Rayo Vallecano – Real Madrid 0:2

Ein wildes Stadt-Duell im zweiten Versuch.

Sie kommen aus ein- und derselben Stadt, Madrid. Zwischen Real Madrid und Rayo Vallecano liegen dennoch Welten – auf der einen Seite der glamouröse Nobel-Klub aus dem Norden der Stadt, auf der anderen Seite der kleine Arbeiterklub mit dem geringsten Liga-Etat aus dem Süden, der seine Einfachheit pflegt und das genaue Gegenmodell zu den „Königlichen“ darstellt. An diesem 5. Spieltag von La Liga trafen die beiden so unterschiedlichen Klubs aus der Hauptstadt im direkten Duell im Estadio Vallecanos aufeinander – mit einem Tag Verspätung. Weil am Sonntagabend wegen der defekten Fluchtlichtanlage, deren Elektronik von Saboteuren beschädigt worden war, nicht gespielt werden konnte, musste die Partie auf den Folgetag verlegt werden.

Nach einem schwachen Start mit nur vier Punkten in vier Spielen wollten die Madrilenen ihren späten Sieg im atemberaubenden CL-Kracher mit Manchester City nun als Trendwende nehmen und auch in der Liga wieder in die Erfolgsspur zurückfinden. José Mourinho nahm drei personelle Änderungen vor – im Sturm bekam diesmal Benzema den Vorzug vor Higuaín, in der Innenverteidigung kehrte Sergio Ramos nach seiner „Liebespause“ für Varane zurück und im Mittelfeld musste mit Khedira auch der zweite deutsche Nationalspieler seinen Platz, für Neuzugang Luka Modric, räumen.

Die Hausherren wählten eine sehr offensiv und aggressiv ausgerichtete 4-1-2-3/4-2-1-3-Formation, in der die drei hoch stehenden Angreifer durch zwei riskant vorrückende Mittelfeldspieler energisch unterstützt wurden.

Wildes Pressing und Mannorientierung

Keinesfalls war Rayo nämlich gewillt, gegen den großen Favoriten auf eine tiefe Defensivstrategie zu vertrauen und sich zunächst einmal auf das Verteidigen zu konzentrieren. Stattdessen baute der Gastgeber auf ein sehr frühes Pressing, zu dem Leo als zweiter Stürmer neben Delibasic aufrücken konnte, und wollte Real unentwegt unter Druck setzen.

Dabei verteidigten sie im Grundsatz und ganz besonders auf den Außenbahnen nach festen, mannorientierten Zuteilungen, die sich durch die Formationen ergaben, und konnten somit weit vorne Druck machen. Allerdings hielten die direkten Zuordnungen nur bedingt – im Verlauf der sehr früh angesetzten und enorm intensiv geführten Pressingphasen entfernten sich gerade einige Mittelfeldspieler Rayos immer wieder von ihren eigentlichen Gegenspielern, orientierten sich stattdessen am Ball und schoben teilweise einfach auf den ballführenden Gegenspieler. Von diesem sehr wilden, wenig abgestimmten und phasenweise chaotischen Pressing mit Szenen, in denen der ballführende Real-Spieler von drei wirbelnden Gegnern unter enormen Druck gesetzt wurde, waren die Hausherren etwas überraschend.

Die vielen Lücken, die sich durch das unkontrollierte Defensivspiel der Hausherren gerade vor ihrer Abwehr und generell in weiten Teilen des Mittelfeldes ergaben, wurden von den Madrilenen nur inkonsequent genutzt – allerdings lag dies auch daran, dass dort, wo sich Lücken auftaten und diese dann auch wirklich von den „Königlichen“ angespielt wurden, der nahe stehendste  Rayo-Spieler wieder auf den Ball ging. So entstanden im Verlauf von Reals Ballbesitzphasen teilweise aberwitzige Formationen bei ihren Gegnern, da diese sich gerade im Zentrum immer weniger an ihren Gegner und immer mehr am Ball zu orientieren schienen. Der auf der Sechs spielende Javi Fuego behielt ein wenig den Überblick, gab zwar ebenfalls die Deckung auf Modric oft auf, allerdings mit dem Ziel, für etwas Balance zu sorgen und als Lückenschließer zu agieren.

Es mag an ihrer frühen Führung gelegen haben, die aus einem Konter nach einer gegnerischen Ecke resultierte, doch Real Madrid hatte Probleme, gegen die wild und aufgescheucht spielenden Vallecanos die Ruhe und Übersicht zu behalten. Auch wenn gerade in der Phase zwischen der 20. und der 35. Minute eine ganze Reihe an Chancen, ausgehend vom Freiraum im Mittelfeld, heraus kombiniert wurden, spielten Pepe, Ramos und gelegentlich auch der zurückfallende Xabi Alonso mit der Zeit immer wieder lange Bälle – die insgesamt 70 langen Pässe machten ganze 20 %  aller Zuspiele aus – aus der Tiefe, um das hektische Chaos im Mittelfeld weitgehend zu überspielen. Während Modric sehr hoch stand, um mit seiner Intelligenz und gutem Stellungsspiel zweite Bälle in den freien Räumen vor der Abwehr aufnehmen zu können, sollten die schnellen Spieler diese Pässe hinter die Abwehrlinie erlaufen. Bei mittellangen Bälle war insbesondere Benzema gefährlich, wenn er auf die Außenseiten abdriften konnten, nachdem der jeweilige offensive Außenspieler den gegnerischen mannorientiert verteidigenden Außenverteidiger nach hinten gezogen hatte und Benzema in den Raum hinter diesen rochieren konnte. Kurz vor der Pause hatte er auf diese Weise mit einem Schlenzer eine weitere gute Chance für seine Mannen.

