Kurz ausgeführt: Bremens Halbräume

Bremens neues 4-3-3 zeigt bisher wechselhafte Ergebnisse. Wir beleuchten die Bruchstelle der Defensive.

Die Pressingachter

Die größte Anfälligkeit des neuen Bremer Systems scheinen bisher die Halbräume neben dem Sechser zu sein, was sich aus der Struktur von Bremens Pressing ergibt: Die Achter bilden viel mehr eine Einheit mit dem Stürmer als mit ihrem absichernden Hintermann und rücken oft heraus, um die hohen Halbräume zu schließen. Dort haben Ein-Stürmer-Formationen klassischerweise Lücken, welche die Bremer auf diese Weise flexibel und dynamisch zulaufen können. Petersen agierte dabei ein Mal mehr sehr gut im defensiven Zusammenspiel mit Hunt und de Bruyne.

Beispielhafte Szene gegen Stuttgart (21. Minute): Die Achter stehen wesentlich herausgerückter als die Flügelspieler, wodurch die Halbräume extrem geöffnet sind. Die gegnerischen Sechser sind dafür aber völlig geschluckt.

Diese Strategie sorgt dafür, dass es der Gegner deutlich schwieriger hat, Kontrolle im Aufbauspiel zu erzeugen und oft unter Stress gesetzt wird. Dafür wird allerdings der systematische Schwachpunkt der Formation näher ans eigene Tor geschoben. So musste gegen Stuttgart zum Beispiel Junuzovic oft das gesamte Zentrum alleine abdecken.

Alternativ – wenn der Gegner den Ball auf dem Flügel hat – rückt nur ein Achter heraus, während der zweite neben den Sechser zurückfällt. Die improvisierte „diagonale Doppelsechs“ steht dann aber leicht ballfern und muss recht aufwändig hinterherschieben, was die zentralen Spieler trotz hoher Laufwerte nicht durchgängig leisten können.

Das Resultat ist, dass Bremen immer wieder Lücken in den Halbräumen vor der Viererkette hat. Ob sich dieses Risiko für die Werderaner oder ihren Gegner auszahlt, hängt davon ab, ob das gegnerische Aufbauspiel es schafft, diese Lücken ohne zu viel eigenes Risiko zu finden. Stuttgart gelang dies am Sonntag zuerst kaum, was sich aber nach der Halbzeitpause etwas änderte.

Wie man es macht und wie nicht

Das lag hauptsächlich an der Art der Spieleröffnung: Stuttgart versuchte in der ersten Halbzeit, Kvist und Gentner auf der Sechserposition ins Spiel zu bringen, die aber in den Schatten der aufrückenden Achter schwer zu finden waren. Die Innenverteidiger – welchen die meiste Zeit am Ball gewährt wurde – gelang es kaum, diese kritischen Bereiche zu überspielen und Vertikalpässe direkt in die offensiven Halbräume zu spielen. (In der Beispielszene oben, spielte Maza auf Tasci, anstatt in die Tiefe zu passen.)

In Dortmund bekam Werder das Herauskippen von Gündogan über die defensive Fluidität gut in den Griff.

Somit gelang es Petersen, Hunt und de Bruyne mit ihren flexiblen Bewegungen, die vier zentralen Aufbauspieler aus dem Spiel zu nehmen. Ihre große Anpassungsfähigkeit ist dann besonders stark, wenn die Innenverteidiger und Sechser versuchen, sehr kompakt zueinander aufzubauen, was sich auch schon gegen Dortmund zeigte. Dann versinken die offenen Halbräume in den Schatten ihrer Pressingläufe und Bremen ist sehr stabil.

Sowohl Dortmund als auch Stuttgart kamen aber deutlich besser ins Spiel, als sie ihren Ansatz im Aufbauspiel änderten. Dortmund blieb „einfach nur“ positionstreuer und spielte die vertikale Passstärke der Innenverteidiger und die Ballsicherheit Gündogans aus. Stuttgart wählte einen ähnlichen, aber etwas radikaleren Weg.

