Retroanalyse: Real Madrid – FC Barcelona 2:6, 2009 | in-depth

Eine der zwei Retroanalysen zur Woche der falschen Neun beschäftigt sich mit der Partie zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona, welche am 2. Mai 2009 stattfand. Wir hatten bereits erwähnt, dass im Spiel zwischen Ungarn und England die modernen Mittel der Magyaren die Manndeckung konzeptuell zerschlagen hatten.

Über 55 Jahre später wurde die Idee der mannorientierten Raumdeckung in dieser denkwürdigen Partie von den Katalanen und in Person von Lionel Messi ebenfalls ad absurdum geführt, zwei Jahre später sollte sie mit einem 5:0 sogar endgültig zerstört werden. Vorläufig beschränken wir uns aber auf den Auswärtssieg mit sechs Treffern im Santiago-Bernabéu, einen der Höhepunkte der Ära Josep Guardiola.

Wechselwirkungen der jeweiligen Formationen

Die Gastgeber starteten mit einem 4-4-2/4-4-1-1. Nach einer beeindruckenden Aufholjagd mit 17 Siegen und einem Unentschieden in den letzten 18 Spielen trafen sie mit breiter Brust auf Barcelona. In der Abwehr fehlte Pepe, welcher sich zwei Wochen davor beim knappen Sieg gegen Getafe wegen einer bzw. mehrerer Tätlichkeiten eine Sperre eingehandelt hatte, während ein anderer Bekannter anderswo auf dem Feld anzutreffen war.

Grundformationen ab der 5. Minute

Ganz vorne besetzte nämlich der blutjunge Gonzalo Higuain die Position als Mittelstürmer, er hatte bis dahin schon 17mal in der Saison getroffen. Neben ihm begann Reals Urgestein Raul Gonzalez Blanco als hängender Stürmer, wobei sie sich bei der Besetzung dieser Position abwechselten. Die beiden sollten die Räume zwischen den Linien nutzen, Yaya Touré hinten binden und beim Pressing die gegnerischen Innenverteidiger anlaufen.

Unterstützt wurden sie von Arjen Robben und Marcelo auf den Flügelpositionen. Robben interpretierte seine Position allerdings wie ein Flügelstürmer, anstatt als Mittelfeldspieler. Immer wieder zockte er und agierte passiv in der Defensive, blieb somit hoch im Feld stehen und suchte die Lücken in der gegnerischen Formation. Dies konnte er auch deswegen machen, weil Eric Abidal sich lange Zeit nicht mit nach vorne einschaltete und defensiv einige individualtaktische Mängel aufwies, was zu einigen gefährlichen Aktionen für Real führte.

Auf der gegenüberliegenden Seite spielte Marcelo dafür deutlich defensiver, half Linksverteidiger Gabriel Heinze und es war wohl eine geplante Maßnahme gegen Lionel Messi. Marcelo war damals noch zu defensivschwach und undiszipliniert, um als Linksverteidiger aufzulaufen, sollte aber gegen den Rechtsaußen Messi eine Hilfe für den etwas älteren Heinze sein. Dies scheiterte natürlich, weil Messi nur in den ersten fünf Minuten als Rechtsaußen begann und danach auf die Position des nominellen Mittelstürmers wechselte. Dadurch waren sowohl Marcelo als auch Heinze ineffektiv und ihre Stärken und die Synergie zwischen ihnen konnte kaum genutzt wurden.

Samuel Eto’o orientierte sich stärker in die Mitte und spielte eine Mischung aus Halbstürmer und Rechtsaußen, der immer wieder zwischen diesen Positionen pendelte. Mal machte er das Spiel breit, mal ging er nach innen. Dies passte auch zu Dani Alves hinter ihm, der auch ohne Hilfe die nötige Breite geben konnte und dadurch eine passende gruppentaktische Wechselwirkung innerhalb der Mannschaft entstand. Zwar war Alves wegen Marcelo nicht ganz so durchschlagskräftig, wie sonst, aber zeigte doch eine ansprechende Leistung.

