Borussia Dortmund – Ajax Amsterdam 1:0

Analyse von Dortmunds spätem Sieg beim CL-Start gegen das mutige Ajax Amsterdam in der Folge einer hervorragenden Pressing-Justierung.

Der Champions League-Einstand der Borussia war trotz nur eines späten Tores ein sehr offensiv geführtes, ereignisreiches Spiel, welches durch verschiedene Phasen ging. Was Dortmund im Nachhinein als internationale Reife ausgelegt wurde, hatte auch mit Glück in einer schwachen Phase und einer starken taktischen Anpassung zu tun. Letztere war notwendig, um gegen das überaus konsequente Ballbesitzspiel der Ajax-Schule die Kontrolle über das Match zu erobern, nachdem die Gäste immer dominanter geworden waren.

Grundformationen und Personalwahl

Wie erwartet trat Dortmund im 4-2-3-1 auf, während Ajax dem holländischen 4-3-3 treu blieb. Überraschender war die personelle Besetzung auf den Offensivpositionen, die beidseitig recht mutig gewählt wurde.

Bei der Borussia liefen das erste Mal in der laufenden Saison Reus und Götze gemeinsam in der Startelf auf, der defensivstarke Kevin Großkreutz blieb auf der Bank. Zudem spielte – bis auf phasenweise Positionstauschs – Götze hinter Lewandowksi in der Mitte, während Reus die rechte Seite besetzte. Wenn die beiden zuvor nach Einwechslungen zusammenspielten, war fast durchgängig Götze derjenige, welcher die weniger bevorzugte Flügelposition einnahm.

Bei Ajax lief Ryan Babel als Mittelstürmer auf und der technischer veranlagte de Jong ging auf die rechte Achterposition neben Eriksen zurück. Babel ist ein Spieler, der hauptsächlich über seine starke Physis ins Spiel kommt, weshalb er üblicherweise als Flügelstürmer auftritt. Gegen den BVB sollte er offenbar gegen die weniger schnellen und robusten Hummels und Subotic die Bälle halten, wofür er oft nach außen wich und in die Halbräume kurz kam, während seine Kollegen nachstoßen konnten.

Ajax‘ Mischansatz in der Defensive

Taktisch gesehen wurde das Spiel hauptsächlich von Ajax‘ Ballbesitzspiel geprägt, aber haken wir zuerst die taktische Konstellation bei Dortmunder Aufbau ab. Da das Spiel von hinten heraus beim BVB üblicherweise ähnlich effektiv ist wie das Konterspiel, war Amsterdam dagegen eingestellt und fand eine gute Mischung aus aktivem Pressing und passivem Zurückweichen.

So ist die grundlegende Raumaufteilung des 4-3-3 eine aktive. Der Grund dafür sind die hoch postierten Achter, die hinter den Schnittstellen des Dreiersturms stehen. Wenn der Gegner also das Spiel durch diese offensichtlichen Lücken aus den Halbräumen heraus aufbaut, können die Achter die eröffnenden Pässe meist gut antizipieren und stören.

Genau diese Halbraumeröffnungen versuchte Dortmund natürlich wie üblich. Hauptsächlich lief dies über Subotic, weil Babel etwas rechtsorientiert war und die Bälle dadurch von Hummels weg hielt, was eine bewährte Strategie gegen den spielstarken BVB-Verteidiger ist. Jener Ansatz war die Grundlage für die leichte Asymmetrie im Mittelfeld, mit der Ajax ihre aktiven Pressingelemente noch intensivierte.

Eriksen, der auf der halblinken Achterposition vor Subotics Aufbauraum positioniert war, rückte als Reaktion auf Babels asymmetrische Stellung nämlich etwas heraus, um Subotic dann im Anlaufen unter Druck zu stellen. de Jong und Poulsen drehten sich absichernd etwas dahinter und achtete auf die Räume, die Subotic an Eriksen vorbei anspielen konnte. Somit konnte Ajax ähnlich diagonal verteidigen, wie es Bremen phasenweise recht erfolgreich in Dortmund gelang.

Raumorientierte Passiv-Manndeckung gegen Dortmunds Zwischenraumspiel

Dieses etwas aggressivere Herausrücken wurde aber nicht durchgängig praktiziert, sondern hauptsächlich situativ, wenn Dortmund sich in weniger guten Situationen mit fehlenden Verbindungen wiederfand (in der Beispielszene hatte Subotic z.B. Hummels aus den Augen verloren). Nach der Anfangsphase passierte das Dortmund seltener, weshalb Ajax immer passiver wurde.