So versuchte Stuttgart nicht mehr, das Zentrum zu kontrollieren, und verlagerte die Spielauslösung eine Reihe tiefer. Besonders Tasci änderte sein Spiel. In der ersten Halbzeit hatte er noch viel querschoben auf der Suche nach Räumen. Nach der Pause ging er weit auf den Flügel raus und trieb das Spiel von dort aggressiv in die Tiefe. Unter Mithilfe von Sakai und Harnik sollten so dann durch Dribblings und Kombinationen die Halbräume gefunden werden, was einige Male gut funktionierte, und den Bremer Zugriff in der ersten Linie weitestgehend durchbrach.

Personalfragen

Dabei nutzte Labbadias Elf zwei ergänzende Eigenschaften des Bremer Spiels gegen sie:

  • Die Flügelspieler Elia und Arnautovic rücken früh recht weit in die Tiefe, um die außen dicht zu halten. Im Optimalfall wird der Gegner so auf seinen freien Außenverteidiger geleitet und das Mittelfeld kann nach außen schieben, Überzahl herstellen und Druck machen.
  • Die Achter sind indirekt den gegnerischen Innenverteidigern im Pressing zugeordnet. Petersen sichert oft eher die Mitte, um die leichten vertikalen Passwege zu versperren, während der Achter herausrückt und seinen Deckungsschatten „hinter sich herzieht“. Auch das soll die Passwege nach außen leiten.

Diese Mechanismen sind vor allem auf Bremens Spieler zugeschnitten: Die sehr laufstarken, arbeitsamen zentralen Mittelfeldspieler bekommen sehr viel Verantwortung im Pressing, während die eher defensivschwachen Außen Arnautovic und Elia eine einfach Aufgabe bekommen. Diese simple Aufgabe bringt sie gleichzeitig in eine Position, die defensive Stabilität in der Tiefe verspricht – drei Fliegen mit einer Klappe.

Dadurch, dass Tasci sich aber selber so weit außen positionierte, entging er dem Zugriff der Achter und hatte gleichzeitig den Außenverteidiger frei vor sich. Somit durchbrach Stuttgart die Bremer Pressinglogik und konnte aus der Ruhe diagonal in die Halbräume spielen, was sie sehr konsequent und schnell taten, weshalb Bremen nicht nachschieben konnte.

Fazit

Bremens System ist sehr gut darin geeignet, die defensiven Schwächen der Einzelspieler zu verstecken – sie sind aber nicht verschwunden, sondern können mit den richtigen Strukturen aufgehebelt werden. Es wird spannend zu sehen sein, wie viele Mannschaften geeignete Rezepte finden, und, ob Thomas Schaaf dann darauf reagieren wird.

Interessant ist auch, welche Möglichkeiten noch aus dem Kader geschöpft werden. Die Öffnung der Halbräume neben dem Sechser könnte man beispielsweise als Variante interpretieren, einen weiteren Offensivspieler ins Spiel zu bekommen: Da diese Räume nicht klassisch abgesichert und kontrolliert werden können, ist ein aggressiver, offensiv denkender Pressingspieler wie Junuzovic dort vielleicht besser aufgehoben, als ein zurückhaltender, defensiv denkender Akteur.

Wird Thomas Schaaf diesen eleganten, aber riskanten Weg weitergehen und noch zusätzliche Lösungen finden, oder wird es eine Entwicklung zu einem abgesicherterem, gleichmäßigerem System geben?

Tom 6. März 2013 um 14:11

Sorry, das ich mich auf diesen alten Beitrag beziehe, aber hier ging es grundsätzlich um die neue taktische Ausrichtung im Bremer Spiel.
Nach nun 24 Spieltagen: Wie bewertet ihr das Bremer Spiel? Ist das bereits gescheitert?

