Und welcher Trainer, außer die üblichen Hiddinks dieser Welt, würde dann gut passen?

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RM 22. April 2013 um 16:19

Benitez‘ Trainerkarriere und auch, wieso er bei Chelsea gehen muss, werden ebenfalls in unserem Ebook gecovert. Geht da vorrangig um interne Probleme – außerdem soll ja Mourinho kommen.

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AP 22. April 2013 um 22:51

Ich freue mich jetzt schon… THX

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seils 22. April 2013 um 17:46

Das verrückte ist ja, dass Benitez von Anfang an nur als Interimslösung eingeplant wurde, völlig unabhängig von der Qualität der Arbeit die er abliefern würde. Auch im eigenen Anhang ist er extrem unbeliebt. Und er hat in England zudem den Ruf lediglich ein Cup-Trainer zu sein. Erschwerend kommt schließlich noch hinzu, dass Abramowitsch sportliche Entscheidungen offenbar nach Laune trifft.

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der_bräter 22. April 2013 um 18:36

das Problem ist, dass Abramovich ÜBERHAUPT sportliche Entscheidungen trifft 😉

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Valentin 22. April 2013 um 18:47

das verrückte is dass er überhaupt Chelseatrainer geworden ist, jeder der Chelsea nur ein klein wenig verfolgt hätte gewusst dass das nie gut geht weil ihn die Fans hassen.
Das hat er versucht mit sportlichem Erfolg wieder wett zu machen der bis jetzt leider ausgeblieben ist, deswegen hat er auch die so ziemlich schlechteste Bilanz alles Chelsea Trainer.
Und angeblich hat er in seinem vertrag eine Klausel die ihm bei 2 Trophäen eine automatische Vertragsverlängerung um 2 Jahre garantiert hätte

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seils 22. April 2013 um 18:59

Das wäre natürlich was; ist ja auch gar nicht mal so unwahrscheinlich- die zwei Trophäen, nicht die Klausel. Dann wirds mal wieder ein teurer Sommer in London.

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AP 22. April 2013 um 23:01

Ja gut, Abramowitsch seine Trainerauswahl ist ja ähnlich zu der Spielerwahl gewesen. Stets die gerade erfolgreichen wurden geholt. AVB als Trainer, Torres. Völlig Planlos. Um nur mal 2 rauszupicken.

Aber jetzt scheint es ja ein wenig strukturierter abzulaufen. Mata, Oscar, Hazard, bald evtl. Schürrle. Kann sich sehen lassen. Dazu evtl. Mourinho, der jeder Mannschaft Defensive Stabilität verleiht. Mit Chelsea ist zu rechnen.

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SV 23. April 2013 um 11:19

Die Logik erschließt sich mir eh nicht wie bei Keller auf Schalke. Es ist meines Erachtens doch viel sinnvoller für Spieler und vor allem um sich vor medialem Echo zu schützen den Trainer als Dauerlösung darzustellen. Im Hintergund kann ja immernoch an Alternativen gearbeitet werden.

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King_Cesc 22. April 2013 um 15:44

Ist es für Trainer nicht eine der schwierigsten Aufgaben, die Defensivspieler sinnvoll aufrücken zu lassen und gleichzeitig die Offensivspieler dazu zu bringen sinnvoll nach hinten arbeiten zu lassen? 😀

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