In dieser Passivität wichen sie dann langsam zum eigenen Strafraum zurück und fraßen zunehmend den Raum zwischen den Linien. Am eigenen Strafraum fielen sie sogar manchmal bis in eine 4-5-1-Stellung zurück, weshalb Dortmund auch außen nur schwerlich durchkommen konnte. So gewann man in diesen Szenen zwar keine Kontrolle, aber hinderte den BVB daran, ganz klare Chancen zu generieren.

Ein interessanter Kniff dabei war, dass Ajax sich innerhalb der Grundräume bei Bedarf stark den Bewegungen der Dortmunder Mittelfeldspieler anpasste. Besonders Poulsen orientierte sich teils stark an Götze. Dabei gingen sie meist nicht in enge Manndeckung, sondern positionierten sich passiv torseitig. Bei sehr weiten Ausweichbewegungen der Dortmunder wurden diese dann übergeben und der Ajax-Spieler deckte wieder seinen Raum.

Eine aggressivere, zweikampforientiertere Form dieser „raumorientierten Manndeckung“ im Zentrum spielten übrigens Dieter Heckings Nürnberger erfolgreich gegen den BVB. So wird verhindert, dass Dortmund beispielsweise die Halbräume überläd oder die wendigen Spieler wie Götze oder Blaszczykowski den Ball sauber in Zwischenräumen verarbeiten können. Dieses Zwischenraumspiel führt zu Zuordnungsproblemen innerhalb der gegnerischen Defensivformation, welche durch die klare Mannorientierung innerhalb der Zonen verhindert werden. So kommt Dortmund zwar durchaus in diese Räume, kann aber in ihnen kein Momentum erzeugen und den Gegner zu Fehlern und Lücken zwingen.

Gegen diese Mischform aus passivem und aktivem Pressing fand Dortmund nicht immer den richtigen Rhythmus. Das lag wohl auch wieder an der psychologischen Ausnahmesituation der so wichtigen Champions League: Es gab eine ganze Reihe von Aktionen, wo die Borussen scheinbar „zu viel wollten“ und deshalb zu früh, zu riskant in die Spitze spielten und – besonders gegen den tief aufgereihten Gegner – die Möglichkeit zur raumgreifenden Verlagerung übersahen. Erst im Laufe des Spiels erkämpfte man sich die notwendige Sicherheit.

Ajax‘ raumgreifender Spielansatz

Diese Sicherheit schien stark mit der generellen Kontrolle des Spiels zusammenzuhängen, die von Dortmunds Zugriff im Pressing bestimmt wurde. Ajax‘ Aufbauspiel stellte jenes Pressing vor eine spezielle Prüfung, da es so raumgreifend angelegt ist wie man es kaum irgendwo in der Bundesliga findet.

Zentrales Element dabei ist der mittlerweile durchaus verbreitete Abkippmechanismus zur Raumerweiterung im Aufbau: Die Außenverteidiger rücken auf, die Innenverteidger fächern dahinter sehr breit auf und – situativ oder konstant – lässt sich der Sechser als Verbindungspunkt zwischen die Verteidiger fallen. Ajax spielt diese Umformung besonders konsequent und effektiv.

Dass im 4-3-3 nach dem Abkippen des Sechsers noch zwei Mittelfeldspieler die zentral-defensiven Räume bespielen können ist ein wichtiger Faktor dafür – im 4-2-3-1 bereitet die Staffelung mit nur einem verbleibenden Achter auf großem Raum vielen Mannschaften Probleme. Außerdem ist Ajax traditionell auf allen Positionen mit sehr ballsicheren Akteuren besetzt. Moisander und Alderweireled zeigten in Dortmund phasenweise eine überaus spielstarke Vorstellung. Hinzu kommt die sehr kollektive, bewusste und konsequente Bewegung innerhalb der aufgefächerten Räume, die Mannschaften, welche in defensiveren Systemen ausgebildet wurden, oft fehlt.

Erfolg und Misserfolg des aufrückenden 4-4-2-Pressings

Der BVB versuchte diesen Ansatz damit zu Kontern, dass Lewandowski sich zwischen den Innenverteidigern bewegte und Götze zwischen Poulsen und den Verteidigern. Mit dem Zurückfallen Poulsens rückte Götze dann also mit auf und ein 4-4-2 entstand, mit dem die Aufbau-Dreierkette unter Druck gesetzt werden sollte.

