Blick über den Tellerrand – Folge 3

Die dritte Folge unserer allseits beliebten Serie „Blick über den Tellerrand“ – diesmal mit Napoli, Wigan und ein bisschen zweiter Liga.

Napolis Stammformation. Interessant ist, dass die Seitenaufteilung der schweizer Nationalspieler Inler und Behrami je nach Gegner und von Spiel zu Spiel variieren kann. Während sie in den letzten Woche meistens in obiger Aufteilung spielten, wurde gegen Juventus Inler auf halblinks (gegen den dynamischen und kampfstarken Vidal) und Behrami (gegen den etwas offensiveren und noch mehr nach Lücken suchenden sowie athletischeren Marchisio) auf halbrechts gewählt, wie auch schon gegen Lazio (Behrami gegen Spielmacher Hernanes anpassend, Inler mit seiner etwas risikoreicheren Spielweise gegen Alvaro González)

Wo es gut läuft: SSC Napoli

Trotz des Überstehens der Todesgruppe und des Einzugs ins Champions-League-Achtelfinale war die vergangene Saison für Walter Mazzari und den SSC Napoli keine vollends zufriedenstellende Spielzeit – gerade die fehlende Konstanz war sehr ärgerlich und mündete schließlich auch im Verpassen der Königsklasse. Ganz so radikal war der im Sommer nach einigen schnellen Transfers erwartete Neustart dann allerdings nicht, so dass die Neapolitaner in dieser Spielzeit nicht grundsätzlich anders spielen, sondern nur leicht verändert.

Auffällig ist dabei die noch einmal vertikaler gewordene Spielanlage im Mittelfeld – anstelle des ballverteilenden Spielmachers Walter Gargano, nun bei Inter, wurde neben dem sehr aggressiv und robust spielenden Gökhan Inler mit Valon Behrami ein weiterer lauf- und kampfstarker Akteur verpflichtet – anders als Gargano. Durch seine Polyvalenz und höhere Beweglichkeit kann Behrami im Defensivspiel gut die von Inler freigelassenen Räume füllen, während in der Dreierkette Gamberini anstelle des in die Jahre gekommenen Aronica für weitere Stabilität sorgt. So musste die kampfstarke und disziplinierte Defensive erst fünf Ligagegentore hinnehmen.

Es ist nicht nur im defensiven Sinne, sondern durch die stärker vertikale Ausrichtung noch mehr auch im offensiven Sinne das Umschalten, welches Napoli derzeit so stark macht, auch wenn sie am Wochenende das Topspiel bei Juventus verloren haben. Während hinten stets eine Dreierkette absichert, entstehen durch die Breite gebenden Wing-Backs sowie die beiden aufrückenden zentralen Mittelfeldspieler genügend Präsenz und Optionen im Angriffsdrittel – hier können sie mit den engen Offensivspielern gut interagieren und Überzahlen herstellen. Dank der Vorstöße aus der Tiefe können sich mit Hamsik und Cavani zudem die beiden stärksten Offensivkräfte auch mal ihre Freiheiten nehmen – Ersterer kann in die Tiefe gehen und dort mehr Zugriff zur Spielgestaltung erhalten, während der primäre Goalgetter auf den Flügel rochiert, wo er bei Kontern die Räume hinter den gegnerischen Außenverteidigern attackiert und im geordneten Angriffsspiel entweder selbst Freiräume sucht oder im Zentrum solche für seine Kollegen öffnet. Nach dem Abgang von Lavezzi zu PSG spielt neben den beiden meist noch Goran Pandev in der Offensive, der sich als enorm wertvoll und wichtig für Napolis Stärke erweist: Er stellt mehr eine Zwischenposition zu den beiden Offensivstars her und agiert zuarbeitender, während Lavezzi eher ein Spieler war, dem serviert werden musste und der sich in seiner höheren, eher auf Angriffsabschlüsse fokussierten Position am Ende teilweise mit Cavani in die Quere kam.