Als zweiter „Flügelstürmer“ war Thierry Henry links aufgestellt. Er kannte diese Rolle bei Barcelona wie auch zu früheren Zeiten seiner Karriere in- und auswendig, wusste also, wann er sich breit positionieren musste und wann er einrücken durfte. Seine Spielintelligenz und Kompensation von Abidals eher konservativem Spiel bedeutete den Katalanen viel, weil die Seiten trotz der vermeintlichen Asymmetrie mit ähnlicher Intensität bespielt wurden konnten. Henry erzielte auch dank seiner intelligenten Bewegung zwei Treffer.

Trotz dieser taktischen Überlegenheit muss angemerkt werden, dass es in der Anfangsphase keineswegs nach dem späteren Kantersieg aussah, denn in den ersten Minuten spielten die Madrilenen sehr gut mit und wirkten ebenbürtig. Dies lag an der Orientierung im Zentrum und einigen anderen Faktoren, wie beispielsweise den Passmustern.

Reals beste und Barcelonas schwächste Phase

In den ersten Minuten begannen die Madrilenen druckvoll mit einem aggressiven Pressing und guter Arbeit gegen den Ball. Viel wichtiger ist jedoch, dass sie auch mit Ball gut mitspielen konnten. Lassana Diarra sorgte mit Fernando Gago für die Ballzirkulation bei Real, was auch dadurch entstand, dass sie zu Spielbeginn nicht ordentlich gepresst wurden.

Diarra ließ sich tiefer fallen und holte sich den Raum, während Gagos technische Stärke in den engeren Zonen genutzt wurde. Dadurch hatten sie eine ideale Aufteilung der Stärken entsprechend, aber mit der Zeit verschwamm diese, weil Barcelona nach der Halbzeit und in gewisser Weise schon vorher mit der Führung durch Puyol ab der zwanzigsten Minute besser ins Spiel fand.

so plante Real wohl die Raumaufteilung vor der Partie, mit Messi natürlich auf rechts einberechnet. Die Mannorientierung in den jeweiligen Zonen passt zum Gegner und hatte in den ersten Minuten auch Erfolg

In dieser Anfangsphase wirkten die Katalanen noch etwas ungefestigt; sie fanden nicht nur mit Ball noch nicht in ihr Spiel, sondern wirkten auch ohne Ball noch etwas statisch. Xavi wurde lange Zeit sehr eng gedeckt, bevorzugt von Gago, wodurch das Metronom des FC Barcelona nicht seine ganze Wirkung entfalten sollte. Dies war wohl ein Mitgrund, wieso Guardiola Messi als fluide Neun erwogen hatte und diese Idee ab der fünften Spielminute umsetzte.

Nach dem Positionstausch zwischen Messi und Eto’o kam Barcelona in eigenem Ballbesitz besser ins Spiel. Sie konnten den Ball durch die zusätzliche Anspielstation besser zirkulieren lassen, außerdem konnten Xavi Hernandez und Andrés Iniesta ihre Positionen ohne größere Komplikationen verlassen. Bevor Messi zurückfiel, war erkennbar, wie ähnlich sie ihre Doppelacht ausübten und ausüben mussten.

Erst als Messi bei Ballbesitz im Mittelfeld vorzufinden war, gab es die leichte Asymmetrie mit Iniestas Linksdrall, was sich positiv auswirkte. Trotz dieser Verstärkung im Ballbesitz, gab es noch einige verbesserungswürdige Aspekte: das flexible und hohe Pressing, was sie unter Guardiola auszeichnen sollte, fehlte zu Beginn. Stattdessen positionierten sie sich etwas tiefer und pressten erst im Mittelfeld, wodurch zwar die meisten Aktionen nach vorne unterbunden werden konnten, aber mehrere andere Problemchen entstanden.

Barcelona ohne Angriffspressing und im 4-1-4-1

Üblicherweise attackierten die Katalanen ihre Gegner sehr hoch und mit einem Dreistürmersystem, damals wie jetzt unter Tito Villanova war dies ein 4-3-3. Dort ging der Mittelstürmer auf die jeweiligen Innenverteidiger los, während die Flügelstürmer sich zu den Außenverteidigern gesellten oder gar in den Passwegen der Innenverteidiger auf die defensive Außenbahn operierten.

In dieser Partie sah dies aber noch anders aus. Die Flügelstürmer zogen sich zurück und es entstand ein 4-1-4-1 mit großteils positionsorientierter Raumdeckung. Dies bedeutete zwar, dass Guardiola nicht den Fehler der mannorientierten Raumdeckung beging, allerdings fehlte es Barcelona zu Beginn noch am Zugriff auf den Gegner.