In der Anfangsphase funktionierte das meist sehr gut und auf den äußeren Positionen – manchmal kippte Poulsen auch nach links ab – konnten Götze und Lewandowski oft so verschieben, dass Ajax zum riskanten Vorwärtsspiel gezwungen wurde. Dort konnte Dortmund dann mit zwei nach außen geschobenen Viererketten kompakt verteidigen und hatte Amsterdam weitestgehend unter Kontrolle.

Es fehlte lediglich an gelungenen Kontern. Was sich beim Spielaufbau im Passspiel bemerkbar machte, sah man im Umschaltspiel an den Laufwegen: Die Dortmunder orientierten sich zu schnell in die Spitze. Wie auch Klopp nach dem Spiel öffentlich anmahnte, waren zu viele Spieler zu früh in der letzten Linie, womit es an Passmöglichkeiten im Vorwärtsgang fehlte und man die Gegenangriffe zu plump und vorhersehbar ausspielte.

Ein Kompliment muss dabei auch Amsterdams defensivem Umschalten gemacht werden, die oft im ersten Moment des Gegenpressings aufmerksam die Vorwärtswege zustellten und ihre offene Aufbauformation somit vor dem direkten Konter schützten. Zwar gab es kaum Ballrückeroberungen von Ajax, aber dafür m musste Dortmund viele Ballgewinne erst einmal nach hinten spielen und der Ordnungsvorteil des Umschaltmomentes ging verloren.

Im Laufe der ersten Halbzeit fand Ajax dann auch immer besser ins eigene Offensivspiel. Sie wurden schneller, breiter und sicherer in ihrem Passspiel, während und weil Dortmund etwas weniger Aufwand betrieb. Dass der BVB in der Anfangsphase besonders intensiv presst ist normal und soll für die restliche Spielzeit psychologischen Druck erzeugen, der dann etwas kräfteschonenderes Pressing ermöglicht. Ajax konnte sich aber aus der Verunsicherung zunehmend befreien. Sie blieben ihrem passorientierten Ansatz treu und spielten dadurch die riskanten Elemente ihres Aufbauspiels immer besser aus.

21. Minute: Reus – gerade mit Götze die Position getauscht – und Lewandowski stellen Poulsens Wege zu den Innenverteidigern zu. de Jong kommt kurz und verlagert per Direktpass auf Alderweireled. Dortmunds Pressingsituation wird aufgelöst.

So kamen immer wieder weite Verlagerungen zwischen den äußeren Spielern der Dreierkette, oder der Ball wurde per „Eckpass“ über einen der Achter (siehe Grafik) verlagert. Das Verschieben von Dortmund Pressing-Doppelspitze wurde so zunehmend ausmanövriert und die beiden bewegten sich ins Leere. Die Viererketten konnten ballfern attackiert werden und bekamen daher mit den breiten Flügelspielern Probleme. Die zweite Hälfte der ersten 45 Minute war Ajax das dominante Team.

Die entscheidende Änderung

Nach der Pause kam der BVB mit taktischer Gewalt aus der Kabine und kämpfte sich zurück in die Partie. Durch eine etwas raumorientierte Pressingstrategie bekam man die große Breite von Ajax besser abgedeckt. Amsterdam versuchte weiter konsequent die Räume auszuspielen, aber die Dortmunder kamen nun ständig in Zweikämpfe.

Konzeptionelle Darstellung der Pressingjustierung des BVB

Konzeptionelle Darstellung der Pressingjustierung des BVB

Entscheidend dafür war, dass die Flügelspieler sich nicht mehr so stark an den Außenverteidigern orientierten, sondern eine höhere Position hielten, während sich Götze ebenfalls raumorientierter auf der Zehn bewegte. Insgesamt war man näher am 4-2-1-3, als an der 4-4-2-Ordnung der ersten Hälfte.

Dadurch konnte Ajax nicht mehr über Verlagerungen innerhalb der Dreierkette dominieren. Reus und Blaszczykowski konnten in ihrer höheren Position die breit stehenden Innenverteidiger attackieren. Gleichzeitig war die Mitte durch Götze zugestellt. Die hohen Ajax-Außenverteidiger verschwanden im Deckungsschatten der Flügelspieler.