Das bereits angesprochene Topspiel vom Samstag bei Meister und Tabellenführer Juventus Turin, welche in ihrem typischen 3-5-2 formiert waren, verlief allerdings weitgehend unspektakulär. Beide Teams – vor allem Napoli agierte auf diese Weise – neutralisierten sich mit relativ mannorientiert ausgelegten Pressing- und Defensivstrategien über weite Strecken des Spiels gegenseitig. Die enorm wenigen Chancen entstanden durch Einzelaktionen, Standards oder Läufe in den freien Raum „neben“ die Dreierketten. Gegen die etwas raumorientierte Heim-Mannschaft versuchte Napoli zudem den rechten Flügel zu überladen, was durch fehlende Präzision und konsequentes Verschieben der Turiner zu dieser Seite ebenfalls wenig einbrachte.

Was sich dann in einer kurzen Drangphase zu Anfang der zweiten Halbzeit bereits ankündigte, wurde im Verlauf der Schlussphase immer deutlicher – Juventus´ Steigerung im zweiten Durchgang, dank der sie mit einem Doppelschlag in den letzten Minuten die Partie für sich entscheiden konnten. Wichtig dafür war, dass das Mittelfeld-Trio seine Rollenverteilung etwas ablegte und die einzelnen Akteure stattdessen verstärkt ihre Gegenspieler wegzogen, um für die Kollegen Räume zu schaffen. Fiel das erste Tor nach einer Ecke, entstand das zweite durch die Kombination aus Juventus´ Ansteuern der Räume neben der Dreierkette sowie Zuordnungsproblemen Napolis im zentralen Mittelfeld.

Wo es schlecht läuft: Einige NRW-Zweitliga-Teams

Vielen Dank an unseren Leser TW (mehr von ihm in den Kommentaren unten), der als Begleiter des VfL uns die Arbeit für das Erstellen einer Grafik abgenommen und diese gute Darstellung spendiert hat.

Nach ordentlichem Saisonstart hat der VfL Bochum mittlerweile Probleme mit dem Punkten und dabei vor allem mit dem Toreschießen bekommen. Eine Hauptschwierigkeit der Mannschaft von Andreas Bergmann liegt im konstruktiven Spielaufbau – also darin, die eigentlich spielstarke sowie bewegliche und durchaus mit guten Verbindungen zueinander stehende Offensive einzusetzen. Schon bei frühem Druck lässt sich die Hintermannschaft zu langen Bällen hinreißen, wobei die nicht optimale Präsenz im Sechserraum dieses Problem in seiner Wirkung verstärkt. Diese langen Bälle sind bei den kleinen und wendigen Offensivspielern allerdings ineffektiv und sorgen eher für Ballverluste, die zuletzt auch die zu Beginn noch sichere Defensive häufiger ins Wackeln brachte.

In Duisburg muss der  MSV im Abstiegskampf, besonders nach der jüngsten Heimniederlage gegen Ingolstadt, auch unter dem neuen Trainer Kosta Runjaic weiterhin kämpfen. Ähnlich wie bei den Bochumern machen den Zebras die Verbindungen zwischen Defensive und Offensive im Spielaufbau zu schaffen – durch die sehr hoch stehenden Stürmer (Baljak und Domovchisky, gegen Ingolstadt auch Jovanovic) sowie Flügelspieler (Brandy gegen Ingolstadt, aber auch Exslager) finden die Defensivspieler nur schwer Anspielstationen. Zwar können die auch immer wieder gespielten langen Bälle von den vielen hohen Stürmern gut verarbeitet werden, was zuletzt einige Erfolge brachte. Doch erstens fehlt es in einem möglichen Gegenpressing an der nötigen Staffelung und Tiefe und zweitens gerade in den Umschaltmomenten folgerichtig die Präsenz im dünn besetzten Mittelfeld, was dadurch verstärkt wird, dass ein Sechser oftmals hinter einen Außenverteidiger oder in die Abwehrkette kippt.

Bei den ähnlichen Geschichten dieser beiden Westklubs, deren Grundproblem der Kompaktheit sich allerdings auch in der Bundesliga finden lässt und beispielsweise beim VfB Stuttgart zu erkennen ist (oder war?), verwundert nicht, dass die direkte Begegnung zwischen dem MSV und dem VfL torlos 0:0 endete.