Pepe spielt einen langen Ball, Rayo deckt weitgehend mannorientiert, lässt großen Raum zwischen den Linien, den Real aber nicht wirklich nutzt

Rayo attackiert die Innenverteidiger und Alonso direkt, ansonsten ebenfalls weitgehend mannorientiertes Verhalten zu Beginn des gegnerischen Angriffes. Pepe spielt einen langen Ball. Einer der Innenverteidiger Vallecanos bewegt sich weit aus der Kette und deckt den Raum zwischen den Linien.

Rayos Offensivspiel

Aufgrund des zu wenig kontrollierten Spiels der Madrilenen erreichte der Gastgeber sogar eine ausgeglichene Ballbesitz-Statistik und war daher nicht nur über Konter gefährlich. Insgesamt zog sich der wilde Stil der Hausherren dabei auch in ihr Angriffsspiel durch.

Ihre drei Stürmer wurden von Alejandro Dominguez und besonders Leo sehr aggressiv unterstützt, so dass bei Angriffen immer sofort bis zu fünf Spieler nach vorne stürmten. Das Problem war allerdings, dass durch diese zu weit getriebene Angriffslust und Aggressivität die Staffelung im Offensivspiel litt. Bei vielen schnellen und vertikalen Angriffen kam Rayo bis an den Strafraum der Königlichen heran, konnte den Spielzug dann aber nicht zu Ende spielen. Reals gute Endverteidigung sowie das etwas überhastete und unüberlegte Passspiel der eigenen Offensivspieler trug dazu natürlich bei, doch weil alle Spieler teilweise unkoordiniert nach vorne rückten, wurde die Angriffsformation zu flach und es konnten keine Dreiecke mehr gebildet werden. Dass die Außenstürmer bei Läufen mit Ball zum Zentrum manchmal ziemlich kompliziert von den umständlich nach außen rochierenden nachrückenden Mittelfeldspielern hinterlaufen wurden, verstärkte die zu horizontale Angriffsstellung im entscheidenden Moment.

Zu chaotische und zu wenig gestaffelte Angriffsstellung Rayos.

Wenn bei Flügelangriffen die Mittelfeldspieler bereits zu Anfang des Spielzugs mit auf der Seite waren, funktionierte dies etwas besser. Gerade über ihre rechte Offensivseite initiierte Rayo einige Vorstöße (46 % ihrer Angriffe über rechts) und wollte die halbherzige Defensivarbeit Ronaldos nutzen, der fast ausschließlich vorne auf Konter zockte – mit nach außen rochierenden Mittelfeldspieler sollte hier Marcelo überladen werden. Doch obwohl die Möglichkeiten zur Umsetzung dieser Strategie vorhanden gewesen wären und Xabi Alonso beim Herüberschieben zur Seite zur Unterstützung Marcelos nicht dynamisch genug war, gelang es den Gastgebern zu selten auf wirklich effektive Weise. Ihre Außenspieler wirkten aufgrund der potentiell gefährlichen Situation nervös und unkonzentriert – im unbedingten Willen, etwas aus diesen vielversprechenden Möglichkeiten zu machen, spielten sie sie nicht gut aus, so dass der intelligente Marcelo mit starken Aktionen einige Unterzahlszenen aufhalten, anschließend hervorragend den Ball sichern und zum eigenen Angriff weiterleiten konnte. Einige gute Szenen entstanden dennoch – am gefährlichsten waren diagonal gezogene Angriffe, die die leicht geöffnete Schnittstelle zwischen Xabi Alonso und Essien attackierten, oder simple Durchbrüche über Außen. Hier war ganz besonders der enorm dribbelstarke Lass sehr aktiv, der später vermehrt das direkte Duell mit Arbeloa auf der anderen Flanke suchte, diesem viele Schwierigkeiten machte, aber am Ende dennoch nichts entscheidend Produktives bewirken konnte.