Meine Sicht:
Die grundsätzliche Ausrichtung ist risikoreich, bringt aber auch Chancen. Meiner Meinung nach mit Anpassungen an die Gegner durchaus vertretbar.

Zumeist scheint eine zu ungestüme Offensive Schuld an vielen Gegentreffern zu sein. In der Offensive wird zu ungeduldig gespielt. Da werden die Zügel der Disziplin immer mehr gelockert. Die Gedanken an einen möglichen Ballverlust und die defensive Formation danach treten immer mehr in den Hintergrund. Nach dem ersten Gegentreffer wird dann noch wütender angegriffen. Man spielt noch ungeduldiger nach vorne und jeglicher Ballverlust sorgt für eine blanke Formation ohne Organisation.

Kann hier die Offensive einfach nicht genug hochwertige Chancen kreieren ohne dabei zu große Risiken einzugehen?

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Dieter Stefan 26. September 2012 um 10:31

kompetente Analyse!

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tom24 25. September 2012 um 20:17

Das ist ja schon mal eine richtig gute analyse…. so muss mich als werderfan erstmal einnorden: das ist ein taktikblog, ein taktikblog…..
Zum Einstieg: für mich hat thomas schaaf erstmals die taktische aufstellung an den vorhandenen spielern orientiert angepasst, bzw. die neuen spieler passend eingekauft, im ergebnis ein recht variables 4-3-3. ok soweit.
so nun zu den ergebnissen, nein nicht zu den endergebnissen, sondern zum taktischen spielverlauf: gute grundstruktur gegen dortmund, gutes pressing, gegenpressing, sehr aktives mittelfeld, in der zweiten Hz, teilweise verlust der strukturellen ordnung trotz einiger chancen, auch die klarheit der abstände zw. den ketten ging verloren. Ähnlich gegen hannover 96, gibt es eine zusammenhängende organisation und abläufe zwischen hunt/junuzovic + de bruyne mit den außen elia/arnautovic und sturm petersen bzw. akpala werden taktische, organisatorische und spieltechnische schwächen in der abwehrreihe verdeckt und werden erreicht nach vielen spielzeiten eine recht gute defensive organisation mit schnellen umschalten in offensive spielzüge – ein großes problem der letzten jahre, neben der wahnsinnigen konteranfälligkeit.

es stellt sich für mich trotzdem die frage: macht diese grundstruktur dauerhaft/immer sinn gegen vermeintlich schwächere teams. hier würde ich mir eine variation wünschen.
na ja, schon morgen wird es sich beim spiel in freiburg zeigen: gleiche taktische formation oder was neues?

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Kinglui 25. September 2012 um 16:53

Sehr interessanter Beitrag. Vielen Dank dafür.

Ich kann mich nicht erinnern in den letzten 10 Jahren in der Bundesliga ein nominell derart offensives Mittelfeld gesehen zu haben (bezogen auf das Profil der einzelnen Spieler). Selbst die Leverkusener Elf unter Klaus Toppmöller in der Saison 2001/2002 hatte neben Ballack, Ze Roberto (beide damals noch sehr viel offensiver als in späteren Jahren), Bastürk und Schneider noch den „reinen Defensivspieler“ Ramelow im Aufgebot. Junuzovic ist dagegen, wie von euch beschrieben, ebenfalls ein sehr offensiv ausgerichteter zentraler Mittelfeldspieler und passt vielleicht gerade deswegen gut in diese riskante Aufstellung.

Alles in allem jedenfalls ein sehr interessanter Ansatz von Herrn Schaaf dessen Wechselwirkungen ihr absolut treffend beschrieben habt. Ob Werder mit dieser Ausrichtung (dauerhaft) Erfolg haben wird vermag ich nicht zu provezeien. Wir dürfen uns aber mit Sicherheit viele spektakuläre Auftritte freuen und mit Interesse beobachten, mit welchen Strategien die Gegner die Halbräume nutzen oder aber in Werders frühem Pressing zerrieben werden.

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