Nach dem Abstieg aus der Bundesliga blieb mit dem 1. FC Köln ein weiteres „West-Team“ bislang ebenfalls hinter den Erwartungen zurück. Allerdings leiden die Domstädter eher unter ihrer übertriebenen und fast wahnsinnigen Fluidität, die Holger Stanislawski dort installiert hat. Aus der aktuellen Schwächephase kann also ganz schnell ein Lauf mit hervorragendem Fußball werden. Von daher war das phänomenale Comeback vom Wochenende in Regensburg, als in den letzten drei Minuten aus einem 0:2 noch ein Sieg gemacht werden konnte, durchaus sinnbildlich für die taktische Ausrichtung der Geißböcke. Mehr dazu erfährt man hier.

Interessant zu beobachten: Wigan Athletic

Wigans Grundformation mit Jordi Gómez

Auch wenn es keine Neuerung zu dieser Spielzeit ist, sondern schon seit einiger Zeit mehr oder weniger konstant praktiziert wird, ist das Dreierketten-Projekt von Wigan Athletic unter dem spanischen Jung-Trainer Roberto Martínez in der Premier League hochinteressant anzuschauen.

Vor der Dreierkette mit dem rustikalen Abwehrchef Caldwell und den spielstärkeren Figueroa und Ramis agieren zwei zentrale Mittelfeldspieler, zwei Wing-Backs und drei Offensivspieler. Interessant ist dabei die unterschiedliche Aufgabenverteilung der beiden Flügelverteidiger – während auf der rechten Seite der barbadische Nationalspieler und eigentliche Innenverteidiger Boyce deutlich reservierter agiert, spielt auf dem linken Flügel der angriffslustige Chilene Beausejour.

Dadurch ergibt sich ein starkes Übergewicht auf dem linken Flügel, über den das Team fast 45 % seiner Angriffe aufzieht. Dabei wird der offensivstarke Beausejour gelegentlich von einem zentralen Mittelfeldspieler oder gar durch den von seiner halblinken Innenverteidiger-Position auf die Seite vorschiebenden Figueroa unterstützt. Durch diese Überzahlbildung soll der Gegner überladen werden. Wichtig ist dabei noch der im Angriff spielende und oftmals zwischen Genie und Wahnsinn schwankende Shaun Maloney, der den Raum zwischen den Linien okkupiert und der zentrale Verbindungsspieler im letzten Drittel sein soll.

Bei ihren schwächeren Auftritten wirkt die Mannschaft allerdings etwas unorganisiert und kann die guten Ansätze nicht bis in die torgefährlichen Räume tragen – dieses fahrige Element des Angriffsspiels und die fehlende Klarheit einiger Aktionen ist eines der Kernprobleme der Mannschaft. Behoben werden soll dies durch den neuen Stürmer Arouna Koné – der Ivorer kam im Sommer für fast 4 Millionen Euro von Levante, das vergangenes Jahr mit dem Überladen eines Flügels große Erfolge erzielte und sich in die Europa League brachte. Durch seine Erfahrungen bei Levante soll er mit intelligenten Laufwegen sich besonders gut an den Linksfokus seiner Mannschaft anpassen.

Wenn allerdings das Überladen schon im Ansatz nicht klappt, helfen die passenden Stürmerbewegungen auch nichts mehr. Dies ist wohl das zweite Offensivproblem der Martínez-Truppe. Manchmal arbeiten die Kollegen nicht genug mit, so dass Beausejour und Maloney alleine das Überladen nicht praktizieren können. Gerade wenn auf rechts in der Offensive nicht der aus Barcelonas Jugend stammende und sich in die Zentrale bewegende Spielmacher Jordi Gómez, sondern Koné dort hingeschoben wird, weil Franco di Santo den zentralen Sturmposten besetzt, entsteht eine gewisse Disharmonie.

