Hannover 96 – 1. FC Nürnberg 4:1

Zuhause empfingen die Hannoveraner den Gegner aus Nürnberg. Somit trafen mit Mirko Slomka und Dieter Hecking zwei taktisch starke Trainer aufeinander, was ein interessantes Spiel versprechen sollte. Doch letztlich entschieden besonders individuelle Fehler, eine unglaubliche Effizienz der Hannoveraner und viele kleine Faktoren die Partie – deutlich zu Gunsten der Gastgeber.

Wechselwirkungen der Formationen

Hannover begann in seiner 4-4-1-1/4-4-2-Formation. Ganz vorne lief Didier Ya Konan auf, er wurde von Jan Schlaudraff unterstützt. Dieses Sturmduo sollte einerseits eine vertikale (Schlaudraff) und eine horizontale (Ya Konan) Komponente besitzen sowie natürlich von den Fähigkeiten unterschiedlich veranlagte Stürmer. Ziel war es, dass Ya Konan das Spiel bei Kontern in die Tiefe zog, sich bei eigenem Ballbesitz anbot und Räume in der Breite suchte, während Schlaudraff die Flügelstürmer unterstützen sollte.

Auf links begann der von seiner umstrittenen Sperre zurückgekehrte Szabolcs Huszti. Lars Stindl und er gingen wie so oft bei Kontern in die Mitte und selbst nach vorne, womit sie die Pässe kürzer und schneller machen sollten. Huszti war auch der primäre Einleiter von Chancen und Spielgestalter, wenn auch das phasensweise gut praktizierte Gegenpressing als weiterer Spielmacher gesehen werden kann. Von hinten wurde das Angriffsspiel von Sergio Pinto und Leon Andreasen angekurbelt, allerdings verletzte sich letzterer in der Anfangsphase und wurde rollenident von Manuel Schmiedebach ersetzt.

In der Viererkette kamen Konstantin Rausch als Linksverteidiger, Karim Haggui und Mario Eggimann in der Innenverteidigung und Steve Cherundolo als Rechtsverteidiger zum Einsatz.

Auch Nürnberg formierte sich mit einer Viererkette, welche mit Javier Pinola und Timothy Chandler auf den defensiven Außen sehr offensiv besetzt war, ob im Angriffsverlauf oder im Aufbauspiel. Zentral begannen Per Nilsson und Timm Klose, sie wurden im Spielaufbau vom Sechser Timmy Simons unterstützt. Dieser bot sich als tiefste Anspielstation an und kam gelegentlich fast auf eine Linie mit den beiden Innenverteidigern, doch er fand kaum Wege nach vorne. Zu sehr waren die Mittelfeldspieler zugestellt und außerdem konzentrierte er sich vorrangig auf sichere Pässe in der Defensive.

Mit Simons begann Hanno Balitsch als zweiter Sechser, bei ihm gab es aber viele Probleme. Neben dem Deckungsschatten der Stürmer, welcher ihn sehr aus dem Spiel nahm, hatte er wegen der Fehlpässe von Kiyotake, Chandler und auch Pinola große Probleme am Vorwärtsgang mitzuwirken. Bei Chandler kamen sogar über ein Drittel der Pässe zum Gegner, was eine katastrophale Quote darstellt.

Vor Balitsch agierte Hiroshi Kiyotake, welcher als zentraler Akteur die Bälle nach vorne bringen und mit seiner Dynamik eine dribbelnde Alternative zum Passspiel sein sollte. Allerdings fehlte ihm die Unterstützung der Außenstürmer Robert Mak und Alexander Esswein, welche beide in der Halbzeit ausgewechselt wurden. Ihnen fehlte es an der nötigen und richtigen Bewegung, am Ball richteten sie kaum was aus und hatten Probleme mit der gegnerischen Spielweise auf sie, was in weiterer Folge Mittelstürmer Tomas Pekhart aus dem Spiel nahm.