Real schob sie nach hinten und bei Balleroberungen versuchte Barcelona es gelegentlich sogar mit einem schnellen Umschaltspiel, um nicht Opfer des gegnerischen Gegen- und Angriffspressings zu werden. Ihnen fehlte der Raum in der eigenen Hälfte, wo sie normalerweise nach eroberten Bällen in der gegnerischen Hälfte immer eine sichere Anspielstation vorfanden. Verdrehte Tatsachen zu heute also, wobei sich dies im weiteren Spielverlauf legte. Dennoch sollte diese Spielweise Reals näher betrachtet werden.

Reals flexibles und hohes Pressing

Neben dem 4-4-2-Pressing gab es auch einige andere Variationen bei den Madrilenen. Beim Angriffspressing gab es beispielsweise die Möglichkeit, dass Arjen Robben einrückte und Marcelo sich zur Doppelsechs gesellte. Dadurch entstand entweder ein asymmetrisches 4-3-3 oder gar ein lupenreines 4-3-2-1, was an einem selten vorkommenden, aber interessanten Aspekt im Aufbauspiel der Katalanen lag.

Reals Pressing und Barcelonas Aufbauspiel: Real ist flexibel, Gago fordert Xavi, welcher nach links abkippt, um dem zu entkommen. Vorne erhöht sich Robben, Raul schiebt auf außen, Marcelo nach innen

Ohne Sergio Busquets, der sich erst in der Folgesaison als unumstrittener Stammspieler etablieren sollte, gab es mit Yaya Touré zwar einen herausragenden Spieler auf der Sechs, aber nicht den pressingresistentesten. Weil Gago sich auch stark an Xavi orientierte, kippte dieser nach links hinten ab, um dem zu entkommen. Abidal schob nach vorne, rechts war Dani Alves sehr hoch und vorne stand Iniesta vor einem Dilemma.

Wenn er auf seiner Position blieb, gab es ein riesiges Loch auf der halbrechten Seite. Dies wurde auf drei mögliche Arten kompensiert: z.B. von Iniesta, indem er seine Position aufgab und Xavis übernahm, eine Alternative war eine Bewegung Tourés auf die Seite oder eben Messis Zurückfallen nach hinten, wodurch dieses Abkippen von Xavi kein Kamikazeakt wurde.

Zwar orientierte sich Real dann mit Robben in Richtung von Xavi, wirklichen Zugriff erhielten sie aber nicht. Die Höhe der Abwehrreihe wurde später bestraft, indem Messi und Co. dort Pässe spielten. Hier kam wieder Henrys Bewegung ins Spiel: er verstand es sich gut zu positionieren und so zu stehen, dass ihn Sergio Ramos nicht verfolgte, sondern er sich zumeist Cannavaro gegenübersah, während Metzelder ähnliches auf links mit Eto‘o dank des gelernten Innenverteidigers Heinze vermied.

Diese Höhe mit Metzelder und Cannavaro wurde bestraft, weswegen Real später auch zu einem 4-5-1-Pressing griff, dieses aber nur kurzzeitig währte. Reals beinahe chaotisch anmutende Anordnung stand relativ gut, doch ein super Pass von Messi auf Henry sorgte nach der Führung durch Higuain (Ramos hatte hinterlaufen und geflankt) für den Ausgleich.

Hier zeigten sich die Vorteile der falschen Neun und die Nachteile der Fluidität Reals. Messi wurde nicht bedrängt, weil Diarra auf dem Feld herumschwadronierte. Keiner wusste, was man mit Messi anstellen sollte – außer Henry, der sich gut anbot. Der Argentinier lupfte dann einen Ball hinter sechs Spieler in den freien Raum und es stand prompt 1:1. Abidal hatte gut auf Henrys situative Enge reagiert und mit nach vorne geschoben.

Dennoch war Reals Spielweise lobenswert. Immer wieder versuchten Gonzalo Higuain und Raul durch antizipatives Pressing Pässe nach hinten auf Victor Valdes  zu verhindern, womit sie die Pässe Barcelonas in die Enge zwingen wollten. Wenn Barcelona dann im zweiten Spielfeld agierte, ließ sich einer der beiden Stürmer in Richtung des Mittelfelds fallen.