Am Wochenende traf Wigan auf die zweite individuell schwächere Mannschaft der Liga, die einen Ballbesitzstil versucht – Swansea City unter Michael Laudrup, die allerdings noch einmal extremer auf den Ballbesitz aus sind als Wigan. Interessant war bei dieser Partie, dass zwei Teams mit ungewöhnlichen Philosophien, vielen technisch starken Spielern und stark spanischen Prägungen aufeinander sowie Martínez seinen ehemaligen Klub wiedertrafen – er hatte Swansea erst wieder in die Zweitklassigkeit geführt und sofort dort etabliert, ehe Brendan Rodgers mit dem Team aufstieg.

Und sonst so? Statistiken und Kurioses

Bleiben wir zum Ende noch kurz in der Premier League und leiten schnell zum Schlussakkord über: Beim 1:1 gegen Newcastle lieferten die „Black Cats“ aus Sunderland eine beeindruckende Bewerbung für die „am wenigsten durchschlagskräftige Leistung der Saison“ ab – nach einem frühen Gegentor hatten sie fast das gesamte Spiel Zeit für einen Treffer und waren etwa drei Viertel der Zeit auch noch in Überzahl. Aus diesem Anrennen konnten sie aber kaum konkrete Chancen erspielen und brachten letztlich zwar ganze 41 Flanken in den Sechzehner, aber nur einen einzigen ihrer 21 Schussversuche auch auf Newcastles Kasten. Kein Wunder, dass nur ein Eigentor fünf Minuten vor dem Ende doch noch für einen Treffer sorgen konnte.

TW 8. April 2013 um 11:48

Der VfL dreht durch: Neitzel und Todt weg, dafür erlebt Neururer seine Wiederauferstehung als Feuerwehrmann. Ich bin ja mal gespannt, was uns da erwartet – alles andere als ein 4-4-2 ohne irgendein Pressingkonzept wäre eine positive Überraschung 🙁

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TW 7. Mai 2013 um 13:42

4-4-2 mit vielen Manndeckungen sobald der Gegner die Bochumer Hälfte erreicht stimme tatsächlich. Trotzdem 4 Siege aus 4 Spielen. Die Basis für den Erfolg war das intensive Training von Standardsituationen – 5 von 8 Toren fielen danach, 2 weitere Tore waren späte Konter nach Toren durch Standards.

Passend dazu das heutige Interview mit Neururer aus der Welt:

Die Welt: Mit welchem taktischen Konzept haben Sie die Wende geschafft?

Neururer: Es geht darum, die Mannschaft auf den jeweiligen nächsten Gegner einzustellen und für dieses Spiel ein Konzept zu haben. Das macht jeder Trainer von der Bundesliga bis zur Kreisklasse so. Aber dieses ganze Gerede von taktischen Konzepten wird generell zu hoch gehängt.

Die Welt: Warum?

Neururer: Weil es der größte Blödsinn aller Zeiten ist. Es gibt keine Konzepttrainer. Es gibt gute Vereine, die ein Konzept haben. Und diese Vereine suchen dann einen Trainer, der in dieses Konzept passt.

Ich weiß selbst nicht, was ich davon halten soll, würde es aber mal gern zur Diskussion stellen.

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RM 7. Mai 2013 um 13:53

a) Neururer schließt vl. ja einfach von sich auf andere?

b) Ich hätte folgendes gesagt: „Die meisten Teams arbeiten mit Konzept und suchen sich einen dazu passenden Trainer, dessen Konzept möglichst nahe an dem des Vereins ist, allerdings in einigen Sachen operativer statt strategischer ist. Manche Teams arbeiten ganz ohne Konzept, einige Trainer ebenfalls. Was eine Schande ist.“

c) Wie definiert man Konzept denn? Mir scheint, Neururer meint damit eine fixe spielphilosophische Ausrichtung. Seine Meinung wäre dann: Die Spielphilosophie wird dann vom Verein vorgegeben und der Trainer macht halt aus dem Spielmaterial das, was er aus den Möglichkeiten machen kann, passt sich an den Gegner an und versucht auch noch die spielphilosophischen Forderungen umzusetzen.

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MR 7. Mai 2013 um 14:15

Ich frag mich gerade, wie man denn einen „zu einem Konzept passenden Trainer“ finden will, wenn es keine Konzepttrainer gibt.