Zudem rückten Dortmunds Verteidiger deutlich aggressiver und konsequenter gegen lange Bälle heraus. Besonders auffällig war das bei Subotic, der Babel bei seinen kurz kommenden Läufen nun enorm energisch verfolgte und bei der Ballannahme schon störte. Auch auf den Flügeln gingen Schmelzer und Piszczek oft hohes Risiko beim Herausrücken. Dabei wurden sie von Kehl und Gündogan unterstützt, die wegen Götzes tieferer Position mehr in die Breite arbeiten konnten.

Somit ging Dortmund zwar mehr Risiko, aber schaffte es immer gerade ausreichend abgesichert zu stehen, um Amsterdams Angriffe auch dann noch zu entschärfen, wenn diese Mal mit schnellem Direktspiel durch die ersten Linien kamen. Somit wurde Ajax im Laufe der zweiten Halbzeit – umgekehrt zum ersten Durchgang – immer unsicherer, nutzte die Breite inkonsequenter und verlor die Dominanz völlig. Als die Innenverteidiger übrigens begannen, sich weniger breit zu positionieren, erkannten die Borussen dies und Götze rückte wieder auf, um im schonenderen 4-4-2 zu pressen.

Fazit

Es war ein hochinteressanter Kampf um Räume auf höchstem taktischen Niveau. Die spielerische Ajax-Philosophie brachte sie zuerst ins Oberwasser, aber der BVB konnte mit der eigenen Philosophie des kollektiven, aggressiven Pressing zurückkommen und eroberte mit der Dominanz in Hälfte zwei auch die wichtigen drei Punkte.

Mitentscheidend waren dabei auch viele Kleinigkeiten, wie die individuelle Klasse verschiedener Spieler. Anders als in der vergangenen Champions League war Dortmund auch von den reinen Spielerfähigkeiten her überlegen und so konnte Ajax zum Beispiel nicht wie Marseille nach Verlagerungen gegen Schmelzer gefährlich werden – der hatte seinen Gegenüber Sana in einigen direkten Duellen gut im Griff.

Auch die Chancenverwertung von Amsterdam war nicht so überragend wie die von beispielsweise Piräus. Von daher ist es fragwürdig, einen Reifeprozess aus diesem Spiel abzuleiten – sofern ein solcher überhaupt möglich oder notwendig ist. Allerdings hat Dortmund im Laufe der vergangenen Rückrunde – und zwar nicht durch die „internationale Erfahrung“ – scheinbar gelernt, sich in den richtigen Situationen gegen das Momentum eines Spiels zu stellen. Wie man im Laufe der Rückrunde oft wie auf Knopfdruck auf Gegentreffer reagierte, konnte man gegen Ajax in den letzten Minuten doch noch über die individuelle Klasse den Sieg erzwingen. Das ist eine Eigenschaft, die der BVB vor einem Jahr meiner Meinung nach noch nicht besaß und die in den voraussichtlich vielen knappen Spielen mit extremen Drucksituationen durchaus entscheidend werden könnte.

schlump 4. Oktober 2012 um 15:40

hat reus nicht eher die linke seite bespielt und weniger die rechte?

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MR 4. Oktober 2012 um 15:42

Es wurde ab und an getauscht, aber hauptsächlich war Kuba rechts und Reus links, meine ich ziemlich sicher.

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Jose Mourinho 5. Oktober 2012 um 03:27

Wird eigentlich das Spiel gegen Manchester City auch analysiert? Das Spiel war ja taktisch sehr interessant..
-> Wieso spielte Dortmund mit flacher 5 im Mittelfeld?
-> Wieso spielte Kuba auf der rechten Halbposition und Götze auf den rechten Flügel (und nicht andersrum?)
-> Was bewirkte Mancinis Systemwechsel in der 57.min auf die 3-4-2-1 Formation?

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EvS 6. Oktober 2012 um 12:04

mal eine frage…wenn ihr für/auf eine/r andere/n Seite analysiert, gibt es da eine möglichkeit (jenseits der komentare) den link zu posten?

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MR 6. Oktober 2012 um 14:22

Wir posten die immer zeitnah auf unserer Facebook-Seite. 🙂

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DMB 4. Oktober 2012 um 01:01

Die Tatsache, einen Artikel mit BVB-Beteiligung genau um 19:09 Uhr zu veröffentlichen, wird viele Dortmunder erfreuen 🙂

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MR 4. Oktober 2012 um 01:53

Ich war sogar 5 Sekunden zu spät dran und hab die Minutenzahl per Hand noch um eins zurückgestellt, aber psssst. 😉

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