Von Räumen und Effektivität

Ein weiterer Punkt waren die Lücken im Mittelfeld, die sich nicht nur in der defensiven Phasen bei den Hausherren auftaten, sondern die auch Real im Rückwärtsgang ließ. Im Gegensatz zum guten und dynamischen Pressing der „Königlichen“, ist ihr Rückwärtsgang im weiteren Verlauf gegnerischer Angriffe verbesserungswürdig, was ganz besonders im zweiten Durchgang durchkam. Dies nutzte Rayo Vallecano aus, ließ in manchen Situation ihre Außenverteidiger als Absicherung gegen die zockende Real-Offensive weit hinten und versuchte, durch das Mittelfeld überspielende und anschließend aus der Sturmreihe abgelegte Vertikalpässe diese Räume zu nutzen, was auch gelang und zu einigen Chancen führte. Allerdings waren dies ebenfalls wieder Versuche, bei denen die letzte Verteidigungslinie der Gäste noch vor ihnen stand und die eigene Offensive zu flach stand – also besonders Weitschüsse. Ausnahmen wurden gefährlich, doch meistens fehlte diesen Abschlüssen ebenso die letzte Effektivität, so dass Rayo, die nicht einmal ein Viertel ihrer Schussversuche auf Casillas´ Kasten bringen konnten, trotz einer temporeichen und leidenschaftlichen Vorstellung mit guten Ansätze letztlich nichts Zählbares nach vorne verbuchen konnte.

Rayo steht wieder etwas zu flach, so dass sich der ballführende José Carlos für den Weitschuss entscheidet. Dieser Versuch war einer der wenigen gefährlichen Schüsse aus der Distanz. Diese Szene ist übrigens ein Beispiel für das etwas umständliche Hinterlaufen der zentralen Mittelfeldspieler, was in dieser Szene vom ganz rechts stehenden Spieler praktiziert wurde. Dadurch verbesserte er zwar die Schussbahn etwas, nahm sich allerdings als sofortige Station z.B. für einen Doppelpass zunächst aus dem Spiel.

Stattdessen wurden sie bei jedem Konterangriff über die individuell starke gegnerische Offensive um Ronaldo anfälliger, ihre letzte Linie immer instabiler und die zugelassenen Räume immer größer. Einer dieser schnellen Gegenstöße brachte den Elfmeter, den Reals Superstar zum vorentscheidenden 2:0 verwandelte – die Tiefenstaffelung der Viererkette war bei der Entstehung des Strafstoßes keinesfalls ideal gewesen, während ihre sehr enge Stellung dafür sorgte, dass Real „neben der Kette“ her kontern konnte. Auf diese simple Weise erzeugte man eine ganze Reihe von Durchbrüchen über die Seiten parallel zur ineffektiven Abwehrkette der Vallecanos, die mit besseren Querpässen oder konzentrierteren Abschlüssen zwingend noch zu weiteren  Toren hätten führen müssen.

Fazit

Rayo presste wild, chaotisch – teilweise jagten einige Spieler bloß den Ball – und ließ gerade im Mittelfeld viele Lücken. In manchen Szenen fehlte es Real Madrid an Ruhe, um diese Räume zu nutzen, in anderen Phasen agierten sie aber auch umsichtig genug, um das wilde Pressing auszuhebeln – zum Beispiel bei der guten Chance für Modric (erste Halbzeit) oder Ronaldos Pfostentreffer (zweite Halbzeit). Insgesamt hatten „die Königlichen“ aber offensiv wie defensiv einige Probleme mit ihrem leidenschaftlichen Stadtrivalen hatten. Am Ende waren es dann ihre gefährlichen Flügelkonter über die zockende Offensive, die Rayo schlecht verteidigte und Real den Sieg brachten. Umgekehrt zeigte Vallecano zwar viele gute Ansätze, aber spielte schlussendlich die Angriffe zu ineffektiv zu Ende und konnte daher die von den zockenden Madrilenen gelassenen Räume nicht verwerten. Um es zusammenzufassen: Real Madrid hatte phasenweise Probleme mit der riskanten Taktik Rayo Vallecanos, die darauf spekulierten, ihre Gegner durch aggressives Pressing, Unruhe und Hektik aus dem Rhythmus zu bringen sowie sie aus den offen gelassenen Räumen herauszudrängen, und offensiv mit viel Vorwärtsdrang durchzubrechen und die Seiten zu überladen, gewann aber am Ende aufgrund ihrer scharfen Gegenstöße verdient im Duell zweier zockender Hauptstadt-Mannschaften.

Wir bedanken uns bei laola1.tv für das zur Verfügung Stellen des Bildmaterials!

Tobias 25. September 2012 um 20:03

Danke für den schnellen Bericht. Mir ist auch aufgefallen, dass Reals Mittelfeld kaum Zugriff auf das Spiel hatte und fast ausschließlich mit langen Bällen operiert wurde. Da diese langen Bälle aber fast immer auch bei den Flügelstürmern landeten, die daraus häufig gefährliche Situationen initiieren konnten, würde ich jedoch behaupten das Rayos Taktik nicht wirklich aufgegangen ist.

Glaubst Du, dass Rayo beim Pressen mehr darauf hätte achten sollen, Xavi Alonso mannzudecken, wie es etwa Sevilla getan hat? Seine langen Bälle sollten als Waffe bekannt sein?

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