Veränderungen im Pressing Barcelonas

Mit der Zeit gab es dann aber eine fluidere Rolle von Xavi im Pressing, was sich auf die gesamte Mannschaft auswirkte. Bei Messis Treffer zum 3:1 sorgte Xavis Herausrücken aus dem 4-1-4-1 und ein intelligentes Pressing für die Möglichkeit. Spätestens nach diesem Treffer sah man das wahre Gesicht der Katalanen an diesem Abend.

glaubt’s oder nicht, aber sogar unter Pep hat Barcelona schon’mal nicht im 4-3-3 gepresst – auch wenn das 4-1-4-1 mit positionsorientierter Raumdeckung dennoch modern war

Sie sorgten mit Abidals situativer Rolle im Aufbauspiel als drittem Verteidiger für eine Befreiung Xavis, welcher natürlich auch von Messi profitierte. Dieser spielte mit fortschreitender Spieldauer immer tiefer, was dazu führte, dass das Kollektiv des FC Barcelona immer höher spielte.

Hinten hatten dann bei Kontern Carles Puyol und Gerard Pique ihre Gegenspieler im Griff. Dies entstand durch eine engere Orientierung Puyols auf Higuain, während sich der langsamere Pique auch den etwas älteren Raul schnappte. Ein gutes Match-Up, welches von Juande Ramos nicht durch Kreuzen oder Positionstausch zerschlagen wurde.

Barcelona erspielte sich dann letztlich mehr qualitative und quantitative Chancen als der Gegner, dominierte das Spielgeschehen spätestens ab dem 3:1 deutlich und nach der Halbzeit war klar, dass sich bei den Madrilenen etwas ändern musste, insbesondere wegen Lionel Messis Position.

Veränderungen nach der Halbzeit

Eine der auffälligen Veränderungen war die Positionierung Heinzes. Dieser zeigte sich deutlich höher und aggressiver, man wollte nun über beide Seiten für gefährliche Aktionen sorgen. Trotz dieser erhöhten Offensive auf der Position des Linksverteidigers gab es eine weitere riskante Veränderung: nämlich eine Veränderung des Kettenspiels.

Metzelder rückte nämlich aus der Kette heraus. Jener Christoph Metzelder erhielt die Aufgabe, zu welcher nicht einmal der Brite Harry Johnston gegen Nandor Hidegkuti gezwungen worden war: einer Manndeckung auf die falsche Neun. Dadurch entstand ein Loch in der Kette, welches situativ durch engere Außenverteidiger oder zurückfallende Sechser gefüllt werden sollte.

Eine widersinnige Spielweise, welche unter anderem dafür sorgte, dass kaum auf Abseits gespielt werden konnte und noch mehr Räume offen waren. Hinzu kam, dass die Außenverteidiger einen Mannfokus auf die gegnerischen Flügelstürmer erhielten, was diese Widersinnigkeit noch verschlimmerte.

Es war dann auch wunderbar zu sehen, wie intelligent Messi reagierte. In einer Szene nach der Halbzeit tauschte er einfach die Position mit Eto’o, der Kameruner ging für ein paar Minuten zurück in die Mitte. Metzelder folgte aber Messi, Cannavaro orientierte sich sehr lose an Eto’o und Heinze stand im Raum.

Messi testet Metzelder

Nachdem der Angriff abgestorben und Real in Ballbesitz war, schienen sie im Aufbauspiel ausgesprochen verwirrt: Metzelder trabte nachdenklich vom linken Flügel in die Mitte zurück, während Heinze eine Anspielstation im Aufbauspiel suchte, aber logischerweise keinen fand. Hätte er den Ball auf den linken Außenverteidiger, ein eminent wichtiger Spieler für die Breite im Spielaufbau, spielen wollen, dann hätte er wohl das Jonglieren beginnen müssen. Aus der positiven Fluidität der Anfangsphase entstand nach den Anpassungen zu Beginn der zweiten Halbzeit Chaos pur in der Defensive der Blancos.

Aber auch offensiv veränderte sich das Spiel der Madrilenen ein bisschen. Es gab einen erhöhten Fokus auf Vertikalfußball, da immerhin ein zwei-Tore-Rückstand zwecks letzter Chance auf die Meisterschaft vor heimischem Publikum aufgeholt werden musste. Doch dieser Vertikalfußball gepaart mit der geschwächten Defensive sorgte für vermehrt offene Räume, welche Barcelona mit schnellem Umschaltspiel nutzte oder sie auch bespielte und danach wieder den Ball nach hinten zirkulieren ließ.