Ach mal ehrlich, Diplomatie kurz beiseite: Das ist doch kompletter Dünnschiss. Wer ein paar Spiele von Freiburg, Mainz oder Dortmund anschaut, weiß das, wer die verschiedenen Mannschaften von van Gaal, Bielsa oder Mourinho miteinander vergleicht, weiß das. Sein wir ehrlich, jeder Leser hier weiß das. Es gibt keine Konzepttrainer…also bitte.

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TW 7. Mai 2013 um 14:28

Die Vereinskonzepte, die er anspricht, gehen wohl eher in Richtung von offensiver Fußball, junge Spielern einbauen, etc. Zumindest geht seine Kritik an anderen Strukturen (VfL unter Todt, FC Köln) häufig in diese Richtung. Da kann der Verein dann schon einen entsprechenden Trainer suchen.

Zu dem Punkt Konzepttrainer finde ich RMs Bermerkung „a) Neururer schließt vl. ja einfach von sich auf andere?“ sehr passend. Er wurde häufig als Feuerwehrmann für kleinere Vereine geholt. Da konnte er natürlich keine neuen Konzepte etablieren, sondern musste aus dem vorhandenen Material in kürzester Zeit das Maximum rausholen. Vielleicht hat er sich auch deshalb nie mit langfristig zu verankernden komplexen taktischen Konzepten befasst.

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TW 24. Oktober 2012 um 17:33

Ich finde es prima, dass Ihr Euch mit den Problemen der NRW-Teams in der der zweiten Liga auseinandersetzt. Als leidgeplagter Bochum-Fan zerbreche ich mir darüber jede Woche den Kopf. Das recht unorthodoxe 4-1-3-1-1 des VfL wird bei Euch zumeist nur als das System für die totale Schlussoffensive (dann als 4-1-3-2) behandelt.

Zum VfL schreibt Ihr: „Schon bei frühem Druck lässt sich die Hintermannschaft zu langen Bällen hinreißen, wobei die nicht optimale Präsenz im Sechserraum dieses Problem in seiner Wirkung verstärkt. Diese langen Bälle sind bei den kleinen und wendigen Offensivspielern allerdings ineffektiv und sorgen eher für Ballverluste, die zuletzt auch die zu Beginn noch sichere Defensive häufiger ins Wackeln brachte.“ Dazu habe ich ein paar Anmerkungen:
– Zu Beginn der Saison hat Bochum in Paderborn gleich mehrere Gegentreffer nach unnötigen Ballverlusten im direkten Gegenpressing bekommen. Ich könnte mir vorstellen, dass die oft rustikale Klärung von Situationen (insbesondere von Sinkiewicz) auch einer daraus resultierenden Unsicherheit (oder sogar einer Anweisung des Trainerteams) geschuldet ist
– Luthe ist leider das totale Gegenteil eines mitspielenden Torwarts. Bei Rückpässen greift er zu 99 % zum langen Ball
– Eine Stärke des VfL ist das Offensivpressing – wenn auch oft nur in ersten 30 Minuten eines Spiels. Ich könnte mir vorstellen, dass die langen Bälle, die von Sinkiewicz systematisch in den rechten Halbraum zwischen AV und IV geschlagen werden, auch darauf abzielen im Gegenpressing Bälle in aussichtsreichen Situationen zu gewinnen. Iashvili (als Central Winger) verschiebt in den Halbraum, der RM rückt auf, der Stürmer stellt den Pass in die Mitte zu. Die beiden übrigen Achter der Dreierkette sichern den Weg ins Zentrum ab. Das funktioniert zu Beginn oft gut. Im Laufe des Spiels nimmt die Intensivität des Pressing abs, die Gegner stellen sich darauf ein und die Anzahl der Ballverluste kann die der Ballgewinne nicht kompensieren.