Defensivisolation gewisser Kettenspieler

Bei Hannover gab es gelegentlich eine sehr interessante Spielweise zu beobachten: immer wieder löste sich ein Spieler aus der Kette und übernahm von den Mitspielern abweichende Aufgaben. Das einfachste Beispiel dafür war der nächste Innenverteidiger, welcher in Kopfballduelle zwischen den Linien oder ähnliches ging. Deutlich eindrucksvoller gestalteten sich die Ausflüge des ballnächsten oder des ballfernsten Spielers in der Abwehrreihe.

Die Kette orientierte sich nämlich immer in die Zone mit der höchsten Gefahr, also den meisten Gegenspielern in Tornähe. Daraus isolierte sich dann je nach Positionierung der Kette ein Spieler – entweder der ballnahe Spieler, welcher den gegnerischen Außen attackierte oder eben der ballferne Spieler, welcher die Diagonalbälle abfangen sollte, welche durch die eingerückte Kette entstehen konnten.

Mit dieser Spielweise hatte Hannover in den meisten Szenen nicht nur die Brandherde des Gegners gelöscht, sondern konnte frühzeitig den Ball erobern und durch die Nähe der Spieler ihn auch sichern. Die angespielten Akteure hatten dann sofort die Chance nach vorne zu spielen und forcierten das schnelle Konterspiel.

Passgeschwindigkeit als Faktor

Interessant war auch, wie sich das schnelle Konterspiel der Hannoveraner sowie das aufgefächerte Aufbauspiel der Nürnberger in den Statistiken niederlegte. Zur Halbzeitpause hatte Nürnberg 52% der gesamten Ballkontakte in dieser Partie, sie hatten 57% der Zweikämpfe gewonnen und hatten die gleiche Anzahl an Torschüssen (2:2). Dennoch lagen sie mit zwei Toren hinten, was unter anderem an der taktischen Ausrichtung und auch an der Umsetzung jener lag.

Insgesamt spielte Nürnberg nämlich 144 Pässe in diesen 45 Minuten, 27 davon gingen schief und 117 kamen an. Bei Hannover waren es insgesamt 143 Pässe, wovon 115 ankamen und 28 nicht. Aufgerechnet auf einen Prozentpunkt an Ballkontakten entspricht dies 2,99 versuchten und 2,4 angekommen Pässen bei den Hausherren – 2,77 beziehungsweise 2,25 waren es bei den Gästen aus dem Frankenland.

Diese langsameren Pässen und längeren Ballkontaktzeiten zeigten sich auch in der Differenz zwischen der relativen Zahl an Ballkontakten (48:52) und dem Ballbesitz (45:55), welche sich im Spielverlauf noch verschärfte. Das schnelle Umschalten der Hannoveraner war dadurch von Effizienz geprägt. Bei sieben Abschlüssen kamen vier aufs Tor und alle waren drinnen. Bei Nürnberg war es ein Tor bei sechs Abschlüssen.

Geduld als taktischer Faktor im Aufbauspiel und im Pressing

Ein weiterer spielverlaufsrelevanter Punkt ist taktikpsychologischer Natur. Er bezieht sich auf ein stabiles Aufbauspiel und die Balance bei einem richtigen Pressing sowie dem passenden Umschaltspiel.

Agiert man in einer aufgefächerten und auf Sicherheit bedachten Aufbauformation, dann ist Geduld essentiell wichtig. Man darf nicht zu schnell nach vorne spielen, weil der Gegner dann einfache Pressingfallen stellen kann und die Mittelfeldspieler eine ungemein schwere Aufgabe haben. Der Faktor Geduld kann gegen Konterteams sehr gut genutzt werden, wie es Hoffenheim in Ansätzen schon tat – sicheres Spiel mit Ball, Zurückdrängen des Gegners und durch eine passende Höhe verhindern, dass er Zugriff auf effektive Konter erhält.

Der konternde Gegner muss dann auch Geduld an den Tag legen. Er darf sich nicht zu früh nach vorne orientieren und muss innerhalb der Formation bleiben, allerdings soll nach Balleroberung schnell gekontert werden. Ein Beispiel ist der erste Treffer, wo Hannover den Ball hat, sofort umschalten möchte und dabei unterbrochen wird.