Dies hatte zur Folge, dass Real nach hinten zurückweichen musste, aber Barcelona den Konter nicht zu Ende spielte, sondern den Ballbesitz einem möglichen Angriff vorzog. Dadurch standen sie sich zwar einem tieferen Real gegenüber, was für sie jedoch vorteilhaft war. Sie hatten nun wieder Zeit und Raum in der Abwehrreihe, wo sie den Ball zirkulieren ließen und Real aus der tiefen Stellung locken wollten.

Darum musste Madrid viel laufen, vertikal verschieben und immer wieder öffneten sich entweder beim Umschalten schon riesige Löcher oder bei dem zweiten Ansturm, also einen neuerlichen Pressingversuch, weil man ja einen Rückstand aufholen musste.

Weitere Veränderungen im Zuge der zweiten Spielhälfte

In der 59. Minute brachte Juande Ramos Klaas-Jan Huntelaar für Marcelo. Dadurch entstand ein ungemein merkwürdiges System, welches Aspekte eines 4-2-2-2 als Variation des 4-2-4 wie auch als Variation eines 4-4-2 besaß sowie einige Bewegungen der Akteure stark an die Formierung in einem 4-3-3 erinnerten.

Es wirkte beispielsweise teilweise so, als ob Huntelaar halbrechts agierte, Raul zentral und Higuain in einer Mischung aus links und halblinks, je nach der Bewegung Robbens. Damit wollte man die Durchschlagskraft erhöhen und noch stärker auf schnelle oder weite Bälle in die Spitze setzen.

Josep Guardiola reagierte bereits zwei Minuten später darauf, indem er Seydou Keita brachte. Dieser kam für Henry in die Partie, was für eine Positionierung Iniestas auf dem linken Flügel sorgte. Mit Keita im Dreiermittelfeld gab es einen kopfballstarken und athletischen Spieler, welcher Touré und Xavi bei der klassischen Defensivarbeit, wenn diese denn anfiel, unterstützen können sollte.

Keitas und Iniestas Positionierungen wirkten sich auch auf die Abwehr aus, so agierte Abidal etwas höher als noch davor. Einerseits ist er nicht der Typ wie Henry, der sich um den Außenverteidiger windet, andererseits sollte er stärker befreit werden, damit er mehr in die Mitte schieben und dort als Anspielstation fungieren konnte. Einmal löste er sogar situativ Messi in der Mitte ab, wobei dies eher eine Ausnahme als eine Regel war.

Dank der Intelligenz im Ballbesitz, der erhöhten Fluidität und dem Einfinden von Angriffspressing und Messi in ihre passenden Rollen war Barcelona überlegen, was Ramos zu abermaligem Handeln zwang. Er brachte nun Rafael van der Vaart für Sergio Ramos, was einen Wechsel Lassana Diarras auf die Position des Rechtsverteidigers bedeutete.

Reals Grundformation zu Spielende. Über diese blaue Linie kamen sie nie, weil die Bindung der Mannschaftsteile fehlte

Das System blieb aber das gleiche wie davor, auch wenn sich Gago nun etwas tiefer positionierte und van der Vaart absichern sollte. Das Ziel war es wohl, dass mehr Kreativität und Torgefahr aus dem Zentrum entstand, was schlichtweg nicht der Fall war. Darum musste Ramos auch seine letzte Einwechslung nutzen und brachte Javi Garcia, den aktuellen Man-City-Akteur, statt Arjen Robben aufs Feld.

Somit erkannte er zwar, dass seine rein offensiven Wechsel auf dem Papier schön und nett aussahen, aber keinen offensiven Mehrwert aufgrund negativer Synergien und Dysfunktionen brachten. Mit Garcias Einwechslung in den letzten zehn Minuten wurde dies geringfügig verbessert, es war jedoch zu spät. Die Idee war trotzdem eine gute: Garcia und Gago sicherten auf den Halbpositionen einer Raute ab, während van der Vaart dazwischen als vertikaler und spielgestaltender Sechser agierte. Er konnte nach vorne schieben, während ihn die beiden durchaus passstarken Akteure absicherten und gar unterstützten.