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TW 24. Oktober 2012 um 17:40

Eine Anmerkung noch zur fehlenden Präsenz im Sechserraum. Gegen Berlin hat Bochum erstmals mit zwei spielerisch starken 6ern (Kramer und Goretzka) und horizontaler Aufteilung gespielt. In diesem Spiel war die Spielpräsenz (auf dem gesamten Feld) bisher am schwächsten? Kann ein Zufall oder der Stärke Berlins geschuldet sein, aber auch daran liegen, dass das Spielprinzip keinen geordneten zentralen Spielaufbau vorsieht.

Für mich basiert das Bochumer System auf vertikalem Kurzpass-Spiel – jedoch oft ohne Erfolg – und Gegenpressing als Spielmacher (nur in den ersten 30 min).

Für alternative Vorschläge mit dem gegebenen Spielermaterial wäre ich mehr als dankbar 😉

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TR 25. Oktober 2012 um 18:48

Deine Ergänzungen zu einigen spielerischen Problemen passen gut, auch die wohl psychologische (und immer weiter ansteigende?) Wirkung des Paderborn-Spiels. Von Luthe bist du ja alles andere als begeistert – ich kann das wohl nicht beurteilen, hätte in dem Maße aber nicht damit gerechnet.

Das gute Gegenpressing in der Enge resultiert ja auch im Umkehreffekt aus der engen Offensivstellung, die eigentlich durch die beweglichen Spieler erzeugt und im Text auch kurz angeschnitten wird. Trotz dieser guten Voraussetzung fand ich beispielsweise gegen die Hertha die Effektivität der Gegenpressing-Szenen (in der Höhe kann man die Bälle ja eh nicht gewinnen) gar nicht mal so hoch. Teilweise wurden die vorhandenen und eigentlich guten Strukturen durch etwas zu hektische und unbedachte Bewegungen wieder beschädigt und waren nicht in vollem Maße nutzbar.
Wenn Goretzka nicht spielt, geht meistens Rzatkowski ins Zentrum (offensive Acht) und ein anderer Flügel kommt noch rein, richtig? Möglicherweise ist das Problem gegen die Hertha dadurch begründet, dass eine Art Disbalance entsteht, weil eine schematisch sehr hohe Rolle im ZM mit recht offensiver Ausprägung dieser 4-1-3-1-1-artigen Formation durch einen Spieler wie Goretzka andererseits wieder abgeschwächt wird, wodurch diese Position dann zwischen zwei Ideen festhängt. So nach dem Motto: Weder Fisch noch Fleisch. Ein wenig wie der gescheiterte Versuch, eine zu offensive und riskante Formation mit Lücken in den defensiven Halbräumen durch eine defensive Positionsbesetzung defensiver zu machen, wodurch die Formation aber unscharf wird und die Kompaktheit eher noch geschwächt wird, da die Kompaktheit in den vorderen Linien verringert wird, ohne dass man konsequent genug wäre, um tiefer für Verbesserung zu sorgen. Ist aber nur ein Eindruck und ich kann leider nicht so viel Genaueres sagen.

Vorschläge meinst du im Sinne von: „Wie könnte der VfL wieder „erfolgreicher“ spielen?“ Ich kenne viele Spieler leider nicht gut genug, aber man müsste wohl eher im Mittelfeld ansetzen und dort die Streckung etwas verkürzen, die trotz Versuche einer engen Offensive zu geweitet ist. Ein wenig wie ich es oben schon andeutete, wird die Formation durch einige Spieler recht gestreckt, soll dann aber doch eher eng gespielt werden. Es „passt“ insgesamt nicht so richtig, was vielleicht auch die Wankelmütigkeit oder Einbrüche erklären könnte. Wie sieht denn das Potential für die Abwehr aus? Wenn es da nicht so viel spielerische Offenbarung gibt, müsste man wohl die Gegenpressing-Strategie konsequenter anspielen und dann sich auch noch etwas mehr darauf ausrichten. Rzatkowski sollte das ja beispielsweise gewöhnt sein.

Ist allerdings nur vage, was ich sagen kann, aufgrund eben geringer „VfL-Kenntnisse“ (ich scoute natürlich nicht mehrere Spiele für jedes Team dieser Serie 😉 ).