Sie erobern sich den Ball jedoch sofort wieder und Pinto versucht den weiten Ball, was zum 1:0 führt. Schlaudraff lässt sich im Zuge seiner spielgestaltenden Rolle fallen, Stindl und Huszti sind in die Mitte gerückt, was letztlich zu diesem Treffer führt.

Beim zweiten Treffer verhält sich dann Nilsson etwas widersinnig, als er – statt einem Pass zum Torhüter – von Schlaudraff zum Zögern gezwungen wird. Huszti läuft intelligent und aggressiv an, was Nilsson zu einer falschen Entscheidung zwingt: als Innenverteidiger fatal.

Auch beim nächsten Treffer war es wieder Nilsson mit einem individualtaktischen Fehler, als er sich nicht ordentlich anbietet und danach den Pass seines Mitspielers auch noch falsch verarbeitet. Das vierte Tor fiel letztlich, als Chandler (statt Nilsson) patzte und einen Pass zu Huszti spielte, welcher sich die Chance nicht nehmen ließ und Ya Konan einsetzte.

Die Ungeduld in Verbund mit Können sorgte dafür, dass Huszti ideal freie Räume bespielte und es war wohl auch diese Eigenschaft, welche Slomka im Interview nach dem Spiel als „diese Dynamik, der Wille und der Zug zum Tor“ beschrieb, der den Hannoveranern in der letzten Partie ohne Huszti so sehr fehlte.

Fazit

Neben der besseren taktischen Ausrichtung und Umsetzung der Hannoveraner waren es insbesondere individuelle Fehler der Nürnberger, welche den hohen Sieg des Gastgebers ermöglichten. Diese spielten die ihnen gegebenen Chancen gut zu Ende und nutzten die vielen Löcher des Gegners. Sie bewiesen somit, wie gefährlich eine aufgefächerte Formation ist, in der solche krassen Fehler geschehen.

Westbam 27. September 2012 um 15:20

Ausgezeichnet. Allerdings kam der Fehler vor dem 0:4 von Feulner nicht von Chandler

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Gunnar 27. September 2012 um 13:31

Im ersten Absatz steht, Ya Konan sei die horizontale Komponente in Hannovers Offensive und Schlaudraff die vertikale. Ist das nicht umgekehrt? Oder versteh‘ ich da was falsch?

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Hape 27. September 2012 um 14:22

Ich denke das ist schon richtig. Ya Konan „quer“ zum Spielfeld. und Schlaudraff etwas dahinter, nach vorne und hinten.
Also aus Sicht der eigenen Defensive (Zieler) sollte das korrekt sein.
Aus Sicht des trainers, von der Seite, könnte man es natürlich anders sehen 😉

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RM 27. September 2012 um 16:25

Es bezieht sich primär auf das Aufbauspiel, im Konterspiel ist das natürlich anders. Soll heißen: beim klassischen Spielaufbau unterstützt Schlaudraff das Mittelfeld stärker, während Ya Konan die Innenverteidiger durch die Bewegung beschäftigt sowie den eigenen Flügelspieler als lange Notfalloption bereit „steht“. Beim Konter ist es natürlich anders, da soll Ya Konan primär in den Strafraum kommen, Schlaudraff hingegen mit ausweichenden Bewegungen das Kombinationsspiel unterstützen.

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AP 27. September 2012 um 10:41

„Die Geduld in Verbund und Können“ sollte es heißen oder???
Evtl. habe ich das aber auch falsch verstanden… 🙂

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RM 27. September 2012 um 10:43

Ungeduld im Konterspiel! 🙂

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Ole 27. September 2012 um 00:08

Danke für die klasse Analyse!

Zwei Kleinigkeiten formaler Natur: Der gesamte Texthintergund ist schwarz. Bei Nürnberg, und nicht bei Frankfurt, war es ein Tor bei sechs Abschlüssen.

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MR 27. September 2012 um 00:12

Keine Ahnung, was da los war, aber sieht wieder normal aus.

Städtetausch ist auch korrigiert, danke.

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mitVollkaracho 26. September 2012 um 23:52

„Bei Frankfurt war es ein Tor bei sechs Abschlüssen.“

Frankfurt?

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