Darum konnte Higuain vom linken Flügel wieder stärker nach vorne schieben, gleichzeitig rückte Raul eine Ebene tiefer – einen wirklichen Effekt hatte es aber wie erwähnt nicht mehr.

Zusätzlich etwas Interessantes: die Torhüter

Ein wichtiges Merkmal dieses Spiels waren die Spielweisen der beiden Torhüter im Sechzehnmeterraum. Nicht nur Victor Valdes bewegte sich weit nach vorne heraus und fing Lochpässe ab, auch Iker Casillas tat dies. Dies ist nicht seine größte Stärke, doch aufgrund der hohen Abwehr war er dazu gezwungen und löste diese Aufgabe über weite Strecken souverän.

Einige Aktionen waren sogar hervorragend, doch wie sie oft im Fußball sind zwischen toller Aktion und einem Fehler nur Nuancen – beim zweiten Tor von Henry war er dann zu weit draußen, was die Niederlage endgültig fixieren sollte.

Direkt nach dem Anschlusstreffer durch Ramos, abermals ein Treffer Reals per Kopf, fiel dieser Treffer durch Henry. Metzelder ging wieder einmal aus der Kette hinaus und das Kettenspiel war zerbrochen. Ramos suchte auf der anderen Seite das Abseits, stand aber falsch, von einer Linie war ohnehin keine Spur mehr. Xavi nutzte diese geöffneten Schnittstellen hervorragend aus und schickte Henry in den Raum, woraufhin Casillas seinen Fehler machte, da er wegen der hohen Abwehr zum Herausrücken gezwungen wurde.

Wenig später leitete Xavi abermals einen Treffer ein, indem er gegnerische Spieler vor dem Sechzehner auf sich zog und Messi dadurch alleine ist. Nach einer geschickten Drehung Xavis erhält er den Ball und kann Casillas nahe auf die Pelle rücken, worauf dieser schlicht kaum eine gute Figur abgeben kann. Wie wir in der Messi-Spieleranalyse sehen, verlädt der Argentinier Casillas und schließt eiskalt wie unorthodox ab.

Dies blieb aber nicht der Schlusspunkt in dieser Partie, denn ein Tor von Gerard Pique sollte noch folgen. In der Schlussphase nutzte der Innenverteidiger, einer der besten Spieler an diesem Abend, den geöffneten Raum, um nach Balleroberung einen schönen Pass zu spielen und sofort mit nach vorne zu gehen. Im Angriffsverlauf tauchte er letztlich am zweiten Pfosten auf und sorgte abermals für Kummer bei Casillas.

Messi hatte den Ball auf Eto’o auf dem rechten Flügel weitergeleitet, welcher nach ein paar schnellen Schritten einen flachen Pass in die Mitte brachte. Cannavaro und Casillas missverstanden sich, Pique reagierte schnell und konnte treffen. Nach dem Spiel sollte er zu Protokoll geben, dass er sich an diesen Treffer vor lauter Freude gar nicht mehr erinnern könnte, die gesamte Szene sei aus dem Gedächtnis verschwunden.

Auch bei diesem Treffer sah man die Probleme von Real und die Stärken von Barcelona an diesem Abend. Wieder einmal war es Messi, der direkt oder indirekt am Torerfolg beteiligt war. Seine Rolle untersuchen wir kurz genauer.

Wieso die tiefe spielmachende Neun an diesem Abend essentiell war

Die Anfangsphase zeigte deutlich, wie wichtig Messi noch werden sollte. Zu Beginn spielte er rechts und auch die Passmuster waren noch nicht gefunden, ebenso wenig wie Guardiola seine endgültigen Anweisungen zwecks Pressing und ähnlichem gegeben hatte. Nach der fünften Minute fand sich Messi aber zentral wieder und er spielte letztlich immer tiefer.

Die Ursache war wohl folgende: erst als er merkte, dass sie durch seine situative Tiefe keinen Mann an der vordersten Front verloren, ließ er sich immer tiefer fallen und ermöglichte dadurch die Fluidität der Mittelfeldspieler.