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TW 25. Oktober 2012 um 19:37

Ich bin begeistert. Danke für die schnelle Einbindung meiner Abbildung und den ausführlichen Kommentar. Zu Deinen Punkten bzw. Fragen:

„Von Luthe bist du ja alles andere als begeistert – ich kann das wohl nicht beurteilen, hätte in dem Maße aber nicht damit gerechnet.“

Luthe ist ein starker TW auf der Linie und im 1 vs. 1. Nach seinem Vorgänger Heerwagen war ein echter Heilsbringer. Insbesondere die Serie von gehaltenen Elfern hat im Kultstatus verliehen. Meine Kritik bezieht sich rein auf seine spielerischen Fähigkeiten.

„Trotz dieser guten Voraussetzung fand ich beispielsweise gegen die Hertha die Effektivität der Gegenpressing-Szenen (in der Höhe kann man die Bälle ja eh nicht gewinnen) gar nicht mal so hoch.“

Gegen die Hertha hat das tatsächlich viel schlechter als bisher geklappt. Als positiven Ausreißern kann man hier die ersten dreißig Minuten gegen Braunschweig erwähnen.

„Wenn Goretzka nicht spielt, geht meistens Rzatkowski ins Zentrum (offensive Acht) und ein anderer Flügel kommt noch rein, richtig? “

Die Situation gab es bisher noch nicht so oft, da Goretzka fast jedes Spiel gemacht hat. Zu Beginn als Goretzka noch auf dem Flügel „eingeführt“ wurde, hat Rzatkowski die Position bekleidet und Tasaka links gespielt. Die Positionierung von den beiden ist generell extrem fluide. Wenn G. tiefer fällt, z. B. um im Aufbau zu unterstützen, rückt R. ein. Auch die horizontale Positionierung wird häufig getauscht (deswegen auch der entsprechende Pfeil in der Grafik). Das führt im Umkehrschluss jedoch dazu, dass über die linke Seite quasi nie gespielt wird, auch bedingt durch die eher zurückhaltende
Auslegung der LV-Position von Chaftar. Einzige Option sind lange Bälle oder Pässe von Chaftar auf Iashvili.

„Möglicherweise ist das Problem gegen die Hertha dadurch begründet, dass eine Art Disbalance entsteht,…“

Die Idee ist nicht schlecht. Eventuell kam auch noch durch das verstärke Einrücken von Rzatkowski fehlende Breite hinzu. Dadurch das Rzatkowski noch hinter Kramer und Goretzka im Deckungsschatten steht, gab es kaum Anspielstationen.

„Ich kenne viele Spieler leider nicht gut genug, aber man müsste wohl eher im Mittelfeld ansetzen und dort die Streckung etwas verkürzen, die trotz Versuche einer engen Offensive zu geweitet ist. Ein wenig wie ich es oben schon andeutete, wird die Formation durch einige Spieler recht gestreckt, soll dann aber doch eher eng gespielt werden.“

Ich denke auch, dass der Ansatzpunkt im Mittelfeld liegt, verstehe jedoch Deine Idee nicht so ganz. Kompakter als momentan kann das Mittelfeld ja kaum aufgestellt werden.

Die beste Option wäre wohl ein genereller Wechsel der Spielphilospohie. Weg vom dominanten Ballbesitzspiel hin zu einer reaktiven Philosophie mit breiteren und schnelleren Außen (z. B. Delura), ähnlich wie Hannover 96. Das würde die Kompaktheit defensiv erhöhen und mehr Raum für die vertikalen Vorstöße geben. Iashvili könnte eine Rolle als hängende Spitze ähnlich der von Schlaudraff einnehmen. Ich befürchte nur, das eine solche Idee von den Fans torpediert werden würde, die am liebsten noch offensiver spielen wollen.

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TR 26. Oktober 2012 um 10:04

Jaja, spielerisch meinte ich schon. Zu 99% kein mitspielender Torwart ist ja schon eine harsche Kritik – kann aber durchaus berechtigt sein, kann ich eben nichts zu sagen.

Okay, das Vernachlässigen des linken Flügels könnte man da als weitere Schwäche sehen. Ich habe die Situationen mit engen Verbindungen auch eher im halbrechten Bereich wahrgenommen.