Es wurde auch kein Spieler verloren, da Eto’o und Henry gefährlich in die Mitte schoben, diagonale Läufe ausübten und der Ballbesitz im Verbund mit konstantem quantitativem Raumgewinn für Probleme beim Gegner sorgten. Wie schon erwähnt: je tiefer Messi spielte, umso höher spielte Barcelona. Er diente mit seiner Technik und Dribbelfähigkeit als sichere Anspielstation, auch wenn er beengt war.

eine beispielhafte Szene aus der 63. Minute

Dadurch konnten sich auf den jeweiligen Seiten die Spieler neu positionieren und frei machen, während Messi den Ball behauptete. Die Bewegung des Kollektivs stieg an und die Räume wurden offener. Dieser Effekt erhöhte sich, weil Real sich im Verbund immer stärker Richtung Messi orientierte, dieser aber schlicht den Ball nicht verlor. Daraus wurde die Kompaktheit der Madrilenen zu einem Problem, da sie nie im Kollektiv Zugriff auf ihn hatten, aber im Kollektiv um ihn herumstanden.

Offene Räume auf den Flügeln waren die Folge; Räume, welche nach Rückpass Messis schnell bespielt werden konnten. Dann waren entweder Schnellangriffe die Folge oder zumindest ein Raumgewinn mit daraus resultierender Ballzirkulation tiefer in der gegnerischen Hälfte. In gewisser Weise „arbeitete“ man sich also zum gegnerischen Tor vor.

Durch Messis tiefe Spielweise wurde der Ball also auch länger in der Mitte gehalten, was Iniesta und Xavi eine gewisse Freiheit gab. Einerseits natürlich, weil sie (primär Xavi) nicht länger im Spielaufbau auf die Seiten abkippen mussten, sondern schlicht einen Pass auf Messi spielen und nachrücken konnten. Dadurch funktionierte das Aufbauspiel von hinten besser, weil es schlichtweg nicht mehr so lange dauerte und Real die Möglichkeiten zum Angriffspressing genommen wurden.

In weiterer Folge verlagerte sich das Ballbesitzspiel der Katalanen in die Höhe, wovon Iniesta profitierte. Weil er nicht mehr der Lückenfüller von Xavis Abkippen war, konnte er sich freier bewegen und mit Messi auf halbrechts bildete er eine quasi-Doppelzehn. Die beiden bearbeiteten die Räume zwischen den Linien, lösten Kurzpassstafetten aus Sackgassen und situativen Engen, sorgten somit für erhöhte Ballbesitzphasen und defensive wie offensive Stabilität.

Außerdem konnte dank der höheren kollektiven Positionierung ein höheres Pressing gespielt wurden. Dies wurde zumeist als Gegenpressing umgesetzt, was aufgrund der flexibleren Anordnung sowie der Überzahl in der Mitte gut funktionierte.

Dank psychologischer Faktoren und der taktischen Anpassungen wurde auch das Angriffspressing vermehrt statt des Mittelfeldpressings genutzt. Das Anlaufen und Stellen von weniger pressingresistenten Akteuren wie Metzelder, Cannavaro, aber auch Gago und vor allem Diarra sorgte für Erfolgsmomente, welche sich letztlich auf das Kollektiv auswirkten und ein weiterer von vielen Grundpfeilern für den Erfolg waren.

Womöglich könnte man die Szene zum 3:1, wo sich Xavi antizipativ aus dem 4-1-4-1 löst und die positionsorientierte Raumdeckung aufgibt, als taktikpsychologische Schlüsselszene des gesamten Spiels sehen. Er erobert den Ball, legt auf Messi ab und dieser verwandelt. Im Breitensport womöglich wegen des vermeintlich einfachen Fehlers Diarras von Laien als „billiges Tor“ bezeichnet, aus analytischer Sicht allerdings sehr interessant. Die Auswirkungen danach, die gestiegene Dominanz und letztlich auch der Spielverlauf, sind ebenfalls einer Erwähnung wert.

Abschluss

Es war eines der denkwürdigsten Partien in der Ära Guardiola, wohl gleichauf mit dem 5:0-Erfolg gegen José Mourinhos Elf zwei Jahre später sowie den Finalspielen der Champions League und womöglich dem 5:0 gegen Villareal oder gar meinem heißgeliebten 8:0 gegen Osasuna. Dieses Spiel blieb auch deswegen in Erinnerung, weil es der Eintritt in jene Phase Barcelonas war, welche diese Mannschaft unvergessen machen sollte.

Bis dahin hatten sie unter Guardiola noch nichts Zählbares gewonnen, Real hatte aufgeholt – und mit diesem Sieg demonstrierten sie eindeutig den Klassenunterschied zu den Hauptstädtern. Sie holten danach die Copa del Rey, die Champions League und drei weitere Titel, welche sie zur erfolgreichsten Saison einer einzelnen Mannschaft aller Zeiten werden ließ. Kurzum; eine Saison, wo sie alles gewannen, wo sie antraten.

Es war auch der Beginn der neuen Entwicklungsstufe von Lionel Messi. Schon damals galt er für viele als der beste Spieler der Welt, aber erst als tiefe spielmachende Neun, auch wenn er diese Rolle durchgehend erst ab 2010/11 innehaben sollte, reifte er ein weiteres Stück. Seine Präsenz und Einflussnahme erhöhten sich, aus dem Weltklassespieler wurde eine Legende, welche historische Rekorde brach und neue Maßstäbe setzte.

Real hingegen war auf dem Weg nach unten. Erst unter Mourinho, der ebenfalls eine Zeit benötigte, um die große Differenz auf den Erzrivalen wettzumachen, beruhigte sich die Lage. Zahlreiche Spieler und Trainer gingen, große Namen wie Rekordtransfer Cristiano Ronaldo kamen ins Team. Sie läuteten in gewisser Weise auch eine neue Ära der Rivalität ein, welche mit Superlativen gespickt war.

Taktisch bedeutete diese Ära ebenfalls eine enorme Menge. Das Niveau erhöhte sich, der Fokus auf die Taktik war nach diesem Spiel medial höher. Messi plötzlich zentral? Enorme Ballbesitzwerte? Eine beispiellose Demontage einer als beinahe gleichrangig gesehenen Mannschaft auf deren Terrain? Dazu mit einem neuen und unerfahrenen Trainer?

Als dann bei der WM 2010 die Spanier siegten, die Deutschen den variablen und modernen Vertikalfußball präsentierten, fehlte letztlich nur noch einer: Mourinho. Als dieser in die Primera Division kam, war die Taktik vor den Clasicos endgültig in jeder Munde. Welcher Trainer würde wie aufstellen, welches Pressing würde er diesmal praktizieren, welches Risiko gehen sie?

Diese Partie war somit nicht nur der Grundstein der späteren Erfolge von Messi, Guardiola und Barcelona, sondern auch eines der letzten Mosaikstücke, um die Taktikdiskussion salonfähig zu machen. The Special One selbst hatte dabei Vorarbeit geleistet, in Deutschland waren es Jürgen Klinsmann, Jogi Löw und natürlich Jürgen Klopp sowie Louis van Gaal, welche davor für einen stärkeren Fokus sorgten.

Aus dem ehemaligen Tabuthema der Sportschau ist nun ein zentraler Begriff des Fußballs entstanden, welcher sich nahtlos als weitere Säule zwischen Spielerwahl, Motivation, Trainingslehre und vieles mehr einordnet. Dieses Spiel ist somit eines der Symbole des modernen Fußballs und wird langfristig, wie auch das 5:0 zwei Jahre, in die Fußballgeschichte eingehen, um einen Platz im Pantheon neben anderen großen Partien zu erhalten.

Wie Nandor Hidegkuti durch seine flexible Bewegung in der Vertikale die Manndeckung zerschlagen hatte, so zerstörte Lionel Messi durch seine Fluidität und die dadurch entstehenden Synergien im Mittelfeld die gegnerorientierte Raumdeckung. Indem seine Mitspieler sich flexibel bewegen konnten, durch Messis tiefe Positionierung Räume dank seiner zentralen Überladung frei wurden, und der Gegner sämtlichen Zugriff auf die Schaltzentrale verlor, wurde dieses Spiel gewonnen.

Exakt diese Aspekte zerschlugen an diesem Abend konzeptuell die mannorientierte Raumdeckung. An diesem schicksalsträchtigen Samstag im Mai 2009 wurden die Spielregeln des Fußballs geändert.

rostbratwurst 18. Oktober 2012 um 23:00

beim abschluss fehlt nurnoch dramatische musik im hintergrund!
grandioser bericht, der seines gleichen sucht!! habe so ein leichtes gänsehaut gefühl 😉

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