Naja, es ist die Idee kompakt zu stehen und kompakt ist die Aufstellung ja auch, aber was ich versuchte anzusprechen, war, dass das nicht so richtig mit Spielerwahl und schematischer oder formativer Anlage in Einklang ist, weshalb das Ganze dann unscharf wird und man die eigentlich guten Strukturen und „Aufstellungen“ nicht optimal nutzen kann, so dass aus der Enge z.B. nicht immer Druck erwächst, dass dann wieder andere Räume freigelassen werden (die linke Seite) oder der Kontakt und damit die Kompaktheit zum Rest des Teams fehlt, etc. Letzeres ist ja, was ich eigentlich im Artikel vor allem ansprach, dass man aus dem Aufbau eben nur kaum in die guten Offensivsachen reinkommt.

Zu deinem Stilwechsel ist es wohl richtig, dass besonderes Ballbesitzspiel eher nicht die Sache des VfL ist. Dazu noch eine Anmerkung von MR, der dies letzte Saison in einem Spiel gegen Dresden bemerkte, als Bochum auch mit viel Ballbesitz und Fluidität spielte, das Ganze aber völlig ineffektiv war. Von daher richtiger Ansatz. Mich wundert in diesem Kontext nur, dass Bergmann doch durchaus „Hannover-Verbindungen“ hat, oder? Andererseits erinnert beispielsweise die reine Formation schon an 96, welche aber nicht diese enorme Enge spielen meiner Meinung nach.

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TW 26. Oktober 2012 um 10:30

Das stimmt, Bergmann war bei Hannover Vorgänger von Slomka. Hat dort aber ebenfalls mit einer rautenähnlichen Formation gespielt. Das vertikale Konterspiel wurde erst danach von Slomka installiert. Ich weiß nicht inwieweit Bergmann das in seiner folgenden Rolle als U23-Coach mitgetragen hat.

Ich habe mir gestern noch ein paar Gedanken zu möglichen Formationsänderungen gemacht. Das Problem beim VfL ist aber, dass das Spielermaterial nur wenig Variation ermöglicht. Mit Dabrowski (momentan verletzt) gibt es nur einen echten Sechser neben Kramer. Delura (immer noch angeschlagen) ist der einzige dynamische, vertikale Außenspieler. Aydin (auch grad erst wieder im Training) ist der einzige echte Mittelstürmer (Wandspieler). Die Mannschaft ist jedoch gespickt mit Halbspielern im Mittelfeld (Rzatkowski, Goretzka, Tasaka, Toski, Freier) und hängenden Spitzen (Dedic, Iashvili, Gelashvili). Somit ist das aktuelle System quasi aus der Not geboren. Eine weitere Alternative wäre eventuell das aktuelle 4-3-2-1 System von Leverkusen. Allerdings verfügt Bochum über keinen Außenspieler der auch nur annähernd die Qualität von Carjaval hat.

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TW 16. Dezember 2012 um 20:48

Welch‘ Wunder: Bergmann ist weg und nach ein paar Spielen mit dem alten System stellt Neitzel auf ein reaktives System mit Doppel-6 und deutlich tieferem Mittelfeldpressing um. Die Folge 7:0 Tore und 6 Punkte aus den letzten beiden Spielen.

Es wäre der absolute Wahnsinn, wenn sich jemand von Euch erbarmen würde und das Pokalspiel der Bochumer am Mittwoch analysiert. Ein Vergleich dieses Spiels mit dem Aufeinandertreffen in der Hinrunde wäre dann das absolute Schmankerl.

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TW 31. Juli 2013 um 22:39

MR und ich konnten Karsten Neitzel für ein Interview inkl. Saisonrückblick gewinnen. Dort wurden auch viele Punkte dieser Diskussion aufgegriffen.

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datschge 1. August 2013 um 13:57

Taktische Saisonrückblicke mit involvierten Personen sind klasse! Sehr schön gemacht, wünschte, es gäbe viel mehr davon. Der Rest des Interviews wird also in Ballnah 3 kommen?

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